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Selber schenken

| 24. November 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 128, Fazitportrait

Foto: Marija Kanizaj

Das Viertel hinter dem Grazer Kunsthaus hat sich zu einer Kreativmeile entwickelt, in der sich die nächste Generation ausprobiert. Nach mehr als einem Jahrzehnt entstand hier ein Branchenmix, in dem man sich auch gegenseitig unterstützt. Als Fixstern von Lendwirbel, Annenviertel, Designmonat & Co hat sich Kwirl etabliert.

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Neulich in der Mariahilferstraße. Beim Kastner. Nicht Öhler, Iris. Der Laden heißt Kwirl und ist so unbeschreiblich wie sein Name verwirrend. Dabei scheint es so einfach: Kwirl ist die Lautschrift von Quirl. Mit einem Quirl verquirlt man etwas, etwa Teig oder Himbeersirup mit Wasser – ach, selige Kinderzeiten, brüchige Welt – zu Himbeersaft oder Schiwasser, wie man am Berg sagt. Der ursprüngliche Quirl wird aus einem nach oben hin dünn auslaufenden Stück Fichten- oder Tannenbaum gemacht. Die kranzförmig vom Stamm wegstehenden Zweige werden bis auf wenige Zentimeter gekappt, der nach oben wachsende Stamm bildet den Quirlstiel. Entrindet ein handschmeichelndes wie anmutiges Stück Kochkulturgeschichte.

Es passt in die vernetzte Denkweise von Kwirl, dass im Zuge der Geschäftseröffnung im März 2008 Kunden eingeladen waren, ihre Christbaumspitzen vor der Entsorgung zu kappen und daraus Quirle zu basteln und mitzubringen. Denn Weiter- und Wiederverwendung sind genauso wichtiger Bestandteil des Nachhaltigkeitsansatzes, dem sich Kwirl-Gründerin Iris Kastner verschrieben hat, wie die soziale Komponente. Letztere stärkt zugleich die Kundenbindung und füllt das Geschäft mit Sinnhaftigkeit. Kein Wunder, dass Kastner im Eröffnungsjahr den dritten Platz beim Wettbewerb »Gründerin des Jahres« gewonnen hat. »Dazu hat vor allem mein Businessplan beigetragen, der mir leicht von der Hand gegangen ist.« In der Ecke steht ein Pinguin.

Auf der Website steht: »Kwirl ist eine Plattform für nachhaltiges Design. Wir verbinden Produktion, Präsentation und Verkauf von nationalem und internationalem Design. Unser Schwerpunkt ist die soziale und ökologische Ausrichtung.« Dann die Frage: »Was wird angeboten? Design?« Das Angebot ist zunächst einmal – riesig. So mannigfaltig wie unüberschaubar, so diversifiziert wie cool, so nichtinwortefassbar.

Für dich, für mich, für uns?
Hierher kommt man nicht, um ein Messer zu kaufen oder ein Möbelstück oder einen Pinguin; hier wird man von Objekten angesprungen, die einen Landeplatz suchen. Da unsere Landeplätze unterschiedlich gepflastert sind, ist der Ausgang ungewiss. Wahrscheinlich ist, dass man hier ein Geschenk sucht; möglich ist, dass man es dann nicht mehr hergeben will. Iris Kastner: »Im Optimalfall findet man das richtige Geschenk und etwas für sich selbst.« Am Regal lauert ein bunter Sack.

Und auf der Website ein Absatz: »Soziales Engagement und lokale Wertschöpfung spielen bei der Auswahl des Sortiments ebenso eine wichtige Rolle wie fairer Handel und ökologisches Bewusstsein. So ergeben sich stets neue Kooperationen mit Organisationen, die für Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung stehen. Hinter Kwirl steht die Überzeugung, dass gutes Design eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von sozialen, wirtschaftlichen, umweltrelevanten, technologischen und kulturellen Prozessen spielt. Design hat enormen Einfluß auf die Produktwelt, bezogen auf Nutzen, Ressourcen und Werte.« Wie soll man sagen – das ist klug und wahrscheinlich wahr und erspart im Notfall weiteres Recherchieren. Als Konsument surft man natürlich eher auf den Wogen der Emotionen durch so ein Geschäft, egal, ob man sich zum Einkauf als Erlebnis bekennt oder nicht. Aber Gefühle und bildungsbürgerliche Pragmatik haben natürlicherweise ein ambivalentes Verhältnis zueinander. Sonst würde tatsächlich kein Arzt mehr rauchen oder kein Vegetarier Lederschuhe tragen, aber – die Dinge sind im Wandel, was in obigem Absatz mit der Rolle von Design auf alle möglichen Bereiche gemeint ist. So wie man die Kraft von Design nicht unterschätzen sollte, so darf man sie auch nicht überschätzen – dabei wären so wunderbare Einsatzgebiete vorstellbar. Zum Beispiel Präsidentschaftswahlkämpfe in den USA und in Österreich (Kommunikationsdesign?) oder die Kirche (»Sündige jetzt, zahle später«, Woddy Allens Definition des Katholizismus). Aber das grenzt schon an Werbung. Gut, dass da eine Umhängetasche auf einen Landeplatz lauert. Und eine zerknitterte Vase. Und ein Gin. Und eine Statuette der Queen. Die winkt sogar.

Die Museumsshopleiterin
So oft man die 50 Quadratmeter auch durchwandert – man entdeckt immer wieder etwas Neues, vor allem Kleinigkeiten. Am ehesten erinnert die Produktauswahl an einen Museumsshop. Und das nicht von ungefähr. Iris Kastner war über fünf Jahre lang Leiterin des Museumshops im Museum für Angewandte Kunst, dem Mak in Wien und zweieinhalb Jahre im Grazer Joanneum. Bis 2007 beackerte sie hier mit 20 Mitarbeitern acht Shops und Verkaufsstellen, vom Volkskundemuseum und der Neuen Galerie, vom Zeughaus und dem Joanneum, über das Kunsthaus und Schloss Eggenberg, bis zum Schloss Stainz und Trautenfels. Nach Studien von Kunstgeschichte und Germanistik, jeweils bis zur Diplomprüfung, sammelte sie Erfahrung in Antiquitätenläden, war fünf Jahre lang Assistentin der Geschäftsführung in der Grazer Galerie »Edition Artelier«, absolvierte unzählige Weiterbildungen und auch die Unternehmerakademie. »Ich habe dabei gesehen, dass mir Zahlen eher liegen als Geisteswissenschaften. Auch kann ich erkennen, dass stationärer Handel und Onlineshopping miteinander verzahnt sind und sich keineswegs gegenseitig ablösen oder ausschließen. Online wird bei Kwirl weniger für den Geschäftsabschluss, als vielmehr zum Zweck der Information genutzt. Das gilt auch für Facebook und Twitter.«

Foto: Marija Kanizaj

Die Jahre in Wien waren Pionierarbeit: »Museumshops standen am Beginn einer Entwicklungswelle und es gab noch keine Vorbilder. Das waren sehr übergreifende Aufgaben.«  So wurde Iris Kastner zur Managerin, der auch rückblickend vieles gelang. Zum Beispiel der Umzug des Shops auf die andere Seite des Mak, vor allem aber die Entwicklung von Kooperationsmodellen wie jenes mit Mayway-Gastrotechnik, die die temporäre Einrichtung in Form von Gastroküchen sponserte und dabei zugleich einen Showroom für sich selbst schuf. Der Wiener-Werkstätten-Shop wurde ein voller Erfolg mit prägnanter Umsatzsteigerung. Und bis heute kann im Mak die Einrichtung mit Werkzeug-Rollwägen für die Formel I vom Schweizer Unternehmen Lista bewundert werden. Die Zeit unter Museumsdirektor Peter Noever war kein Honiglecken, die Aufgabenstellungen komplex, Veranstaltungen fast jeden Abend und der Ehemann als Innenarchitekt und Tischler in Graz. Sie wollte ohnehin selbstständig werden, zog wieder nach Graz und wurde – wieder Museumsshopleiterin. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde der Museumsshop schließlich ausgegliedert und von einer Museumsshopkette übernommen. Aber Ende 2007, knapp vor Auslaufen des Vertrags, entdeckte Iris Kastner ein Inserat in der Zeitung: »Geschäftslokal zu vermieten«. Von ihrem Bürofenster im Kunsthaus aus konnte sie das Geschäft in der Mariahilferstaße sehen. »Das war schicksalshaft. Und es lief wie am Schnürchen.« Und das tut es seit acht Jahren.

Von der Queen zum Pinguin
Das Dreisäulenkonzept »Verkauf, Präsentation, Produktion« ist durch Wegfall jeglicher Produktion leicht geändert, aber es gilt nach wie vor: intelligente, nachhaltige Produkte (»green design«), die zeitgemäß sind und brauchbar. »Oder so witzig, dass man lächeln muss und den Menschen Freude bereitet wird.« (Kastner)

Das erklärt die winkende Königin Elisabeth mit Solarzelle. Der Gin wird in der Steiermark produziert (»Aeijst«, steirisch für Äste). Die zerknitterte Vase ist eine Vasenhülle aus Papier. Die Umhängetasche aus Segeltuch, Fahrradschlauch und Sicherheitsgurt ist von Heidenspass, einem regionalen Sozialprojekt, das mit dem Verkaufserlös auch den Deutschunterricht für Flüchtlinge unterstützt. Der bunte Sack, etwa als Blumenübertopf verwendbar, fühlt sich an wie Leder, ist aber aus waschbarem Papier und stammt von einem italienischen Familienbetrieb mit vier Töchtern. Der Pinguin von der inzwischen erfolgreichen österreichischen Architekten- und Designertruppe Mostlikely, wird als Papierbogen verkauft, muss daher selbst zusammengebastelt werden und dient als Lampenschirm, sofern man selbst eine Lampe hat, über die man den Pinguin drüberstülpt. Bedient wird dabei (auch) der Do-it-yourself-Trend, der nach Kochen und Handarbeit nun auch das Wohnen erreicht hat. Darüber hinaus schlägt die Truppe den Bogen zu Traditionsbetrieben wie Mühlbauer-Hutmanufaktur und Augarten-Porzellan, die jeweils Entwürfe in ihrem Bereich verwirklichen. So stehen hinter allen Produkten Geschichten, die erzählenswert sind, weil sie Sinn ergeben. Wie jene der erwähnten Vasenhüllen von Tinymiracles, die in Indien von Frauen produziert werden, die dafür ein eigenes Unternehmen aufgebaut haben. Nirgends ist es schwieriger, kein Geschenk zu finden.

Kwirl
8020 Graz, Mariahilferstaße 11
Telefon +43 699 10814882
kwirl.at

Fazitportrait, Fazit 128 (Dezember 2016) – Fotos: Marija Kanizaj

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