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Ohne Wachstum scheitert die Demokratie

| 24. November 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 128, Fazitthema

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Ganz egal ob in den USA oder in Europa – jedes Mal, wenn ein rechtspopulistischer Politiker erfolgreich aus einer Wahl hervorgeht, zeigen sich die Kommentatoren schockiert, in Städten gehen polyglotte, weltoffene Bildungsbürger auf die Straße und die etablierte Politik gibt vor, endlich aus ihrer Niederlage gelernt zu haben. Text von Johannes Tandl

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Doch Eine Suche nach den ökonomischen Ursachen für den Aufstieg der neuen Bewegungen findet kaum statt. Dabei weist vieles auf einen Zusammenhang zwischen der Wachstumsschwäche und dem Aufkommen der neuen Bewegungen hin. Nicht nur Österreich, sondern die meisten westlichen Industrienationen stecken seit Jahren in einer hartnäckigen Wachstumskrise. Die Wirtschaft wächst so langsam, dass immer weniger Unternehmen Geld in die Hand nehmen, um ihre Kapazitäten auszuweiten. Und wenn doch investiert wird, dann überwiegend deshalb, um die Effizienz zu steigern. Mit dem Effekt, dass immer weniger Arbeitnehmer benötigt werden, um das gleiche Produktionsvolumen herzustellen. In den letzten beiden Jahrzehnten ist die Produktivität in der Eurozone um durchschnittlich zwei Prozent jährlich gestiegen. Und so wird etwa ein Auto, für das im Jahr 2000 noch 20 Arbeitsstunden benötigt wurden, heute in nur 14 Stunden gefertigt.

In der Vergangenheit konnten die Unternehmen die Produktivitätssteigerungen durch steigende Absatzzahlen weitgehend ausgleichen und so ihren Mitarbeiterstand halten. Doch seit einigen Jahren geht diese Rechnung nicht mehr auf. Zwischen 2000 und 2005 ist die Eurozone noch durchschnittlich um 1,6 Prozent pro Jahr gewachsen, zwischen 2005 und 2010 nur mehr um 0,8 Prozent und seit 2010 beträgt das durchschnittliche Wirtschaftswachstum gar nur mehr 0,5 Prozent. Das Wachstum stagniert und die Produktivität steigt – mit dem Effekt, dass die Arbeitslosigkeit in die Höhe schnellt und neue Jobs – wenn überhaupt – überwiegend im schlecht rationalisierbaren Niedriglohnbereich entstehen.

Die Politik versucht den Bürgern zwar zu erklären, dass es ihnen noch nie zuvor besser gegangen sei, doch inzwischen spüren vor allem die Arbeitnehmer außerhalb der geschützten staatlichen und halbstaatlichen Bereiche, dass es eher abwärts statt aufwärts geht. Und dabei handelt es sich nicht nur um einen gefühlten Niedergang. Erst kürzlich hat eine Untersuchung durch die Statistik Austria ergeben, dass die Österreicher kontinuierlich immer mehr Arbeit in immer weniger Zeit leisten. Gleichzeitig sinken die verfügbaren Haushaltseinkommen und mit ihnen die Konsumausgaben.

Durch den Wegfall der Industriejobs und die steigende Arbeitslosigkeit steigt auch das Risiko, sozial abzusteigen. Die Sorgen der potenziellen Wohlstandsverlierer sind daher weder irrational noch unbegründet. Wenn die Politik das Problem des ausbleibenden Wachstums nicht in den Griff bekommt, wird das Vertrauen in das Establishment daher weiter sinken – mit dem Ergebnis, dass die politischen Ränder, sofern sie über entsprechend charismatische Persönlichkeiten verfügen, immer öfter gestärkt aus den diversen Wahlen hervorgehen werden.

Und so liegt die rechtspopulistische FPÖ inzwischen bei sämtlichen Meinungsumfragen mit deutlichem Vorsprung vor den Regierungsparteien. Doch anstatt die Sorgen ernst zu nehmen, werden die FPÖ-Wähler nach wie vor als unterdurchschnittlich qualifizierte Landeier hingestellt, die einfach zu niedrig gebildet sind, um jene Parteien zu wählen, die es wirklich gut mit ihnen meinen.

Dabei scheint den moralisierenden Bildungsbürgern gar nicht klar zu sein, dass es zwischen dem inzwischen dauerhaft ausbleibenden Wirtschaftsaufschwung und den Erfolgen von Trump, Strache, Wilders oder Le Pen einen direkten Zusammenhang gibt. Und auch die Diskussion über die Freihandelsabkommen Ceta und TTiP zeigt, dass mächtigen, wirtschaftsfernen Lobbys ein Bruch mit der als neoliberal diskreditierten Marktwirtschaft wichtiger zu sein scheint als das Wohlergehen der Bevölkerung. Dass sowohl die Links- als auch die Rechtspopulisten gegen den Freihandel auftreten, weil sie keine Möglichkeit sehen, ihren Wählern die komplexe Freihandelstheorie mitsamt den absoluten und komparativen Tauschvorteilen näherzubringen, sei nur nebenbei erwähnt. Das Ergebnis ist eine sogenannte gemeinwohlorientierte Wirtschaftstheorie, deren Anhänger den Kapitalismus inzwischen als solchen ablehnen.

Gibt es Grenzen des Wachstums?
Viele ökonomische »Nichtversteher« sind zudem von der fixen Idee geplagt, dass ein dauerhaftes Wachstum nicht möglich ist, weil ja auch der Ressourcenverbrauch nicht dauerhaft exponentiell gesteigert werden kann. Gerade das Beispiel der menschlichen Arbeitskraft, die uns trotz jahrzehntelangen exponentiellen Wachstums immer noch nicht ausgegangen ist, sollte jedoch verdeutlichen, dass für Wachstum gar kein exponentieller Rohstoffeinsatz notwendig ist. Denn zur Genetik des Kapitalismus gehört eine gnadenlose Effizienz, die dazu führt, dass knappe Rohstoffe durch weniger knappe ersetzt werden. So leisten etwa auf einer Großbaustelle inzwischen ein Bagger, ein Kran und ein Lastkraftwagen das Gleiche wie zu Beginn des vorigen Jahrhunderts Hunderte Arbeiter mit Schaufeln, Hämmern oder Scheibtruhen. Die technische Kreativität und die Innovationskraft, mit der knappe Rohstoffe und Produktionsfaktoren ersetzt werden, sind enorm. Beinahe täglich werden nicht nur neuen Recycling- oder Upcycling-Ideen präsentiert, sondern auch Ideen, wie sich einzelne Produkte mit geringerem Rohstoff- bzw. Energieeinsatz noch effizienter herstellen lassen.

Die Studie »Grenzen des Wachstums« des »Club of Rome« ist inzwischen 44 Jahre alt und setzt sich moralisch mit dem Thema auseinander. Darin wird eine wachstumskritische Nachhaltigkeitsdebatte geführt. Aber gerade den hochentwickelten Industrienationen, die selbst alles andere als nachhaltig gewachsen sind, fehlt die Glaubwürdigkeit, wenn sie versuchen, den weniger weit entwickelten Ländern eine Nachhaltigkeitsdebatte aufzuzwingen und ihnen dadurch Entwicklungschancen und Standortvorteile zu nehmen. Und so ist davon auszugehen, dass etwa die in Paris formulierten Klimaziele nur umgesetzt werden, wenn es zu entsprechenden disruptiven Technologiesprüngen kommt, die trotz kohlendioxidreduzierter Produktion das Wachstum nicht gefährden.

Das Konzept, ökologische Ressourcen wie den Naturverbrauch oder den Treibhausgasausstoß zu bepreisen und damit so zu verknappen, sodass sie substituiert werden müssen, würde natürlich funktionieren. Aber dazu wäre ein globaler politischer Konsens notwendig, der sicherstellt, dass Natur und Kohlendioxid überall auf dem Planeten gleich viel kosten. Dieser Kompromiss ist jedoch wegen der falsch aufgesetzten UN-Klimaschutzstrategie nicht in Reichweite. Denn eigentlich müsste der Klimaschutz im Welthandelsabkommen Gatt geregelt werden. Weil das jedoch nicht geschieht, wird die energieintensive Produktion wohl weiterhin in Länder verlagert werden, wo Natur und Kohlendioxidverbrauch nicht knapp sind. Erst kürzlich hat die Voestalpine in den Vereinigten Staaten ein Werk zur Herstellung von Eisenpellets eröffnet. Das Management ließ bei der Eröffnung keinen Zweifel daran, dass neben marktstrategischen Gründen auch die günstigeren Energiekosten und ein anderer Umgang der US-Politik mit dem Kohlendioxidthema ausschlaggebend für die größte Auslandsinvestition des Voestalpine-Konzerns waren.

Darin, dass grünes und damit nachhaltiges Wirtschaftswachstum möglich wäre, ist man sich weitgehend einig; darin, dass damit den Entwicklungsländern jene Kostenvorteile weggenommen würden, durch die ihre Wirtschaft derzeit trotz zahlreicher Probleme immer noch viel schneller wächst als jene der Industrieländer, jedoch auch. Und weil das ethisch kaum durchsetzbar ist, gibt es nach wie vor kein neues Gatt-Welthandelsabkommen, in dem diese Fragen geregelt sind. Eigentlich hätte die »Doha-Runde« des Gatt als Nachfolgeabkommen zur »Uruguay-Runde« bereits seit 2005 abgeschlossen sein sollen. Weil darin – aus Sicht des Westens – unter anderem die ökologische Bevorzugung der Schwellenländer abgeschwächt werden müsste, geht jedoch nichts weiter.

Wirtschaftstheoretisch sind ebenfalls kaum Grenzen des Wachstums auffindbar. Über die Zinsen wird Wachstum zum unverzichtbaren Teil unserer Wirtschaftsordnung. Der Zins wirkt wie eine Beschleunigungskraft, weil Kredite nur zurückbezahlt werden, wenn die Wirtschaft wächst.

Wachstumskritiker sind im Vormarsch
Wie die Freihandelsdebatte unterstreicht, greift bei ökonomischen Fragestellungen immer öfter eine Art »Bullshit-Argumentation« um sich. Menschen, die keine Ahnung von einfachsten ökonomischen Zusammenhängern haben, treffen dabei auf Politiker und Journalisten, die diesen Unsinn unreflektiert verstärken. Der Umstand, dass der vom Kapitalismus getriebene technische Fortschritt und die wirtschaftliche Globalisierung mehr zur Beseitigung des weltweiten Hungers geleistet haben als Entwicklungshilfsprogramme, tritt vor einer völlig unsachlich geführten Verteilungsdebatte in den Hintergrund.

Der neueste Bullshit-Trend heißt »Degrowth« oder »Postwachstum«. Darunter verstehen Wachstumskritiker, nach eigenen Angaben, eine Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform, die das Wohlergehen aller zum Ziel habe und die ökologischen Lebensgrundlagen erhalte. Dafür sei eine Abkehr vom gesellschaftlichen Leitprinzip »höher, schneller, weiter« notwendig, weil dieses Prinzip den abzulehnenden Wettbewerb zwischen allen Menschen forciere, was wiederum zu »Beschleunigung, Überforderung und Ausgrenzung« führe. So heißt es auf der Internetseite des »Konzeptwerks Neue Ökonomie« (degrowth.de) etwa, dass unsere Wirtschaftsweise die natürlichen Lebensgrundlagen sowie die Lebensräume von Pflanzen und Tieren zerstöre. Dass wir das von ihnen geforderte Nullwachstum ohnehin über viele Jahrhunderte hatten und dieses erst zu den großen sozialen Unterschieden geführt hat, scheint den Degrowth-Anhängern nicht bewusst zu sein. Heute bezeichnen wir diese Phase des Mittelalters als Feudalismus. Es gab kaum technischen Fortschritt und damit kein Wirtschaftswachstum. Wenn jemand seinen eigenen Wohlstand mehren wollte, konnte er das nur, wenn er einem anderen etwas weggenommen hat. Und weil die Besitzenden auch damals schon Angst vor dem Abstieg hatten, nutzten sie ihren relativen Reichtum, um die Besitzlosen kleinzuhalten. Auch im 21. Jahrhundert sind eine Welt ohne Wachstum und eine funktionierende Demokratie nicht miteinander vereinbar. Die gesellschaftliche Spaltung und der Aufstieg der Populisten sind nur die ersten Anzeichen einer Entwicklung, die auf uns zukommt, wenn die Wirtschaft weiter schwächelt.

Titelgeschichte Fazit 128 (Dezember 2016) – Foto: Max Ostrozhinskiy

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