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Politicks Juli 2016

| 4. Juli 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 124, Politicks

Wiederholung der Bundespräsidentenwahl zeichnet sich ab
Bei der Bundespräsidentenwahl wurden Wahlgrundsätze elementar verletzt. So gibt es die Vorschrift, dass die Stimmen von einer proportional zusammengesetzten Wahlkommission auszuzählen sind. Und das ist bei vielen Bezirkswahlbehörden nicht geschehen. Bei früheren Wahlgängen wurden Unregelmäßigkeiten eher auf Gemeindeebene vermutet. Dass aber ausgerechnet die Bezirkshauptmannschaften die gesetzlichen Vorschriften ignorieren, war bisher eigentlich unvorstellbar. Aus Sicht des Grazer Verfassungsjuristen Klaus Poier ist eine Wahlwiederholung daher sehr wahrscheinlich: »Da müsste der VfGH seine Judikatur radikal ändern und das kann ich mir kaum vorstellen«, so Poier gegenüber Fazit.

Mindestsicherung: Kürzen, deckeln oder straffen
Die Mindestsicherung droht die Budgets zu sprengen. Außerdem haben immer mehr Landespolitiker ein Problem damit, ihren Bürgern erklären zu müssen, warum die Mindestsicherung zu höheren Einkommen führen kann als etwa ein 40-Stunden-Job. ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner hat sich kürzlich im Ministerrat für eine Deckelung der Mindestsicherung bei 1.500 Euro ausgesprochen. Vorwürfen, die Pläne seien unsozial, hält er entgegen, dass auch bei einer Deckelung der Mindestsicherung bei 1.500 Euro für jedes Kind weiterhin die volle Familienbeihilfe ausbezahlt werden würde. Mit dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Niessl fordert nun der erste prominente SPÖ-Politiker eine Kürzung der Mindestsicherung – und zwar für Migranten. Es könne nicht sein, dass ausländische Staatsbürger dieselben Sozialleistungen – wie die Mindestsicherung – erhalten, ohne dass sie vorher etwas in das Sozialsystem eingezahlt hätten, so Niessl wörtlich. Die steirische Soziallandesrätin Doris Kampus (SPÖ) will hingegen mit »vielen kleinen Maßnahmen« zum gewünschten Ergebnis kommen. Schlupflöcher sollen geschlossen werden, und die Abstimmung zwischen den zuständigen Behörden und dem AMS soll optimiert werden. Eine rechtlich höchst umstrittene Kürzung der Mindestsicherung, die ausschließlich Asylanten betrifft, wie sie von der schwarzblauen oberösterreichischen Landesregierung beschlossen wurde, ist in der Steiermark damit kein Thema.

Jahrestag der steirischen ÖVP-SPÖ-Regierungskoalition
Die steirische Regierungskoalition hat ein turbulentes erstes Jahr hinter sich gebracht. In einer gemeinsamen Pressekonferenz zogen der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer und Landeshauptmann-Stellvertreter Michael Schickhofer eine Zwischenbilanz. Es sei bereits im ersten Jahr vieles gelungen, das letzte Jahr sei aber völlig von der Flüchtlingskrise dominiert worden, so Schützenhöfer: »Gleich zu Beginn der Legislaturperiode haben uns die Amokfahrt in Graz und die Bewältigung der Flüchtlingskrise viel Kraft gekostet.« Im Gesundheitsbereich warte mit dem Gesundheitsplan 2035 eine Mammutaufgabe auf die Regierung. Außerdem gelte es, Maßnahmen zur Entbürokratisierung der Verwaltung zu setzen. Schickhofer verwies auf massive Investitionen, die mithilfe des Bundes im Infrastrukturbereich auf Schiene gebracht worden seien. Weitere zentrale Punkte für Schickhofer sind die Schaffung zusätzlicher Kinderbildungs- und -betreuungsangebote, der S-Bahn-Ausbau und stabile Finanzen. Scharfe Kritik an der Koalition kommt hingegen von den Freiheitlichen. Die Spitzen von ÖVP und SPÖ würden vergeblich versuchen, die Regierungsarbeit der letzten zwölf Monate als erfolgreich darzustellen, erklärte FP-Klubobmann Mario Kunasek. Beide Parteien befänden sich aufgrund der herben Wahlniederlage im Vorjahr noch immer in einer politischen Schockstarre. Auch von den Grünen kommt zum Jahrestag der rotschwarzen Regierungskoalition Kritik. Klubobmann Lambert Schönleitner sieht die Steiermark nicht auf dem Weg zur Spitze, sondern das Land bewege sich budgettechnisch immer stärker Richtung Kärnten. »Wer hier von einem Musterland spricht, blendet die Realität aus«, so Schönleitner.

Drexler: Die Steirer sollen gesünder und länger leben als alle anderen
Wer sich unter dem lang erwarteten »Gesundheitsplan 2035« ein konkretes Standort- und Finanzierungskonzept der steirischen Spitalslandschaft erwartet hat, wird sich wohl noch gedulden müssen. Gesundheitslandesrat Christopher Drexler beschreibt die Reform mit den Worten: »Wir stehen am Beginn einer langen Reise.« Denn das gesamte Gesundheitswesen unterliegt einem Wandel. Die Primärversorgung über den klassischen Hausarzt ist immer schwieriger aufrechtzuerhalten. Die Menschen drängen von den Randregionen in die Ballungsräume. Dazu verlangt der medizinische Fortschritt nach weiteren teuren Spezialisierungen, die aufgrund der Mindestfallzahlen dann oft im Widerspruch mit dem Ziel einer dezentralen Versorgung stehen. Daher darf sich der Gesundheitsplan nicht auf die Zusammenlegung von Spitalsstandorten beschränken. Gesundheitslandesrat Christopher Drexler präsentierte seine Diskussionsgrundlage, das Leitbild zum »Gesundheitsplan 2035«, gemeinsam mit den Verantwortlichen der Spitäler, den Krankenkassen, dem Hauptverband, dem Gesundheitsministerium, der Ärztekammer und den Sozialpartnern als eine  Zielvision. Hintergrund dieses mühsamen Reformprozesses ist die sensible Gemengelage der Entscheidungsträger. Denn der Standort bestimmt den Standpunkt und die Ziele der Krankenkassen sind andere als etwa jene der Ärztekammer. Drexler ist ein erfahrener Verhandler. Er weiß, dass er Verbindlichkeiten herstellen muss, um die unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen. Der Dialogprozess soll daher bis zum nächsten Jahr eine weitere Konkretisierung der Maßnahmen und eine Art Roadmap für die Umsetzung hervorbringen.

Grazer ÖVP macht Kommunistin zur Vizebürgermeisterin
Es ist befremdlich, für wie wenig Irritationen es sorgt, wenn eine bekennende Kommunistin – noch dazu von der ÖVP – zur Vizebürgermeisterin der zweitgrößten Stadt des Landes gemacht wird. Die KPÖ war über Jahrzehnte ein Satellit und Handlanger der KPdSU. Sie war dem millionenfachen Mörder Stalin treu ergeben und verpflichtet. Eine ehrliche Aufarbeitung dieser Ära durch die KPÖ hat deshalb nie stattgefunden, weil sie auch gar nie hätte stattfinden können. Denn das hätte nur zur Auflösung der KPÖ führen können. Dabei kann man gleichwenig Kommunist sein und die Verbrechen Stalins ablehnen, wie man etwa Nationalsozialist sein kann, ohne das, was Hitler getan hat, gutzuheißen.
In einem Gespräch mit Christa Zöchling für das Magazin Profil im Jahr 2012 machte Elke Kahr klar, dass für sie die mangelnde Auseinandersetzung der KPÖ mit einem der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte überhaupt keine Rolle spielt. Sie sagte, sie habe sich »nur mit Kommunalpolitik beschäftigt«. Außerdem hielte sie es »für vermessen«, ehemaligen Widerstandskämpfern, die sich vielleicht immer noch dem Stalinismus verpflichtet fühlten, etwas vorzuwerfen.

Linker und rechter Massenmord wird inzwischen völlig asymmetrisch bewertet. Bürgermeister Siegfried Nagl wäre wahrscheinlich nie auf die Idee gekommen, einen bekennenden Neonazi zum Vizebürgermeister von Graz zu wählen, nur weil dieser womöglich eine vernünftige Umweltpolitik macht.

Grazer VP-Geschäftsführer nicht rechtskräftig verurteilt
Der Geschäftsführer der Grazer ÖVP, Bernd Schönegger, wurde im Telekom-Verfahren rund um den Vorwurf der illegalen Parteienfinanzierung – es geht um 120.000 Euro – von einem Schöffensenat des Straflandesgerichts Wien nicht rechtskräftig der Beihilfe zur Untreue schuldig gesprochen und zu neun Monaten bedingter Haft, unter Setzung einer dreijährigen Probezeit, verurteilt. Schönegger ist Nationalratsabgeordneter und beteuert, weder etwas von den 120.000 Euro gewusst zu haben noch dieses Geld jemals zur Finanzierung des Grazer VP-Gemeinderatswahlkampfs erhalten zu haben. Dass Schöneggers Version dabei sowohl von der mitangeklagten Geschäftsführerin einer mittlerweile insolventen Grazer Werbeagentur als auch vom Kronzeugen in den Telekomprozessen, dem damaligen Telekom-Finanzchef Gernot Schieszler, gestützt wurde, spielte für das Gericht ebenso wenig eine Rolle wie der Umstand, dass es keine Zahlungsflüsse zwischen der Grazer ÖVP und der Telekom gab. Schönegger hofft nun, dass die nächste Instanz die Aussagen von Schieszler, der als Kronzeuge überhaupt keine Vorteile haben kann, den Grazer VP-Geschäftsführer zu entlasten, anders bewertet.

Sollte das Urteil dennoch rechtskräftig werden, führt wohl kein Weg daran vorbei, dass Schönegger sein Nationalratsmandat zurücklegt und seinen Posten als Grazer VP-Geschäftsführer aufgibt. Auch für Bürgermeister Siegfried Nagl wird die Luft dann dünn werden.

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Politicks, Fazit 124 (Juli 2016)

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