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Was ist Populismus?

| 1. Juni 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 133, Kunst und Kultur

Im Anfang ist das Wort: Populismus. Und wo ein Wort ist, wo Worte sind, da kann die philosophische Bewegung einsetzen, die fragt: »Was ist …?« Was ist – eigentlich, wirklich – Populismus? Jan-Werner Müller hat versucht, diese Frage zu beanworten. Er definiert den Populismus als eine politische Bewegung, die, im Rahmen der modernen liberalen repräsentativen Demokratie, einen moralischen Alleinvertretungsanspruch für das Kollektivsubjekt des – wahren – Volkes erhebt & danach trachtet, diesen absoluten Repräsentationsanspruch gegen korrupte Eliten durchzusetzen. Diese Konstellation, so Müller, bildet den Kern des Phänomens Populismus.

::: Text von Michael Bärnthaler
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Man sieht, dass der Begriff des Volkes (lat. populus) hier eine zentrale Rolle spielt. Was ist das Volk? Drücken wir es etwas abstrakt aus: Ein Volk ist ein spezifisches Wir, eine bestimmte Wir-Gründung mit bestimmten Wir-Begründungen (Abstammung, Sprache, Bekenntnis …). Ein Volk ist damit auch etwas, dem einige Menschen angehören, und andere nicht. Für manche ist das Volk ein Wir-Abgrund. Jedenfalls spielt das Volk – welche genauere Definition auch immer seinen Begriff am besten zu fassen vermag – in der nationalstaatlich verfassten Demokratie eine herausragende Rolle: »Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.« Die demokratische Wahl ist jenes Instrument, mit dem der Wille des Volkes ermittelt und in politische Repräsentation überführt wird.

Weil die Geschichte der Menschheit verlaufen ist, wie sie verlaufen ist, wird Politik heute weltweit (noch?) primär im Rahmen des Nationalstaates nach europäischem Muster gemacht, für welchen das kurz skizzierte Verhältnis von Politik und Volk fundamental ist. Müller spricht diesbezüglich von einem »nicht zu beseitigende[n] Rest an historischem Zufall und […] an historischer Ungerechtigkeit.« Sobald die historisch gewachsene Form des Nationalstaates mit Ungerechtigkeit in einen Zusammenhang gebracht wird, wohl weil sie notwendigerweise Menschen ein- und ausschließt, also begrenzend wirkt, ja eben Grenzen hat, scheint es naheliegend, den Nationalstaat transzendieren zu wollen. Diese Bewegung weg vom Nationalstaat, hin zu supranationalen Formen politischer Organisation findet paradigmatisch etwa im Rahmen der EU statt. Fluchtpunkt dieser Bewegung kann nur so etwas wie ein Weltstaat sein.

Doch zurück zum Phänomen des Populismus. Das Nachdenken über den Populismus führt zwangsläufig auch zum Nachdenken über die Demokratie. Nicht zufälligerweise behaupten ja dessen Vertreter auch immer wieder, sei seien nicht nur keine Anti-, sondern sogar die besseren Demokraten. Sie wollen für das Volk sprechen, dessen Wille in der Demokratie ja maßgeblich ist oder sein sollte. Erreichen sie bei Wahlen jedoch keine Mehrheit, so scheinen die anderen Parteien eher den Willen des Volkes zu repräsentieren. Dieser zeigt sich ja in letztlich gültiger Form nur bei einer Wahl. Es bleibt dann den Populisten lediglich die Ausflucht, einen »wahren Willen des wahren Volkes« von dem zu trennen, was an Volkswillen bei Wahlen empirisch auffindbar ist. Die Flucht in derartige Vorstellungen, meint Müller, sei letztlich die paradigmatische gedankliche Bewegung des Populismus. Anfälligkeit für Verschwörungstheorien und radikale Kritik an der repräsentativen Demokratie resultiere auch aus diesem – so könnte man sagen – Trauma des sich nie realisierenden wahren Volkswillen.

Für Müller ist es wesentlich, dass Populisten tatsächlich – über jede Pars-pro-toto-Rhetorik hinaus – behaupten, sie und nur sie seien das Volk bzw. sprächen für das wahre Volk: »Vor allem: Wenn aus einem populistischen ‚Wir sind das Volk‘ so etwas würde wie ein ‚Auch wir sind das Volk‘, dann wäre dies ein völlig legitimer zivilgesellschaftlicher Anspruch derer, die sich vergessen fühlen oder die de facto ausgeschlossen wurden.« Das ist die Pointe seiner Definition. Zugleich ist es fraglich, ob eine solche Theorie dem Phänomen von Parteien wie FPÖ oder AfD wirklich gerecht wird. Diese wären dann, so meine Einschätzung, nur zum Teil populistisch. Ihre Position in jenem Grundkonflikt unserer Zeit, dem Konflikt »Globalismus vs. Nationalismus«, ihre Opposition gegen weitestgehende Auflösung von Volk in Menschheit, wäre nicht automatisch als populistisch (im Sinne Müllers) diskreditiert.

Müllers Definition ist interessant, sein Essay unbedingt lesenswert. Wie viel Populismus in einzelnen Parteien und politischen Bewegungen tatsächlich zu finden ist, bleibt eine offene Frage. Er schreibt: »Solange wir in repräsentativen Demokratien leben, wird es Populismus geben.« Ich stimme dem zu. Müller betont immer wieder das Prozesshafte: Demokratie, auch Volk als Prozess … Es gehört allerdings auch zu diesen Prozessen, dass eine Seite das Feste, das Bleibende von Volk und Demokratie betont, Grenzen zieht gegen die Bewegung ins Grenzenlose. Auch Populisten können hier eine wichtige Rolle spielen. Ich stimme Müller schließlich aber auch zu, wenn er festhält, Populisten »können […] das ursprüngliche Versprechen der Demokratie auf kollektive Autonomie [nicht] einlösen.«

Und ich füge hinzu: Unsere liberale repräsentative Demokratie ist auch nur eine leidlich funktionierende politische Organisationsform, kein Heiligtum. Hoffen wir, dass sie weiterhin funktioniert.

Was ist Populismus? Von Jan-Werner Müller, April 2016, Edition Suhrkamp, ca. 15 Euro. Buch bei Amazon bestellen.

Alles Kultur, Fazit 133 (Juni 2017)

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