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Befreiter Bürger – Fazitgespräch mit Caspar Einem

| 24. November 2010 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 68, Fazitgespräch

Caspar Einem war drei Jahre lang Innenminister und galt trotzdem lange Zeit als linkes Gewissen der SPÖ. Inzwischen sitzt er im Vorstand eines Flugunternehmens. Vor drei Jahren hat er das politische Geschäft hinter sich gelassen, das politische Geschehen aber nach wie vor im Blick. Das Gespräch führten Michael Thurm und Michael Neumayr.

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Foto: Michael Thurm

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Brach liegende Felder warten darauf, vom Schnee bedeckt zu werden. Ein paar Weinstöcke säumen den Weg zum kleinen Vöslauer Flugplatz. Hier arbeitet Caspar Einem als Vorstand der Jetalliance, seit er vor drei Jahren aus dem historistischen Parlament in Wien ausgezogen ist.

Herr Einem, vor drei Jahren sind Sie aus der Politik geschieden. Wer war in den 13 Jahren zuvor Ihr „liebster Feind“?
Ich hatte eigentlich keine lieben Feinde. Das eine war die FPÖ, in Besonderheit Haider und Stadler. Das andere war die Kronen Zeitung. Das waren diejenigen, die mir das Leben nicht erleichtert haben.

Und die Kritiker in der eigenen Partei?
Ich war einer, der auch polarisiert hat. Was nicht zuletzt auch an der Kronen Zeitung lag. Die kann zwar keine Wahlen gewinnen, aber sie kann die mittlere Funktionärsschicht, und zwar in jeder Partei, in eine bestimmte Schwingung bringen. Und wenn die das Gefühl hat, ein Spitzenfunktionär ist problematisch, dann wollen die den nicht.

Sie wurden als „linkslinks“ und linksradikal bezeichnet.
Ach Gott, manches war doch einfach dumm. Weil die meinten, einer der Bewährungshelfer war und auf der Seite der Kriminellen steht, könne nicht Innenminister werden. Aber es hat unglaublich viel solchen Schmarrn gegeben. Die Kronen Zeitung hatte mich endgültig mit der Tatblatt-Spende gefressen. Ich hatte offensichtlich einen Fehler gemacht, den weder meine Vorgänger noch Nachfolger gemacht haben: Es war üblich, wenn einer Innenminister wird, dass er sich beim Dichand vorstellen geht. Und das habe ich nicht gemacht.

Hat die SPÖ auch nach Dichands Tod noch zu viel Angst vor der Krone?
Wahrscheinlich schon. Aber ich schau mir das nicht mehr so genau an. Man hätte wohl vom Schüssel etwas lernen können. Der hat gegen die Krone die Wahl gewonnen. Er hat gewusst, was er will, hat das klar gesagt und ist gut damit angekommen – gegen eine immer verschwommenere SPÖ.

Welche Werte und Eckpfeiler sollte die SPÖ denn haben, um nicht verschwommen zu sein?
Es geht mir nicht darum, eine Grundwertedebatte zu führen, sondern es muss klar sein, auf welcher Linie sich die SPÖ bewegt. Ich hab vor nicht allzu langer Zeit das Sarrazin-Buch gelesen, ebenso das Interview mit dem türkischen Botschafter. Beide kann man kritisieren, aber da ist wenigstens Klarheit in der Aussage. Das ist das, was vielen fehlt. Dieses Wischiwaschi wie in der Wien-Wahl, da hat die SPÖ gepunktet mit: „Es geht um Wien“.

Klarheit allein ist noch kein politischer Wert.
Davon hab ich bewusst noch nicht gesprochen. Es geht erst mal darum, dass die Leute wissen, worauf sie sich einlassen. Das ist noch keine Frage der Inhalte. Ich bin jetzt nicht mehr in der Politik und will keine Ratschläge mehr geben. Aber es muss klar genug sein, was man für richtig hält und wofür man kämpft.

Also macht HC Strache alles richtig?
Für seine Sache macht er es richtig.

Worauf muss sich eine Sozialdemokratische Partei im 21. Jahrhundert ausrichten?
Keine Ahnung. Das ist eine Frage, mit der ich mich nicht mehr beschäftige. Ich bin aus der Politik ausgeschieden.

Weil auch Sie nicht die Antworten finden, nach der Sozialdemokraten in ganz Europa suchen?
Ich bin nicht aus inhaltlicher Verzweiflung gegangen. Aber wenn man mit 59 Jahren ein Angebot bekommt, dann sage ich doch Ja.

Sie weichen der Frage nach den Werten aus.
Nein, ich verweigere die Antwort, um es jetzt deutlich zu sagen. Ich weigere mich zu sagen, was die Sozialdemokratie machen muss, um erfolgreich zu sein. Das ist nicht mehr mein Thema.

Ihr Thema als Innenminister war auch die Asyl- und Zuwanderungspolitik. Halten Sie Ihre damalige Politik aus heutiger Sicht für richtig?
Die Grundsätze, die ich damals verfolgt habe, halte ich für richtig. Asyl ist das eine: Wenn jemand aus anerkannten Gründen Asyl sucht, hat er die gleichen Rechte wie ein Österreicher. Schwierig ist es, die richtigen von den falschen Gründen zu unterscheiden, denn wenn jemand zurückgeschickt wird, kann das seinen Tod bedeuten. Das ist viel zu wenig klar.
Das andere ist die Zuwanderung. Als Innenminister hatte ich damals die geringste Neuzuwanderung in den letzten 25 Jahren. Ich hatte damals das Konzept „Integration vor Neuzuwanderung“, weil ich der festen Überzeugung bin, dass man sich zuerst um die kümmern muss, die da sind.

Aber es fehlen auch zahlreiche Arbeitskräfte, die nur durch Zuwanderung kommen. Zum Beispiel in der Pflege.
Genau, das will ein Österreicher nicht mehr machen. Er will zwar keine Ausländer haben, aber er selbst will diese, na ja, Scheißhacken auch nicht machen. Ich habe damals eine „schrittweise Aufenthaltsverfestigung“ vorgeschlagen. Jemand, der aus dem Koffer lebt, kann sich nicht integrieren. Man muss den Leuten zunehmend Sicherheit geben, dass sie dableiben können und sich integrieren. Und wir müssen verlangen, dass sie die deutsche Sprache sprechen. Das haben wir damals nicht deutlich genug gesagt. Es muss die Bereitschaft da sein, sich an die Gesetze zu halten. Aber es muss auch eine Bereitschaft der aufnehmenden Gesellschaft da sein, die Leute nicht in irgendwelche Ghettos zu schicken.

Sie stimmen dem türkischen Botschafter zu, der das zuletzt in einem Interview kritisiert hat?
In weitesten Teilen stimme ich zu, ja. Das Tolle an diesem Interview ist doch, dass ein Botschafter so offen spricht.

Und trotzdem sind alle entsetzt.
Nicht alle, die Grünen haben es sogar gut gefunden. Wäre ich noch in der Politik, hätte ich wahrscheinlich dazu auch etwas gesagt. Ich finde es toll, dass er den Mut gehabt hat. Er ist für meinen Geschmack nur zu weit gegangen, sich ein Urteil darüber anzumaßen, ob die Innenministerin lieber in einer anderen Partei sein sollte. Ich hab mit der Aussage kein Problem, aber damit öffnet man eine Flanke, die nicht notwendig ist. Die Sachaussage, um die es gegangen ist, sollte man nicht torpedieren.

Die Auffassung zur Innenministerin in der falschen Partei teilen Sie?
Mein Gott, das ist eine mögliche Kritik, die man üben kann. Die Frau Fekter ist ja nicht nach ihrer Persönlichkeit in der falschen Partei. Sie hat eine Aufgabe, und die wird Innenministern gern zugedacht: die rechte Flanke abdecken.

Auch von Ihnen hat man erwartet, die rechte Flanke abzudecken.
Habe ich aber nicht.

Die Krone hätte Sie gern da gehabt.
Ja, die Krone. Aber Vranitzky hat mich bewusst da hingesetzt, um etwas anderes als den Franz Löschnak (SPÖ) zu haben. Er wusste, dass ich nicht diese Härtlingspolitik machen werde. Die Krone hätte gern gehabt, dass ich etwas schiacher zu den Ausländern bin, aber dazu war ich zu nüchtern.

Schlögl war wieder der harte Innenminister.
So hat das die Krone dargestellt. Dabei war ich viel härter, weil ich eben nicht von jedem geliebt werden wollte. Der Schlögl musste von jedem geliebt werden und wieder diese Härtlingspolitik machen.

Stimmen Sie Michael Fleichhacker zu, dass wir „die falschen Einwanderer“ haben?
Ach Gott, so simpel ist es vielleicht nicht. Momentan träumen natürlich alle davon, dass wir lauter IT-Techniker und Wunderkinder importieren. Und es gibt nach wie vor einen Bedarf an Arbeitern für einfache Aufgaben, die kein Österreicher machen will. Und ich stimme den Thesen Sarrazins zu, dass es für englischsprachige Länder viel leichter ist, qualifizierte Zuwanderer anzulocken. Die meisten, die eine Qualifikation haben, können ja bereits Englisch.

Und die Sarrazin-These, dass viele nur wegen der Sozialsysteme nach Europa kommen?
Also die Zugangsvoraussetzungen für Ausländer zur Grundsicherung sind in Österreich relativ scharf. Da musst du fünf Jahre legal da gewesen sein. Als Ausländer bekommst du das nicht ohne weiteres. Der zentrale Punkt ist aber, dass wir in die Qualifikation der Schwachen investieren müssen.

Ist es nicht auch ein Problem, dass viele Abschlüsse nicht anerkannt werden?

Auch das ist ein Aspekt. Es ist in den letzten 20 Jahren viel für die Durchlässigkeit getan worden, nur  funktioniert es nicht wahnsinnig gut. Mit der Differenzierung der Universitäten und deren Recht festzulegen, ob Abschlüsse gleichwertig sind oder nicht, habe ich die alten Probleme.

Der Bologna-Prozess, an dem sie als Wissenschaftsminister beteiligt waren, sollte das verhindern. Was ist schiefgegangen?
Es sind zwei Reformen zugleich gekommen. Da bin ich zum Teil mit schuld. Das eine war die Autonomie – das war vermutlich richtig, weil die Universitäten sich dadurch mehr um ihre Qualität bemüht haben. Aber der Effekt im Inland ist, dass schon die drei Medizin-Unis so ausdifferenziert sind, dass ein Wechsel kaum möglich ist. Da hätte man ein bisschen mehr Standardisierung gebraucht. Und wenn man das mit Bologna kombiniert und der Absicht eines offenen Universitätsraumes, dann muss man sagen: Das ist nett, aber das schließt sich in gewissem Maße aus.

Würden Sie Ihre Unterschrift zurücknehmen?
Wahrscheinlich nicht, aber man müsste schon noch einige Schrauben drehen.

Ist der Drang der Jugend zur Veränderung groß genug?
Ich glaube, dass es bei jungen Leuten auch Wellenbewegungen gibt. Ich hab den Eindruck, dass die Jungen sich jetzt wieder für Politik interessieren, allerdings nicht entlang von Parteilinien. Die Schwierigkeit ist, dafür eine angemessene Plattform zu finden und Dinge auch bewegen zu können.

Sind Studentenproteste eine solche Plattform?
Also bewegen tut’s nicht sehr viel. Auch wenn Betroffene das Recht haben, gelegentlich aufzuschreien. Wobei der jetzige Aufschrei im Vergleich zu dem, was passiert, relativ heftig ist. Aber es ist zumindest eine Form, seine Interessen zu artikulieren.

In Anbetracht der beiden besprochenen Themen Integration und Bildung: Halten Sie die parlamentarische Demokratie noch für geeignet, faire Lösungen zu finden?
Also, wenn ich viel was Besseres wüsste, würde ich es sagen. Ich sehe durchaus Schwächen der parlamentarischen Demokratie. Ein Modell, in dem das Überleben der Regierung nicht ständig von parlamentarischen Mehrheiten abhängig ist, hat durchaus Vorzüge. Wie zum Beispiel in Amerika. Wenn bei uns im Parlament entschieden wird, dann auch immer über das Fortbestehen der Regierung. Deshalb nickt das Parlament tendenziell Dinge ab, die die Regierung einbringt. Ein starkes Parlament gibt es unter diesen Bedingungen nicht. Das halte ich für schade, weil in Parlamenten, wo das anders ist, eine stärker sachbezogene Kooperationsbereitschaft da ist. Ein gutes Beispiel ist das europäische Parlament.

Dessen Anerkennung in der Bevölkerung ist …
… enden wollend. Das hat wieder andere Gründe. Unter anderem, weil es keine Öffentlichkeit gibt. Nicht, dass sie ausgeschlossen wäre, es interessiert einfach keine Sau. Das hat Vorteile für die Arbeit im Parlament, aber der Nachteil ist, dass die Entscheidungen nicht ankommen.

Hoffen Sie auf die Vernunft oder ein Wunder?
Beides. Das eine reicht nicht, und das andere kommt nicht jeden Tag.

Sie haben schon in einem Ihrer frühen Bücher vom „befreiten Bürger“ geschrieben und auch damals viele Probleme von heute beschrieben. Ist die Hoffnung auf den „befreiten Bürger“ noch aufrecht?
Das ist etwas, was man immer hoffen kann. Dass man dieses Spiel nicht definitiv gewinnen kann, ist wahrscheinlich so. Es gibt viele Zeichen, die darauf hindeuten, dass sich Dinge nicht so sehr toll entwickeln und dass kaum einer weiß, was man tun müsste. Und dass keiner weiß, was man tun könnte.

Warum werden so wenig Schlüsse aus den meist recht frühen und richtigen Problem-Analysen der intellektuellen Eliten gezogen?
Politik ist an sich nicht sehr Intellektuellen-affin. Und es sind auch nicht alle kämpferisch, die nachdenklich sind. Ich war schon immer dafür, zu kämpfen, aber meine Zeit in der aktiven Politik ist gewesen. Es ist ganz wichtig, dass man sagen kann: „Habt’s mich gern.“ Das hat man mir zwar immer vorgeworfen, aber das war mir wurscht. Ich war nie ausschließlich in der Politik und hätte auch einen anderen Job gefunden. Deswegen war ich immer ein bisschen verdächtig.

Verdächtig, weil vieles im Dunkeln bleibt, was zwischen Politik und Wirtschaft passiert. Sehen Sie keine Gefahr, wenn die beiden so eng verknüpft sind?
Das sehe ich ehrlich gesagt nicht als großes Problem. Aus der Wirtschaft geht ja kaum jemand in die Politik, weil sie dort zu wenig verdienen. Und die großen Interessen müssen auch nicht in die Politik, die können sich auch so durchsetzen. Das Problem ist, dass viele überhaupt nicht mehr daran denken, in die Politik zu gehen. Ich war damals sehr erstaunt, als ich von einem auf den anderen Tag Staatssekretär unter Vranitzky geworden bin: Gestern war ich ein angesehener Bürger, Direktor der ÖMV, und plötzlich war ich ein Arschloch. Das ist gar nicht so einfach. Aber man kann mit den Leuten reden.

Warum ist es so schwierig für Politiker, in die Wirtschaft zu wechseln? Schüssel, Schröder, Fischer und auch Ihnen wurden Interessenskonflikte vorgeworfen.
Ich weiß nicht, was dagegen einzuwenden ist. Bei den Genannten geht es darum, dass sie ihre Kontakte für komplexe Wirtschaftsprojekte nutzen. Wenn man eine Pipeline von Turkmenistan über den Iran und die Türkei nach Europa führen will, muss man viele politische Schnittstellen bewältigen. Geld allein reicht nicht.

Aber verstehen Sie die Befürchtung, dass Politiker, die in der Wirtschaft sind, Einfluss auf die Politik nehmen?
Das spielt schon eine Rolle. Und wenn Medien das hinterfragen, ist das ihr gutes Recht. Mir kann man nicht vorwerfen, dass ich zu nah an Jetalliance war. Ich habe mit dem Unternehmen vorher gar nie etwas zu tun gehabt.

Und noch einmal berufen wir uns auf die Krone. Die hat Ihnen den „Wechsel zum Klassenfeind“ vorgeworfen. Sind Sie noch ein Linker?
Die Frage ist, ob ich je ein Linker war. Sozialistische Jugendfunktionäre haben mich nie als Linken gesehen, weil ich gewisse dogmatische Ansichten nicht geteilt habe. Ich war viel zu liberal, um ein wirklicher Linker zu sein. Den Ruf habe ich angedichtet bekommen, weil ich Sozialarbeiter war, weil ich für das Tatblatt gespendet habe und weil ich mich für Integration eingesetzt habe.

Sind Sie noch so links wie damals?
Da haben sich meine Positionen nicht geändert.

Herr Einem, vielen Dank für das Gespräch.

Der Einstieg Frank Stronachs als Investor der Jetalliance wurde erst kurz vor Drucklegung kolportiert und ist daher nicht Gegenstand dieses Gesprächs.

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