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Ein wenig anders

| 27. April 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 132, Kunst und Kultur

Unser Redakteur hat ausnahmsweise einen Bestsellerroman gelesen. Eine persönliche Rezension mit allerhand Warnungen.

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Es mag wenig kreativ sein, Texte mit Zitaten berühmter Persönlichkeiten zu beginnen, aber immerhin steht hier eine Warnung. Also Augen auf und durch: »Die Freundschaft ist viel tragischer als die Liebe – sie dauert länger.« So in etwa, entsprungen einer freien Übersetzung ohne genaueres Studium eines Oxfordschen Wörterbuchs, lautet ein Satz, der von Oscar Wilde überliefert ist.

Außerdem wird es jetzt auch noch autobiographisch. Denn ich weiß es, als wäre es gestern gewesen, was passierte, als ich dem Zitat auf einer Sprachreise in Irland erstmals begegnete. Ich hatte es als mein Lieblingszitat aus einer Vielzahl von mehr oder weniger nachvollziehbaren Lebensweisheiten als Favoriten auserkoren und in einer offenen Diskussionsrunde begründen müssen, warum es mir gefällt. »Ich glaube, es stimmt«, hatte ich gesagt. Eine meiner Schulkolleginnen kicherte, als sie mich die schmale Argumentation aufsagen hörte. Gar nicht aus böser Absicht, es war wohl vielmehr ehrliche Skepsis. Sie wollte wahrscheinlich sagen: »Was wissen wir, mit unseren gerade einmal 17 Jahren, denn schon über Freundschaft und Liebe?« Ich halte das im Nachhinein betrachtet für einen der intellektuellsten Momente meiner Schulzeit, weil ich jetzt, da ich fast doppelt so alt bin, glaube, ein bisschen mehr darüber zu wissen, was diese beiden großen Worte bedeuten.

Oje, jetzt wurde es auch noch sentimental. Ganz ohne Warnung. Aber gut, hier wird eben über das Leben sinniert. Über »Ein wenig Leben«, um genau zu sein. Das ist der Titel des Werkes von Hanya Yanagihara; geborene Hawaiianerin und Redakteurin beim Stilmagazin »T« der »New York Times«. Nun sei noch erwähnt, dass der Urheber dieser Zeilen üblicherweise keine Romane kauft, in Vorbereitung auf einen Urlaub aber über ebendieses Buch stolperte und ihn gerade die erschlagende Aussicht von 960 Seiten Fiktion einen Kauf tätigen ließ.

Eine Abneigung Romanen gegenüber hegt genannter Urheber übrigens deshalb, weil gemeine Teilzeitgeschichtenerzähler für Arme, also Redakteure zum Beispiel, Romane, obendrein übersetzte, nur schwer verdauen können, weil sie eine Mischung aus Neid und Wut aufsteigen lassen. Neid, weil Teilzeitengeschichtenerzähler für Arme gerne auch so gute, erfundene Geschichten erzählen würden. Und Wut, weil Teilzeitengeschichtenerzähler für Arme sich insgeheim eigentlich vielmehr als unentdeckte Romanpoeten wahrnehmen und sich sicher sind, mindestens ebenso stumpfsinnige Belanglosigkeiten erdenken zu können.

Aber, nun ja, hier verhält sich alles ein wenig anders. »Ein wenig Leben« ist voller Klugheiten und führt abwechselnd zu Lebensfreude und Lebensmüdigkeit. Und das, obwohl eigentlich nur die Geschichte von vier Freunden erzählt wird, die sich von Jugendtagen an bis ins Erwachsenwerden hinein – und vielleicht sogar darüber hinaus – begleiten.

Vielleicht tun sie das. Wir besprechen hier immerhin gerade ein 960 Seiten starkes Opus magnum. Und der Wortakrobat an der Tastatur ist nur ein potentieller Romanverweigerer ante diem, dem noch ein paar Hundert Seiten fehlen. So viel steht für ihn fest: Er mag mittlerweile mehr über Freundschaft und Liebe wissen, aber selbst die weiseste ehemalige Schulkollegin wird dieser Tage noch nicht mit Hanya Yanagihara mithalten können.

Ein wenig Leben von Hanya Yanagihara, Hanser Berlin, 960 Seiten, ca. 28 Euro.
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Alles Kultur, Fazit 132 (Mai 2017) – Foto: Georg Soulek/Burgtheater

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