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Alles im Wunderland

| 23. September 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 126, Fazitportrait

Foto: Marija Kanizaj

Alles für den Haushalt lautet das Motto des Grazer Familienunternehmens Rauch. Mit sagenhaften 13.000 verschiedenen Artikeln auf 100 Quadratmetern erfüllt es dieses Versprechen mit märchenhafter Gewissheit. Eine Geschichte über die Reise mit Rührboy, Rexgummi und der Flotten Lotte in die Welt von Haushalt und Küche.

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Es war einmal eine Glühbirnenhandlung. Ja, so beginnen Märchen, und in gewisser Weise ist die Geschichte der Firma Rauch (»Alles für den Haushalt«) tatsächlich märchenhaft und der Name des Märchens könnte zum Beispiel lauten: »Alles im Wunderland«. Das hat neben 700 speziellen, aber später zu erläuternden Gründen, im Wesentlichen vier. Erstens, eine unklare, sich im Laufe der Jahrzehnte sogar leicht ändernde Adresse, weshalb man meinen könnte, der Zugang zum Wunderland wäre schwer zu finden – ist er aber gar nicht. Die meisten – und das sind viele, so bekannt ist der Laden – würden sagen, der Rauch ist am Dietrichsteinplatz. Was geografisch stimmt, adresstechnisch aber nicht. Er ist in der Grazbachgasse 5, obwohl das Kaffeehaus Binder daneben die Adresse Dietrichsteinplatz 13 führt. Des Rätsels Lösung: Früher gab es den Dietrichsteinplatz nicht, da hieß es hier durchgehend Grazbachgasse, wodurch es heute keine Gassennummern 1 bis 4 mehr gibt. Märchenhaft verwirrend ist auch der Umstand, dass das ursprüngliche Geschäft, die Glühbirnenhandlung von Firmengründer Albert Rauch, sich auf der anderen Strassenseite befand und die Adresse Grazbachgasse 4 trug, während das sich heute dort erhebende Hochhaus, erraten, am Dietrichsteinplatz 14 wohnt. Irgendwo muß man ja die Grenzen ziehen. (»Ich weiß wo dein Haus wohnt« ist eine Art Märchen von Kabarettist Michael Mittermeier.) 1947, zwei Jahre nach dem Krieg, als Mangel an allem herrschte, mit Glühbirnen (»Hellux«) zu handeln, erwies sich als gute Geschäftsidee und Basis für das Heute.

Gegen die Amazonisierung
Daraus ergibt sich der zweite Grund, der für ein Märchen spricht: Der kleine, aber feine Laden wird bereits in dritter Generation geführt, was in Zeiten der Amazonisierung an ein Wunder grenzt. Als der Firmengründer an seinen Sohn Peter Rauch (Jahrgang 1945) im Jahr 1971 übergibt, hat sich das Warenangebot seit mehr als einem Jahrzehnt geradezu explosionsartig vervielfacht. Die damals noch real existierende Hausfrau wußte: Der Rauch ist ein Fachgeschäft für Küche und Haushalt mit einer riesigen Auswahl. Die nächsten vier Jahrzehnte sorgten Peter Rauch und seine Frau Margarete dafür, dass das Angebot sich am wichtigsten aller Parameter orientierte, dem Wunsch der Kunden. Deshalb finden sich hier auch Nischenprodukte, die anderswo schon längst wegrationalisiert sind. Seit 2011 ist mit Tochter Monika und Sohn Manfred die nächste Generation am Ruder. Wie in echten Familienbetrieben üblich, sind die Senioren aber nach wie vor teilzeitmäßig in den Betrieb integriert.

Der dritter Grund hat geradezu alttestamentarische Ausmaße, denkt man an den David-Goliath-Vergleich. Ein Familienbetrieb behauptet sich insgesamt bald 70 Jahre erfolgreich auf einem Markt, der nicht zuletzt im Zuge der Globalisierung von immer mächtiger werdenden Großkonzernen bestimmt wird.

Und viertens: Das Rauch‘sche Motto »Alles für den Haushalt« ist wörtlich zu nehmen. Schon der Blick in die großzügige Auslage offenbart ein Disneyworld für Haushälter, ein Schlaraffenland für jene, die schon lange nach den richtigen Gerätschaften und Mitteln suchen, aber bereits alle Hoffung auf Erfolg fahren ließen.

Ein freies Unikum
Ein Geschäft kann das Gegenteil von Internet sein. Gefühlt hat Rauch tatsächlich alles – und zwar analog: anfassen, ausprobieren, abwiegen, abwägen und abtransportieren. Eine Kaffetasse? Es gibt 100 verschiedene. Oder 30 Pfeffermühlen. Oder 200 Backformen. Vom scheinbar aussterbenden Espressokocher, jenem einfachen Gerät, das direkt auf die Herdplatte gestellt wird, sind alle fünf Größen vorrätig, samt Zubehör, wie etwa Dichtringe zum Austauschen. Fünf, fragt der Kaffeliebhaber sofort – sollten es nicht sechs sein? Der Einser für eine Tasse, dann der Dreier, der Sechser, der Neuner und schließlich der Zwölfer für zwölf Tassen. Aber: »Der Achter wird nicht mehr produziert«, kann Meister Rauch das Rätsel lösen. Auch daran merkt der Kunde, dass er sich in einem Fachgeschäft befindet. Schlaraffenland und Wunschkonzert zugleich: Bestellservice, Kochtopfservice, Ersatzteilbeschaffung, Messerschleifen, Gratiszustellung ab Einhunderteuroeinkauf. Es folgt der zum Scheitern verurteilte Versuch, einen Überblick über das Warenangebot dieses Unikums von einem Geschäft zu geben.

Ein Höhepunkt ist der Kürbishobel. Rauch ist wahrscheinlich das einzige Geschäft der Stadt, wo es so etwas gibt. Eine Frage, die sich dem staunenden Laien immer wieder aufdrängt (»Wer kauft so etwas?«), wird vom Fachmann postwendend beantwortet (»Am nahegelegenen Bauernmarkt, dem Kaiser-Josef-Platz, wird das immer wieder gebraucht.«). Womit auch die diesbezügliche Frage, den Krauthobel betreffend, obsolet ist. Dass es fünf verschiedene Krauthobel gibt, muss trotzdem extra erwähnt werden, denn in dieser Vielfalt, die auch die preisliche Komponente umfaßt (das Angebot an Küchenmessern reicht von 10 bis 130 Euro), liegt eines der Erfolgsgeheimnisse des Traditionsbetriebs. »Es gehört zu unserer Philosophie, dass die Dinge nicht nach Marken oder Firmennamen geordnet sind, sondern die sieben verschiedenen Knoblauchpressen hängen nebeneinander, damit der Kunde nicht die Produkte suchen muss, aber Preise und Qualität vergleichen und aussuchen kann.« Das wird in manchen Branchen von so manchem Produzenten nicht gern gesehen, entspricht aber exakt dem unternehmerischen Credo der Familie Rauch. Wenn schon selbstständig, dann aber wirklich. Und das ist eine Freiheit, die man etwa mit einer Filiale im Rahmen eines Einkaufszentrums nicht hätte. Diese Einstellung hat das Unternehmen immun gemacht gegen Avancen und Druck der Großmärkte.

Foto: Marija Kanizaj

Universum der Keksausstecher
Manche Produkte vermögen eine geradezu kindliche Faszination auszulösen, so etwa die Rouladenklammern, die Dressiernadel, der Rettichschneider, der Rührboy zum Mixen, die Flotte Lotte zum Passieren. Vielleicht alles Dinge, die man noch von Mutti kennt, aber schon lange nicht mehr gesehen hat. Auch zur Gugelhupfform, natürlich aus mehreren verschiedenen Materialien und selbstredend in allen Größen, weiß Peter Rauch einen Fachkommentar abzugeben: Die österreichische Form ist kurvenartig leicht geschwungen, während die deutsche – die es natürlich auch hier zu erwerben gibt – gerade ist. Und plötzlich tut sich ein Universum auf. Die Keksausstecher! Da sind sie, die 700 Spezialgründe, weshalb hier das ganze Jahr über Wunderland ist. Österreichweit die größte Auswahl im Einzelhandel, mit den abenteuerlichsten Motiven, die auch schon zu größeren Aufträgen von bis zu 10.000 Stück führen, so geschehen zum Beispiel als Werbegeschenk von einem Autohaus oder einem Reiseveranstalter. Rauch ist auch im Großhandelsgeschäft verankert, neuestes Projekt ist der Auftrag der Stadt Graz, zwei neue Pflegeheime haushalts- und küchentechnisch zu versorgen.

Das Naturmaterial Holz ist hier erstaunlich oft vertreten, vom klassischen Nudelwalker, selbstverständlich in verschiedenen Größen, über die erwähnten Gemüsehobel und diverse »Sprudler« und Kochlöffel bis zu Brotdosen. Angesichts der amtsseitigen hygienepolitischen Probleme für den größten Bioladen Österreichs (Plastik statt Holz für Schneidbretter; siehe Fazitportrait des Bioladens Matzer, Ausgabe 108/2014), ein Thema? Nicht wirklich, aber Monika Simon, Manfred Rauchs Schwester, stellt fest: »Es gibt schon klar erkennbare Trends. Selber kochen ist wieder wichtiger geworden, viele Junge machen das vermehrt und sind bei uns Kunden. Und gerade die haben ein hohes Gesundheitsbewußtsein und fragen sehr genau nach, ob da etwa Aluminium oder was immer dabei ist.« Da sie im Geschäft gelernt hat, steht sie auch schon seit mehr als 30 Jahren an der Kundenfront und weiß, wovon sie spricht. So konstatiert sie auch, dass Kochen zum Geschenk geworden ist. Selbsteingekochte Marmelade, Säfte oder Torten und Kuchen als Mitbringsel haben einst auch hier angebotene Zinnbecher oder dekorative Kupferutensilien für die Wand oder zum Hinstellen längst abgelöst. »Niemand will mehr etwas zum Abstauben herumstehen haben.« Apropos Staub; hier gibt es auch noch Teppichklopfer, erfreulicherweise ebenfalls aus Naturmaterial (ein Praka 9,50). Oder Büffelglanz als Bodenpflegemittel (7,90 die Dose), Korken (!), Gummihandschuhe, Müllbeutel, Leitern stehen neben Römertöpfen, Zitrus- und Granatapfelpressen neben Thermoskannen, Siebe, Einweckgläser und Reiben neben Lebensmittelfarben in verschiedenen Konsistenzen, der asiatische Wok steht neben der nordafrikanischen Tajin, Kleineisenwaren (Schrauben & Co), Bügeltische (natürlich mit Bezügen in sämtlichen Größen), Keksdosen (50 verschiedene), Elektrogeräte (wie Toaster, Waffeleisen oder Filterkaffemaschinen) – alles eben. Und wenn beim Alles etwas nicht dabei ist, wird bestellt. Der Rauch weiß schon wo. Die Zahl seiner Lieferanten ist dreistellig. Und sie liefern gern, denn bei Rauch wird auch verkauft. »Denn beim Preis kommen wir, außer natürlich bei Spezial- und Massenaktionen, mit den Großen mit«, darf im Hause Rauch behauptet werden..

Nummer 1 bei Kelomat
Die emaillierten Töpfe und Pfannen des alteingesessenen österreichischen Produzenten Riess gelten nach wie vor als unübertroffen hochwertig und haben gegenüber den robusten Edelstahltöpfen einen nicht allen bekannten Vorteil. Rauch: »Säurehaltige Lebensmittel soll man nicht in Edelstahl aufbewahren, weil sich Chrom und Nickel lösen können.« Zum Glück gibt es sie noch, die guten alten Dinge. Noch dazu in einem Geschäft, wie es uns zumindest aus alten Filmen der 1960er Jahre vor Augen ist – vintagemäßig wie auch praktisch also am Puls der Zeit. Der studierte Betriebswirt Manfred Rauch drückt das helle Leuchten des Fachgeschäfts im graubunten Meer der Multis so aus: »Umsatzmäßig sind wir bei Kelomat (Anm.: gehört zu Riess) die Nummer 1 in Graz und die Nummer 2 in der Steiermark.« Das Unternehmen mit acht Mitarbeitern hat auch einen, auf Backutenslien spezialisierten Onlineshop, der rund 20 Prozent zum Gesamtumsatz beisteuert (backwelt.at) und es ist, soviel wurde verraten, zur doppelten Buchhaltung verpflichtet. Woraus zu schließen ist, dass der Umsatz zumindest die 700.000-Euro-Grenze überschreitet. Um wieviel, bleibt ein märchenrechtlich geschütztes Geheimnis.

Rauch. Alles für den Haushalt
8010 Graz, Grazbachgasse 5
Telefon 0316 837537
backwelt.at
rauch-online.at

Fazitportrait, Fazit 126 (Oktober 2016) – Fotos: Marija Kanizaj

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