Anzeige
FazitOnline

Eine besondere Schule für Muslime

| 30. Juli 2014 | Keine Kommentare
Kategorie: Allgemein, Fazit 105

Foto: Muamer Becirovic

Das »Islamische Realgymnasium Wien« – keine zehn Gehminuten vom Schloss Schönbrunn entfernt – ist das einzige islamische Gymnasium mit Öffentlichkeitsrecht. Muamer Becirovic hat für Fazit eine Reportage seiner Schule gemacht.

Überquert man das Eingangstor, gelangt man in den belebten Hof. Dort spielt sich der Großteil des Freizeit- und Pausengeschehens ab. Und weil der Direktor zugelassen hat, dass renommierte Künstler an einer Wand ein prachtvolles Graffiti mit der Aufschrift »Lies, im Namen deines Herrn, der erschuf« anbringen konnten, wird jedem Besucher spätestens im Hof endgültig klar, dass er sich in einer besonderen Schule befindet.

Die ersten Schritte
Vor etwa 13 Jahren gründete der Verein »Solidarisch miteinander« (Solmit) das Gymnasium. Heute nimmt Solmit die Rolle des Schulträgers wahr. Zu Beginn gab es viel zu wenige Schüler, doch die Anzahl nahm in den darauffolgenden Jahren deutlich zu. Und mittlerweile besuchen 300 Schüler das islamische Gymnasium. Der Schulbetrag ist mit 120 Euro im Monat zwar einigermaßen moderat, für viele Eltern – die meisten sind einfache Arbeiternehmer und Kleinunternehmer – stellt er dennoch eine beträchtliche finanzielle Belastung dar. Inzwischen gibt es aber auch immer mehr islamische Akademiker in Wien und die freuen sich natürlich darüber, dass sie ihre Kinder in einer höheren Schule ausbilden lassen können, auf der die islamischen Werte hoch gehalten und gelebt werden. Die Ausstattung der Schule entspricht der eines jeden anderen öffentlichen Gymnasiums. Anders als in »normalen« Schulen gibt es jedoch zwei Gebetsräume – nach Geschlechtern getrennt, einen für die Burschen und einen für die Mädchen. Keinen Unterschied gibt es hinsichtlich der unterschiedlichen islamischen Glaubensrichtungen. Sunniten, Schiiten oder Aleviten werden nach denselben Prinzipien unterrichtet. Und natürlich ist auch das Schulessen etwas anders: Statt der klassischen österreichischen Küche werden im Speisesaal türkische und arabische Gerichte gereicht.

Das Zusammenleben
Sämtliche Schüler des islamischen Realgymnasiums sind Muslime. Die meisten haben ihre Wurzeln in Drittstaaten, sind jedoch seit ihrer Geburt in Österreich und fühlen sich auch als Österreicher. Die Mehrheit in den Klassen halten eindeutig die Mädchen. Zwei Drittel tragen ein Kopftuch, wobei die Entscheidung für oder gegen das Kopftuch den Schülerinnen überlassen ist.
Da die Schule mit einem Öffentlichkeitsrecht ausgestattet ist, werden dieselben Fächer angeboten wie in jedem anderen Realgymnasium. Den Unterrichtsschwerpunkt bilden daher die Naturwissenschaften. Die Schüler haben jedoch auch die Möglichkeit, in Freifächern ihre Türkisch- oder Arabisch-Kenntnisse zu verbessern. Ein Manko bildet das Fehlen eines Turnsaals. Der Turnunterricht wird daher in angemieteten Turnsälen beziehungsweise – wenn das Wetter passt – auf dem nahen Wacker-Platz abgehalten. Die Unterrichtssprache ist Deutsch. Fremdsprachen sind Französisch und Englisch. Etwa ein Viertel der Lehrer sind Muslime, alle anderen – so wie an anderen österreichischen Schulen – Christen oder Atheisten. Für Direktor Tosun ist dieser Mix in Ordnung und er schließt auch für die Zukunft aus, dass Muslime die Mehrheit im Lehrerzimmer stellen werden. Denn das Letzte, was Tosun will, ist die Gefahr der Ghettoisierung im Schulbereich.

Integration
Integration ist ein wesentlicher Wert, der in der Schule gelebt wird. Es gibt verschiedene Projekte, die sich genau um dieses Thema bemühen. Man engagiert sich auch besonders bei Integrationsprojekten des Wiener Stadtschulrates. Außerdem werden öffentliche Einrichtungen besucht, um Österreich, das Land und seine Werte auch von innen heraus kennenzulernen. Jedes Jahr wird übrigens ein interreligiöses Fußballturnier organisiert, bei dem sich verschiede Religionen und Kulturen treffen, austauschen, miteinander essen und Spaß haben.

***

Interview mit Muhammet Tosun. Der türkischstämmige Mathematiker, seit einem Jahr
Direktor des islamischen Gymnasiums in Wien, im Gespräch mit Muamer Becirovic

»Das Kopftuch ist die Entscheidung
jeder einzelnen Person«

Wozu braucht es ein islamisches Gymnasium?
Warum braucht es eine Waldorfschule, warum ein christliches Gymnasium? Eltern wollen ihren Kindern eben bestimmte Werte mitgeben – auch über die elterliche Erziehung hinaus.  Und ich bin davon überzeugt, dass Eltern das Recht haben, ihre Kinder nach den Werten zu erziehen, die sie für richtig halten. Da ist es völlig legitim, dass islamische Eltern ihren Kindern die islamischen Werte mitgeben wollen.

Und welche Werte sind das?
Es geht im Wesentlichen um die Liebe zum Schöpfer und seiner Schöpfung. Außerdem wissen wir, dass es für eine glückliche und stabile Kindheit unumgänglich ist, dass Kinder in einer Umwelt aufwachsen, in der sie akzeptiert und respektiert werden, ohne sich wegen ihrer Religion oder Kultur andersartig vorzukommen. Außerdem wissen wir eventuell über die Lebenswelten der Kinder besser Bescheid als Nichtmuslime. Das hat zur Folge, dass wir die Kinder eher dort abholen können, wo sie sind. Somit können wir sie auch besser fördern. Als schulische Institution haben wir zudem die Möglichkeit, unserer integrativen Verantwortung eher gerecht zu werden.

Ist die Situation in den islamischen Staaten für die Schule relevant?
Die Muslime erleben gerade weltweit eine große Veränderung – eine tiefe Kluft geht durch die gesamte islamische Welt. Ich bin zutiefst überzeugt, dass die europäischen Muslime zur positiven Veränderung der muslimischen Welt beitragen werden. Die Erneuerung wird wesentlich von uns, den europäischen Muslimen, getragen werden. Ich meine hier keine Erneuerungen wie den Euroislam, sondern Reformen, die auf den Lehren des Islam basieren und dabei jegliche Radikalismen enttarnen.

Wie sieht es mit der Kopftuchpflicht aus?
»Es gibt keinen Zwang in der Religion« lautet der Beginn des 256. Verses der zweiten Sure unseres Korans. An unserer Schule ist das Kopftuch kein Thema. Zwar trägt der Großteil der Mädchen ein Kopftuch, aber gezwungen wird niemand. Das Kopftuch ist die Entscheidung jeder einzelnen Person. Persönlich verstehe ich die Aufregung um das Kopftuch nicht ganz. Diesem Tuch wird mehr politisches Gewicht zugeschrieben, als es in Wirklichkeit hat. Auch dem Argument, das Kopftuch sei ein Zeichen für die Unterdrückung der Frau, kann ich nichts abgewinnen.

Die funktioniert die Zusammenarbeit der muslimischen und nichtmuslimischen Lehrer am Gymnasium?
Tatsache ist, dass die Lehrerzimmer in Österreich kein Spiegelbild der Gesellschaft darstellen, insbesondere in Wien. Etwa die Hälfte der Wiener Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund, aber das spiegelt sich nicht in den Lehrerzimmern wider. Eigentlich stellen die Lehrerzimmer die eigentliche Parallelgesellschaft dar. Unser Lehrerkollegium ist da eine positive Ausnahme: Nichtmuslime und Muslime arbeiten Hand in Hand. Und was unter unseren Lehrerinnen und Lehrern möglich ist, ist doch auch in der Gesellschaft machbar.

Welche konkreten Integrationsbeiträge leistet ihre Schule?
Unser Ziel ist es, durch Bildung, Vermittlung eines humanistischen Weltbildes und der islamischen Werte pflichtbewusste Bürger für die Gesellschaft heranzubilden. Sie sollen tragende Elemente werden und das geht nur dann, wenn eine Integration in die Gesellschaft erfolgt. So gibt es Kooperationen mit verschiedenen NGOs, Projekte in Altersheimen, aber auch mit Partnerschulen.

Worin unterscheidet sich ihre Schule von anderen Schulen?
Schulrechtlich sind wir den öffentlichen Gymnasium gleichgestellt. Wir besitzen den gleichen Rechtsstatus wie alle andere private Gymnasien mit Öffentlichkeitsrecht. Unsere Zeugnisse sind staatlich anerkannt. Der auffälligste Unterschied besteht sicherlich in unseren Räumlichkeiten. Die Schule ist in einem ehemaligen Firmengebäude, das unter großer Anstrengung umgebaut wurde, untergebracht. Unserem Haus fehlt daher das typische schulische Flair – eine Aula oder die für Schulen typischen langen Gänge. Dafür bietet unsere Institution eine familiärere Atmosphäre. In den Pausen stehen die Erstklässler neben den Maturanten und diskutieren im Schulhof ihren Alltag oder das gestrige Ländermatch. Das findet man sonst nirgendwo.

Wie verhindern Sie, dass Ihre Schule Teil einer Parallelgesellschaft werden könnte?
Dieser Herausforderungen müssen wir uns stellen. Durch entsprechende Gegenmaßnahmen kann man hier diesen Gefahren entgegenwirken. Wir wollen ja mündige Bürger heranziehen, die mit beiden Beinen in dieser einen Gesellschaft stehen.

***

Foto und Text von Muamer Becirovic
Fazit 105 (August 2014) – Onlinelayout

Kommentare

Antworten