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In neuer Rolle

| 23. September 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 126, Fazitgespräch

Foto: Lucas A. Kundigraber

Schauspieler und Neoregisseur Michael Ostrowski über sein Debüt hinter der Kamera und die Sprache seiner Filme.

Das Gespräch führten Maximilian H. Tonsern und Peter K. Wagner.
Fotos von Lucas A. Kundigraber.

::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK

Zuerst kam der Sex mit »Nacktschnecken« (2004). Dann die Drugs mit »Contact High« (2009). Und nun also Rock’n’Roll mit »Hotel Rock’n’Roll«. Dieser aktuelle Spielfilm von Michael Ostrowski ist damit Ende einer Trilogie und war – wie die beiden anderen Teile – mit ihm in der Rolle des Hauptdarstellers und Michael Glawogger am Regiestuhl geplant. Doch der preisgekrönte Regisseur und Drehbuchautor starb 2014 und Ostrowski übernahm zusammen mit Helmut Köpping die Rolle seines Freundes und Wegbegleiters.

Und ging diesen Sommer auf Tournee. Drei Wochen lang war er im August in ganz Österreich unterwegs, um Werbung für seinen Film zu machen. Heiser und angeschlagen erscheint er zu seinen beiden letzten Terminen in Graz. »Ich mach’ das Interview mit euch total gerne, aber ich frag’ mich, wie sich das ausgehen soll«, sagt er, während schon das anfangs geplante Fotoshooting von selfiewütigen Fans und schnapsfeilbietenden Kinobesitzern unterbrochen wird.

Es ging sich aus. Während an zwei Standorten gleichzeitig vor ausverkauftem Haus »Hotel Rock’n’Roll« gezeigt wird, nimmt er mit uns im Eingangsbereich des Universalmuseums Joanneum Platz.

***

Herr Ostrowski, wissen Sie, wie man Hendl nach Marschall-Tito-Art zubereitet?
Nicht mehr genau. Das habe ich einst zusammen mit Michael Glawogger gekocht, der ein Kochbuch mit Rezepten berühmter Persönlichkeiten hatte. Ich war sein Küchenjunge. Nachdem wir das Tito-Hendl gegessen hatten, mussten wir feststellen: Es gibt wirklich bessere Arten, Hendl zu machen.

Michael Glawogger war Anfang der Nullerjahre in der Jury eines Drehbuchwettbewerbs, bei dem Sie »Nacktschnecken« eingereicht haben, und gab Ihnen danach die Chance, den Film mit ihm umzusetzen. War er Ihr Förderer?
Er hat nach dem Wettbewerb gemeint, dass er das Drehbuch in die nächste Runde bekommen hätte, aber der Film nie gemacht worden wäre, selbst wenn ich gewonnen hätte. Das habe ich ihm sofort geglaubt. Er hat damals gesagt, er findet den Ansatz gut und möchte mit mir gemeinsam daran weiterschreiben. Er hat mir damals auch erzählt, was die anderen Jurymitglieder davon hielten. Unter anderem ist folgendes Zitat überliefert: »Teilweise menschenverachtende Dialoge« (lacht).

Nach »Nacktschnecken« im Jahr 2004 wurden Sie in Österreich mit Ihrer unbekümmerten Art rasch zum Star. Sie durften unter anderem die Nestroy- und die Krone-Fußballer-Gala moderieren. Jeweils auf eine sehr neuartige Weise, die viele als frech empfanden.
Ja, aber es war auch gemischt. Man muss sich etwa vorstellen, dass Peter Hörmannseder von Maschek und ich uns nach 30 Jahren ORF-Sportberichterstattung anschickten, eine Sportgala zu machen. Der damalige Chef der Bundesliga war Peter Westenthaler. Er war nicht begeistert: Wir wurden von vorne bis hinten boykottiert, wussten aber interessanterweise mit Michael Kuhn ausgerechnet die Kronen Zeitung als Verbündeten hinter uns. Die Krone-Gala haben meiner Meinung nach 200 Leute im Saal schlecht gefunden und 500 super, nur hat man Letztere nicht im Fernsehen gesehen. Das ist ja das Problem des Fernsehens, es ist immer nur ein Zerrbild.

Aber wollten Sie verstaubtes Fernsehen und den österreichischen Film mit Ihrer frechen Attitüde revolutionieren?
Ich habe nie darüber nachgedacht. Ich habe gemacht, was ich gut gefunden hab’. Es war keine bewusste Provokation. Ich habe beim »Theater im Bahnhof« immer komplett ausgehängte Moderationen gemacht, aber niemand hat sich daran gestoßen. Ich hätte nicht verstanden, warum ich das ablegen hätte sollen.

Man schreibt Ihnen dennoch immer wieder gewisse Rollen zu. Gerne werden Sie etwa gefragt, ob Sie Komiker seien. Warum muss man Sie immer fragen, wer Sie sind?
Das frage ich mich auch. (lacht) Ich habe immer unterschiedliche Dinge gemacht. Habe Englisch und Französisch unterrichtet, geschrieben, gesprochen, geschauspielert oder moderiert. Ich wollte mich nie festlegen.

Auch sonst weiß man wenig über den Michael Ostrowski abseits der Kameras. Warum reden Sie nicht über Ihr Privatleben?
Privatsphäre war mir schon wichtig, als mich noch niemand gekannt hat. Das Privatleben ist bei Schauspielern schon seit zehn oder 15 Jahren in den Mittelpunkt der Berichterstattung gerückt. Das finde ich total falsch und es geht auch wirklich niemanden etwas an.

Sie haben einmal gesagt, »Lachen kann politisch sein«. Warum äußern Sie sich so selten politisch?
Es gibt wohl mehrere Gründe dafür. Ich habe das Gefühl, dass ich mir mehr Zeit nehmen will für Dinge. Ich will nicht im tagespolitischen Geschehen eine Stellungnahme abgeben müssen. Ich reflektiere lieber und bevorzuge eine Diskussionskultur, die es bei uns aber leider kaum gibt – auch aufgrund von Facebook und Co. Ich habe außerdem das Gefühl, dass klar politisch ist, was ich tue. Ich habe »Demokratie – die Show« im Fernsehen moderiert [Anmerkung: 2012 bis 2013 auf dem österreichischen Privatsender Puls-4], die davor drei Jahre lang im »Theater im Bahnhof« zu sehen war. Ich habe den Anwalt von Alfons Mensdorff-Pouilly vor dessen Verurteilung mit seinen Machenschaften konfrontiert. Ich bin aber auch nicht immer sicher, was richtig ist. Ich bin zum Beispiel nicht für Norbert Hofer, aber glaube, mehr erreichen zu können, wenn ich das nicht andauernd kundtue. Was ist die Reaktion der Menschen, wenn auch ich Norbert Hofer verurteile? Vielleicht heißt es dann: Schon wieder die linke Kulturschickeria. Das finde ich nicht interessant. Ich finde es interessanter, anders auf die Gesellschaft einzuwirken. Einen Spirit zu verbreiten, der ganz klar politisch ist, aber bei dem ich nicht klar meine politische Farbe bekennen muss, obwohl ich sie habe.

Wie genau wirken Sie denn auf die Menschen ein?
Mein Lebensprinzip und meine Arbeit vermitteln Werte, die wenig mit der FPÖ zu tun haben. Ich habe vor kurzem in einem Interview gesagt: »Ich bin dafür, dass junge Menschen gutes Homegrown-Gras rauchen, anstatt sich hochgezüchtetes, extrem starkes Marihuana reinzuschießen. Gekifft wird sowieso.« Das ist meine Haltung. Erst vor kurzem hat die FPÖ auf Facebook eine Aussendung veröffentlicht, dass sie gegen die Legalisierung von Cannabis sei. Diese Ansichten stehen in diametralem Gegensatz zueinander.

Ihr primärer USP ist es, für Unterhaltung zu sorgen. Würden Sie manchmal gerne sinnstiftendere Arbeit verrichten?
Ich persönlich führe für mich ein sinnerfülltes Leben in allen Bereichen. Lebensgefühl zu vermitteln, kann sehr sinnstiftend sein. Ich finde es schöner, durch einen Film etwas zu sagen als durch ein politisches Statement.

Michael Glawoggers Werk war ein anderes. Er wurde für sehr globalisierungskritische Filme gefeiert.
Ja, aber wenn ich das so ergänzen darf, hat er für mich hauptsächlich nicht Globalisierungskritik gezeigt. Ich glaube, er wollte Menschen zeigen. Die Liebe zu den Leuten und zur Welt war sein Hauptantrieb. Das traue ich mich deshalb zu sagen, weil ich sehr viel mit ihm zu tun hatte und gesprochen habe. Auch ich interessiere mich für Menschen. Dafür, was sie tun, wie sie sind, was komisch ist und was eigenartig. Würde ich es anders machen wollen, wäre ich Politiker geworden. Was übrigens auch mal mit 18 oder 19 Jahren zur Debatte stand.

Bei welcher Partei?
Ich war schon eher bei den Grünen. Mein Großvater war Sozialist und 20 Jahre lang Bürgermeister. Ich habe aber erkannt, dass ich vermutlich besser Theater spielen kann als Politiker zu sein.

Foto: Lucas A. Kundigraber

Finden Sie, dass Sie ein begnadeter Schauspieler sind?
Ich muss nicht jede Frage beantworten. Nein, sagen wir so: Ich wollte gar nie Schauspieler werden. Ich bin unter anderem einer geworden. Ich werde mich selbst nicht beurteilen.

Also keine Antwort?
Finden Sie, dass Sie ein begnadeter Journalist sind?

Nein, bei weitem nicht.
Oder ich frage anders: Finden Sie, dass Sie in irgendetwas begnadet sind?

Im Tubaspielen vielleicht. Ich übe sehr wenig und komme dafür ziemlich gut mit in der Blasmusikkapelle.
(lacht) Sehen Sie, so ist es bei mir in der Schauspielerei auch.

Ihre Schauspielerei kommt gut an. Als wir Sie heute zu den Premieren begleitet haben, haben Sie unzähligen Autogramm- und Selfiewünschen nachkommen müssen.
Ich denke auch darüber nicht nach. Wenn ich jetzt 25 Jahre alt wäre, würde es mich etwas aushängen, aber ich nehme es mit Humor. Es gehört dazu und finde es aus einem Grund gut: Ich bemerke dadurch, dass die Dinge, die ich mache, wahrgenommen werden. Das ist ein großes Glück, weil es wohl bedeutet, dass ich weiter schauspielern darf.

Zehren Sie davon?
Nein, es ist eher der positive Aspekt. Alles andere wäre verlogen. Jeder Schauspieler freut sich über Aufmerksamkeit. Ich habe aber auch zehn Jahre lange im »Theater im Bahnhof« gespielt, keiner hat mich gekannt und es war auch sehr schön. Wenn es heute noch immer so wäre, würde ich es dennoch noch immer machen. Wirklich. Das macht keinen Unterschied.

Michael Glawogger hat einem Ihrer Drehbücher einst eine Chance gegeben, das keiner verfilmen wollte. Nun gibt es ein Drehbuch, das Michael Glawogger nicht realisieren konnte, das Sie aber in einem Nachruf als sein bestes Drehbuch bezeichnet haben. Der Film trägt den Titel »Vor die Hunde«. Es geht um einen jungen Menschen, der sich politisch engagiert und schließlich nach gewaltsamen Antiglobalisierungsdemos flieht, bis er im Dschungel unter Straßenhunden lebt. Werden Sie diesen Film jemals drehen?
Ich weiß nicht, ob ich es kann. Aber ich habe schon einmal darüber nachgedacht. Wahrscheinlich wäre das ein Film für Alejandro González Iñárritu, der »The Revenant« (Der Rückkehrer) drehte. Dafür muss man etwas wagen.

Was haben Sie sonst vor?
Nun drehe ich erst einmal wieder »Vier Frauen und ein Todesfall« und dann muss ich sehen, was mit diesem Film wird. Ich verspüre schon einen gewissen Druck. Es ist nicht alles immer easy-cheesy, Selfie hier, Selfie da. Wenn nach einem Monat nur 10.000 Leute im Kino waren, bin ich der Depp und das war wohl mein erster und letzter Auftritt als Regisseur.

Sie zweifeln an Ihrer Arbeit?
Nicht unbedingt zweifeln, aber ich hinterfrage, was ich tue. Weil ich selbst natürlich auch ständig hinterfragt werde. Man setzt sich in diesem Beruf die ganze Zeit dem Feedback der Öffentlichkeit aus. Das ist ganz natürlich, aber nicht super und kann schwer zu verdauen sein.

Zum Beispiel?
Ich konnte nicht nachvollziehen, warum in einer Filmrezension zu »Hotel Rock’n’Roll« stand, die Kameraarbeit sei ausbaufähig. Wir haben uns wirklich viele Gedanken gemacht, was die Form und Bilder des Films angeht. Ich finde es halt ein bisschen anmaßend, einen Kameramann wie Wolfgang Thaler, der übrigens unter anderem für den Oscar nominiert war, einfach in ein paar Zeilen runterzumachen. Wahrscheinlich wäre alles super gewesen, wenn er den Oscar tatsächlich gewonnen hätte, wie es in Österreich so oft ist.

Kann sich Michael Ostrowski über sowas dann richtig ärgern?
Ich flippe nicht aus oder springe herum wie ein Rumpelstilzchen, aber ich verstehe es einfach nicht. Der Schriftsteller Philippe Djian hat gesagt, man brauche Feinde. Seine waren die Literaturkritiker, die sein Französisch nicht mochten und ihn vernichteten. Ich finde, er ist einer der besten Autoren, und weiß, was er damit meint. Man kann ruhig Feinde haben. Und meine sind eben eher Filmkritiker, die meiner Meinung nach ziemlich unreflektierten Schwachsinn schreiben. Aber übrigens auch Rechtsnationale, die unsere Gesellschaft in eine Richtung entwickelt sehen wollen, die mir gar nicht gefällt.

Wenn man Sie während Interviews und Moderationen erlebt, hat man das Gefühl, Sie spielten sich in Ihren Filmen selbst. Ein Markenzeichen von Ihrem authentischen Ich ist Ihr steirischer Dialekt. Macht dieser den Aufstieg zum Star in Deutschland oder der Schweiz unmöglich?
Nein. Und das hat nichts damit zu tun, dass ich es nicht so sehen will. Ich habe in Kuba einen Film auf Spanisch und Deutsch gedreht – hauptsächlich eine ernste Rolle übrigens. In Kambodscha stand ich bei Detlev Buck für eine deutsch-kambodschanische Produktion vor der Kamera, die hauptsächlich auf Englisch gedreht wurde. Österreich hat ein anderes Problem: Es werden viele Dinge nicht wahrgenommen oder gezeigt.

Österreich hat im Filmbereich noch ein ganz anderes Problem. »Die Werkstürmer« mit Ihnen in der Hauptrolle war 2013 etwa der erfolgreichste österreichische Spielfilm des Jahres. Mit 43.218 Besuchern. Das klingt so, als ob sich das mit dem Filmgeschäft in Österreich nicht wirklich rechnen kann.
In Österreich hat sich noch nie ein Film finanziert, glaube ich. Wenn ich jetzt einwerfe, dass »Die Werkstürmer« 1,5 Millionen Euro gekostet hat, ist alles gesagt. Nicht einmal die Filme von Michael Haneke oder Ulrich Seidl spielen das Geld wieder ein. Nur dann, wenn ein Haneke seine Filme in 20 Länder verkauft. Das ist die Krux Österreichs mit acht Millionen Einwohnern. Wenn ich Til Schweiger bin und 3,5 Millionen Besucher in »Kokowääh 2« bekomme, geht sich das aus und es bleibt vielleicht eine Million Euro. Ich bin aber noch nie mit einem Film reich geworden. Ich bin Autor bzw. Co-Autor von »Nacktschnecken«, »Die Entführung der Elfriede Ott« und nun »Hotel Rock’n’Roll«. Ich bin dabei durchschnittlich mit etwa fünf Prozent der Nettoeinnahmen beteiligt. Damit verdiene ich im Jahr etwa 300 Euro Tantiemen.

Und wie finanziert man dann einen Film wie jüngst »Hotel Rock’n’Roll«?
Mit dem »Österreichischen Filminstitut« als Hauptsponsor, dem »Wiener Filmförderungsfonds« als zweitgrößten Geldgeber und dem ORF an Stelle drei sowie die Cinestyria. Es ist Kulturförderung. Dennoch ist man immer im Spannungsfeld zwischen Kommerz und Kunstförderung, weshalb alle wollen, dass Filme erfolgreich sind, damit man es noch einmal machen darf. Vor allem wenn man zum ersten Mal Regie führt.

Herr Ostrowski, vielen Dank für das Gespräch!

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Michael Ostrowski, geboren als Michael Stockinger am 3. Jänner 1973, wuchs in Rottenmann auf. Er studierte in den 1990er Jahren Englisch und Französisch in Graz, Oxford und New York, ehe er zufällig über das Grazer »Theater im Bahnhof« zur Schauspielerei fand. Der Durchbruch gelang ihm 2004 mit »Nacktschnecken«, wofür er auch das Drehbuch schrieb. Bei »Hotel Rock’n’Roll« führte er erstmals Regie.

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Michael Ostrowskis Regiedebüt »Hotel Rock’n’Roll« ist seit Ende August in den österreichischen Kinos zu sehen. Der Film dreht sich um die drei Hobbyrockstars Mao (Pia Hierzegger), Max (Michael Ostrowski) und Jerry (Gerald Votava), die ein hoch verschuldetes Hotel mit »betreuten Rauschreisen« wieder auf Vordermann bringen wollen. hotelrocknroll.at

Fazitgespräch, Fazit 126 (Oktober 2016), Fotos: Lucas A. Kundigraber

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