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Wir müssen die immer stärkere Spaltung unserer Gesellschaft überwinden

| 24. November 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 128

In wenigen Tagen steht bei uns die Wiederholung zur Stichwahl um das Amt des Bundespräsidenten an. Und wie sollte ich mich jetzt, als jemand der Alexander Van der Bellen als einen sehr integren und fähigen Kandidaten ansieht, aber in so vielen Punkten von dem, was er für richtig hält, von dem, was er vertritt, so meilenweit entfernt bin, dass ich ihn nie wählen könnte, dazu äußern?

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Gestern wurde in Berlin die diesjährige Bambiverleihung gefeiert. Ich habe mir das angesehen und konnte es nicht fassen, was für ein unglaubliches Schaustück der Verlogenheit da aufgeführt wurde.  Die fünf, sechs Reden der »Laudatoren«, die ich ertragen konnte, anzuhören, waren allesamt eine nichtendenwollende Perpetuierung der merkelschen Botschaft »Wir schaffen das!« – es war offenbar einziger Sinn dieser ARD-Show, die Flüchtlingskrise als Matrize der glorreichen Menschlichkeit aller im bundesdeutschen Showgeschäft Tätigen zu verwenden. Der »Integrationsbambi« für den Bundestrainer des Fußballweltmeisters Deutschland war da nur logisch, ein Bambi für den Heiligen Vater, der – ich konnte es nicht fassen – von diesem persönlich wenige Tage zuvor in Rom entgegengenommen wurde, krönte dieses Spektakel zu einer Art Liveübertragung der letzten Tage der Menschheit.

Ich bin froh, in einem Land zu leben, das Menschen auf der Flucht hilft! Ich bin stolz, in einem Land zu leben, das Menschen auf der Flucht hilft! Und ich bin mir und meinen Mitbürgern dankbar, dass wir und unsere Eltern eine Gesellschaft aufgebaut haben, in der Gesetze von einer breiten – unheimlich breiten! – Basis mitgetragen werden, die Asyl und Sicherheit in unserem Land für Menschen aus anderen Ländern ermöglichen.

Und weil ich darüber froh bin, haben mich die Bilder aus dem letzten Jahr, wo Menschen mit bunten Transparenten und Willkommensrufen und Applaus Züge begrüßt haben, in denen Menschen in Österreich (oder Deutschland) angekommen sind, zumindest etwas irritiert. Es gibt für mich keinen Grund zu applaudieren, wenn Menschen durch Verbrechen, die in ihren nichtfunktionierenden Gesellschaften passieren, flüchten müssen. Es gibt für mich keinen Grund zu applaudieren, wenn andernorts Kriege geführt werden – wo die Ärmsten übrigens, die Kranken und die Alten und die zu Jungen daran krepieren – und Menschen deswegen zu uns flüchten müssen. Ich habe meine Irritationen über diese Bilder damit abgetan, dass es nicht an mir ist, irgendjemandem Vorschriften zu machen, wie er auf Katastrophen, auf Verbrechen, auf Leid zu reagieren hat. Und ich werde das Bild des toten Buben, der wie schlafend an einem Strand lag, nicht vergessen.

Ich habe mich hier schon einige Male dem Thema der Flüchtlingskrise gewidmet und immer nur die große Zahl angesprochen. Ich werde auch heute nicht die vielen – dramatischen! – kulturellen und gesellschaftlichen Probleme ins Treffen führen, die diese noch immer vollkommen ungeordnete Einwanderung in unsere Länder – zusätzlich – bedeutet. Nur eines dazu: Ich komme gerade aus dem Kosovo, dem jüngsten Land Europas mit rund 96 Prozent Muslimen. Ich war in der Hauptstadt Pristina, einer wunderbar pulsierenden, modernen Minimetropole, wo ich mich mit dem dortigen Außenminister Enver Hoxhaj und vielen anderen Persönlichkeiten über die – nach einer kurzen Woche sich so präsentierende – unglaublich offene und moderne wie aufgeklärte muslimische Gesellschaft austauschen konnte. Es ist wohl genau dieser »Kosovoislam«, der ein Modell für den so oft angesprochenen Euroislam sein könnte. Aber davon abgesehen: Was ist das mithin größte Problem dieses Landes? Die fürchterliche Diaspora. Also das Abwandern von bald einem Drittel der vor allem natürlich jungen und gebildeten Bevölkerung. Kosovo hat also ein Problem mit der Migration.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir die Armen der Welt nicht bei uns retten werden können. Jedenfalls nicht in dem Ausmaß, das sich mittlerweile deutlich abzuzeichnen beginnt. Wir werden auch vor Ort helfen und eingreifen müssen.

Die Spaltung unserer eigenen Gesellschaft hat ja schon deutlich begonnen. Zwei Lager stehen sich offenbar vollkommen unversöhnlich gegenüber. Zum Einen die zur Alternativenlosigkeit erklärte Position, alle müssen kommen dürfen (Sie verzeihen mir diese Verkürzung auf das Wesentliche), zum Anderen eine inhomogene Front an Gegnern dieser Ansicht. Wir müssen diese Spaltung überwinden. Sonst werden wir noch viel mehr nicht schaffen.

Editorial, Fazit 128 (Dezember 2016)

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