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Edel und Wild

| 28. April 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 122, Fazitgespräch

Foto: Marija Kanizaj

Die Konditorin und Fernsehköchin Eveline Wild über stressige Drehtage, süße Versuchungen und eine übergewichtige Vergangenheit.

Das Gespräch führten Josef Schiffer und Peter K. Wagner.
Fotos von Marija Kanizaj.

::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK

Wenn man von Graz aus Richtung Weiz fährt und danach die enge Weizklamm durchquert, nähert man sich langsam der ländlichen Idylle der Oststeiermark. Und damit dem malerischen Ort Sankt Kathrein am Offenegg.

Knapp unter 1.000 Meter gelegen, zählt er etwas mehr als 1.000 Einwohner. Die Gemeinde ist Teil des Almenlandes und untergliedert sich in zwei Ortschaften, die etwas bürokratisch »I. Viertel« und »II. Viertel« heißen. Ein drittes oder gar viertes waren offenbar nicht geplant. Das mit den verwirrenden Adressen werde sich bald ändern, wissen wir nun dank Eveline Wild. Die Fernsehköchin und Konditorin, die wir aus ZDF und ORF kennen und in kometenhafter Karriere von Goldmedaillen in Lehrlingswettbewerben bis hin zu Berufsweltmeisterschaften von sich reden machte, ist hier zu Hause.

Die Weltmeisterin arbeitet im Wohlfühl- und Genusshotel Eder, das erhaben in den Berghang gebaut, eine unvergleichlich schöne Aussicht auf das Weitzer Bergland bietet. Und hat sich zur Mittagszeit über zwei Stunden Zeit für uns genommen. Für ein ausführliches Gespräch.

***

Frau Wild, was führt eine berühmte Fernsehköchin wie Sie ins hinterste Eck der Oststeiermark?
Das werde ich immer gefragt. Nicht nur in Interviews oder von Menschen, die mich aus dem Fernsehen kennen, sondern auch von Gästen hier im Hotel, sobald mein Tiroler Akzent durchschlägt. Es ist ganz einfach: Der Liebe wegen. Das kann man sich eben nicht aussuchen. Denn auch wenn mir als kleine Weltenbummlerin schon früh klar war, dass ich nicht mein ganzes Leben in meiner Heimatgemeinde in Inzing bleiben werde, hätte ich mir nicht gedacht, dass ich 500 Kilometer entfernt in der tiefen Provinz der nordöstlichen Steiermark lande.

Nun sind Sie oft im TV zu sehen und viel unterwegs. Bleibt da überhaupt noch Zeit für den Betrieb?
Doch, ja. Weil die Auftritte sehr variabel sind. 2015 war ich durch das deutsche Bäckerformat auf ZDF und die ORF-Auftritte die Hälfte des Jahres im Einsatz. Heuer ist es wieder ruhiger. Diesen Stress wie im Vorjahr würde ich mir nicht noch einmal antun. Allerdings wollte ich die Chance nutzen, um meine Medienpräsenz zu stärken.

Wie kann man sich so einen Fernsehauftritt vorstellen von der zeitlichen Intensität?
Es ist generalstabsmäßig geplant. Man bekommt eine Disposition, in der minutiös alles vorgeplant ist. Gerade das ZDF-Format war wirklich intensiv. Man bekommt nicht viel Schlaf, der Tag beginnt um vier Uhr morgens und endet um zehn Uhr abends. In diesen Phasen habe ich gleichzeitig natürlich auch im Betrieb funktionieren wollen. Das ging schon etwas an die Substanz. Aber es war auch schön. Wenn mir das Fernsehen nicht Spaß machen würde, würde ich es ja auch nicht machen. So gesehen, bin ich selber schuld an diesem für mich positiven Stress.

Haben Sie von so einer TV-Karriere schon immer geträumt?
Nein, ganz und gar nicht. Die Überschrift meines Lebens müsste lauten: »Was mir alles passiert ist.« Ich bin weder besonders extrovertiert noch wollte ich mich in den Mittelpunkt stellen. Der ORF hat damals jemanden gesucht, der zu Andi und Alex passt. Das musste eine Frau sein, also sind bei einem kleinen Casting fünf Damen eingeladen worden. Alle, die eingeladen wurden, konnten natürlich perfekt backen. Ich bin deshalb eingeladen worden, weil ich damals beim Steirereck in Wien arbeitete. Beim TV-Casting selbst ging es aber dann mehr um die Chemie, unsere fachliche Kompetenz wurde nicht in Frage gestellt. Es war ganz nett, aber ich habe mir gedacht: »Schön, wenn es was wird, aber muss es nicht.« Aber es wurde was. Und seitdem bin ich immer wieder in Wien und mache an einem Drehtag gleich fünf Sendungen, wobei es schon eine Herausforderung ist, in den begleitenden Kommentaren zum Backen und den Tätigkeiten nicht zu wiederholend zu werden.

Wird man damit eigentlich reich?
Gar nicht. Es fällt eher in die Kategorie Aufwandsentschädigung.

Sie sagen, die TV-Präsenz ist Ihnen passiert. War die Entscheidung für die Patisserie eine bewusste Entscheidung?
Das war bewusst, natürlich. Ich wollte kreativ und handwerklich arbeiten. In Tirol nennt man jemanden wie mich »Bastl-Wastl«. Ich bin auf einem Bauernhof groß geworden als ältestes von vier Kindern. Meine Eltern arbeiten heute trotz Ruhestand noch am Hof. Wir haben den Spirit mitbekommen, dass es ohne Fleiß keinen Preis gibt. Arbeit haben wir nicht als Last empfunden, sondern als etwas Erfüllendes wahrgenommen. Und diesen Zugang habe ich mir sicher bis heute bewahrt.

Wo haben Sie eigentlich gelernt?
In der Konditorei Valier in Innsbruck. Das war damals schon, als ich 1996 meine Lehre begann, eine sehr frankophile Patisserie, die sich an den neuesten Trends aus Paris orientierte. Dadurch wurde mein Weg natürlich auch vorgezeichnet.

Sie waren danach in München, Sölden und Wien. Seit 2010 sind Sie nun hier im Hotel Eder in Sankt Kathrein am Offenegg. Kommen Gäste extra hierher, um die berühmte Fernsehköchin zu sehen?
Natürlich gibt es Gäste, die wegen mir kommen. Meine Marke ist eigentlich stabil, aber wir wollen das traditionelle Hotel Eder ein bisschen verändern und das Thema der gehobenen Kulinarik noch stärker leben. Wellness mit Schwimmbad und Sauna als Ergänzung, aber mit Fokus auf anspruchsvollen Gaumenfreuden.

Passen Ihre kalorienreichen Patisseriekünste und Ihre Schokoladenerzeugnisse denn überhaupt zu Wellness?
Ich habe meinen eigenen Zugang. Man kann sich schließlich auch von Ananas zu Tode ernähren und so gibt es schier unendlich viele Weisheiten in Frauenzeitschriften, wie man am gesündesten lebt. Was ich als Chocolatier herstelle, brauchen wir natürlich nicht zum Überleben. Wie in unserem Hotel als Urlaubsstandort auch, befinden wir uns in einem reinen Luxussegment. Wir sind in der privilegierten Lage, dass wir solche Dinge genießen dürfen. Und das müssen wir uns eingestehen. Ich bin der Überzeugung, dass man kein schlechtes Gewissen haben darf, wenn man sich etwas gönnt. Aber die Dosis ist das Geheimnis. Ich esse zum Beispiel etwa zwei Pralinen am Tag. Und die genieße ich. Und ich weiß wovon ich rede, weil ich habe auch einmal 90 Kilo gewogen – ohne Schwangerschaft.

Wirklich?
Ja. Das war als Chefin der Patisserie im Steirereck in Wien, wo der stressige Alltag, wenig Schlaf und der Druck von vier Hauben schließlich dazu geführt haben, dass ich nicht mehr auf meine Essgewohnheiten achtete. Viele meiner Kollegen waren fertig mit der Welt. Ich bin sehr froh, dass ich es psychisch unbeschadet überstanden habe. Die Gastronomie kann wirklich sehr fordernd sein. Es wundert mich nicht, dass vielerorts Drogen und Alkoholsucht eine Rolle spielen.

Die Gastronomie gilt ohnehin als fordernde Branche. Es gibt auch große Probleme im Lehrlingssektor. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Wir haben selbst zwei Koch-Konditor-Lehrlinge. Da werden beide Berufe synchron gelernt. Es wird keine Branche geben, die nicht über den Nachwuchs jammert. Ich finde es bedenklich, dass so viele Menschen in Universitäten reingestopft werden, weil es heißt, man müsse studieren, damit etwas Gescheites aus einem wird. Das finde ich tragisch. Es schlummern Talente in den jungen Leuten, was ich schon bei meinem dreijährigen Kind sehe. Das Problem liegt in der Erziehung durch die Eltern sowie in der Schule. (seufzt) Ich werde sehr emotional bei diesem Thema. Aber gerade das Schulsystem ist leider wirklich viel zu engstirnig und das Wurzelziehen ist wichtiger als das Knöpfeannähen. Und individuelles handwerkliches Talent wird viel zu wenig gefördert. Die Schule vermittelt mir einfach zu wenig Lebensschlauheit.

Wie meinen Sie das genau?
Ich denke an kleine Dinge, die nicht selbstverständlich sind. Das Kochen von weichen Eiern sollte etwa kein Problem sein für einen jungen Menschen. Und man darf sich auch nicht entmutigen lassen, wenn das Selberkochen einmal nicht klappt. Ich merke jetzt bei meinem ältesten Lehrmädchen zum Beispiel auch, dass sie ein großes Problem mit handschriftlichen Verzierungen hat, weil sie keinen Schwung in der Schreibschrift vermittelt bekommen hat. Ich bin nicht die Obertraditionalistin und bin an Weiterentwicklung sowie Fortschritt interessiert. Aber die Werte, die wir am Rande noch mitbekommen haben, sind nicht so schlecht. Ich bin nicht zuletzt auch durch Werte wie Pünktlichkeit oder Verlässlichkeit so erfolgreich.

Traditionelle Werte haben Sie ja vor allem von zu Hause noch mitbekommen. Sie selbst haben erlebt, wie Eltern zu Hause arbeiten und kochen. Wenn heute beide Eltern im Berufsleben stehen, wird vielleicht ein Fertiggericht nach Hause gebracht. Das Kind bekommt also weniger Praxis vermittelt in vielen Fällen.
Genau. Es gibt natürlich immer ein Für und ein Wider. Manchmal ist es dennoch so, dass die Mutter arbeiten gehen muss, weil der Lebensstandard und das Statussymboldenken schon so ausgeprägt sind, dass man ganz viele Dinge braucht, um in der Gesellschaft anerkannt zu werden. Aber von einem Fernseher kann ich halt nicht runterbeißen.

Wie wichtig sind Ihnen Statussymbole?
Ich leiste mir hauptsächlich gutes Essen und gute Produkte. Wir leben im Überfluss und es geht darum, dass man die wirklich wichtigen Güter für sich herausfiltert. Gute Ernährung sollte da ganz oben stehen. Ein Döner oder eine Fertigpizza ab und dann bedeutet nicht den Weltuntergang, aber leider ist richtiges Kochen fast schon zur Ausnahme geworden.

Muss man eigentlich schon auf Convenience-Produkte setzen, um in einem gastronomischen Betrieb erhalten zu können?
Jein. Nudeln, Joghurt und sogar meine Schokolade sind per Definition auch Convenience-Produkte, aber alles was darüber hinausgeht wie Fertigsaucen oder Zauberpülverchen lehne ich entschieden ab.

Ist der Faktor der Zutaten in der wirtschaftlichen Planung in der Gastronomie also nicht so groß, wie man glauben könnte?
Nein, die Mitarbeiter sind in der Kalkulation der größte Posten. Natürlich gibt es Preisanstiege etwa bei Haselnüssen wie unlängst wegen einer Missernte in der Türkei. Wodurch dann automatisch die Mandeln aus Kalifornien auch teurer geworden sind. Rückschritte im Preis gibt es dann jedoch ganz selten, es entspannt sich meist nur ein wenig. Aber das ist vergleichsweise alles verkraftbar.

In den vergangenen Jahren ist ja neben dem Fertigprodukthype auch ein Kochhype entstanden. Nicht nur im Fernsehen. Wie passt denn das zusammen?
Das ist wirklich paradox. Es gibt auch so viele Kochsendungen wie nie, aber andererseits glaubt man, niemand kocht mehr. Ich hab darüber schon oft mit Sendungsmachern diskutiert und wir sind zur Conclusio gekommen, dass jeder Mensch täglich mit Essen zu tun hat, weil er ja essen muss. Und wenn man sich zusammenreißt, schafft man es auch als Laie, die meisten Gerichte nachzukochen. Was für andere Berufe, die schwerer zu vermitteln sind und Fachwissen erfordern, nicht gilt. Man bekommt durch Kochsendungen also einen Impuls und ein Gefühl von: »Das kann ich auch!« Außerdem gibt es viele Menschen, die selten, aber dafür umso intensiver Kochen zelebrieren und dann Events veranstalten, die an »Das perfekte Dinner« aus dem Fernsehen erinnern.

Foto: Marija Kanizaj
Merken Sie diese Trends auch bei Ihren Kochseminaren?
Auf jeden Fall. Vor allem habe ich in jedem Kochseminar ein bis zwei dieser positiven, rundum informierten Freaks, die mich sehr fordern. Die fragen dann begierig, »bis Dreck kommt« – wie man in Tirol im Dialekt so schön sagt. (lacht)

Eine weitere Modeerscheinung der vergangenen Jahren neben Kochsendungen sind Kochbücher. Da hat man noch mehr das Gefühl, dass sie nur gekauft und nie verwendet werden.
Ich habe selbst zwei Kochbücher rausgebraucht und die laufen auch gut. Aber sicher die Hälfte davon wird nur deswegen gekauft, weil ich im Fernsehen bin und eine Widmung reinschreibe. Außerdem ist es noch immer extrem beliebt, ein Kochbuch zu verschenken. Und oft werden die Kochbücher dann vielleicht auch nur durchgeblättert. Aber das ist auch etwas Schönes und hat seine Berechtigung.

Gibt es eigentlich einen harten Konkurrenzkampf in der gehobenen Gastronomieliga, in der Sie mitspielen?
Da entwickelt sich Gott sei Dank in unserer Altersstufe ein sehr gutes Miteinander. In jeder Generation der Haubenköche haben Leute zusammengefunden, die sich gut verstehen. Wir verstehen uns besonders gut mit Richard Rauch vom »Steira Wirt« in Trautmannsdorf oder mit dem Salzburger Andreas Döllerer – um nur einige zu nennen. Wir sind vernetzt und nicht Kontrahenten und versuchen, uns gegenseitig zu unterstützen. Die Branche stärkt sich selbst. Die Zeiten, in denen Mitarbeiter 20 Jahre in einem Betrieb geblieben sind, sind ja ebenfalls schon lange vorbei. Deshalb wird diese Vernetzung auch immer wichtiger, um gutes Personal zu bekommen.

Wir haben gelesen, dass Sie zwischenzeitlich eine Ayurveda-Ausbildung abgeschlossen haben. Sind Sie patisserie- oder fernsehmüde?
Nein, ganz im Gegenteil. Ich bin sehr froh und glücklich aktuell. Ich fühle mich privilegiert und bin dankbar. Aber ich hatte eine Zeitlang die Schnauze voll von Süßkram. Das ist schon lange her und fiel genau in die Zeit, in der ich hierher gekommen bin vor über sieben Jahren. Im Haus waren alle Bereiche abgedeckt, auch die Küche war mit Stefan besetzt. Also habe ich in Graz eine Ayurveda-Ausbildung begonnen. Das ist eine Philosophie, die Massage und Ernährungslehre mit einschließt. Es geht um den Ausgleich im Leben, darum, sich in stressigen Zeiten des Lebens richtig zu verhalten und zu ernähren. Meine Erkenntnis war aber auch, dass nicht nur Ingwertee und indische Gewürze die Lösung für alles sind. Die Lehre des Ayurveda besagt ja, dass jeder Mensch mit dem am besten durchs Leben kommt, was in seiner natürlichen Umwelt vorkommt und ihn umgibt.

Frau Wild, vielen Dank für das Gespräch!

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Eveline Wild wurde am 5. Oktober 1980 in Innsbruck geboren. Nach einer Lehre in Innsbruck zog es sie unter anderem zu Dallmayr nach München und ins Wiener Steirereck. Die Liebe bindet sie seit 2009 an St. Kathrein am Offenegg, wo sie mit dem Hotelbesitzer Stefan Eder in – Zitat – »wilder Ehe« lebt. Das Paar hat einen dreijährigen Sohn. Als Chocolatier produziert Wild jährlich praktisch im Alleingang rund 40.000 Stück ihrer eigens kreierten Pralinen sowie mehrere Sorten Schokolade. Sie ist immer donnerstags um 14 Uhr auf ORF-2 in der Sendung »Frisch gekocht« zu sehen.

Fazitgespräch, Fazit 122 (Mai 2016), Fotos: Marija Kanizaj

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