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Politicks November 2016

| 27. Oktober 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 127, Politicks

Unreformierbarer Finanzausgleich
Nichts geht mehr beim Finanzausgleich. Die Neuregelung bleibt eine unendliche Geschichte. Aus einer Reform jenes komplizierten Mechanismus, mit dem die Steuereinnahmen auf den Bund, die Länder und die Gemeinden aufgeteilt werden, wird wohl wieder nichts. Der Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz Hermann Schützenhöfer sieht kaum noch Hoffnung für eine tiefgreifende Reform und will daher einen raschen Kompromiss, der im November fertig sein soll. Erst danach sieht er die Chance auf eine Neuordnung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern. Schützenhöfer kann sich auch ein Insolvenzrecht für Bundesländer vorstellen, die vom Bund geforderte Steuerautonomie der Länder lehnt er aber ab.
Was die derzeitigen Finanzausgleichsverhandlungen so schwierig macht, ist die Vielschichtigkeit der Materie. Denn sie betrifft nicht nur die Aufteilung der Gelder, sondern auch, was damit zu geschehen hat und welche Gebietskörperschaft wofür zuständig ist. Dazu kommt, dass die Kompetenzverteilung von der Bundesverfassung, einer Vielzahl von Bundesgesetzen – viele davon unsinnigerweise im Verfassungsrang – sowie unzähligen Landesgesetzen und einer Reihe von Bund-Länder-Staatsverträgen geregelt ist. Darüber hinaus gibt es den horizontalen Finanzausgleich, in dem die Höhe der Steuergelder festgelegt ist, die jedes Bundesland pro Bürger erhält. Wegen der Gewerbesteuerabschaffung im Jahr 1994 klaffen diese Beträge beträchtlich auseinander. Die Ausfälle für die Gemeinde werden seitdem nämlich unter anderem über den Finanzausgleich abgegolten. Daher bekommen die damals wirtschaftlich stärkeren Länder mehr Geld als die schwächeren. Bei ihrer Tagung in Graz haben sich die Länderfinanzreferenten zwar auf Forderungen gegenüber dem Bund geeinigt, die horizontale Neuaufteilung der Mittel zwischen den Ländern durch eine Angleichung des Bevölkerungsschlüssels war hingegen kein Thema. Unter dem Vorsitz des steirischen Finanzreferenten Michael Schickhofer wollen die Länder vom Bund eine Abgeltung für ihre Mehraufwendungen in den Bereichen Gesundheit, Pflege und Soziales in Höhe von jährlich 500 Millionen Euro sowie die weitere Dotierung des Pflegefonds bis 2021.

Dem hält Finanzmister Hans Jörg Schelling jedoch entgegen, dass die Länder im nächsten Jahr wegen steigender Steuereinnahmen im Jahr 2017 ohnehin um 1,5 Milliarden Euro mehr erhalten werden. Deren Anteil wird auf etwa 35 Milliarden anwachsen. Das sei genügend Geld für die Länder und Gemeinden, um damit auszukommen, so Schelling. Schickhofer reagierte zudem empört auf die Forderung des Finanzministers, die Länder sollten selbst Steuern einheben. Eine Bürokratie-Lawine könne nicht das Ziel einer Reform sein, so der steirische Finanzreferent.

Graz wählt voraussichtlich Anfang 2017
Die Magistratsdirektion der Stadt Graz hat die von der »Bürgerinitiative Rettet die Mur« eingebrachte Volksbefragung über das Grazer Murkraftwerk wegen zahlreicher formaler und rechtlicher Mängel zurückgewiesen. So sei die Fragestellung unzulässig, weil sie nicht konkret auf Maßnahmen im direkten Wirkungsbereich der Stadt Graz Bezug nehme. Außerdem müssen Volksbefragungen nach dem Volksrechtegesetz schon in der Planungsphase – vor einem Verfahren – durchgeführt werden und nicht erst, nachdem alle notwendigen Beschlüsse gefasst sind. Für Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) und die Stadtsenatsmitglieder Mario Eustacchio (FPÖ) sowie Michael Ehmann (SPÖ) war klar, dass bei der Beschlussfassung im Stadtsenat der eindeutigen Empfehlung der Magistratsdirektion Folge zu leisten ist; nicht jedoch für Elke Kahr von der KPÖ und auch nicht für Lisa Rücker von den Grünen. Beide hätten sich, so Nagl, aus politischen Gründen gegen die Rechtsstaatlichkeit entschieden.

Vor allem die KPÖ sah in der abgeschmetterten Befragung einen Grund, um sich auch von der Einigung mit der VP auf ein gemeinsames Budget für 2017 zu verabschieden. Damit führt kein Weg an Neuwahlen vorbei. Obwohl die Verantwortung für die vorgezogenen Wahlen klar bei der KPÖ liegt, haben die Kommunisten nun mit einer geschickten Kampagne die Chance, die Gemeinderatswahl zu einer Abstimmung über das Kraftwerk zu machen. Damit droht den Grünen Ähnliches wie zuletzt der Grazer Sozialdemokratie – nämlich von der KPÖ abgeräumt zu werden.

Bürgermister Nagl hat übrigens bereits angekündigt, wieder als Spitzenkandidat zur Verfügung zu stehen. Derzeit hält die ÖVP bei 34 Prozent und die KPÖ bei 20 Prozent. Die SPÖ erreichte 2012 15 Prozent und die FPÖ 14 Prozent. Die Blauen lagen bei überregionalen Wahlgängen in Graz zuletzt immer knapp unter ihrem Gesamtergebnis. Bei Umfragewerten von 34 Prozent bei der Sonntagsfrage zur Nationalratswahl scheint es für die FPÖ daher jede Menge Luft nach oben zu geben.

Landesrat Buchmann unter Beschuss – aber von wem?
Wirtschaftslandesrat Christian Buchmann ist wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten bei seiner Dissertation unter Beschuss geraten. Ein Salzburger »Plagiatsjäger« namens Stefan Weber hat ein 38-seitiges Schriftwerk verfasst und an das Rektorat der Uni Graz übermittelt. Er wirft Buchmann vor, unsauber zitiert und so seinen Doktorgrad erlangt zu haben. Der Standard und andere Medien haben die Meldung zwar bereitwillig weitergegeben, ohne jedoch die brisante Frage zu klären, wer Webers Engagement finanziert und viel Geld in die Zerstörung von Buchmanns Karriere investiert.

Inzwischen hat die Kleine Zeitung nachgelegt und von einem Gutachten eines Wiener Urheberrechtsexperten namens Albrecht Haller berichtet, in dem ähnliche Vorwürfe gegen Buchmann erhoben werden wie bei Weber. Doch wieder bleibt – entgegen sämtlicher Grundregeln für einen ethischen Journalismus – die Frage ungeklärt, wer das Gutachten in Auftrag gegeben hat. Auch auf Nachfrage von Fazit weigerte sich Haller konsequent, seine(n) Auftraggeber bekannt zu geben. Das lässt den dringenden Schluss zu, dass Buchmann von einer Person oder einer Organisation, die unbedingt im Hintergrund bleiben will, gezielt beschädigt werden soll.

Buchmann hat als Werkstudent promoviert und in seiner bisherigen Karriere keine beruflichen Vorteile aus seinem Doktor gezogen. Das Rektorat der Uni Graz sah sich aufgrund der anonym beauftragten Vorwürfe jedenfalls veranlasst, selbst ein Gutachten in Auftrag zu geben.

Bundespräsidentschafts-Qual
Am 4. Dezember wird nun endlich ein Bundespräsident gewählt. Dabei ist es für wirtschaftsaffine Konservative längst egal, ob der europakritische Rechtspopulist und Freihandelsgegner Norbert Hofer oder der europafreundliche Linkspopulist und Freihandelsgegner Alexander Van der Bellen das höchste Amt im Staat erringen.

Doch weder Norbert Hofer noch Van der Bellen haben die Zielgruppe der Liberalen und Konservativen aufgegeben. Inzwischen zeichnet Hofer auf seinen Wahlkampfauftritten nämlich folgendes skurrile Zukunftsszenario: Nach seinem Wahlsieg bei der Präsidentschaftswahl werde es rasch Neuwahlen auf Bundesebene geben, die in eine Koalition von Schwarz und Blau münden. Dabei geht Hofer von einem Bundeskanzler Sebastian Kurz aus, mit dem er gemeinsam Österreich und die Welt retten werde. Ein Wahlergebnis, bei dem Kurz Kanzler werden kann, ist angesichts aktueller Umfragen jedoch nicht in Sicht. Die Demoskopen sehen nämlich die Strache-FPÖ bei soliden 34 Prozent und die Volkspartei nur bei 18 Prozent. Außerdem hat FPÖ-Bundesparteiobmann HC Strache bisher stets betont, dass die FPÖ nur dann für eine Koalition zur Verfügung steht, wenn die stärkste Partei den Kanzler stellt. Doch Strache lässt sich den Unsinn, den Hofer verbreitet, vorläufig gefallen. Vielleicht erreicht seine Partei bei der Präsidentschaftswahl ja trotz Hofers Weigerung, den Ceta-Staatsvertrag zu unterschreiben, einige schwarze Kernwähler. Und die könnten, wenn es wieder so knapp wird wie beim letzten Mal, durchaus den Ausschlag geben.

Alexander Van der Bellen gibt sich hingegen als weltoffener Konservativer. Er schmückt seine Kampagne mit dem Heimatbegriff und sein Wahlkampfmanager Lothar Lockl hält alles, was an die Grünen erinnern könnte, unter der Decke. Wenn die Kampagne weiterhin diszipliniert abläuft und sich grüne Kader, die wie Eva Glawischnig oder Michel Reimon besonders polarisieren, außen vor halten, könnte diese Rechnung durchaus aufgehen.

Seiersberg – Kein »Happy End« in Sicht
Inzwischen scheint bei den Betreibern des Seiersberger Einkaufszentrums Panik auszubrechen. Mit mehrseitigen Inseratenmänteln versuchen sie über steirische Tageszeitungen Druck auf die Landesregierung aufzubauen, damit diese endlich die so dringend benötigte Einzelstandortsverordnung für Seiersberg erlässt. Eine solche Verordnung könnte – bis zur nächsten Klage – tatsächlich die Rechtmäßigkeit der »Shoppingcity Seiersberg« mit ihren 200 Geschäften herstellen. Doch mehrere Landesregierungsmitglieder haben bereits angekündigt, dass sie nur dann zustimmen, wenn tatsächlich eine Verordnung herauskommt, die auch vor dem Verfassungsgericht eine Chance auf Bestand hat. Das ist dem Vernehmen nach derzeit aber nicht der Fall.

Auch das in den Inseraten ins Treffen geführte Arbeitsplatzargument kommt nicht überall gut an. Ein bekannter steirischer Einzelhändler, der sich aus Seiersberg zurückgezogen hat, formulierte es folgendermaßen: »Den 2.100 Jobs, die dort entstanden sind, stehen wahrscheinlich 10.000 Arbeitsplätze gegenüber, die durch das Einkaufszentrum woanders vernichtet wurden.«

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Politicks, Fazit 127 (November 2016)

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