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Weil wir Rote sind

| 29. Juni 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Da Wanko, Fazit 134

Fotos: Selfies

Endspiel – und du bist zwei Autofahrstunden von deinem Verein entfernt und nichts geht mehr. Auf der Tangente in Wien Richtung Graz ist ein Stau. Fahrbahnverengung. Zähflüssiger Verkehr ist eine maßlose Untertreibung. Der Verkehr steht.

::: Text von Martin G. Wanko [Hier im Printlayout lesen.]

Ich schaue zu meinem Nachbarn im Auto neben mir. Dem steht schon der Schweiß auf der Stirn. Der schaut auch nicht lustig. Ob ich ihn fragen soll, ob er auch zu meinem Verein fährt? Lieber nicht. Der kommt nicht von hier. Kleiner Bombenbauer? Man weiß ja nie. Ich drehe mich wieder weg.

Ich schaue auf die digitale Uhr am Armaturenbrett. 16:10 Uhr. Um 18:30 Uhr beginnt der Kick und ich sitze bei gefühlten 50 Grad im Auto, 200 Kilometer entfernt. Stell dir vor, du schaffst es nicht pünktlich zum Kick, und die vermasseln das! Dann bist du mit schuld! Der, der nicht dort ist, hat immer mehr Schuld, als der, der dort ist. Und du bist nicht dort, noch nicht. Ich lache mich tot, wir durchfahren die Section Control mit 15 km/h. Warum heißt der Dreck eigentlich nicht Abschnittskontrolle? Der Verkehr kommt ins Rollen. 20 Minuten Zeit verkackt! Der Herr Bombenbauer neben mir im Auto wirkt nun ebenfalls erleichtert. Er schaut zu mir. »Jetzt geht’s los!«, spreche ich ihn an. Er bleibt stumm und starrt gerade aus. Ein bisserl zum Fürchten, er denkt wahrscheinlich das Gleiche über mich. Egal!

Heute holen wir uns die Schale ab. Geht ja nicht anders. Seit vier Jahren das wichtigste Spiel. Das sind über 120 Spiele in Summe! Sollte also niemand sagen, wir hätten uns nicht vorbereitet. Wird sogar online übertragen. Wenn du da nicht die Nerven behältst, schaut das ganz blöd aus. Noch ein Stück blöder, als wenn ich den Kick versäume. Immerhin passieren wir gerade die SCS, Tschüss Mödling, hallo Wiener Neustadt. Keine Ahnung, warum sich der Verein bis zur letzten Minute Zeit gelassen hat. So etwas regelt man in Ruhe, drei Runden vor Schluss. Aber gut, es ist eine dramaturgische Meisterleistung. Den Kassier freut es auch. Ausverkauft ist ausverkauft. Und hoffentlich gewinnen wir. Ich gehe auf die Überholspur. 120, 130, 140, 150, wieder zurück auf 140. Wir wollen es nicht übertreiben. Ich brauche meinen Skoda auch noch am nächsten Tag. Klimaanlage aus und Fenster runter. Musik lauter. Ich gehe im Kopf die Aufstellung durch. Patrick Haider im Tor. Der darf hinten nichts zulassen.

Ob sie ihm seinen Hipster-Bart schneiden, wenn wir Meister werden? So etwas macht man ja oft. Wechsel! Ich verstehe noch immer nicht, warum man auf den Wechsel nur 100 km/h fahren darf. Warum ist dann die Straße dreispurig? Keine Ahnung. Du bremst bei den drei Radarkästen ab, fährst aber ansonsten konstant am Limit. Und es geht. Das erste Mal kommt mir das steirische Herz als Zeichen für die Landesgrenze ins Blickfeld. Gemma!

An Hartberg vorbei, und immer wieder der gleiche Gedanke: Wir sind da noch nicht fertig, da haben wir noch eine Rechnung offen! Geht’s sch***! Dann Gleisdorf. Noch nie habe ich das Ortsschild von Gleisdorf lieber gesehen. Und jetzt Graz. Das Wort mit vier Buchstaben, oft verflucht, doch noch öfter geschätzt. Auto abstellen, Brandhofgasse. Absolut verschwitzt, umziehen, hallo sagen, Tochter Clarissa mitnehmen. Taxi. Weinzödl. Fünf Minuten Spiel versäumt. 0:0 und passt. Ein Fest in Rot! Minute 14. Tooor! Allmannsdorfer > Hackinger > Dabic. Das Torgeschrei verzögert sich um eine laaaaaange Sekunde. Die Sekunde der Ungewissheit. Die Sekunde, in der wir noch von nichts wussten. Als ob man Sicherheit braucht. Ob jetzt keiner mehr pfeift oder sonst etwas. Doch dann geht es los! Ein rotes Fahnenmeer, ein roter Jubel. Das 2:0 ist zugleich die Vorentscheidung. Das Spiel ist aus. Viel Freude und rote Bengalos. Freunde fallen sich in die Arme, als hätten sie sich Jahre nicht gesehen. Meister.

Um 1 Uhr gehe ich schlafen. Nicht mehr ganz nüchtern. Clarissa schaffte es immerhin bis 6 Uhr. Nächster Tag. Ein Anruf von Philip S. in Abwesenheit. 3:15 Uhr. Höre die Mailbox ab: »Waaaanko, Meisterfeier! Der GAK ist in der Landesliga. Waaaanko, Meisterfeier!« Ich höre mir die Aufnahme noch einige Male an und muss lachen. Mit roten Grüßen, G Punkt.

Martin G. Wanko (47) ist Schriftsteller und Journalist. m-wanko.at

Da Wanko, Fazit 134 (Juli 2017), Fotos: Selfies

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