Anzeige
FazitOnline

Geboren für die Industrie

| 1. August 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 125, Fazitgespräch

Foto: Marija Kanizaj

Der neue Präsident der Industriellenvereinigung Steiermark Georg Knill über die Industrie der Zukunft und unsere Verantwortung für Europa.

Das Gespräch führten Johannes Tandl und Peter K. Wagner.
Fotos von Marija Kanizaj.

::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK

Die Hartenaugasse ist einer der exklusiveren Adressen der Stadt. Zwischen Universität und Hilmteich reiht sich Villa an Villa, in einer Gegend, in der Bauherren nur allzu gerne neue, große Wohnungen errichten würden. Vor bald zwei Jahren erhielt die Hausnummer 17 in dieser Straße einen neuen Anstrich. Und nicht nur das.

Zehn Monate lange wurde generalsaniert und nach Plänen des Grazer Architekturbüros Archx umgebaut. Realisiert wurde ein modernes Headquarter für die Menschen der steirischen Industrie, wie es offiziell hieß. Denn hier, in der Hartenaugasse 17, ist der Sitz der Industriellenvereinigung Steiermark.

Warum sich das Fazit an diesem heißen Julinachmittag in das klimatisierte IV-Gebäude begibt, liegt auf der Hand. Georg Knill wurde wenige Tage zuvor einstimmig zum Nachfolger von Jochen Pildner-Steinburg gewählt. Der 43-jährige Aufsichtsratsvorsitzender der Rosendahl Nextrom GmbH und Miteigentümer der Knill-Gruppe war zuvor Vizepräsident und möchte die steirische Industrie nun noch aktiver mitgestalten. Wie ihm das in diesen schwierigen Zeiten gelingen will, erzählt er uns im ausführlichen Gespräch.

***

Herr Knill, im Büro Ihres Vorgängers Jochen Pildner-Steinburg gibt es eine alte Landkarte der steirischen Industrie. Wenn man sich diese Karte genauer anschaut, erkennt man rasch, dass es viele Unternehmen, ja sogar viele Branchen, bei uns nicht mehr gibt. Was kann man gegen dieses Industriesterben tun?
Das ist der normale Laufe der Zeit. Wenn wir heute 50 Jahre zurückblicken, hätte auch niemand gedacht, mit welchen technischen Hilfsmitteln wir unseren heutigen Alltag bestreiten und welche Unternehmen sowie Berufsfelder es mittlerweile gibt. Wir können heute keine Prognose treffen, aber unser Leben und die Industrie sind ständig im Wandel begriffen. Die Frage ist: Gestalten wir diese neue Zukunft mit oder sind wir destruktiv und ängstlich? Ich bin für den aktiven Weg.

Sie sind Unternehmer in der zwölften Generation. Ihre Knill-Gruppe ist nur aus einem einzigen Grund auch Teil einer modernen steirischen Industrielandkarte: ebenjener Bereitschaft zum Wandel. Vom Säbelproduzenten und später Sensenschmied zum heutigen Fiberglaskabel- und -Schaltkastenproduzenten. Gibt es in Ihrer Familie ein Innovationsgen?
Die Schwerter und Sensen gibt es auch noch bei uns. Aber nur mehr im Werksmuseum (lacht). Nein, im Ernst: Zwölf Generationen Glück wird zu wenig sein. Wir dürften Dinge immer wieder rechtzeitig erkannt haben. Jede Generation hatte für sich Herausforderungen zu bewältigen, aber es gibt keine Garantie für weitere Generationen. Ich muss mein Unternehmen erfolgreich weiterführen. Ich bin Neuem gegenüber offen und habe das Bewusstsein, dass Veränderung passieren muss.

Was, glauben Sie, wird die Knill-Gruppe in zwanzig Jahren produzieren?
Das weiß ich noch nicht. Aber es wird etwas anderes sein. Das ist genau das, was ich meinen Mitarbeitern sage: Es hat keinen Sinn, heute auf ein Pferd zu setzen, das in zehn Jahren gar nicht mehr im Rennen ist.

Hat die Knill-Gruppe eine Innovationsabteilung für diese Zwecke?
Innovation passiert auf vielen Ebenen. Natürlich haben wir interne Zielsetzungen. Etwa 30 Prozent Umsatz mit neuen Produkten, die jünger sind als drei Jahre. Gerade im Maschinenbaubereich ist das der Vorteil, den wir gegenüber chinesischen Produzenten haben und auch brauchen. Wir können heute vor allem durch Innovation am Weltmarkt reüssieren. Denn es dauert nur etwa zwei Jahre, bis mein Produkt kopiert wird. Für uns bedeutet Innovation, diese paar Schritte voraus zu sein.

Wir wissen, dass Sie der Digitalisierung sehr optimistisch entgegenblicken. Andere fürchten, dass die meisten sich wiederholenden Tätigkeiten wegrationalisiert werden.
Immer wieder gab es in der Vergangenheit die Befürchtung, dass Erfindungen die Arbeit weniger machen würden, in Wirklichkeit waren es aber Evolutionsschritte, die die Arbeit erleichtert haben. Es haben sich neue Berufsbilder und neue Arbeitsstellen entwickelt. Dieselbe Veränderung sehe ich mit dem digitalen Wandel. Natürlich wird es den einen oder anderen Beruf nicht mehr geben, aber dafür wird es neue Arbeitsbereiche geben.

Der CEO der Knapp AG, Gerald Hofer, sieht es noch extremer: Er ist der Meinung, dass die Industrie 4.0 dazu führen wird, dass Europa sich vorangegangene Industrien großflächig zurückholen wird. Sehen Sie das auch so?
Wir haben Gott sei Dank noch eine ganz starke industrielle Basis in der Steiermark mit Weltmarktführern in vielen Bereichen. Es wird darauf ankommen, in diesen Branchen auch die Digitalisierung miteinfließen zu lassen. Es wird auf die Fähigkeit ankommen, Hardware und Software zu verbinden. Dass wir die Schuh- oder Textilindustrie im großen Stil nach Europa zurückbringen, würde ich aus heutiger Sicht bezweifeln. Aber die Zukunft heißt Individualisierung. Und wer weiß, was passiert, wenn wir uns tatsächlich auf »Losgröße eins« einlassen. Das heißt, dass dann nur ein Paar Schuhe, in der in der exakt richtigen Schuhgröße und richtigen Farbe für genau einen Kunden vor Ort gefertigt und geliefert wird.

Der Standort Steiermark hat große Probleme. Sie haben bei Ihrer Antrittsrede als IV-Präsident angeregt, dass Österreich eher auf Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen setzen sollte, und dabei auf Finnland verwiesen. War das ernst gemeint?
Ich habe darauf hingewiesen, welche Antworten wir geben können. Und wir benötigen Antworten auf die höchste Arbeitslosigkeit, auf ein schwaches Wachstum und auf öffentliche Budgets, die nicht halten. Österreich und Finnland haben dieselbe Ausgangssituation. In Finnland haben Gewerkschaften und Regierung zusammen beschlossen, Arbeitszeiten zu verlängern und entsprechende Einschnitte in Sozial- und Pensionssystem vorzunehmen, um denselben Problemen Herr zu werden. Ich will keinen Weg vorgeben, ich zeige nur auf, dass es auch gänzlich andere Lösungsansätze gibt.

Wenn die Gewerkschaften in die Öffentlichkeit gehen, wird immer noch das Bild der bösen Unternehmen gezeichnet. Ergibt die Sozialpartnerschaft mit jemanden, der offenbar immer ein Feindbild zur Hand haben muss, überhaupt noch Sinn?
Für mich ist die Sozialpartnerschaft nach wie vor extrem wichtig, weil sie für den Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sorgt. Dort, wo Arbeitgeber und Arbeitnehmer direkt aufeinander treffen, passiert genau das – nämlich direkt in den Unternehmen. Je weiter es in der Sozialpartnerschaft nach oben geht, desto schwieriger wird es. An der Spitze sind die Gewerkschaften so politisch, dass sie dort meiner Meinung nach nicht mehr die Interessen ihrer Mitglieder vertreten. Das weiß ich auch von Gesprächen mit meinen Mitarbeitern. Diese Entwicklung muss aufgehalten werden. Wenn ich mit meinen Mitarbeitern rede, höre ich, dass sie bereit sind, Überstunden zu machen. Die Gewerkschaft sagt aber das Gegenteil. Sie vertreten also nicht mehr die Interessen ihrer Klientel, sondern Eigeninteressen.

Nun gibt es einen neuen Bundeskanzler, der an seinem ersten SPÖ-Parteitag davon sprach, dass die menschliche Arbeitskraft steuerlich entlastet werden soll, indem im Gegenzug eine Wertschöpfungsabgabe in Form einer Maschinensteuer eingeführt wird. Was hätte das für Auswirkungen?
Das wäre fatal. Es würde den Wirtschaftsstandort Österreich noch unattraktiver machen. Wir haben eine der höchsten Abgabenquoten in Europa. Wenn ein Bundeskanzler laut über weitere Einnahmeprogramme nachdenkt und damit im Grunde Gewerkschaftsprogramme aufgreift, dann schlage ich vor, doch zuerst an die Einsparungspotenziale zu denken. Allein in den von Kern angesprochenen, nicht mehr finanzierbaren Sozialsystemen gibt es vielfache Doppelgleisigkeiten, die man vorher optimieren sollte. Das wäre der richtige Startschuss, um die Verunsicherung am Investitionsstandort Österreich zu lösen.

Die Arbeitslosigkeit steigt, aber dennoch gibt es immer weniger Facharbeiter. Wie können Bildungsferne die »Chance Bildung« erkennen, oder muss man verpflichtender werden als Gesellschaft?
Es ist in der Tat fürchterlich, die höchste Arbeitslosigkeit zu haben, während andererseits der höchste Beschäftigungsstand zu verzeichnen ist. Wir produzieren aus dem Bildungsbereich Arbeitslosigkeit, weil für zu viele Menschen nach der Pflichtschule in Sachen Bildung Schluss ist. Wir brauchen eine gute Kombination aus Anreizsystemen, aber auch Pflichten, um Bildungsferne zu motivieren. Unser Bildungssystem ist eines der teuersten in Europa, aber der Output kann mit den hohen Kosten nicht mithalten.

Es gibt viele Migranten im Land, die nicht für den Arbeitsmarkt qualifiziert sind. Wie soll man damit umgehen?
Dass es sich hier nicht um den qualifizierten Zuzug im Sinne der Rot-Weiß-Rot-Card handelte, war uns bewusst. Die Frage wird sein, auf welchem Level wir diese Menschen integrieren können. Es wird die größte kulturelle und gesellschaftliche Herausforderung in Europa.

Welche Verantwortungen sehen Sie in diesem Zusammenhang als Unternehmer?
Die größte Sozialleistung, die ein Unternehmer heutzutage anbieten kann, ist, einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Und das ist gleichzeitig die beste Möglichkeit, jemanden zu integrieren. Die Arbeit ist neben der Familie Lebensmittelpunkt. Ein Ort, an dem man sich verwirklichen kann und Freunde findet.

Foto: Marija Kanizaj

In Finnland gibt es eine Pilotregion, die es mit einem bedingungslosen Grundeinkommen versucht. Alles, was sich die Bürger erarbeiten, erhalten sie zusätzlich. Dadurch soll sich auch die Annahme von Billigjobs für die Arbeitnehmer lohnen. Wäre das ein Modell für Österreich, um über einen Niedriglohnbereich die Arbeitslosigkeit einzudämmen?
Das widerstrebt meinem Grundverständnis von Leistungsbewusstsein und würde ich deshalb nicht gutheißen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen fällt für mich unter Sozialromantik.

Die Europäische Union wird aktuell vom Brexit geschüttelt. Hat das auch Auswirkungen auf Ihr Unternehmen?
Es tut weh, zu sehen, wie in Großbritannien der Wähler getäuscht wurde. Aus europäischer Sicht ist es ein Aufruf, die EU zu verbessern und zu verändern. Aber nicht in 28 Kleinstaaten, sondern in einem Ausbau und eine Stärkung der europäischen Idee. Wir als Knill-Grupp werden weiter mit unserem Betrieb im britischen Markt tätig sein, und was konkret passiert, wird die Zukunft weisen. Bis die Scheidung vollzogen ist, wird es einige Jahre dauern.

Sie sind für mehr Europa, aber scheinbar stirbt Europa gerade.
Für mich ist es schon eine Kunst, wenn sich 28 – oder bald 27 – Staaten, auf etwas einigen können – und das ist in der Vergangenheit oft genug passiert. Mir wurde erst unlängst in einem Gespräch mit meiner Tochter bewusst, dass die EU auch 70 Jahre Friedensgeschichte bedeutet. Als sie nämlich vom Brexit hörte, fragte sie, ob nun wieder Waffen zum Einsatz kommen. Ich fragte sie, wie sie darauf komme. Und sie antwortete, dass sich dieses Land doch wieder von uns abspalten wolle und dafür Waffen benötige. In einer Welt voller Krieg ist die europäische Friedensgeschichte eines unsere größten Güter. Das ist eine große Verantwortung und wir müssen alles dafür tun, dass das Projekt eines gemeinsamen Europas wieder gestärkt wird.

Welche Verantwortung sehen Sie da durch Ihre Tätigkeit als Präsident der IV-Steiermark?
Wir sind gesellschaftspolitisch verantwortlich, mitzugestalten. Mein Urgroßvater war Bürgermeister von Weiz und auch die meisten anderen Vorfahren hatten öffentliche Funktionen. Das liegt bei uns vielleicht im Blut. Verantwortung kann man auch in der Funktion als IV-Präsident wahrnehmen. Man kann gestalten und darum geht es mir.

Die Industriellenvereinigung versucht, das Image der Industrie ständig zu verbessern. Es gibt allerdings noch immer Menschen, die in der Industrie einen umweltschädlichen Moloch sehen.
Fakt ist, dass wir das Leben des Menschen massiv verbessert haben. Im Arbeitsalltag und im Umfeld. Das Image ist besser geworden, weil immer mehr Leute erkennen, dass das negative Bild nicht der Wahrheit entspricht. Das bestätigen auch jüngste Umfragen.

Unternehmen mit einem Energiekostenanteil von über 20 Prozent haben zunehmend große Probleme, sich den Standort Österreich zu leisten. Sogar die Voestalpine überlegt, ob sie ihre Hochöfen weiterhin in dieser Form in Österreich betreiben soll. Gleichzeitig haben sich die Staaten verpflichtet, Klimaziele einzuhalten. Wie soll Österreich mit dieser Situation umgehen?
Klimapolitik ist für mich ein globales Thema. Wenn Europa sich ohne Einbindung der Big Player USA, China und Indien einseitig verpflichten will, liegen wir völlig falsch. Das dann auch noch auf Österreich herunter zu brechen, ist völliger Schwachsinn. Die Luft macht nicht an unseren Landesgrenzen Halt. Zusätzlich ist Europa bekanntlich Weltmeister in der Energieeffizienz.

Ihr Vorgänger Jochen Pildner-Steinburg machte sich selbst zum Reibebaum der Politik, indem er sehr provokante Positionen eingenommen hat. Wird das auch Ihr Weg?
Ihm ging es nicht um Provokation, sondern es war ein Instrument, das dazu führte, dass Bewegung ins Land kommt. Ich werde mich auch für die Sache, den Diskurs und die beste Umsetzung stark machen.

TTIP wäre für die Industrie ein guter Start. Oder ist das Freihandelsabkommen schon gescheitert?
Es ist interessant, dass man schon vom Scheitern spricht, wenn der Entwurf noch nicht einmal am Tisch liegt. Es laufen höchste Anstrengungen, dass diese Vereinbarung noch zustande kommt. Die öffentliche Meinung ist ganz bewusst einseitig geprägt worden. Und zwar von einem großen Handelsunternehmen und einer Tageszeitung. Fakt ist, dass wir in der Steiermark die zweitmeisten Handelsbeziehungen nach Deutschland mit den USA pflegen. Jedes gescheiterte Abkommen wie TTIP oder jede daraus unter Umständen abgeleitete Form von Handelsbarriere verschlechtert unsere Position und gefährdet Arbeitsplätze bei uns. Leider wurden viele Halbwahrheiten erzählt. Es wurden bereits zig Handelsabkommen unterschrieben – oft wusste die Öffentlichkeit nicht einmal etwas davon. Aber alle Abkommen haben seit Jahrhunderten den Handel und damit unser Leben verbessert. Handel war und ist Wohlstandsbringer.

Herr Knill, vielen Dank für das Gespräch!

***

Georg Knill wurde am 2. Jänner 1973 geboren. Bereits mit zwölf Jahren erledigte er seine Hausaufgaben am Schreibtisch seines Vaters. Nach Abschluss der HTL für Maschinenbau und Betriebstechnik in Weiz stieg er über ein Trainee-Programm mit Auslandsaufenthalten in der Schweiz, Großbritannien, Frankreich und Deutschland die Karriereleiter im Familienunternehmen nach oben. Er führt die Knill-Gruppe heute in zwölfter Generation zusammen mit seinem Bruder Christian. Georg Knill ist verheiratet und hat zwei Töchter.

***

Die steirische Industrie in Zahlen
Die steirische Industrie beschäftigt 109.500 Menschen und sorgt damit für jeden fünften Arbeitsplatz des Bundeslandes. Die Bruttowertschöpfung liegt bei 37,7 Milliarden Euro. Die wichtigsten Exportmärkte sind Deutschland (5,47 Milliarden Euro), die USA (1,49 Milliarden Euro), Italien (1,38 Milliarden Euro) und China (1,16 Milliarden Euro).

Die IV Steiermark
Die 1862 als Verein der Industriellen begründet, unterhält die Industriellenvereinigung als Interessensvertretung Dependancen in allen Bundesländern. Die steirische Organisation hat in ihrem Organisationsleitbild manifestiert, dass sie »allen Menschen in der Steiermark eine nachhaltig gute Qualität des Lebens« sichern wolle. Seit Anfang Juli will Georg Knill als neuer Präsident der IV Steiermark dafür Sorge tragen, flankiert wird er von seinen Stellvertretern Franz Kainersdorfer (Voestalpine) und Franz Mayr-Melnhof-Saurau (Forstbetrieb Mayr-Melhnof). iv-steiermark.at

Fazitgespräch, Fazit 125 (August 2016), Fotos: Marija Kanizaj

Kommentare

Antworten