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Manager mit Kultur

| 30. Mai 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 123, Fazitgespräch

Foto: Marija Kanizaj

Kulturmanager Bernhard Rinner über Rampenlicht, enge Budgets, volle Häuser und große Ziele für die Grazer Kulturszene.

Das Gespräch führten Josef Schiffer und Peter K. Wagner.
Fotos von Marija Kanizaj.

::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK

Direkt neben dem Grazer Gasthaus Brandhof gelangt man über den Durchgang zu einem imposanten Gebäude mit Fenstern von gar langem, aber wenig breitem Format. Auch eine Tischlerei und ein Malraum waren hier früher einmal untergebracht. Alles Stätten, in denen vor der Übersiedelung nach Messendorf einst Bühnenbilder für die Oper gebaut wurden. Die Türen mit dem unüblichen Format hatten genau die richtige Größe, um die Bühnenbilder aus diesem Haus in Richtung Oper und retour bringen zu können.

Mittlerweile wird in den alten Handwerksräumlichkeiten geprobt. Ganz oben wurde der Dachboden ausgebaut und dort entstand auch das Büro der Theaterholding. Die Organisation verwaltet neben dem Schauspielhaus, der Oper und dem »Next Liberty« auch die Grazer Spielstätten – Dom im Berg, Kasematten, Orpheum – sowie das Theaterservice Graz und den Ticketverkauf.

Der Geschäftsführer der Grazer Theaterholding ist Bernhard Rinner, der ehemalige Landesgeschäftsführer der Steirischen Volkspartei. Wenn frühere Politiker in Posten wie diesen wechseln, liegt der Schluss nahe, dass hier jemand in einen überbezahlten Versorgungsposten gehievt wurde. Rinner nahm sich eine Stunde Zeit, um Fazit vom Gegenteil zu überzeugen. Erfolgreich.

***

Herr Rinner, als Sie vor fast zweieinhalb Jahren Geschäftsführer der Theaterholding geworden sind, meinten Sie, Sie werden sich nicht mehr politisch äußern. Bleibt das so?
Ja, das gilt nach wie vor. Ich habe keine Ambitionen, einen Muppet vom Balkon zu spielen. Es gibt genügend Leute, die im Nachhinein alles besser wissen.

Sie haben eine lange politische Karriere hinter sich. Vermissen Sie etwas?
Nein. Ich habe hier eine tolle und fordernde Aufgabe. Ich bin für ein Riesenunternehmen mit 635 Mitarbeitern verantwortlich, das ich strategisch und wirtschaftlich zu führen habe und das mich vor so vielfältige Herausforderungen stellt, dass ich gar nicht zum Nachdenken komme.

War die Politik ein guter Lernprozess für die heutige Position?
Auf jeden Fall. Ich habe gewisse Vorgänge des Landes Steiermark und der Stadt Graz mit meinem Vorwissen ganz anders beurteilen können. Damit habe ich auch einen Zugang, um meine Intendanten in vielen Situationen aufklären zu können, wie in der Politik Entscheidungsprozesse laufen. Die Tätigkeit in der Politik ist im Grunde genommen genau das richtige Rüstzeug für so eine Funktion. Im Übrigen war das ein Grund, warum sich die Zentralbetriebsratsvorsitzende bei meinem Hearing besonders für mich stark gemacht hat.

Sie sprechen damit sicher auch von der traditionell schwierigen budgetären Lage in der Kunst und Kultur.
Ja. In Zeiten, in denen überlegt wird, Spitäler in den Regionen zu schließen, kann man dem Kulturpolitiker nicht erklären, man brauche noch mehr Geld. Da gibt es eine gewisse Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler und die kann ich den Künstlern auch erklären.

Sind die Unterschiede zwischen Ihrer Zeit als Politiker und Kulturmanager vielleicht gar nicht so groß, wie man annehmen könnte?
Es gibt einen großen Unterschied und dieser bezieht sich auf die psychische Belastung. Die ist in der Politik mit nichts zu vergleichen. Meine Frau hat immer gesagt: »Du bist physisch anwesend, aber psychisch bist du ganz woanders.« Man ist in der Politik zu jedem Zeitpunkt nach Zeitungen, Medien und Auftritten sowie aktuellen Geschehnissen getaktet. Im Kulturmanagement ist man wesentlich selbstbestimmter.

Sie stehen jetzt auch weniger im Rampenlicht.
Ja. Aber es gibt einen Vergleich, den manche nicht so gerne hören. Politik findet ohne Öffentlichkeit nicht statt, aber Kunst und Kultur finden ohne Öffentlichkeit in den Köpfen der Menschen ebenfalls nicht statt. Denn natürlich haben auch Kunst und Kultur den Anspruch, die Menschen zu freuen, zu irritieren, Standpunkte zu erläutern und Geschichten zu erzählen. Und manchmal ist das in der Politik nicht anders.

Wollten Sie schon während Ihrer Zeit als Politiker eigentlich dorthin, wo Sie jetzt sind?
Ich gehe ein Stück nach vor. Ich habe nie angestrebt, Landesgeschäftsführer und Abgeordneter der ÖVP zu werden. Dafür wird man gerufen. Ich habe das aber mit und für Hermann Schützenhöfer sehr gerne gemacht. Dann wiederum war es allerdings eine sehr bewusste Entscheidung, wieder aus der Politik rauszugehen. Ich habe oft erzählt, dass es nicht einfach ist, aus der Politik auszuscheiden. Viele haben am Anfang meiner Tätigkeit bei der Theaterholding gesagt, ich habe mir als Politiker meine Glaubwürdigkeit für die Kunst und Kultur erhalten, deshalb spräche nichts dagegen. Für die Stelle des KAGes-Geschäftsführers oder des Vorstandsdirektors der Energie Steiermark hätte ich mich nicht beworben. Ich habe schon gewusst, wo ich hingehöre. Meine bisherige Laufbahn und meine Ausbildung haben zu dieser Stelle gepasst, sonst würde ich hier nicht sitzen. Es war dann auch eine sehr persönliche Entscheidung, an den Parteiobmann heranzutreten und ihm mitzuteilen, dass ich mich hier gerne bewerben würde.

Weil Sie Ihre Laufbahn ansprechen: Sie waren zwischen 2004 und 2007 Geschäftsführer der Kulturservice-Gesellschaft »Instyria«. Wofür war die gut?
Die Gesellschaft wurde nach »Graz 2003« aus dem Boden gestampft und machte Kulturmarketing für den Standort Steiermark, um unser Bundesland verstärkt als Kulturdestination im Fokus zu halten. In dieser Funktion habe ich aber für einige Irritationen und neue Projekte gesorgt (siehe Infobox).

»Instyria« bestand noch bis ins Vorjahr, aber mit weitaus geringerem Budget. Warum wurde sie aufgelöst?
Ich kann den Argumenten Christian Buchmanns folgen, warum man die Gesellschaft nicht mehr finanzieren wollte. Leider wurde sie in der Wahrnehmung immer etwas unter ihrem Wert geschlagen. Ich persönlich hätte es nicht für notwendig gehalten, sie aufzulösen, aber das ist eine politische Entscheidung, die der Landesrat getroffen hat.

Die Aufgaben der Politik und der Kulturbereich führen zum leidigen Thema der Budgetkürzungen seitens der öffentlichen Hand. Sollte man als Theaterholding nicht mehr für die Kleinen übrig lassen? Immerhin erhält die Theaterholding rund ein Drittel des Kulturbudgets des Landes Steiermark.
Liebe Grüße an die Kleineren. Wir werden im Zeitraum von 2011 bis 2017 Rück-Geldflüsse in der Höhe von insgesamt 15,6 Millionen Euro an die freie Szene ermöglicht haben, indem wir diese Mittel für das Landes- und Stadtbudget freigegeben haben. Ich glaube nicht, dass es eine weitere Institution unserer Größe gibt, die Ähnliches leistet. Wir haben immerhin 635 Mitarbeiter und einen Künstleranteil von 47 Prozent. Jeder Cent weniger an uns, den von der Szene behaupteten großen Tanker, ist auch weniger Geld für die Anstellung eines Balletttänzers, einer Musikerin im Orchestergraben oder von Schauspielern.

Unter dem Mantel der Theaterholding verwalten Sie die Oper, das Schauspielhaus und das Next Liberty, aber auch die Kasematten, den Dom im Berg und das Orpheum. Wir nehmen an, auch das ergibt Synergieeffekte und Einsparungspotenzial.
Natürlich. Es wurde mit meiner Bestellung 2014 auch ein Geschäftsführer eingespart, außerdem habe ich für meine Person im Vergleich zu meinem Vorgänger auf etwas Geld verzichten müssen.

Nun ist das Spektrum, das die Theaterholding abdeckt, sehr groß. Wie schaffen Sie den Spagat, alle Bereiche zu bedienen?
Unter anderem dadurch, dass ich mich manchmal umziehen muss, um Orpheum-like gekleidet zu sein für Fotos. (lacht) Nein, ganz im Ernst. Ob ich es schaffe, müssen andere beurteilen, aber mir macht es wahnsinnig Spaß, von Paul Pizzera bis zum Ballett und von Bilderbuch bis zu Horváths »Kasimir und Karoline« im Schauspielhaus ein reichhaltiges Programm anbieten zu können. Man hat mehrere Rollen und zusammen mit meinem Team stemmen wir auch Genres, die nicht zu dem Genre zählen, aus dem ich eigentlich komme.

Aber beim Bilderbuchkonzert sind Sie nicht live mit dabei, oder?
Doch. Erste Reihe fußfrei. Auch bei Calexico, Pizzera oder Maschek. Wir machen auf den Kasematten und im Dom im Berg heuer im August ein Metal-Festival, weil ich weiß, dass es dafür bei uns ein großes Publikum gibt, und wir haben auch schon über 900 Tickets verkauft [Anmerkung: inzwischen ausverkauft]. Man muss sich natürlich in der ganzen Bandbreite informieren und auf dem Laufenden halten, weil es kein Geheimnis ist, dass ich im klassischen Bereich groß geworden bin.

Wir haben gelesen, dass Sie in der frühen Kindheit erkannt haben, eine gute Knabensopranstimme zu haben und Ihre Begeisterung fürs Singen entdeckt haben.
Ja, das stimmt. Ich habe mit 17 Jahren sogar begonnen, Gesang zu studieren und habe nebst meinem Jus-Studium auf der Musikuniversität vorgesungen, weil ich meine Gesangsausbildung weiterführen wollte. Mir wurde gesagt, dass ich schon eine gute Stimme hätte, aber ich wurde auch gefragt, was ich denn sonst noch mache. Ich studiere Jus, entgegnete ich, woraufhin der Gesangslehrer meinte: »Werden’s a guata Anwalt.« Da bin ich fast unter Tränen rausgegangen, aber gleichzeitig muss man sagen, dass viele Künstlerkarrieren auf ihrem Weg nicht das Glück haben, dass man ihnen auf ihrem Weg sagt: »Pass auf, du wirst kein Placido Domingo.« Das anzunehmen, ist schwierig, aber ich bin heute zwar weder Sänger noch Rechtsanwalt geworden und dennoch mit meiner Biographie mehr als zufrieden.

Wie haben Sie überhaupt zur klassischen Musik gefunden?
Ich hatte vor allem eine Großmutter, die mit mir ab dem dritten Lebensjahr gesungen hat und die eine wunderschöne Sopranstimme hatte. Das haben die Eltern unterstützt mit Musik- und Gitarrenunterricht und ich habe es sehr gerne gemocht. Es wurde nicht gefordert, aber ich wurde gefördert und das war sehr schön. Ich bin außerdem quasi an der Grazer Oper mit Schüler- und Studentenkarten aufgewachsen. Ich war daneben auch für fünf Jahre als Billeteur bei den Salzburger Festspielen tätig. Als ich unlängst für ein paar Monate interimistisch die Intendanz der Oper übernahm, habe ich mich dann auch zuallererst vor die Billeteure gestellt, ihnen davon erzählt und gemeint: »Ihr habt noch einen großen Weg vor euch.«

Foto: Marija Kanizaj

Vor kurzem war wieder das »Klanglicht« in Graz zu sehen. Eine Veranstaltung, die sich – wie Sie einmal sagten – »als eine poetische Einladung in unsere Häuser« versteht. Braucht es diese Einladung?
Ich habe gerade eine Studie vorliegen, die uns klar macht, dass wir derzeit vor einer vollkommenen Zertrümmerung der Publikumsstrukturen und der bürgerlichen Mitte stehen. Das Publikum der Gegenwart und Zukunft teilt sich in mehrere ganz unterschiedliche soziologische Strukturen auf. Man kann etwa nicht mehr davon ausgehen, dass es zum guten Ton gewisser Schichten gehört, ein Abo in der Oper und im Schauspielhaus zu haben. Die Häuser und Kulturschaffenden müssen sich überlegen, wie wir die Menschen in ihrer soziologischen Struktur begeistern können. Wir müssen Menschen sehr unterschiedlich ansprechen, weil die Bedürfnislagen vollkommen andere sind. Und außerdem gilt es zu bedenken, dass keine einzige dieser Personengruppen mehr als sieben Prozent umfasst. Es gibt keine Mehrheit mehr für das »eine« Stammpublikum. Man darf aber auch nicht vergessen, dass die Oper über 1.200 Sitzplätze hat oder das Schauspielhaus an die 580. Und dennoch verkaufen wir im Jahr 450.000 Tickets in allen Institutionen zusammen.

Kennen Sie die Gesamtauslastung Ihrer Häuser?
Natürlich. Ich kann Ihnen sogar fast auf Knopfdruck die Tagesauslastung nennen, aber ich gebe sie nicht immer preis. Derzeit kann ich es aber, weil es gut läuft. (lacht) Wir liegen aktuell bei 70 bis 75 Prozent. Über dem Wert liegt immer das Next Liberty, das sich zwischen 84 bis 86 Prozent bewegt.

Welche Rolle spielt dieses junge Theater und junges Publikum im Allgemeinen?
Eine sehr wesentliche. Oper, Schauspielhaus und Next Liberty verfügen jeweils über eine eigene Abteilung mit dem Titel »Schauspiel aktiv« oder »Oper aktiv«, wo Mitarbeiter ausschließlich damit beschäftigt sind, den Pädagogen der Steiermark Workshops und Programme anzubieten, wie sie mit ihren Kindern Stücke aufbereiten können. Als wir West Side Story spielten, klatschten Kinder etwa im Unterricht zuvor den Part »I’d like to be in America« gemeinsam. Als sie dann in der Aufführung waren, haben sie dieses Lied live erlebt und der Wiedererkennungswert führte zu mehr Begeisterung. Das Erlebnis Theater an Kinder zu vermitteln, ist von fundamentaler Bedeutung, es bedarf aber viel Aufwand.

Kinder sind das zukünftige Publikum der Theaterholding. Aber wo soll diese Zukunft hinführen?
Erstmals wollen wir mit den Eigentümern eine Einigung über die Finanzierung schaffen und nicht weiteren Aderlass für die Häuser hinnehmen müssen. Ich habe ein Ziel, das ich schon bei meinen letzten Funktionen immer so formuliert habe: Ich spiele nicht gerne Landesliga – ich spiele gerne Champions League. Mein Anspruch zusammen mit den Intendanten ist es, so hohe Qualität anzubieten, dass die Leute sagen: »Da muss ich hingehen, weil ich würde etwas versäumen, wenn ich es nicht täte.« Die Menschen sollen nicht sagen: »Ich fahre zur Wiener Staatsoper.« Sie sollen selbstbewusst und stolz davon sprechen können, die Grazer Oper zu besuchen, weil sie hier die bessere »Carmen« sehen.

Aber kann man das mit immer weniger finanziellen Mitteln auch auf der Personalfront gewährleisten, wo man sich keine Stars leisten kann?
Es geht nicht immer um die Namen. Ich bin der Meinung, bei uns singt die Anna Netrebko und spielt der Peter Simonischek von morgen. Wir sind ein Sprungbrett. Viele Leute, die bei uns auftreten, werden schon bald in größeren Häusern zu sehen sein.

Und wenn wir Ihre Personalie ins Gespräch einbringen: Wie lange wollen Sie noch bei der Theaterholding zu sehen sein?
Der Vertrag läuft noch bis 2018. Wenn die Bedingungen passen, strebe ich schon eine Vertragsverlängerung an, aber man weiß nie, woher einen der Ruf ereilt.

Aber Sie legen Ihre Arbeit schon langfristiger an, nehmen wir an.
So gesehen, wissen Sie sicher, dass Marken erst deutlich wahrnehmbar sind, wenn sie fünf bis sieben Jahre wirken. Ich glaube, damit habe ich zu diesem Thema ausreichend Antwort gegeben.

Herr Rinner, vielen Dank für das Gespräch!

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Bernhard Rinner wurde am 8. Februar 1970 in Graz geboren. Nach seinem Rechtsstudium wurde er 1997 politischer Sekretär des damaligen Landesrates Hermann Schützenhöfer. Zwischen 2004 und 2007 bekleidete er das Amt des Geschäftsführers in der Kulturservice-Gesellschaft »Instyria«, ehe er 2007 zum Landesgeschäftsführer der Steirischen Volkspartei aufstieg und ab 2010 auch als Abgeordneter im Steiermärkischen Landtag saß. Seit Anfang 2014 ist er Geschäftsführer der Theaterholding Graz. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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Rinners Projekte Bernhard Rinner blickt auf eine Vielzahl von Projekten zurück. Bei »Instyria« wurde er zum Erfinder des Philosophikums »Geist & Gegenwart« sowie der Steiermarkausgabe des »Falter«. Er irritierte die etablierte klassische Musikszene, als er die Steiermark zur »No-Mozart-Zone« erklärte. Als Parteigeschäftsführer startete er den »DiensTalk« am Karmeliterplatz und das »Modell:Zukunft:Steiermark«. Zuletzt zeichnete er in seiner Funktion als Geschäftsführer der Theaterholding für die Donnerstag-Pop-Reihe im Orpheum mit dem Kurz-Titel »DoPop« ebenso verantwortlich wie für den Kunstevent »Klanglicht«.

Fazitgespräch, Fazit 123 (Juni 2016), Fotos: Marija Kanizaj

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