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E-Musik

| 1. August 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 125, Fazitportrait

Foto: Marija Kanizaj

Vor 130 Jahren wurden hier Fahrräder und Radios repariert, heute ist das Unternehmen Friebe Musikfachgeschäft sowie Elektroplanungs und -installationsbetrieb. Christine Dressler-Korp und ihre Schwester Michaela Korp führen durch Unternehmen statt Unterlassen vor, wie man im Wandel besteht. Eine musikalische Elektrogeschichte.

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Nicht jeder, der das Stiegenhaus der Stiegenkirche in der Grazer Sporgasse betritt, geht auch in die Kirche. Er könnte auch zum Elektriker gehen. Darauf weisen zwei Schilder an der Außenmauer links vom Eingang hin. Das eine besagt, dass es hier zur wahrscheinlich ältesten Grazer Pfarrkirche, das andere, dass es zum wahrscheinlich ältesten Elektroinstallationsbetrieb der Stadt geht. Erstere heißt mit vollem Namen »Stiegenkirche St. Paul«, zweitere »Friebe GmbH«. Und weil es im zweiten Stock mit dem Elektroplanungsbüro auch eine »Friebe und Korp GmbH« gibt, während beim echten Friebe, dem Geschäftslokal im Parterre, Schallplatten und CDs verkauft werden, könnte man meinen, man wäre beim doppelten Lottchen. Wenn nicht beim dreifachen. Eigentlich fünffachen, aber davon später.

Hier bin ich Mensch
Der Stadtflaneur in Graz hat’s schwer. Wenn er nicht regelmäßig flaniert, kriegt er nicht mit, was da passiert. Das einzig Beständige sei der Wandel, heißt es. Das bezieht sich offensichtlich auch auf Geschäftslokale. Die Sporgasse ist dafür ein gutes Beispiel. Meine Cousine macht das immer ganz nervös und veranlasst sie zu Fragen wie: Wie viel Eisgeschäfte gibt es jetzt in der Sporgasse bereits oder warum heißt das Türkenloch jetzt anders (Stern) oder das Schlößl (Continuum – vielleicht soll das programmatisch sein?). Aber sie hat auch kein Auto und keinen Fernseher und besonders hat sie keinen Kompjutor (Copyright Erwin Ringel*). Aber ein Radio (mit CD-Player) und einen alten Plattenspieler. Da kann ich sie also beruhigen: Es gibt sie noch, die guten Dinge – zum Beispiel das eine oder andere Fachgeschäft. Etwa in der Sporgasse 21.

Exkurs: Zu den schönsten Dingen der Welt gehört Bewusstsein. Warum? Erst wenn du weißt, wie gut oder schlecht es dir geht, kannst du es auch genießen, teilen, kannst dankbar sein oder zumindest hoffen. Vielleicht ist das aber auch nur im christlichen Abendland so, wo die Letzten angeblich die Ersten sein werden und Demut zur Lebenskultur gehört. Zumindest wenn es um nichts geht. Um nichts geht es scheinbar beim Flanieren. Was natürlich nicht stimmt, wie aus dem Osterspaziergang von Faust und Wagner zu schließen ist, wenn es heißt: »Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.« Alte Stadtflaneure in Graz erfreuen sich in vordergründiger Bescheidenheit bereits beim Anblick eines alten Geschäftslokals. Nicht nur weil die Orientierung leichter fällt oder Erinnerungen aufsteigen oder sie meine Cousine sind, sondern weil alte Werte doch noch Bestand zu haben scheinen. Das wird einem Stadtflaneur in der Sporgasse 21 bewusst. Hier, unmittelbar neben dem Aufgang zur Stiegenkirche, lädt nach wie vor das älteste Musikfachgeschäft der Stadt freundlich zum Besuch. Das macht der Friebe seit dem Jahr 1964. Aber das ist gar nichts gegen den Elektroinstallateur Friebe – den gibt es bereits seit mehr als 130 Jahren. Und auch hier war der Wandel immer ein bestimmendes Thema.

Von Vinyl zu CD zu Vinyl?
Vor zehn Jahren war es noch erwähnenswert, dass es trotz des damals anhaltenden Siegeszugs der CD in der Musikfachhandlung Friebe noch Schallplatten gab, wenn auch nur in geringem Umfang, vinyle Restbestände gewissermaßen. Unter dem Druck der großen Märkte und Massenanbieter wandelte sich Friebe zum Nischenspezialisten für Klassik, Jazz, Volksmusik, Meditationsmusik und Hörbücher. Das darf heute als Glückfall gelten, denn in der Musikindustrie blieb mittlerweile kein Stein auf dem anderen. Zunächst stellte sich heraus, dass die CD keineswegs unkaputtbar ist, und dann schlug die Erfindung von deutschen Forschern des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen in Erlangen buchstäblich wie eine Bombe ein: Mit der sogenannten MP3-Technik, einem Format zum Komprimieren von Musikdateien, lässt sich Musik unkompliziert aus dem Internet herunterladen. Das Kürzel MP3 wurde zum Synonym für die digitale Revolution im Musikgeschäft und zum Albtraum der Plattenindustrie. Betroffen ist jeder nur denkbare Bereich, angefangen von der physischen Produktion bis zum geistigen Eigentum und Urheberrecht. Mittlerweile schalten und walten Angebot und Nachfrage sowie sonstige kaum berechenbare Kräfte des Markts weiter und spülen wieder Schallplatten aus Vinyl in die übriggebliebenen Verkaufsregale. Diesen Faden hat man bei Friebe nie verloren und knüpft daher naht- beziehungsweise knotenlos an. Das wissen auch viele Kunden zu schätzen, insbesondere jene, die zu klassischer Musik und zu Volksmusik tendieren. Eine nicht zu unterschätzende Rolle scheint auch der Hang zur Haptik zu spielen: besser eine LP in der Hand, als ein digitales Etwas auf dem Dach oder in den Untiefen von Festplatte oder gar Flashspeicher.

Alles anders
Heute ist mit Christine Dressler-Korp (Jahrgang 1976) und ihrer Schwester Michaela Korp (Jahrgang 1981) die vierte Generation am Ruder. Sie führen als geschäftsführende Gesellschafterinnen (mit jeweils 20 Prozent, die restlichen 60 Prozent gehören Mutter Gerda Korp) das 1883 von ihrem Urgroßvater Adolf Friebe gegründete Unternehmen. Als Christine vor mehr als 10 Jahren den Betrieb übernommen hat, steuerte das Musikgeschäft noch fast ein Drittel zum Gesamtumsatz bei, heute ist es noch einmal um mehr als die Hälfte weniger und auf unter 300.000 Euro abgerutscht. Christine Dressler-Korp: »Es ist nicht unwirtschaftlich, gehört aber schon in den Bereich Liebhaberei.« Die beiden sind im Hause aufgewachsen und hängen natürlich am Geschäft.

Im Kloster
Und sie sehen keinen Grund aufzugeben, denn den Löwenanteil des Gesamtumsatzes machen sie seit jeher in der erwähnten Elektrobranche, wobei Installation und Planung auf zwei GmbHs und die restlichen zwei Stockwerke des ehemaligen Klosters verteilt sind. Auch heute noch erkennt der aufmerksame Beobachter die ursprünglich einzeln abgetrennten Zellen der Augustiner-Eremiten und später der Jesuiten in den oberen Geschäftsräumlichkeiten. Für die Kunden eine kontemplative Oase der Entspannung und Entschleunigung, wenn sie Platten und CDs durchforsten und in aller Ruhe anhören. Als gelernte Betriebswirtin weiß Christine Dressler-Korp den Laden zu lenken: »Vor fünf Jahren hatten wir noch fünf Mitarbeiter im Musikgeschäft, heute sind es zweieinhalb.« Zwei Fachkräfte sorgen für die fachliche Beratung, der halbe Mitarbeiter ist ein Lehrling, der zur anderen Hälfte anderweitig eingesetzt und ausgebildet wird. Und da gibt es mehrere Möglichkeiten in einem Betrieb, der auf mehreren Standbeinen steht.

23 Mitarbeiter
Allein die Friebe GmbH hat 19 Mitarbeiter, wovon die meisten im Elektroinstallationsbetrieb tätig sind. Hier wird für einen Umsatz von 1,5 bis 1,8 Millionen Euro gesorgt, der vor allem Großkunden wie der Steiermärkischen Bank, dem Roten Kreuz oder den Barmherzigen Brüdern zu verdanken ist. Geschickterweise wird die Elektroplanung durch ein eigenes Planungsbüro, die zweite GmbH, erledigt. »Da machen wir eine saubere Trennung«, sind sich die Schwestern einig. Die Ausführung der Planung erfolgt in der Regel nicht durch die andere eigene Firma, denn »man könnte uns vorwerfen, dass wir ja die Kosten kennen.« Da wäre es zu einfach, Mitbewerber unterbieten zu können. Das Planungsbüro mit seinen vier Mitarbeitern – insgesamt gibt es somit 23 Mitarbeiter, davon drei Lehrlinge – hat es zu nahezu hundert Prozent mit öffentlichen Aufträgen zu tun und beschäftigt sich zu einem großen Teil mit den überaus komplexen Normen etwa im Hospitalbereich. Dabei wird ein Umsatz von 470.000 Euro erwirtschaftet.

Es ist kein Nachteil, dass Christine Dressler-Korp schon vor Jahren wegen der Konzession auch die Abendbulme nachgemacht hat; und die Unternehmerprüfung; und WKO-Obfrau des Elektro- und Einrichtungsfachhandels ist; und Ausschussmitglied der Elektroinnung; und stellvertretende Landesvorsitzende der PVA. Und es ist kein Nachteil, dass Michaela Korp das Kolleg für Tourismus und Marketing absolviert hat und Berufserfahrung in einer Bank und einem Reisebüro gesammelt hat; und es ist kein Nachteil, dass sie das Betriebswirtschaftsstudium unterbrochen hat, weil sie zum zweiten Mal Mutter geworden ist. Und es ist kein Nachteil, dass die beiden Schwestern Ideen haben und sich noch zwei Stützräder besorgt haben: Im Geschäft werden Wanderführer, Reiseführer und Straßenkarten erfolgreich angeboten (»Das geht gut!«) und seit einem Jahr ist der Friebe auch ein DHL-Shop (»Ein Standbein und Frequenzbringer.«). Das war mit »doppeltes Lottchen« gemeint. So spielt die Musik.

Musikfachgeschäft Friebe
8010 Graz, Sporgasse 21
Telefon 0316 8258000
friebe.at

Fazitportrait, Fazit 125 (August 2016) – Foto: Marija Kanizaj


* Erwin Ringel (1921–1994), legendärer Psychiater und Suizidforscher, Autor u. a. von »Die österreichische Seele«; Empfohlene Hörprobe aus gegebenem Anlass (Wahlen 2016  und 2018): Versuch einer Beschreibung der psychischen Verfassung des Österreichers anhand des Falls Karl Schranz. Vortrag; Ausschnitt: zur Massenhysterie am Heldenplatz. Wien, am 17. Jänner 1973. Auf der Webseite der Österreichischen Mediathek unter mediathek.at

 

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