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Zur Lage (76)

| 24. November 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 128, Zur Lage

Über mein schlechtes Namensgedächtnis und meine Angst vorm Fliegen. Über den jungen Erwachsenen von heute oder zumindest über sechs von ihnen. Und kein Wort über die anstehende Wahlwiederholung. Weil Sie sicher genau wissen, was zu tun ist.

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Ich habe ja Flugangst. Und merke mir auch keine Namen. Was mehr miteinander zu tun hat, als man meinen möchte, denn ich glaube, die Kombination dieser »Schwächen« – darf man das noch sagen, oder sagt man da heute »reversible Stärke«, wenn man nicht explizit rechtsradikal sein will? Wo war ich? Genau, – die Kombination dieser beiden Eigenschaften hat meinen Lebenslauf beeinflusst.

Es würde mich nicht allzusehr überraschen, wenn ich mit einem besseren Namensgedächtnis ausgestattet – mir fällt da immer Josef Krainer II. ein, ich sage Ihnen! Der hat einen getroffen und sich vor- und nachnamenkundig nach Onkel, Tante und Nachbarskindern erkundigt. Sensationell! Jetzt hab ich schon wieder den Faden verloren, genau – mit einem besseren Namensgedächtnis ausgestattet wäre und zudem weniger Flugangst hätte, ich um Einiges erfolgreicher wäre. Etwa President elect könnt ich heute sein. Wenn man sich anschaut, wer alles President elect heute ist, erscheint mir das nicht überzogen.

Nur diese mangelnde Internationalität im Auftreten, ich flieg ja eben so wenig herum, die kommt halt nicht gut an. Und das mit den Namen, das lässt einen sowieso immer als präpotent und eingebildet erscheinen. Dabei, ich gestehe, ich bin das gar nicht, also präpotent. Ganz im Gegentum bin ich sogar ein ausnehmend höflicher Mensch. Und Wutausbrüche sind mir, seitdem ich Mann meiner wunderbaren Frau bin, sowieso unbekannt.

Was letztlich auch subopitmal ist, haben doch meine Freunde von der »Amadeu Antonio Stiftung«, das ist so in etwa eine SED für Fortgeschrittene, darauf hingewiesen, dass besonders höfliche und gehorsame Kinder recht anfällig für Rechtsextremismus seien. Da mach ich mir natürlich schon jetzt Sorgen, hat meine ältere Tochter doch dieses mein Fehlverhalten viel zu sehr als Vorbild angenommen und ist sich der vielen Gefahren, wenn sie mit einem »Grüß Gott« (Grütgott) auf den Lippen die Nachbarn verunsichert oder gar »Bitte« und »Danke« anderen Kindern an den Kopf wirft, gar nicht bewusst. Die jungen Erwachsenen von heute sind da dankenswerterweise schon viel weiter.

Durch interessante Umstände kam ich nämlich in den letzten vier Wochen in die Verlegenheit, insgesamt acht Flüge (Umsteigen und so weiter) mitmachen zu müssen und hatte dadurch Gelegenheit, den jungen Erwachsenen von heute besser kennen zu lernen. Also zumindest sechs von ihnen. Einmal saß ich neben einer bezaubernden alten Dame, die mir auf dem kurzen Flug von Graz nach Wien ungeheuer charmant wie dicht ihr interessantes Leben geschildert hat und einmal habe ich, das ist mir auch noch nie passiert, im Flieger (also im! Flieger!) zufällig einen lieben Freund getroffen; aber das ist eine andere Geschichte.

Die restlichen sechs Flüge saß ich neben jungen Erwachsenen. Fünf von denen waren entweder stumm – ich kann das postfaktisch, um das gute Wort der Stunde auch einmal zu verwenden, nicht beurteilen – oder mit der Kulturtechnik des kurzen Grußes bei durchaus nahintimer Situation nicht vertraut. Zudem hatten sie natürlich Besseres zu tun. Wobei, Ihnen jetzt davon zu erzählen, ist mir fast so unangenehm, wie mir die Beobachtungen im Flieger gewesen sind, nur waren deren – sind das schon Miniflachbildschirme oder doch noch Großsmartphones, mit denen die heute ihre wichtigen Botschaften austauschen? – »Screens« eben so einnehmend, dass ich unwillkürlich da ein bisschen mitlesen musste. Einer etwa hat auf einer Social-Media-Plattform über die Unmöglichkeit der Nichtwahl von Hillary Clinton diskutiert. Ein anderer hat dafür auf einer Social-Media-Plattform die Unmöglichkeit der Wahl des männlichen Kandidaten klargestellt. Drei haben an irgendwelchen Apps gebastelt. Wahrscheinlich, so stellte es sich mir dar, ging es bei all diesen menschlichen Interaktionen in eine Blechschachtel hinein um die noch bessere Kommunikationsmöglichkeit zwischen Menschen. Dem intersozialen Austausch also, dem besseren Verstehen und dem friedlichen Zusammenleben verpflichtet. Ich begrüße das!

Und ich habe natürlich großes Verständnis dafür, dass solche jungen Erwachsenen, die – ganz im Unterschied zu mir – offenbar immer das große Ganze vor sich haben, sich allen Problemen also global nähern, dann keine Zeit dafür aufbringen können, sich dem Menschen, der ein paar Stunden zufällig direkt neben ihnen kauert (It was the Economy, Sweety!), auch nur ein kurzes Nicken zu widmen. Es geht immerhin um das menschliche Miteinander! Der im Auftreten internationalste von den sechs jungen Menschen, ich hätte viel auf die Bronx oder zumindest auf Brooklyn verwettet, er war Kalsdorfer, hat sich die vielen Informationen, die er den gesamten Flug rauf- und runterscrollte übrigens mit einer mir nicht zuordenbaren, aber dafür selbst aus seinem Kopfhörer heraus noch lauten Musik, erträglicher gemacht. Allen gemeinsam war, dass sie ihre elektronischen »Devices«, wie wir sagen, nie ausgemacht haben. Warum auch? Die Regel, die vorgibt, das bei jedem Start und jeder Landung zu tun, erscheint ja selbst mir, der ich mein Telefon schon am Vorabend eines Flugtages abschalte – man kann nie wissen; Flugangst ist was recht Irrationales! – eher kleinlich. Zudem, für all jene, die unser aller Wohl vor Augen haben, ihr ganzes Verhalten und Denken nur danach ausrichten und im Grunde am besten wissen, wie der Hase läuft, und vor allem, wie ich und meine Familie zu leben haben, für all die sind solche Regeln ja sowieso nicht gemacht. Die waren immer schon nur für die anderen da. Ich wünsche uns allen einen schönen Advent!

Zur Lage #76, Fazit 128 (Dezember 2016)

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