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Zweiter Sieger

| 22. Dezember 2015 | 1 Kommentar
Kategorie: Fazit 119, Fazitgespräch

Foto: Marija Kanizaj

Der steirische Landeshauptmannstellvertreter Michael Schickhofer über eine Politik zwischen Zuhören, Verstehen und Handeln.

Das Gespräch führten Johannes Tandl und Peter K. Wagner.
Fotos von Marija Kanizaj

::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK

Michael Schickhofer wirkt im ersten Moment nicht wie der klassische »alte Polithase«. Er empfängt uns herzlich und stellt zunächst einmal seine Einrichtung vor. Viele Bilder aus seiner oststeirischen Heimat finden sich im Büroraum der Grazer Burg, den er von seinem Vorgänger Franz Voves übernommen hat. »Die sind vom Schwiegervater«, erklärt er stolz, als er auf die Malereien zeigt. »Das da drüber ist übrigens meine Frau.«

Im Besprechungsraum geht es künstlerisch weiter. »Die Bildserie ist wenig bekannt, aber von Günter Brus und hat einen hohen Schätzwert. Die Bilder sind eine Leihgabe aus Weiz ich habe sie hierher mitgenommen.«

Bald erzählt er uns von seinem ersten Job im Viehhandel in Weiz. »Damals konnte ich eine Kuh bis auf 25 Kilo genau schätzen.« Und lächelt wieder. Er kommuniziert auf Augenhöhe, wie am Stammtisch, wie mit einem Freund. Doch dann beginnt das Interview. Und auch wenn diese spitzbübische, sympathische Art immer wieder durchkommt, zeigt er ein anderes Gesicht. Ab Frage eins ist er dann zwar noch immer kein alter Polithase, aber der neue stellvertretende Landeshauptmann.

Herr Schickhofer, die Situation in der steirischen SPÖ war in den vergangenen Monaten sicher nicht einfach. Immerhin hat man als Erster den Landeshauptmannstuhl verloren. Hat sich die Partei damit schon arrangiert?
Wir schauen jetzt nur noch ganz konsequent in die Zukunft. Das war ein Verhandlungsprozess und mit dem Ergebnis müssen wir jetzt leben. Im Endeffekt sind wir gewählt, um zu arbeiten, und das machen wir in dieser Koalition.

Aber zufrieden wird man noch immer nicht sein.
Viele in der Partei sagen, es wäre fairer gewesen, wenn Hermann Schützenhöfer die eine Halbzeit gemacht hätte und Michael Schickhofer die andere. Aber aufgrund der damaligen Gegebenheiten war das nicht machbar. Also nutzen mein Team und ich die Gestaltungskraft, die wir in den Bereichen Regionalentwicklung, Finanzen, Verkehr, Soziales und Bildung haben.

Regionalpolitik ist auch aus Ihrer Vergangenheit heraus ein großes Thema. Das war Ihr erster Aufgabenbereich als Referent bei Franz Voves. Wie kann man Erfolg in der Regionalpolitik definieren?
Zuzug und Arbeitsmarktsituation sind sicher die zentralen Indikatoren. Es freut mich, dass wir zum Beispiel seit Langem in Leoben wieder einen Bevölkerungszuwachs haben, weil wir mehr Studenten haben. In Eisenerz werden wir 300 Gästebetten schaffen und wir machen ein Zentrum am Berg für Forschung und Innovation. Da sieht man, dass sich Regionalpolitik auszahlt. Und das sind nur zwei symbolische Beispiele. Wenn man etwas in die Zukunft blickt, gilt das Hauptaugenmerk der großen Achse Semmering-Koralm. Die Entwicklung von Mürzzuschlag bis Leibnitz und Deutschlandsberg halte ich für eine enorme Chance und wird uns sicher viel bringen. Die Pyhrn-Schoberachse noch dazu und als Treffpunkt Bruck an der Mur – das ist unsere Wunschvorstellung einer gesunden regionalpolitischen Weiterentwicklung.

Am 23. Jänner hat die SPÖ ihren Parteitag. Es wird wahrscheinlich nicht viel passieren, aber was wäre Ihre prozentuelle Schmerzgrenze bei der Wahl zum SPÖ-Landeschef?
Aus guter Erfahrung von Franz Voves lasse ich mich auf keine Prozentzahlen ein. Man muss Schwerpunkte immer ganz offen kommunizieren und wenn man Ecken und Kanten zeigt, kann es immer sein, dass einzelne Gruppen nicht ganz zufrieden sind. Ich spüre aber, dass es ein erfolgreicher Parteitag wird.

Sie erwarten also mehr als 90 Prozent.
Ich erwarte mir ein sehr gutes Ergebnis (lacht). Ein paar Prinzipien gibt man sich doch durch gewisse Erfahrungen und als ich in der Wahlnacht 29,7 Prozent für die SPÖ gesehen habe, war mir klar, dass ich mein Schicksal nicht an solche Zahlen knüpfen werde.

Die Regierungsmannschaft der SPÖ Steiermark hat sich völlig erneuert. Bei der ÖVP sitzen lauter alte Hasen. Wie ist der Umgang mit den Koalitionspartnern?
Total korrekt. Wir brauchen Einstimmigkeit und haben uns ausgemacht, uns wechselseitig nicht zu »legen«. Das ist auch der große Unterschied in der Zusammenarbeit zwischen Rot und Schwarz im Bund. Der steirische Zugang ist es lediglich, Probleme zu lösen und das Leben der Menschen zu verbessern. Und 2020 werden wir darüber reden, wer Erster und Zweiter ist. Aber natürlich achten wir angefangen von Medienanalysen bis zur genauen Durchsicht von Regierungssitzungsanträgen genau darauf, was unser Partner tut. Blindes Vertrauen kann es nicht geben.

Welches persönliche Verhältnis haben Sie zu Hermann Schützenhöfer?
Ein sehr gutes. Natürlich haben wir unterschiedliche Zugänge. Natürlich sind wir Teil einer anderen Generation. Aber unsere unterschiedlichen Zugänge sind nicht nur eine Frage des Alters, sondern ebenso der Sozialisierung. Hier stehen sich der ÖVP-Gewerkschafter und der SPÖ-Betriebswirt gegenüber. Das sind unterschiedliche Lebenszugänge und wir versuchen diese gemeinsam zu kombinieren, um ein positives Ergebnis zu erreichen. Wir wollen zusammen arbeiten und zusammen präsentieren. Vielleicht ein bisschen weniger in Doppelkonferenz und mehr in den einzelnen Ressorts. Wie schon angedeutet: Ich bereite alles vor, damit die SPÖ 2020 wieder den Landeshauptmann stellen kann, und werde mit der ÖVP nicht in allen bundes- oder europapolitischen Themen immer einer Meinung sein.

Sie haben einmal gesagt, Hermann Schützenhöfer repräsentiert, Sie gestalten. Wie wollen Sie denn gestalten?
Ich lege meine Arbeit an wie ein Bürgermeister. »Zuhören, verstehen, handeln« – das ist entscheidend. Neben den großen Projekten muss eine Partei auch für die einzelnen Anliegen der Menschen da sein. Und diese Gestaltungskraft zeigt sich auch. Bei der Energie Steiermark ebenso wie beim S-Bahn-Ausbau oder dem Budget. Ich habe eine Koordinationsfunktion für die gesamte Landesentwicklung.

Wie kann man das verstehen? Wenn etwa Landesrat Christopher Drexler von der ÖVP sagt, mit dem LKH Bad-Aussee wird irgendetwas geschehen, ist das dann eine Regionalagenda?
Die Gesundheitspolitik ist aktuell reine Landesagenda und wurde mit den Regionen nicht diskutiert. Das geht aus meiner Sicht nicht. Die Gremien des Regionalvorstands werden daher verschlankt – ein neues 20er-Gremium wird dann in Zukunft zu solchen Themen befragbar sein.

Sie sind als Finanzreferent letztverantwortlich für das Budget des Landes. Das Nulldefizit gab es nur ein Jahr lang, aktuell sind etwa 200 Millionen Euro Schulden zu erwarten. Wir dürfen annehmen, dass wie überall vor allem fehlendes Wachstum das große Problem ist. Wie kann man in diesem Spannungsfeld eine sozialdemokratische Politik machen?
Die Quadratur des Kreises schaffe auch ich nicht. In dem Fall muss man politisch entscheiden, ob man auf Impulse für Arbeit, Beschäftigung und Wirtschaftswachstum setzt oder eine ganz rigide Sparpolitik macht. Wir haben uns entschieden, zu investieren. Wir ziehen Investitionen sogar vor. Die 688 Millionen Euro aus dem Landesbudget sollen ein Impuls für Forschung und Entwicklung, Verkehr oder Krankenanstalten sein. Wir kurbeln an und wollen der steigenden Arbeitslosigkeit entgegenwirken. Als Sozialdemokrat bin ich beim Abwiegen zwischen Arbeit und Beschäftigung oder Neuverschuldung ein Verfechter der Kreisky’schen Tradition.

Neue Schulden können aber keine Lösung auf lange Sicht sein.
Natürlich nicht. Und da kommt auch der Betriebswirt in mir durch: Auf Dauer kann man sich so eine Lücke nicht leisten. Die Herausforderung ist also, dass das Land produktiver wird. Allein im Förderbereich gibt es Potenzial von 100 bis 150 Millionen Euro. Auch die Gesundheits- und Sozialinfrastruktur werden wir uns anschauen müssen – immer nach dem Gesichtspunkt: Was braucht der Bürger an Leistungen? Im Prozedere mit Vereinen und Institutionen wird das noch eine anstrengende Diskussion werden, weil wir vor einem Konsolidierungsbedarf in der Höhe von 389 Millionen Euro stehen. Das ist Knochenarbeit. Wir müssen Gesetze ändern, Förderrichtlinien anpassen oder auch da oder dort Leistungen kürzen. Wir müssen neue Einnahmen lukrieren – und zwar in allen Bereichen. Darüber reden wir gemeinsam mit Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer und auch mit den Steirern. Nicht zuletzt werden auch Ideen der Opposition und deren Umsetzung überlegt.

Stichwort Leistungskürzungen: Da wären doch Tumulte vorprogrammiert, parteiintern.
Das ist eine Frage der Formulierung. Es geht um Auflagen für Kindergärten, Pflegeheime etc., die sehr viel Geld kosten. Also um Dinge wie eine Liftpflicht oder die Geländerhöhe in Bauvorschriften für öffentliche Gebäude. Oft wird nicht bedacht, was all diese Auflagen – und damit auch Leistungen –uns alle kosten.

Bleibt die Wohnbeihilfe unangetastet?
Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt in keinem Bereich versprechen, dass es zu keinen Kürzungen kommt. Die Wohnbeihilfe ist ein sensibles Thema. Helfen möchte ich den Studentinnen und Studenten, nicht den Vermietern!

Foto: Marija Kanizaj

Das große Thema der letzten Wochen war auch in der Steiermark der Flüchtlingsstrom. Der hat nun zwar witterungsbedingt abgenommen, viele Flüchtlinge sind aber in der Steiermark geblieben. Wie geht man damit um? Gerade als Zuständiger für Sicherheit im Land.
Der zentrale Punkt ist die Optimierung der Kontrollen an den EU-Außengrenzen. Eine Kontrolle in der Türkei und eine Aufteilung in Europa, wie Merkel und Faymann das auch wollen, halte ich ebenfalls für sehr sinnvoll. Es wird aber dauern, bis das optimal funktioniert. Die slowenische Außengrenze sollte auf jeden Fall mehr geschützt werden, die EU-Binnengrenze nicht, weil es für den Wirtschaftsstandort problematisch werden würde. Natürlich bin auch ich der Meinung, dass zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen unterschieden werden muss. Und rein menschlich sehe ich brutale Schicksale, die der EU einen klaren Auftrag erteilen: Wir müssen Flüchtlinge unterstützen.

Braucht es eine Obergrenze?
Das kann man politisch nicht entscheiden. Wenn Menschen auf der Flucht sind, kann man sie nicht militärisch bekämpfen. Theoretisch gibt es allein bei uns tausende Wohnungen, die noch immer leer stehen. In der ganzen Union hat man Flächen und Ressourcen. Wichtig ist eine faire Verteilung. Darüber hinaus müssen die Flüchtlingslager in angrenzenden Staaten besser ausgestattet werden. Dass Österreich die Mittel für die UNHCR, die Lager in der Türkei oder Jordanien unterstützt, vom Jahr 2013 auf 2014 knapp um die Hälfte gekürzt hat, ist für mich politisch völlig unverständlich. Genau an diesen Orten muss man Geld investieren. Und als Sozialdemokrat werde ich nie verstehen, warum für Bankenrettung weltweit sofort Abermilliarden zur Verfügung stehen, EU-weite drei Milliarden für die Bekämpfung des menschlichen Leides aber einem Weltuntergang gleichkommen. Das ist nicht einmal ein Drittel dessen, was Österreich alleine die Hypo kostet. Und wenn ich etwa an Frankreich denke, ist aus meiner bescheidenen steirischen Position heraus auch die Investition in Bomben und Rüstung keine vernünftige Form der Kriegsbekämpfung.

Was wird für die Integration der Flüchtlinge getan?
Das ist der absolut zentrale Punkt. Wir wollen sie möglichst rasch qualifizieren, weil es auch in diesem Bereich nichts Teureres gibt als Arbeitslose. Bei Syrern ist die Grundqualifikation sehr gut, in anderen Ländern wie Afghanistan ist das Bildungszentrum noch nicht entsprechend aufgebaut und es wird noch mehr Investition benötigen. Die Populisten sagen, Investition zahle sich nicht aus. Das sehe ich anders. Es kommen nicht nur Wunderwuzzis zu uns. Dinge, für die wir oft eine Schullaufbahn von neun Jahren brauchen, werden Flüchtlinge vielleicht auch in ähnlicher Länge in Anspruch nehmen müssen.

Wir würden gerne noch kurz zu Ihnen als Person kommen. Sie gelten als Politiker, der sein Herz am richtigen Fleck hat. Wie vermitteln Sie das in Ihrer neuen, weniger volksnahen Funktion?
Das funktioniert ganz stark über Regionalmedien, weil dort Herzlichkeit und Zugangsweise sowie positive Themen kommuniziert werden können. Auf Landesebene sind es eher die Themen der Finanzen und des Katastrophenschutzes, in denen ich den Menschen vermitteln will: Ich bleibe ruhig und habe es im Griff. Ich kann natürlich weltpolitisch mitreden und werde versuchen, meine Akzente zu setzen, um auf Bundesebene wahrgenommen zu werden, – aber ich will mich über Arbeit profilieren und nicht, weil ich jemanden anderen anschütte.

Angeblich wollte Frank Stronach Sie einmal von Franz Voves abwerben. Könnten Sie sich vorstellen, in der Politik alt zu werden?
Grundsätzlich ja. Aber die Industrie begeistert mich auch. Es ist schwer zu sagen, was in den nächsten 30 Jahren alles passiert. Wenn die Arbeit gut ist und die Leute es unterstützen, soll es nicht an mir scheitern. Es gibt ja Landeshauptleute, die über Jahrzehnte tätig sind. Ich mache es mit Leidenschaft und wenn ich es schaffe, die Steirer bis zur Pension zu begleiten, hatte ich eine sehr schöne Lebensaufgabe.

Herr Schickhofer, vielen Dank für das Gespräch!

 

Michael Schickhofer wurde 1979 in Weiz geboren und graduierte 2003 in Graz als Magister der Betriebswirtschaftslehre. Während seines Studiums arbeitete er unter anderem für Frank Stronachs Magna-Konzern. 2005 wurde er Referent für Gemeinde- und Regionalentwicklung im Büro von Franz Voves und galt bald als enger Vertrauensmann des Landeshauptmanns. Nach der Landtagswahl im vergangenen Mai folgte er Voves nach und wurde neuer Landeshauptmannstellvertreter. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Fazitgespräch, Fazit 119 (Jänner 2016, 10/2015), Fotos: Marija Kanizaj

Kommentare

Eine Antwort zu “Zweiter Sieger”

  1. Unserer Heimatstadt Gerasdorf ein super Jahr 2016! | vize-mandl.at
    3. Januar 2016 @ 17:49

    […] als ich im Fazit-Magazin, das mein Freund Christian Klepej leitet, vor ein paar Tagen dieses bemerkenswerte und lesenswerte Interview mit dem neuen Landeshauptmann-Stellvertreter Michael Schick… gelesen […]

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