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Politicks August 2016

| 1. August 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 125, Politicks

Die Landesregierung tagte in Brüssel
Mit ihrer Regierungssitzung im Steiermarkbüro in Brüssel gab die Steirische Landesregierung ein klares Bekenntnis zur weiteren europäischen Integration ab. Auch jene Regierungsmitglieder, die in ihrer Arbeit zwar täglich mit der Umsetzung von EU-Richtlinien konfrontiert sind, sonst aber mit der Europäischen Union nicht besonders viel zu tun haben, weil die Europaagenden ja bei Europalandesrat Christian Buchmann gebündelt sind, sollten die Gelegenheit erhalten, die EU-Institutionen besser kennenzulernen.

Und obwohl Brüssel in der Woche nach dem Brexit-Votum in heller Aufregung war und der Rat der Staats- und Regierungschefs tagte, hielten die vom Leiter des Steiermarkbüros, Ronald Rödl, eingefädelten Termine mit Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker sowie den EU-Kommissaren Günther Öttinger und Johannes Hahn. Außerdem bot sich die Gelegenheit zur Diskussion mit den Leitern der EU-Parlamentsdelegation von ÖVP und SPÖ, Othmar Karas und Eyelyn Regner.

Für den steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer ist die EU ein beispielloses Friedensprojekt, das nun im 21. Jahrhundert ein Projekt für den sozialen Frieden werden solle. In der Steiermark seien seit dem EU-Beitritt 70.000 neue Arbeitsplätze entstanden, 50.000 davon in direktem Zusammenhang mit dem Beitritt. Die Vertretung steirischer Interessen habe nicht nur in der Steiermark und in Wien, sondern selbstverständlich auch in Brüssel zu geschehen. Sein Stellvertreter Michael Schickhofer, er ist auch stellvertretendes Mitglied im Ausschuss der Regionen, fordert von Brüssel seit Längerem eine andere Bewertung von öffentlichen Investitionen. Diese dürften nicht länger mit anderen regelmäßigen Aufwendungen, etwa Personalkosten, gleichgesetzt werden. Stattdessen sollte den Ländern, Städten und Gemeinden die Möglichkeit geboten werden, öffentliche Investitionen über die Nutzungsdauer anzusetzen und nur mit dem Abschreibungsbetrag zu budgetieren. Im Zeitalter von Stabilisierungskriterien und Schuldenbremsen würde eine vollständige Budgetierung im Anschaffungsjahr nämlich nur dazu führen, dass sich Gebietskörperschaften Investitionen zur Schaffung nachhaltiger Wachstumsgrundlagen nicht mehr leisten können.

Für Christian Buchman stand die Verabschiedung der steirischen Europastrategie im Mittelpunkt dieser Brüsseler Regierungssitzung. Buchmann sieht die EU pragmatisch; als einen immer wichtiger werdenden Partner, den man zur Umsetzung regionaler Interessen benötigt und den man genau kennen muss, um mit ihm umgehen zu können. In der Europastrategie definiert er daher folgende Ziele: die Wahrnehmung der steirischen Interessen in der EU, die Vermittlung von EU-Kompetenz, den Ausbau der internationalen Kontakte, die Stärkung des Europa-Bewusstseins sowie die Schaffung eines Bewusstseins für mehr regionale und globale Gerechtigkeit.

Juncker entpuppt sich als Steiermark-Freund
Am Rande der Regierungssitzung besuchten Hermann Schützenhöfer, Michael Schickhofer und Christian Buchmann auch Jean-Claude Juncker. Während der EU-Kommissionspräsident das Gespräch anfangs vor allem dazu nützen wollte, um mit seinem »Freund Hermann« in gemeinsamen Erinnerungen zu schwelgen, brachte Schützenhöfer die Diskussion auf die Ratifizierung des Freihandelsabkommens CETA. Juncker hatte ja am Vortag auf Nachfragen zu Vorwürfen von Bundeskanzler Christian Kern, wonach das EU-Kanada-Handelsabkommen ohne Mitsprache der nationalen Parlamente durchgewunken werden solle, mit den Worten »Hören Sie mit dem österreichischen Klamauk auf!« reagiert.

Juncker fühlte sich von Kern offenbar bewusst falsch interpretiert und stellte in einem Statement für die mitgereisten steirischen Journalisten klar, dass er ebenfalls für die Einbindung der nationalen Parlamente in die CETA-Beschlussfassung sei. Juncker kündigte außerdem einen Besuch in der Steiermark an und stellte eine EU-Mitfinanzierung des Breitbandausbaus aus Mitteln des »Juncker-Plans« in Aussicht. Er wolle die Position der Steiermark als Vorreiter bei Forschung und Entwicklung weiter stärken, so Juncker.

Muss Seiersberg wirklich zusperren?
Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, das Einkaufszentrum in Seiersberg Mitte Jänner 2017 zu schließen, falls das Land die rechtswidrigen Verordnungen des Seiersberger Gemeinderates nicht saniert, war ein Paukenschlag. Die Gemeinde Seiersberg hat diese »Mega Shopping Mall« nämlich als Ansammlung mehrerer kleinerer Einkaufszentren, die zwar mit atypischen Verbindungswegen und -brücken – sogenannten Interessentenwegen – miteinander verbunden seien, genehmigt. Der Verfassungsgerichtshof wurde nun, nach mehreren Jahren, auf Initiative der Volksanwaltschaft tätig. Und obwohl allen dort Einkaufenden klar ist, dass es sich dabei um ein einziges Einkaufszentrum und nicht um fünf kleine, nebeneinanderliegende Zentren handelt, hat wohl nur der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl dran geglaubt, dass Seiersberg auf den Boden der Rechtsstaatlichkeit zurückgeholt wird. Schon vor mehreren Jahren bewertete er die Auslegung der Raumordnungsgesetze durch die Gemeinde mit den Worten. »Ich glaube, wir werden noch erleben, dass dort wieder Kukuruz angebaut wird.« Der Wildwuchs an Einkaufszentren schwächt vor allem die Innenstädte. Wegen des enormen Kaufkraftabflusses sehen sich die Geschäftsbetreiber nicht mehr in der Lage, die teuren Innenstadtmieten aufzubringen. Verödende Innenstädte, in denen den Hausbesitzern das Geld für erforderliche Sanierungen fehlt, sind die Folge.

Die Einkaufszentrenbetreiber und die Gemeinde Seiersberg hoffen nun darauf, dass das Land eine Einzelstandortverordnung erlässt. Zuständig ist Raumordnungslandesrat Anton Lang.
Doch der stellte unmittelbar nach Bekanntwerden des VfGH-Erkenntnisses klar, dass vor der Erlassung einer solchen Verordnung ein umfassendes Verfahren durchzuführen ist. Darin müsse von Sachverständigen und Juristen genau geprüft werden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben seien oder nicht.

Dabei ist auch die Funktionsfähigkeit zentraler Orte sowie des Verkehrsaufkommens zu berücksichtigen. Für eine Einzelstandortverordnung müssen sämtliche gesetzlichen Anforderungen und Bestimmungen erfüllt werden. Die Gemeinde Seiersberg-Pirka hat bereits Ende Mai einen Antrag auf Erlassung einer solchen Einzelstandortverordnung gestellt. Von Fazit befragte Juristen sind überzeugt, dass eine solche Verordnung wohl nur dann möglich sei, wenn eine Situation erreicht werde, die auch vor dem VfGH Bestand hat. Denn unabhängig, ob das Land eine Verordnung erlässt oder nicht: Es ist wohl auf jeden Fall damit zu rechnen, dass die Angelegenheit weiterhin die Gerichte beschäftigen wird.

Präsidentschaftswahl: Hat Hofer nun tatsächlich die besseren Chancen?
Fazit sah die Wiederholung der Bundespräsidentenwahl bereits in der letzten Ausgabe – also noch vor Bekanntwerden der Höchstgerichtsentscheidung – als gegeben an. Dieser Einschätzung lag eine Bewertung durch den Grazer Verfassungsrechtler Klaus Poier zugrunde. Für Poier war nämlich klar, dass nur eine massive Abkehr von der bisherigen Spruchpraxis zur Ablehnung der Anfechtung hätte führen können.

Inzwischen wurde der 2. Oktober als Termin für die neuerliche Stichwahl festgesetzt. Bisher haben die österreichischen Wähler denjenigen, der – aus ihrer Sicht – unnötige Wahlen vom Zaun brach, jedes Mal bestraft. Daher sollte eigentlich alles klar sein für Alexander van der Bellen. Doch die Umfragen weisen schon wieder auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hin. Gallup sah bei einer 600er-Stichprobe Norbert Hofer zuletzt sogar mit 51:49 Prozent leicht vorne.

Die FPÖ-Wahlstrategen müssen, um diesmal gewinnen zu können, mit Norbert Hofer in den großen Städten besser abschneiden als beim letzten Mal. Außerdem müssen sie jene Wähler, die aus dem Lager der Nichtwähler auf die Seite Hofers gewechselt sind, abermals an die Urnen bringen.

Das Van-der-Bellen-Team weiß wiederum genau, dass ihrem Kandidaten jeder Übergriff durch einen Flüchtling oder jeder von Moslems irgendwo in Europa verübte Terroranschlag schaden wird. Auch die Reaktion der österreichischen Erdogan-Anhänger auf den gescheiterten Putsch in der Türkei ist zur Belastung für den grünen Kandidaten geworden. Denn Van der Bellen wurde vor allem deshalb gewählt, weil er im Gegensatz zu Hofer für ein migrationsfreundliches, weltoffenes Österreich steht – für eine Gesellschaft, die den Zuwanderern auch die Möglichkeit einräumt, ihre eigene Kultur mitzubringen. Dass viele österreichische Türken darunter anscheinend das Recht verstehen, die menschenrechtswidrigen Säuberungen in ihrer ursprünglichen Heimat auf den österreichischen Straßen zu bejubeln, schadet Van der Bellen nun. Dazu kommt, dass der Wahltermin für Norbert Hofer womöglich günstiger ist als für Van der Bellen. Denn Anfang Oktober, knapp nach Semesterbeginn, ist es schwieriger, grünaffine Studenten zum Wählengehen zu motivieren als Ende Mai, mitten in der Prüfungszeit.

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Politicks, Fazit 125 (August 2016)

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