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Die Intellektuellen und der Sozialismus

| 4. Juli 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Essay, Fazit 124

Foto: Österreichische NationalbibliothekEin Essay von Friedrich August von Hayek. Der österreichische Ökonom und Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek war einer der wichtigsten Vertreter der österreichischen Schule der Nationalökonomie. Faszinierend an diesem Essay ist seine Aktualität. Dabei stammt der Text aus dem Jahr 1949 und ist entnommen aus der »University of Chicago Law Review«.

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Friedrich August von Hayek, 1899–1992, absolvierte ein Studium der Rechtswissenschaften sowie der Staatswissenschaften an der Universität Wien. 1929 erfolgte dort seine Habilitation. Sein Lebensweg führte ihn an verschiedene Universitäten in London, New York, Chicago, Freiburg sowie Salzburg. In den Dreißigerjahren wurde Hayek zu einem Hauptkritiker des Sozialismus. 1974 erhielt er den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Als sein berühmtestes Werk gilt das 1944 zunächst in englischer Sprache erschienene »The Road to Serfdom« (»Der Weg zur Knechtschaft«).

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In allen demokratischen Ländern herrscht der starke Glaube vor, der Einfluss der Intellektuellen auf die Politik sei vernachlässigbar, in den Vereinigten Staaten sogar noch mehr als anderswo. Dies ist ohne Zweifel wahr in Bezug auf die Macht der Intellektuellen, mit ihren momentanen speziellen Meinungen Entscheidungen zu beeinflussen, und in Bezug auf ihre Macht, das Wahlverhalten der Menschen dort zu beeinflussen, wo ihre Ansichten von denen der Massen abweichen. Und trotzdem hatten sie vermutlich nie einen größeren Einfluss über etwas längere Zeiträume, als sie es heute in diesen Ländern haben. Sie üben diese Macht aus, in dem sie die öffentliche Meinung beeinflussen. Im Lichte der jüngeren Geschichte ist es etwas seltsam, dass diese entscheidende Macht der gewerbsmäßigen Händler von Ideen aus zweiter Hand noch nicht in weiteren Kreisen erkannt worden ist. Die politische Entwicklung der westlichen Welt während der letzten hundert Jahre veranschaulicht dies überdeutlich. Der Sozialismus war niemals und nirgendwo zuerst eine Arbeiterbewegung. Er ist keineswegs ein offensichtliches Mittel gegen das offensichtliche Übel, das die Interessen dieser Klasse notwendigerweise verlangen werden. Er ist eine Konstruktion von Theoretikern, herrührend aus gewissen Tendenzen abstrakten Denkens, die eine lange Zeit nur Intellektuellen geläufig waren; und er erforderte lange Bemühungen der Intellektuellen, bevor die Arbeiterklasse überzeugt werden konnte, ihn als ihr Programm anzunehmen.

In jedem sich auf den Sozialismus zubewegenden Land ist der Phase der Entwicklung, in der der Sozialismus der bestimmende Einfluss auf die Politik wird, über lange Jahre eine Phase vorausgegangen, während der sozialistische Ideale das Denken der aktiveren Intellektuellen bestimmten. In Deutschland wurde diese Phase gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreicht; in England und Frankreich etwa um die Zeit des Ersten Weltkriegs. Dem oberflächlichen Betrachter mag es erscheinen, als hätten die Vereinigten Staaten diese Phase nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht, und dass die Anziehungskraft eines geplanten und gelenkten Wirtschaftssystems unter den amerikanischen Intellektuellen heutzutage genau so stark ist, wie sie jeher unter ihren deutschen und englischen Kollegen war. Nach Erreichen dieser Phase ist es erfahrungsgemäß nur noch eine Frage der Zeit, bis die Ansichten der heutigen Intellektuellen zur bestimmenden Kraft der Politik werden.

Das Wesen des Prozesses, durch den die Ansichten der Intellektuellen die Politik von morgen beeinflussen, ist deswegen von weit mehr als nur akademischem Interesse. Es ist ein Faktor von weit größerer Wichtigkeit als allgemein angenommen wird, egal ob wir versuchen wollen, den Lauf der Dinge zu beeinflussen oder ihn nur voraussehen wollen. Was auf den zeitgenössischen Beobachter wie ein Konflikt gegensätzlicher Interessen wirkt, ist in der Tat oft schon lange vorher im Kampf der Ideen in kleinen Zirkeln entschieden worden. Paradoxerweise haben meistens nur die Parteien der Linken viel dazu beigetragen, den Glauben zu verbreiten, dass es die zahlenmäßige Stärke der gegnerischen materiellen Interessen war, die politische Fragen entschieden hat, wohingegen in Wirklichkeit diese selben Parteien regelmäßig und erfolgreich die Schlüsselposition der Intellektuellen verstanden und entsprechend gehandelt haben. Ob mit Absicht oder nur den Umständen geschuldet, haben sie ihre Hauptanstrengungen immer darauf gerichtet, die Unterstützung dieser »Elite« zu gewinnen, während eher konservative Gruppen genauso regelmäßig wie erfolglos einem naiveren Verständnis der Massendemokratie folgend gehandelt haben, und üblicherweise vergeblich versucht haben, den individuellen Wähler direkt zu erreichen und zu überzeugen.

Der Begriff »Intellektuelle« allerdings vermittelt nicht sofort ein wahres Bild der großen Klasse, die wir meinen, und die Tatsache, dass wir keinen besseren Namen haben, um diejenigen, die wir Händler von Ideen aus zweiter Hand genannt haben, zu bezeichnen, ist nicht der unwichtigste Grund, warum ihre Macht nicht verstanden wird. Selbst diejenigen, die den Begriff »Intellektueller« größtenteils als Schimpfwort verwenden, sind trotzdem geneigt, diese Bezeichnung vielen zu verweigern, die zweifellos diese charakteristische Tätigkeit leisten. Dies ist weder originäre Denkertätigkeit, noch Gelehrten- oder Expertentätigkeit auf dem Gebiet einer bestimmten Geisteswissenschaft. Der typische Intellektuelle muss keines von beidem sein: er muss weder spezielles Wissen auf irgendeinem bestimmten Gebiet besitzen, noch muss er besonders intelligent sein, um seine Rolle als Mittelsmann bei der Verbreitung von Ideen zu erfüllen. Was ihn für diese Arbeit qualifiziert, ist die breite Palette an Themen, über die er ohne weiteres reden und schreiben kann, und eine Position oder Gewohnheiten, durch die er früher mit neuen Ideen in Kontakt kommt als sein Publikum. Es ist schwierig, sich klar zu machen, wie groß diese Klasse von Menschen ist, bis man anfängt, all die Berufe und Aktivitäten aufzulisten, die ihre Mitglieder ausüben; wie ihre Tätigkeitsbereiche sich in der modernen Gesellschaft ständig ausdehnen, und wie abhängig wir alle von ihnen geworden sind. Diese Klasse besteht nicht nur aus Journalisten, Lehrern, Geistlichen, Dozenten, Publizisten, Radioreportern, Belletristikautoren, Cartoonzeichnern und Künstlern, die alle Meister im Vermitteln von Ideen sein mögen, die aber normalerweise Amateure in Bezug auf die Substanz der Ideen sind, die sie vermitteln. Diese Klasse umfasst auch viele Fachleute und Techniker, wie Wissenschaftler und Ärzte, die durch ihren gewohnten Umgang mit dem geschriebenen Wort zu Trägern von Ideen außerhalb ihres eigenen Tätigkeitsbereichs werden, und denen wegen ihres Expertenwissens innerhalb ihres eigenen Berufes auch bei anderen Themen mit Respekt zugehört wird. Es gibt wenig, was der normale Mensch von heute über Ereignisse oder Ideen nicht vermittels dieser Klasse von Menschen erfährt; und außerhalb unseres speziellen Berufsfeldes sind wir in dieser Hinsicht fast alle normale Menschen, was unsere Informationen und Anleitungen angeht; abhängig von denen, die es zu ihrem Beruf machen, sich immer über die neuesten Meinungen auf dem Laufenden zu halten. Es sind die Intellektuellen in diesem Sinne, die entscheiden, welche Ansichten und Meinungen uns erreichen dürfen, welche Fakten wichtig genug sind, uns mitgeteilt zu werden, und in welcher Form und von welchem Standpunkt aus sie uns präsentiert werden. Ob wir jemals von den Ergebnissen der Arbeit des Experten und des originären Denkers erfahren, hängt hauptsächlich von ihrer Entscheidung ab.

Dem Laien ist vermutlich nicht vollständig bewusst, in welchem Ausmaß diese Klasse Macht selbst über den Ruf von bekannten Wissenschaftlern und Gelehrten hat, und in welchem Ausmaß er zwangsläufig von ihren Ansichten über Dinge beeinflusst wird, die mit dem Wert der echten Errungenschaften wenig zu tun haben. Und es ist besonders bezeichnend für unser Problem, dass jeder Wissenschaftler vermutliche einige Fälle aus seinem Bereich kennt, in denen Leute unverdienterweise in der Öffentlichkeit einen Ruf als große Wissenschaftler einzig und alleine deswegen erlangt haben, weil sie politische Ansichten teilen, die die Intellektuellen als »progressiv« betrachten; es ist mir allerdings noch kein Fall bekannt geworden, in dem solch ein wissenschaftlicher Pseudo-Ruf einem Gelehrten mit eher konservativen Ansichten zuteil geworden ist. Diese Macht der Intellektuellen über den Ruf ist auf den Gebieten besonders wichtig, auf denen die Arbeitsergebnisse der Experten nicht von anderen Spezialisten verwendet werden, sondern von der politischen Entscheidung der breiten Öffentlichkeit abhängen.

Es gibt in der Tat kaum ein besseres Beispiel dafür als die Haltung, die Ökonomen gegenüber dem Erstarken solcher Lehren wie dem Sozialismus und dem Protektionismus eingenommen haben. Es gab vermutlich zu keiner Zeit eine Mehrheit unter den Ökonomen, die von ihres gleichen als solche angesehen wurden, die den Sozialismus favorisierten (oder den Protektionismus, was das angeht). Im Gegenteil, vermutlich enthält keine andere vergleichbare Gruppe von Gelehrten einen so hohen Anteil an entschiedenen Sozialismus- (oder Protektionismus)gegnern. Dies ist umso bedeutender, da seit kurzem genau so wahrscheinlich ein frühes Interesse an sozialistischen Reformplänen wie etwas anderes einen Mann die Ökonomie als Beruf hat ergreifen lassen. Und trotzdem sind es nicht die vorherrschenden Ansichten der Experten, sondern die Ansichten einer Minderheit, mit größtenteils eher zweifelhaftem Ansehen in ihrem Beruf, die von den Intellektuellen aufgenommen und verbreitet werden. Der allumfassende Einfluss der Intellektuellen in der heutigen Gesellschaft wird noch weiter durch die wachsende Bedeutung von »Organisation« vergrößert. Es ist ein verbreiteter aber vermutlich fehlgeleiteter Glaube, dass die Zunahme von Organisation den Einfluss des Experten oder Spezialisten vergrößert. Dies mag wahr sein für den professionellen Verwalter oder Organisator, falls es so etwas gibt, aber kaum für den Experten auf irgendeinem anderen Gebiet. Es wird eher die Macht der Person vergrößert, deren Allgemeinbildung sie dafür qualifizieren soll, Expertenurteile zu verstehen und zwischen den Experten auf verschiedenen Gebieten zu urteilen. Der für uns wichtige Punkt ist, dass der Gelehrte, der zum Universitätspräsidenten wird und der Wissenschaftler, der ein Institut oder eine Stiftung übernimmt und der Gelehrte, der Editor oder aktiver Vertreter einer Organisation für einen bestimmten Zweck wird, sofort aufhört, ein Gelehrter oder Wissenschaftler zu sein, und zum Intellektuellen wird, alleine im Lichte gewisser modischer allgemeiner Ideen. Die Anzahl solcher Institute, die Intellektuelle heranzüchten und ihre Zahl und Macht vergrößern, wächst jeden Tag. Fast alle »Experten« alleine in der Technik, Wissen zu erlangen, sind in Bezug auf das Thema, welches sie behandeln, Intellektuelle und keine Experten.

In dem Sinn, in dem wir den Begriff benutzen, sind die Intellektuellen in der Tat ein relativ neues Phänomen in der Geschichte. Obwohl niemand bedauern wird, dass Bildung nicht länger ein Privileg der Vermögenden ist, ist es wichtig für das Verständnis der Rolle der Intellektuellen, dass die Vermögenden nicht länger die am besten Gebildeten sind und die große Anzahl an Menschen, die ihre Position einzig und alleine ihrer Allgemeinbildung verdanken, nicht länger das Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge besitzen, welches die Verwaltung von Vermögen vermittelt. Professor Schumpeter, der ein erhellendes Kapitel seines Buches »Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie« einigen Aspekten unseres Problems gewidmet hat, hat nicht ungerechtfertigterweise betont, dass es die Abwesenheit von direkter Verantwortung für praktische Angelegenheiten und die daraus folgende Abwesenheit von Wissen aus erster Hand darüber ist, welches den typischen Intellektuellen von anderen ebenfalls rede- und schreibgewandten Leuten unterscheidet. Es würde allerdings zu weit führen, hier weiter die Entwicklung dieser Klasse und die merkwürdige Behauptung eines ihrer Mitglieder zu untersuchen, sie seien die einzigen ohne entschieden von den eigenen wirtschaftlichen Interessen geprägten Ansichten. Einer der wichtigen in einer solchen Diskussion zu untersuchenden Punkten wäre, inwieweit das Wachstum dieser Klasse künstlich durch Urheberrechtsgesetze gefördert wurde. Die Verachtung, die der wahre Gelehrte oder Experte und der Mann der Praxis dem Intellektuellen oft entgegenbringen, überrascht nicht; auch nicht die Abneigung, seine Macht anzuerkennen und die Empörung, wenn sie sie entdecken. Sie finden, dass die Intellektuellen meistens Leute sind, die nichts wirklich gut verstehen und in deren Urteilen sie selbst wenig Anzeichen von Klugheit erkennen. Aber es wäre ein entscheidender Fehler, deswegen ihre Macht zu unterschätzen. Obwohl ihr Wissen oft nur oberflächlich und ihre Intelligenz beschränkt ist, ändert dies nichts daran, dass ihr Urteil vor allem die Ansichten prägt, nach denen die Gesellschaft in nicht allzu ferner Zukunft handeln wird. Ohne zu übertreiben kann man sagen: Der Prozess, durch den Ideen generell Akzeptanz gewinnen, wird nahezu automatisch und unaufhaltsam, sobald der aktivere Teil der Intellektuellen zu diesen Ideen bekehrt wurde. Diese Intellektuellen sind die Organe, die die moderne Gesellschaft entwickelt hat, um Wissen und Ideen zu verbreiten, und es sind ihre Überzeugungen und Meinungen, die als Sieb fungieren, durch das alle neuen Konzepte hindurch müssen, bevor sie die Massen erreichen können.

Es gehört zur Natur der Tätigkeit des Intellektuellen, bei seiner täglichen Arbeit auf sein eigenes Wissen und seine Meinung angewiesen zu sein. Er hat seine Position inne, weil er Wissen besitzt, beziehungsweise täglich mit ihm umgehen muss, welches die Allgemeinheit als sein Auftraggeber nicht besitzt, und deswegen können seine Aktivitäten von anderen nur in begrenztem Umfang beeinflusst werden. Und nur weil die Intellektuellen größtenteils intellektuell ehrlich sind, folgen sie unausweichlich wann immer möglich ihrer eigenen Überzeugung und geben allem, was durch ihre Hände geht, einen entsprechende Tendenz. Selbst wo die Richtung der Politik in den Händen von Leuten mit anderen Ansichten liegt, wird die Umsetzung von Politik generell in den Händen der Intellektuellen liegen, und es ist regelmäßig die Entscheidung über Details, die die Gesamtauswirkung bestimmt. Wir können dies in allen Bereichen der heutigen Gesellschaft erkennen. Es ist allgemein bekannt, dass Zeitungen im Besitz von »Kapitalisten«, Universitäten mit »reaktionären« Leitungsgremien und Sendeanstalten im Besitz von konservativen Regierungen die öffentliche Meinung in Richtung Sozialismus beeinflusst haben, weil dies die Überzeugung der entsprechenden Leute war. Dies ist oft nicht trotz, sondern möglicherweise gerade wegen der Versuche der Leute an der Spitze, die Meinung zu kontrollieren und orthodoxe Prinzipien durchzusetzen, passiert.

Der Effekt, dass Ideen durch die Überzeugungen einer bestimmten Ansichten zugeneigten Klasse gefiltert werden, beschränkt sich nicht nur auf die Massen. Außerhalb seines Spezialgebietes ist der Experte generell nicht weniger abhängig von dieser Klasse, und selten weniger durch ihre Auswahl beeinflusst. Die Folge davon ist, dass heutzutage in den meisten Teilen der westlichen Welt selbst die entschlossensten Gegner des Sozialismus ihr Wissen über Dinge, die sie nicht aus erster Hand kennen, aus sozialistischen Quellen beziehen. Die Verbindung zwischen vielen der allgemeineren Vorurteile der sozialistischen Lehre und ihren eher praktischen Vorschlägen ist keinesfalls sofort offensichtlich; als Folge davon werden sie de facto Verbreiter der Gedanken dieser Lehre. Wer kennt nicht den Praktiker, der in seinem eigenen Bereich Sozialismus als »gefährlichen Blödsinn« anprangert, aber außerhalb davon Sozialismus genau so verbreitet wie jeder linke Journalist? In keinem anderen Bereich ist der vorherrschende Einfluss der sozialistischen Intellektuellen während der letzten hundert Jahre stärker zu spüren gewesen, als im Kontakt der verschiedenen nationalen Zivilisationen. Es würde für diesen Artikel viel zu weit gehen, den Grund und die Bedeutung der hochwichtigen Tatsache zu untersuchen, dass die Intellektuellen in der modernen Welt fast den einzigen Ansatz hin zu einer internationalen Gemeinschaft liefern. Diese Tatsache ist für das außergewöhnliche Schauspiel verantwortlich, dass seit Generationen der angeblich »kapitalistische« Westen seine materielle und moralische Unterstützung fast ausschließlich denjenigen ideologischen Bewegungen in Ländern weiter östlich zur Verfügung gestellt hat, die darauf abzielten, die westliche Zivilisation zu schwächen und dass zur selben Zeit die Informationen, die die westliche Öffentlichkeit über Ereignisse in Zentral- und Osteuropa erhalten hat, fast unvermeidlich von sozialistischen Tendenzen gefärbt waren. Viele der »erzieherischen« Aktivitäten der amerikanischen Besatzungstruppen in Deutschland liefern offensichtliche und aktuelle Beispiele dieser Tendenz.

Das richtige Verständnis der Gründe, die so viele Intellektuelle zum Sozialismus tendieren lassen, ist deshalb sehr wichtig. Der erste Punkt hier, den diejenigen, die diese Tendenz nicht teilen, sich vor Augen halten müssen, ist der, dass es weder eigennützige noch bösartige Gründe, sondern meist ehrliche Überzeugungen und gute Absichten sind, die die Sicht des Intellektuellen bestimmen. In der Tat ist es notwendig, zu erkennen, dass heutzutage der typische Intellektuelle im allgemeinen um so wahrscheinlicher Sozialist ist, um so eher er von guten Absichten und Intelligenz geleitet wird, und er auf der Ebene des reinen intellektuellen Arguments seinen Standpunkt besser als die Mehrzahl seiner Gegner innerhalb seiner Klasse vertreten kann. Falls wir immer noch glauben, er habe unrecht, müssen wir anerkennen, dass es sich um echte Fehler handeln könnte, die wohlmeinende und intelligente Leute in Schlüsselpositionen in unserer Gesellschaft dazu bringen, Ansichten zu vertreten, die uns als Bedrohung der Zivilisation erscheinen. Nichts könnte wichtiger sein, als zu versuchen, die Quellen dieser Fehler zu verstehen, um ihnen begegnen zu können. Und trotzdem sind die, die generell als Vertreter der herrschenden Ordnung angesehen werden und die glauben, die Gefahren des Sozialismus zu verstehen, üblicherweise weit von dessen Verständnis entfernt. Sie neigen dazu, die sozialistischen Intellektuellen als nichts weiter als einen üblen Haufen möchtegernintellektueller Radikaler zu betrachten, ohne ihren Einfluss zu erkennen, und sie neigen durch ihre ganze Einstellung ihnen gegenüber dazu, sie weiter in die Opposition zur herrschenden Ordnung zu treiben. Wenn wir diese eigenartige Voreingenommenheit eines großen Teils der Intellektuellen verstehen wollen, müssen wir uns über zwei Punkte im klaren sein. Erstens beurteilen sie generell alle Themen ausschließlich im Lichte gewisser allgemeiner Ideen; zweitens sind wirklich neue Ideen, die gerade entdeckt wurden, stets die Grundlage für die charakteristischen Fehler jeder Epoche. Sie bestehen in fehlerhaften Anwendungen neuer Verallgemeinerungen, die ihren Wert in anderen Bereichen bewiesen haben. Aus der vollen Berücksichtigung dieser Tatsachen schließen wir, dass die effektive Widerlegung solcher Fehler regelmäßig weiteren intellektuellen Fortschritt nötig macht – Fortschritt, der oft sehr abstrakte Probleme fern alltäglicher Fragen betrifft. Es ist vielleicht das charakteristischste Merkmal des Intellektuellen, neue Ideen nicht nach ihrem Wert an sich zu beurteilen, sondern danach, ob sie zu seiner generellen Einstellung passen – zu seinem Bild der Welt, welches er als modern oder fortschrittlich betrachtet. Durch ihren Einfluss auf ihn und seine Meinungen zu bestimmten Themen wächst die Macht von Ideen zum Guten oder zum Schlechten proportional zu ihrer Allgemeingültigkeit, Abstraktheit, sogar ihrer Unbestimmtheit. Da er wenig von den speziellen Themen weiß, müssen seine Kriterien die Übereinstimmung mit seinen anderen Ansichten und ein nahtloses Einfügen in sein Weltbild sein. Dennoch schafft diese Auswahl aus der Vielzahl an neuen Ideen, denen er jederzeit begegnet, das Meinungsklima, die dominante Weltanschauung einer Epoche, welche manchen Meinungen mehr und anderen weniger wohlgesonnen ist, und welche den Intellektuellen dazu bringt, eine Schlussfolgerung sofort zu akzeptieren und eine andere zu verwerfen, ohne das Thema wirklich zu verstehen.

In mancherlei Hinsicht ist der Intellektuelle dem Philosophen näher als irgendeinem Spezialisten, und der Philosoph ist in mehr als einer Hinsicht eine Art von König unter den Intellektuellen. Obwohl sein Einfluss weiter entfernt ist von den praktischen Fragen, und entsprechend langsamer und schwerer zu verfolgen ist als der des gewöhnlichen Intellektuellen, ist er von derselben Art und langfristig sogar noch mächtiger. Es ist das selbe Streben nach einer Synthese, methodischer verfolgt, die selbe Beurteilung bestimmter Ansichten insoweit, als sie eher in ein generelles Gedankensystem passen als durch ihren spezifischen Nutzen, das selbe Streben nach einer konsistenten Sicht der Welt, welches für beide die Grundlage dafür bildet, Ideen anzunehmen oder zu verwerfen. Aus diesem Grund hat der Philosoph vermutlich größeren Einfluss auf die Intellektuellen, als irgendein anderer Gelehrter oder Wissenschaftler und bestimmt mehr als irgendjemand sonst, auf welche Weise die Intellektuellen ihrer Zensurfunktion nachkommen. Der allgemeine Einfluss des wissenschaftlichen Spezialisten fängt dann an, dem des Philosophen Konkurrenz zu machen, sobald er aufhört, ein Spezialist zu sein und über den Fortschritt seines Gebietes zu philosophieren anfängt, und üblicherweise erst, nachdem er von den Intellektuellen aus Gründen anerkannt wurde, die wenig mit seinem wissenschaftlichen Ansehen zu tun haben. Das »Meinungsklima« jeder Epoche wird so im Wesentlichen durch sehr allgemeine vorgefasste Meinungen beeinflusst, anhand derer der Intellektuelle die Wichtigkeit neuer Fakten und Meinungen beurteilt. Diese vorgefassten Meinungen sind hauptsächlich Anwendungen dessen, was ihm als die wichtigsten Aspekte wissenschaftlichen Fortschritts erscheinen, ein Anwenden der Dinge auf andere Bereiche, die ihn in den Arbeiten von Spezialisten besonders beeindruckt haben. Man könnte eine lange Liste solcher intellektueller Moden und Schlagworte erstellen, die im Laufe von zwei oder drei Generationen nacheinander das Denken der Intellektuellen beeinflusst haben. Ob es nun der »Historismus« oder die Evolutionstheorie waren, der Determinismus des neunzehnten Jahrhunderts und der Glaube an den dominierenden Einfluss der Umwelt- über Erbeinflüsse, die Relativitätstheorie oder der Glaube an die Macht des Unbewussten – jedes dieser allgemeinen Konzepte wurde zur Messlatte, an der Innovationen in anderen Bereichen gemessen wurden. Es scheint, als ob der Einfluss dieser Ideen um so größer ist, je unspezifischer oder unpräziser (oder je weniger verstanden) sie sind. Manchmal ist es nicht mehr als ein unbestimmter Eindruck, selten in Worte gefasst, der so einen enormen Einfluss ausübt. Überzeugungen wie die, dass absichtliche Steuerung oder bewusste Organisation auch in sozialen Bereichen immer den Ergebnissen spontaner, nicht durch Menschen gelenkter Prozesse überlegen ist, oder dass jede Ordnung auf der Grundlage eines vorher aufgestellten Plans  besser ist als eine durch das Ausbalancieren gegensätzlicher Kräfte  hevorgebrachte, haben so politische Entwicklungen entscheidend beeinflusst.

Nur scheinbar anders ist die Rolle der Intellektuellen, wo es um die Entwicklung besserer sozialer Ideen geht. Hier zeigen sich ihre seltsamen Neigungen im Äußern abstrakter Platitüden, im Rationalisieren und Zuspitzen gewisser Ambitionen, die ihren Ursprung in normalen menschlichen Interaktionen haben. Da Demokratie etwas Gutes ist, erscheint es ihnen um so besser, je weiter das demokratische Prinzip ausgedehnt werden kann. Die mächtigste dieser Ideen, die die politische Entwicklung in jüngster Zeit beeinflusst haben, ist natürlich das Ideal materieller Gleichheit. Es ist charakteristischerweise keine von den spontan entstandenen moralischen Überzeugungen, die zuerst in Beziehungen von bestimmten Individuen untereinander angewandt wurden, sondern eine intellektuelle Konstruktion, die ihren Ursprung im Abstrakten hat, und von zweifelhafter Anwendbarkeit in Einzelfällen ist. Trotzdem hatte diese Idee starken Einfluss auf politische Entscheidungen und übt einen ständigen Druck hin zu einer Sozialordnung, die noch niemand klar sieht. Dass eine bestimmte Maßnahme zu größerer Gleichheit führt, wird als so starkes Argument für sie betrachtet, dass wenig anderes bei ihrer Beurteilung berücksichtigt wird. Da es bei jeder konkreten Frage dieser eine Aspekt ist, bezüglich dem die Meinungsführer eine klare Überzeugung haben, hat das Gleichheitsideal den gesellschaftlichen Wandel sogar stärker beeinflusst, als es seine Fürsprecher beabsichtigt haben.

Nicht nur moralische Ideale wirken auf diese Weise. Manchmal sind die Einstellungen der Intellektuellen gegenüber einem Gesellschaftsproblem das Ergebnis rein wissenschaftlichen Fortschritts, und in diesen Fällen scheinen ihre fehlerhaften Ansichten über bestimmte Themen von den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen gedeckt zu sein. Es ist an sich nicht überraschend, dass echter wissenschaftlicher Fortschritt so manchmal zur Quelle neuer Fehler wird. Wenn neue Verallgemeinerungen nicht zu falschen Schlüssen führen würden, wären sie endgültige Wahrheiten, die nie wieder in Frage gestellt werden müssten. Obwohl solche neuen Verallgemeinerungen in der Regel lediglich zu falschen Schlussfolgerungen aufgrund früherer Ansichten führen, und so nicht zu neuen Fehlern führen können, ist es doch wahrscheinlich, dass eine neue Theorie genau so, wie ihr Wert durch gültige neue Schlussfolgerungen gezeigt wird, auch andere neue Schlussfolgerungen erzeugen wird, die weiterer Fortschritt als fehlerhaft entlarven wird. Aber in einem solchen Fall wird eine falsche Ansicht durch das gesamte Prestige neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse getragen. Obwohl auf dem speziellen Gebiet, auf den dieser Glaube angewandt wird, alle wissenschaftliche Erkenntnis gegen sie sprechen mag, wird sie doch vom Tribunal der Intellektuellen aufgrund der Überzeugungen, die ihr Denken beherrschen, als die Ansicht ausgewählt, die am ehesten dem Zeitgeist entspricht. Die Experten, die so zu öffentlichem Ruhm und großem Einfluss kommen, werden deswegen nicht die sein, die unter ihren Kollegen zu Ansehen gekommen sind, sondern es werden oft Leute sein, die die anderen Experten als Spinner, Amateure oder gar Betrüger betrachten, die aber trotzdem in den Augen der Öffentlichkeit zu den renommiertesten Fachleuten auf ihrem Gebiet werden. Insbesondere kann es keinen Zweifel geben, dass die Art und Weise, auf die der Mensch in den letzten hundert Jahren die Kräfte der Natur zu organisieren gelernt hat, sehr viel zu dem Glauben beigetragen hat, dass eine ähnliche Kontrolle gesellschaftlicher Kräfte zu ähnlichen Verbesserungen der menschlichen Lebensumstände führen würde. Dass durch den Einsatz von Ingenieurstechniken die Lenkung aller menschlichen Aktivitäten gemäß einem einzigen kohärenten Plan gesellschaftlich genauso erfolgreich sein sollte, wie es dies in ungezählten Ingenieursaufgaben war, ist eine zu logische Schlussfolgerung, als dass sie nicht die meisten Menschen, ermutigt von den Errungenschaften der Naturwissenschaften, verführen könnte. In der Tat muss man zugeben, dass es starker Argumente bedarf, um diese naheliegende Schlussfolgerung zu widerlegen, und dass solche Argumente noch nicht angemessen vorgebracht worden sind. Es ist nicht ausreichend, die Fehler bestimmter Vorschläge aufzuzeigen, die das Resultat dieser Denkweise sind. Das Argument wird seine Überzeugungskraft nicht verlieren, bis nicht eindeutig gezeigt wird, dass das, was in so vielen Bereichen zu enormen Fortschritten geführt hat, in seiner Anwendbarkeit begrenzt ist und auch Schaden anrichten kann, wenn man es über diese Grenzen hinaus anwendet. Diese Aufgabe ist noch nicht zufriedenstellend erledigt worden. Das muss aber geschehen, bevor dieser besondere Impuls Richtung Sozialismus gestoppt werden kann.

Dies ist natürlich nur eines von vielen Beispielen für den Bedarf an weiteren intellektuellen Fortschritten, wenn die schädlichen Ideen der Gegenwart widerlegt werden sollen und wo der zukünftige Kurs letztendlich von der Debatte über sehr abstrakte Dinge abhängt. Es ist nicht genug, dass der Praktiker sich wegen seines Wissens auf seinem Fachgebiet sicher ist, dass die aus allgemeineren Ideen hergeleiteten sozialistischen Theorien sich als unpraktisch erweisen werden. Er mag vollkommen im Recht sein, und trotzdem wird sein Widerstand gebrochen werden und all die negativen Folgen, die er voraussieht, werden eintreten, falls keine Widerlegung der idees meres erfolgt. Solange der Intellektuelle die Oberhand in der allgemeinen Debatte behält, werden die stichhaltigsten Argumente bezüglich der Einzelfälle beiseite gewischt werden. Dies ist jedoch noch nicht die ganze Geschichte. Die Kräfte, die über die Auswahl zukünftiger Intellektueller bestimmen, arbeiten in dieselbe Richtung, weshalb so viele der Fähigsten unter ihnen zum Sozialismus tendieren. Es gibt natürlich so viele Meinungsverschiedenheiten unter den Intellektuellen, wie unter anderen Menschen auch; aber es scheint wahr zu sein, dass es im großen und ganzen die Aktiveren, Intelligenteren und Originelleren unter den Intellektuellen sind, die am häufigsten zum Sozialismus neigen, während ihre Gegner oft nicht in der selben Liga spielen. Dies gilt insbesondere für die frühe Phase der Infiltration durch die sozialistischen Ideen; danach war unter Intellektuellen der Druck in Richtung Sozialismus so stark, dass es besonderer Stärke und Unabhängigkeit bedarf, ihm zu widerstehen, als dem zu folgen, was die anderen als moderne Ansichten betrachten, auch wenn es außerhalb intellektueller Kreise immer noch von Mut zeugt, sozialistische Ansichten zu äußern. Niemand, der beispielsweise mit einer Vielzahl an Universitätsfakultäten vertraut ist (und in dieser Hinsicht muss die Mehrzahl der Universitätsdozenten wohl eher als Intellektuelle denn als Fachleute eingestuft werden), kann die Tatsache ignorieren, dass heutzutage die brillantesten und erfolgreichsten Dozenten eher Sozialisten als etwas anderes sind, während diejenigen mit eher konservativen politischen Ansichten eher Mittelmaß sind. Dies ist an sich schon ein bedeutender Faktor, der die jüngere Generation zu den Sozialisten treibt.

Der Sozialist wird darin lediglich den Beweis dafür sehen, dass heutzutage intelligentere Menschen zwangsläufig Sozialisten werden. Aber das ist bei weitem keine notwendige oder auch nur die wahrscheinlichste Erklärung. Die Hauptursache dafür ist wahrscheinlich, dass für den außergewöhnlich begabten Menschen, der die gegenwärtige Ordnung akzeptiert, eine Vielzahl an Wegen zu Einfluss und Macht offenstehen, während für den Benachteiligten und Unzufriedenen eine Karriere als Intellektueller der erfolgversprechendste Weg sowohl zu Einfluss, als auch zu der Macht, zum Erreichen seiner Ideale beizutragen, ist. Sogar mehr noch: der eher konservativ eingestellte Mensch mit herausragenden Fähigkeiten wird üblicherweise nur als Intellektueller arbeiten (und den Mangel an materiellen Belohnungen erdulden, den diese Arbeit üblicherweise mit sich bringt), wenn er die Arbeit an sich genießt. Er wird deshalb eher ein wissenschaftlicher Experte als ein Intellektueller im besonderen Sinne des Wortes; während für denjenigen mit radikaleren Überzeugungen der Weg des Intellektuellen eher ein Mittel zum Zweck als ein Ziel an sich ist, ein Weg zu genau der Art von weitreichendem Einfluss, den der professionelle Intellektuelle ausübt. Es ist deshalb wahrscheinlich so, dass nicht die intelligenteren Menschen Sozialisten sind, sondern dass ein weitaus größerer Teil an Sozialisten unter den fähigsten Geistern sich der Aufgabe des Intellektuellen verschreibt, welche ihnen in der heutigen Gesellschaft entscheidenden Einfluss auf die öffentliche Meinung gestattet. [1]
Die Auswahl der Intellektuellen ist außerdem eng verbunden mit dem überwiegenden Interesse, dass sie an generellen und abstrakten Ideen zeigen. Spekulationen über die Möglichkeiten, eine komplett neue Gesellschaftsordnung zu schaffen sind viel eher nach dem Geschmack Intellektueller als die eher praktischen und kurzfristigen Überlegungen derer, die die schrittweise Verbesserung der bestehenden Ordnung anstreben. Sozialistische Ideen verdanken ihre Beliebtheit bei jungen Menschen insbesondere ihrem visionären Charakter; alleine der Mut, utopische Gedanken zu verfolgen, stellt in dieser Hinsicht eine Quelle der Kraft für die Sozialisten dar, die der traditionelle Liberalismus nicht besitzt. Dieser Unterschied bedeutet einen Vorteil für die Sozialisten, nicht nur weil Überlegungen zu generellen Prinzipien Menschen ohne viel Wissen über aktuelle Dinge eine Möglichkeit bieten, der Phantasie freien Lauf zu lassen, sondern auch, weil er einen legitimen Drang danach, die Grundlagen allen menschlichen Zusammenlebens zu verstehen, befriedigt und diesem schöpferischen Drang ein Betätigungsfeld bietet, was der Liberalismus nach seinen großen Siegen kaum mehr getan hat. Wegen all dieser Veranlagungen ist der Intellektuelle an technischen Details oder praktischen Schwierigkeiten nicht interessiert. Was bei ihm gut ankommt sind die großen Visionen, das weitläufige Verständnis der Gesellschaftsordnung als Ganzes, die ein planwirtschaftliches System verspricht.

Die Tatsache, dass die Überlegungen der Sozialisten den Geschmack der Intellektuellen besser trafen, stellte sich als tödlich für die liberale Tradition heraus. Als die grundlegenden Forderungen der liberalen Programme einmal befriedigt schienen, wandten sich die liberalen Denker Detailfragen zu und vernachlässigten die Entwicklung einer umfassenden Philosophie des Liberalismus, weswegen der Liberalismus aufhörte, ein Thema alltäglicher Überlegungen zu sein. So kam es, dass seit einem halben Jahrhundert alleine die Sozialisten so etwas wie ein konkretes Programm der gesellschaftlichen Entwicklung besitzen, ein Bild der zukünftigen Gesellschaft, auf das sie hinarbeiten und grundlegende Prinzipien, nach denen sie im Einzelfall entscheiden. Obwohl ihre Ideale an unüberbrückbaren Widersprüchen leiden, wenn ich Recht habe, und jeder Versuch, sie in die Tat umzusetzen, völlig andere als die erwarteten Resultate liefern muss, ändert dies nichts an der Tatsache, dass ihr Programm für einen Wandel das einzige ist, welches tatsächlich die Entwicklungen gesellschaftlicher Institutionen beeinflusst hat. Sie haben als einzige Erfolg darin gehabt, die Vorstellungen der Intellektuellen zu inspirieren, weil sie die einzige konkrete und umfassende sozialpolitische Philosophie besitzen, hinter der eine große Gruppe steht – das einzige System oder die einzige Theorie, das neue Fragen aufwirft und neue Horizonte öffnet. Die tatsächlichen Entwicklungen der Gesellschaft während dieser Zeit wurden nicht von einem Kampf miteinander konkurrierender Ideen geprägt, sondern vom Gegensatz einer existierenden Ordnung und dem einen Ideal einer möglichen zukünftigen Gesellschaft, welches alleine die Sozialisten der Öffentlichkeit präsentierten. Sehr wenige der anderen Programme boten echte Alternativen. Die meisten waren Kompromisse oder Kombinationen aus den extremeren Formen des Sozialismus und der bestehenden Ordnung. Alles was nötig war, um praktisch jeden sozialistischen Vorschlag vernünftig für diejenigen »gemäßigten« Geister erscheinen zu lassen, die überzeugt davon sind, dass die Wahrheit immer in der Mitte zwischen den Extremen liegen muss, war der Vorschlag einer noch extremeren Lösung durch irgendjemanden. Es schien nur eine Richtung zu geben, in die wir uns bewegen konnten, und die einzige Frage schien, wie schnell und wie weit die Bewegung gehen sollte.

Die Bedeutung der speziellen Anziehungskraft auf die Intellektuellen, der der Sozialismus seinen spekulativen Charakter verdankt, wird deutlicher, wenn wir der Position des sozialistischen Theoretikers die Position seines Gegners, des Liberalen im alten Sinne des Wortes, gegenüberstellen. Dieser Vergleich wird uns auch zeigen, welche Lektion wir aus dem angemessenen Verständnis der intellektuellen Kräfte lernen können, die die Grundfesten einer freien Gesellschaft untergraben. Seltsamerweise ist eines der Haupthindernisse, welches dem liberalen Denker öffentlichen Einfluss verwehrt, eng mit der Tatsache verbunden, dass er mehr Gelegenheit hat, aktuelle politische Entscheidungen direkt zu beeinflussen, bis der Sozialismus tatsächlich da ist, und dass er deswegen nicht nur nicht zu solch langfristigen Überlegungen neigt, die die Stärke der Sozialisten sind, sondern dass er tatsächlich von ihnen abgehalten wird, da er sonst weniger Gutes in der Gegenwart bewirken könnte. Welche Macht auch immer er beim Beeinflussen praktischer Entscheidungen hat, er verdankt sie seinem guten Verhältnis mit den Repräsentanten der bestehenden Ordnung, und dieses gute Verhältnis würde er gefährden, wenn er sich der Art von Gedankenspielen hingeben würde, die bei den Intellektuellen Anklang fänden und die mit ihrer Hilfe die Entwicklung über längere Zeiträume beeinflussen würden. Um bei den Mächtigen Gehör zu finden, muss er »praktisch«, »vernünftig« und »realistisch« sein. Solange er sich mit den unmittelbaren Fragen beschäftigt, wird er mit Einfluss, materiellem Erfolg und Beliebtheit bei denen, die bis zu einem gewissen Punkt seine allgemeinen Ansichten teilen, belohnt. Aber diese Leute haben wenig für Überlegungen zu grundsätzlichen Fragen übrig, die das intellektuelle Klima beeinflussen. Wenn er sich tatsächlich ernsthaft mit solchen langfristigen Überlegungen befassen sollte, läuft er Gefahr, als »unvernünftig« oder gar als halber Sozialist zu gelten, da er nicht bereit ist, die bestehende Ordnung zu dem freien System zu erklären, dass er anstrebt. [2] Wenn er sich trotzdem weiterhin generellen Fragen widmet, wird er bald herausfinden, dass es gefährlich ist, zu viel mit denen, die die meisten seiner Überzeugungen teilen, zu tun zu haben, und er wird bald isoliert sein. In der Tat gibt es zur Zeit weniger undankbarere Aufgaben, als die wichtige Aufgabe, eine philosophische Grundlage zu entwickeln, auf der die weitere Entwicklung einer freien Gesellschaft aufgebaut sein muss. Da derjenige, der sich ihrer annimmt, den größten Teil der Rahmenbedingungen der bestehenden Ordnung übernehmen muss, wird er vielen der eher utopischer denkenden Intellektuellen als zaghafter Apologet des Status Quo erscheinen; und gleichzeitig wird er von den Praktikern als abgehobener Theoretiker verworfen. Er ist nicht radikal genug für diejenigen, die nur die Welt, in der »die Gedanken mit Leichtigkeit zusammenfinden«, kennen, und viel zu radikal für diejenigen, die nur sehen, wie »hart im Raum die Dinge aufeinandertreffen«. Wenn er die Unterstützung, die er von den Praktikern bekommen kann, annimmt, wird er höchstwahrscheinlich bei denjenigen in Verruf geraten, auf die er beim Verbreiten seiner Ideen am meisten angewiesen ist. Gleichzeitig muss er peinlichst alles vermeiden, das nach Extravaganz oder Übertreibung aussieht. Während kein sozialistischer Theoretiker es sich jemals mit seinesgleichen selbst durch die unsinnigsten Überlegungen verscherzt hat, wird der altmodische Liberale sich durch einen unvernünftigen Vorschlag ins Aus manövrieren. Und trotzdem wird er für die Intellektuellen nicht phantasievoll oder abenteuerlustig genug sein, und die Veränderungen und Verbesserungen der Gesellschaftsordnung, die er zu bieten hat, werden beschränkt erscheinen im Vergleich zum dem, was ihre weniger eingeschränkte Vorstellungskraft erdenkt.

Zumindest in einer Gesellschaft, in der die Grundlagen der Freiheit schon erstritten sind und weitere Verbesserungen vergleichbar unwichtige Punkte betreffen, kann das liberale Programm nicht den Glanz einer neuen Erfindung haben. Die Würdigung der Verbesserungen, die es zu bieten hat, erfordert mehr Wissen über das Funktionieren der bestehenden Gesellschaft, als der durchschnittliche Intellektuelle besitzt. Die Diskussion dieser Verbesserungen muss sich auf einer praktischeren Ebene bewegen als die eher revolutionären Programme, und bringt so eine Komplexität mit sich, die dem Intellektuellen wenig zusagt. Sie tendiert auch dazu, Elemente zu beinhalten, die ihm direkt widerstreben. Diejenigen, die mit dem Funktionieren der bestehenden Gesellschaft am meisten vertraut sind, sind üblicherweise daran interessiert, bestimmte Merkmale dieser Gesellschaft zu erhalten, deren Erhalt sich nicht durch Prinzipien verteidigen lässt. Im Gegensatz zu demjenigen, der eine völlig neue zukünftige Ordnung anstrebt, und der sich natürlich zur Orientierung an den Theoretiker wendet, glauben diejenigen, die an die bestehende Ordnung glauben, auch, dass sie diese viel besser verstehen als irgendein Theoretiker, und werden deswegen wahrscheinlich alles verwerfen, was ihnen unbekannt und theoretisch erscheint. Die Schwierigkeit, echte Unterstützung ohne Eigeninteresse für eine systematische Politik der Freiheit zu finden, ist nicht neu. In einer Passage, an die mich die Aufnahme eines kürzlich erschienenen Buches von mir erinnert hat, beschrieb Lord Acton vor langer Zeit, wie »zu allen Zeiten die ernsthaften Freunde der Freiheit spärlich gesät waren, und sie ihre Triumphe Minderheiten verdankten, die dadurch Erfolg hatten, dass sie sich mit Helfern verbündeten, deren Ziele andere waren als ihre eigenen; und dieses Bündnis, das stets gefährlich ist, war manchmal verhängnisvoll, weil es Gegnern gerechtfertigten Anlass zum Widerstand gab …« [3] Erst kürzlich hat sich einer der hervorragendsten lebenden amerikanischen Ökonomen aus ähnlichem Anlass darüber beschwert, dass die Hauptaufgabe derjenigen, die an die Grundprinzipien des kapitalistischen Systems glauben, regelmäßig darin bestehen muss, dieses System gegen die Kapitalisten zu verteidigen – in der Tat war dies den großen liberalen Ökonomen von Adam Smith bis zur Gegenwart stets bekannt.

Das größte Hindernis, das die Praktiker, die von Herzen an die Sache der Freiheit glauben, von denjenigen, die in der Welt der Ideen über Entwicklungen entscheiden, trennt, ist ihr tiefes Misstrauen gegenüber theoretischen Überlegungen und ihre Tendenz zur Orthodoxie; dies schafft mehr als alles andere eine fast unüberwindbare Barriere zwischen ihnen und denjenigen Intellektuellen, die an dieselbe Sache glauben, und deren Unterstützung unverzichtbar ist, wenn diese Sache gewinnen soll. Obwohl diese Neigung wahrscheinlich für diejenigen, die ein System verteidigen, weil es sich in der Praxis bewährt hat, und denen seine intellektuelle Rechtfertigung bedeutungslos erscheint, natürlich ist, ist sie tödlich für sein Überleben, weil es ihm die Unterstützung, die es dringend benötigt, entzieht. Orthodoxie jeder Art, jedes Vorgeben, ein Gedankensystem sei endgültig und müsse vorbehaltlos als Ganzes akzeptiert werden, ist die eine Einstellung, die notwendigerweise alle Intellektuellen gegen sich aufbringt, was auch immer ihre Ansichten zu einer konkreten Frage sind. Jedes System, das Menschen danach beurteilt, inwieweit sie mit einem vorgegebenen Gedankengebäude übereinstimmen, nach ihrer »Zuverlässigkeit« oder nach dem Ausmaß, nach dem man sich darauf verlassen kann, dass sie in allen Punkten die anerkannte Meinung vertreten, versagt sich selbst die Art von Unterstützung, ohne die kein Gedankengebäude seinen Einfluss auf die moderne Gesellschaft behalten kann. Die Möglichkeit, anerkannte Ansichten zu kritisieren, neue Ansichten zu erkunden und mit neuen Konzepten zu experimentieren, bietet die Art von Atmosphäre, ohne die der Intellektuelle nicht atmen kann. Eine Sache, die dazu keine Möglichkeiten bietet, kann von ihm keine Unterstützung bekommen und ist deswegen in jeder Gesellschaft, die wie unsere auf seine Dienste angewiesen ist, zum Scheitern verurteilt.

Es mag sein, dass eine freie Gesellschaft, wie wir sie kennen, den Keim der eigenen Zerstörung in sich trägt, und dass Freiheit, ist sie einmal errungen, als selbstverständlich angesehen und nicht mehr geschätzt wird, und dass das freie Reifen von Ideen, das der Kern einer freien Gesellschaft ist, die Zerstörung der Grundlagen bewirken wird, auf die sie gebaut ist. Es kann wenig Zweifel daran geben, dass in Ländern wie den Vereinigten Staaten heutzutage das Ideal der Freiheit für den jungen Mensch weniger Attraktivität besitzt als in Ländern, in denen man gelernt hat, was der Verlust der Freiheit bedeutet. Andererseits gibt es viele Anzeichen dafür, dass in Deutschland und anderswo für die jungen Menschen, die nie eine freie Gesellschaft kennengelernt haben, die Aufgabe, eine freie Gesellschaft zu schaffen, so aufregend und faszinierend sein kann wie jedes sozialistische Programm, das die letzten hundert Jahre aufgetaucht ist. Es ist eine außergewöhnliche Tatsache, die jedoch viele Besucher erlebt haben, dass man, wenn man mit deutschen Studenten über die Prinzipien einer liberalen Gesellschaft spricht, eine empfänglichere und sogar enthusiastische Hörerschaft findet, als man in jeder der westlichen Demokratien zu finden hoffen kann. In England kann man unter den Jungen auch ein neues Interesse an den Prinzipien des wahren Liberalismus  finden, das vor ein paar Jahren sicher nicht vorhanden war.

Bedeutet dies, dass Freiheit nur geschätzt wird, wenn sie verloren geht; dass die Welt überall durch eine dunkle Phase des sozialistischen Totalitarismus gehen muss, bevor die Kräfte der Freiheit neu an Stärke gewinnen können? Es mag so sein, aber ich hoffe es muss nicht so sein. Solange jedoch die Menschen, die die öffentliche Meinung langfristig bestimmen, weiterhin von den Ideen des Sozialismus fasziniert sein werden, wird der Trend anhalten. Wenn wir so eine Entwicklung vermeiden wollen, müssen wir ein neues liberales Programm anbieten können, das die Vorstellungskraft anregt. Wir müssen das Erschaffen einer freien Gesellschaft wieder zum intellektuellen Abenteuer, einer mutigen Tat machen. Uns fehlt ein liberales Utopia, ein Programm, dass weder eine reine Verteidigung des Status Quo noch eine verwässerte Form des Sozialismus zu sein scheint, sondern ein wahrer liberaler Radikalismus, der die Empfindlichkeiten der Mächtigen (inklusive der Gewerkschaften) nicht scheut, der nicht allzu streng praktisch orientiert ist, und der sich nicht auf das beschränkt, was heute politisch machbar erscheint.

Wir brauchen intellektuelle Anführer, die bereit sind, für ein Ideal zu arbeiten, egal wie unwahrscheinlich dessen frühe Verwirklichung auch scheinen mag. Es müssen Menschen sein, die bereit sind, sich an Prinzipien zu halten und bis zu ihrer kompletten Verwirklichung zu kämpfen, egal in wie weiter Ferne diese liegen mögen. Die praktischen Kompromisse müssen sie den Politikern überlassen. Freihandel und Freiheit der Möglichkeiten sind Ideale, die immer noch die Phantasie von vielen anzuspornen vermögen, aber lediglich »vernünftiger Freihandel« oder »Lockerung der Kontrollen« sind weder intellektuell ehrenwert, noch ist es wahrscheinlich, dass sie Enthusiasmus bewirken. Die wichtigste Lektion, die der wahre Liberale vom Erfolg der Sozialisten lernen muss, ist die, dass es ihr Mut zur Utopie war, der ihnen die Unterstützung der Intellektuellen, und so Einfluss auf die öffentliche Meinung beschafft hat, der ihnen täglich Dinge ermöglicht, die noch vor kurzem in weiter Ferne schienen. Die, die sich nur mit dem beschäftigt haben, was im existierenden Meinungsklima möglich schien, mussten erleben, dass als Ergebnis des Wandels der öffentlichen Meinung, den sie in keiner Weise beeinflusst haben, selbst dies immer schneller politisch unmöglich geworden ist. Wenn wir die philosophische Grundlage einer freien Gesellschaft wieder zu einem aktuellen intellektuellen Thema machen können, und ihre Umsetzung zu einer Aufgabe, die den Einfallsreichtum und die Vorstellungskraft der aufgewecktesten Geister fordert, wenn wir den Glauben an die Kraft der Ideen, der das Merkmal des Liberalismus zu seinen Hochzeiten war, wieder erlangen können, ist die Schlacht nicht verloren. Die intellektuelle Neubelebung des Liberalismus findet in vielen Teilen der Welt schon statt. Wird es rechtzeitig sein?

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Vorliegender Text »Die Intellektuellen und der Sozialismus« (»Intellectuals and Socialism«) von Friedrich A. von Hayek aus dem Jahr 1949 ist entnommen aus »The University of Chicago Law Review (Spring 1949)«. Er wurde im August 2015 auf der Webseite des »Ludwig von Mises Institut Deutschland« wiederveröffentlicht. Übersetzt von Florian Senne. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Mises Institut Deutschland. misesde.org

Essay, Fazit 124, (Juli  2016) – Foto: Karl-Franzens-Universität/Kastrun

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