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Der Wert der Marken

| 28. Juli 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 135, Fazitportrait

Foto: Marija Kanizaj

Seit mehr als einem halben Jahrhundert vermittelt Erich Fabianek in zweiter, und Sohn Oliver in dritter Generation Ruhe, Ordnung und Beständigkeit mit ihrem 1939 ursprünglich in Pressburg gegründeten Briefmarkengeschäft im Zentrum von Graz. Was Briefmarken sammeln, Fußball und fechten miteinander zu tun haben, lesen Sie in dieser Geschichte.

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Wenn die Welt aus den Fugen zu geraten scheint, hilft ein Spaziergang durch die Sporgasse. Nicht, dass hier für immer alles beim Alten bliebe – man denke nur an die zahlreichen neuen Eisgeschäfte oder an nicht mehr vorhandene, wie die Konditorei Strehly –, aber hier gibt es noch die sprichwörtlich gewordenen guten alten Dinge. Keine Sporen vom Sporenmacher mehr, die der Gasse ihren Namen gegeben haben, dafür aber Briefmarken vom Briefmarkenhändler. »Briefmarken-Styria Fabianek« heißt der kleine, aber feine Spezialitätenladen auf Hausnummer 14, etwa auf halber Höhe der Gasse, rechts, wenn man hinaufgeht. Seit fast achtzig Jahren besteht dieses Unternehmen bereits. Fast, weil es erst achtundsiebzig sind, weil es sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der Herrengasse befand und weil es bis zur Schließung von besagter Konditorei direkt rechts daneben, auf Nummer 12 angesiedelt war.

Briefmarken und Bildung
Seniorchef Erich Fabianek steht mit 81 Jahren noch immer hinter dem Ladentisch. Mit offensichtlicher Freude tut er dies gemeinsam mit Sohn Oliver (47), der auch schon seit bald zwei Jahrzehnten die Fahne der Philatelie (neben dem Fechtsport) hochhält und eine verläßliche Anlaufstelle für Sammler garantiert. »Briefmarken sind aber mehr als bunte Bilder«, sagt Erich Fabianek: »Ein Markenbild kann uns über Meere und Gebirge, Länder und Zeiten tragen.« Die Briefmarke erziehe zu Ordnung, Genauigkeit und Geduld. »Ein Drittel der Fragen in der Millionenshow im Fernsehen weiß ich wegen der Briefmarken«, ist er sich sicher und führt als Beispiel die TV-Frage nach dem Erfinder der ersten Correspondenzkarte (= Postkarte) an (Emanuel Hermann, 1869, Österreich). Auch beim Erfinder der Nähmaschine hat der Philatelist gepunktet (Josef Madersberger, 60-Groschen-Marke von 1950). Diese Marke ist heute einen dreistelligen Eurobetrag wert. Es gehört Erfahrung und wohl auch Glück dazu, aus seiner Briefmarkensammlung Kapital zu schlagen. Was ist Wert, was ist Glück? Die seinerzeitige Aktie des kleinen Mannes ist eher eine Aktie des erfahrenen Mannes geworden. Mannes im wahren Sinn des Wortes, es gibt seit jeher kaum Briefmarkensammlerinnen. Warum das so ist, wissen nur Tiefenpsychologen und Witzeerzähler. Außerdem hat die Sache mit dem »Darf-ich-Ihnen-meine Briefmarkensammlung-zeigen« ohnehin nie funktioniert; wenn, dann könnte es logischerweise nur umgekehrt funktionieren, aber vielleicht hatte in den Neunzehnsechzigern, als gerade einmal der Fernseher die Wohnzimmer eroberte, der Reiz einer Briefmarke ein anderes Potenzial oder einfach eine andere Qualität als Ausrede und Vorwand? Auch bei Briefmarkenprofi Erich Fabianek, der als Nachfolger des Firmengründers, seines Vaters, schon als Kind mit der Materie vertraut war, lief die Sache rein ehetechnisch gesehen völlig anders. »Das könnte man auch Bestimmung nennen«, spielt er auf die Umstände an, unter denen er seine Frau kennengelernt hat. Dreimal hintereinander ist er ihr in kurzen Abständen völlig zufällig begegnet. »Zum ersten Mal war das auf der Grazer Messe, in der alten Weinhalle, als ich mit einem Freund dort war. Mir ist eine junge Dame aufgefallen, über die ich zu meinem Freund sogar gesagt habe, dass das eine Frau zum Heiraten wäre.« Er hat sie auch sogleich angesprochen, ist jedoch abgeblitzt. Kurz darauf haben sich die beiden Freunde ein Damenhandballspiel angesehen und besagtes Fräulein unter den Spielerinnen identifiziert, ohne aber in Kontakt zu kommen. Noch einmal kurze Zeit später musste er auf einen Sprung die elterliche Wohnung verlassen, um im Auto etwas zu holen. Da begegnete sie ihm auf der Straße. Er sprach sie wieder an und sie ließ sich überreden, mit seinem Auto zu ihrem Ziel, einer Freundin, geführt zu werden. Die war dann nicht zu Hause und man verabredete sich. Alles ganz ohne Briefmarken.

Foto: Marija Kanizaj

Motorboot, Motorboot
Der Ehe entsprang im Übrigen noch ein zweiter Sohn, Andreas, der auch nicht ganz unbekannt ist. Andy Fabianek von KGB, der Kurt-Gober-Band? Mit dem Hit »Motorboot, Motorboot« (ruadern tua i nur zur Not), dem österreichischen Nummer 1 Hit von Ö3, aus dem Jahr 1984? Genau! Als Tontechniker und gefragter Komponist ist er heute zum Beispiel für die Filmmusik von Universum oder Terra Mater verantwortlich. Benannt ist er nach seinem Großvater Andreas Fabianek, der das Familienunternehmens im Jahr 1939 in Pressburg (Bratislava) in der Slowakei gegründet hat, wo das Briefmarkengeschäft aber den Kriegswirren zum Opfer gefallen ist. Mit einem Partner baute er es im Jahr 1945 in der Grazer Herrengasse wieder auf, bevor er 1947 in die Sporgasse übersiedelte und allein weitermachte. Heute befindet sich im ehemaligen Geschäftslokal in der Herrengasse 28 das Eisgeschäft von Charly Temmel, der Anfang der 1990er Jahre Sturm-Präsident war. Das ist insofern erwähnenswert, als auch Erich Fabianek eine Sturm-Vergangenheit hat.

Fußball mit Leopold Stastny
Wenn das nicht der ideale Anstoß für die regelmäßige Abschweifung im Fazitportrait ist! Auch wenn sie dem hohen Anspruch des Paganinis der Abschweifung, jenem von Harry Rowohlt, nicht immer gerecht zu werden vermag – der Versuch, noch besser zu scheitern lohnt allemal. Es ist nämlich so: Firmengründer Andreas Fabianek hat in Bratislava mit Leopold Stastny Fußball gespielt. Wie zumindest nicht mehr ganz junge Leser, aber auch Leserinnen, allesamt auch nicht fußballaffine, wissen, war das ein legendärer Trainer, der den österreichischen Fußball über viele Jahre geprägt hat. Er war nach Hugo Meisl (Wunderteam) und neben Herbert Prohaska der längstdienende Nationaltrainer und ÖFB-Teamchef und sein Humor war so trocken, wie sein Deutsch slowakisch. Sein Wort war Gesetz und es fehlte immer nur ein Quäntchen Glück zum großen Sieg; etwa um zu Beginn seiner Trainerkarriere mit Wacker Innsbruck Meister zu werden (um ein Tor zu wenig) oder am Ende mit der Nationalmannschaft die WM-Qualfikation 1974 zu schaffen (gegen die punktegleichen Schweden in Gelsenkirchen auf Schnee knapp 1:2 verloren), nachdem die Spieler trotz oder gerade wegen der verpassten WM-Qualifikation 1970 an ihm als Trainer festgehalten hatten. Nach seinem Rücktritt 1975 gründete er die österreichische Schülerliga und reformierte nachhaltig die Trainerausbildung. Legendär auch seine lakonischen ORF-Interviews in denen er Dolmetscher von osteuropäischen Spielern staubtrocken ausbesserte (»Dahs chat err jetzt aberr niecht gesagt.«). Und Legion die Kicker, die unter ihm im Team debütierten: Herbert Prohaska, Hans Krankl, Bruno Pezzey, Erich Obermayer, Kurt Jara, Willy Kreuz oder Torhüter Friedl Koncilia. Womit wir wieder beim heutigen Seniorchef sind: Erich Fabianek war ebenfalls Tormann und stand nach seinen Anfängen 1949/50 bei Sturm im Jahr 1953 beim GAK zwischen den Pfosten, wurde dann für ein Jahr nach Voitsberg verliehen, wo er als Techniker bei der ÖDK unterkam. Es folgte noch ein Engagement beim KAC in Kärnten (und der Kelag) sowie 1964 noch in Kapfenberg, bevor er ins väterliche Briefmarkengeschäft in die Sporgasse zurückkehrte.

Millionen, Millionen
Die schnelllebige Zeit lässt die Briefmarke heute anachronistisch erscheinen: Es wird etikettiert, gestempelt, gesimst, gemailt; Briefmarken gibt es nicht einmal mehr in der Trafik – aber das ist eine ganz andere Geschichte. Der Mensch ist ja nicht nur Jäger, sondern auch Sammler und auf einer gewissen Ebene sogar mit Leidenschaft. Zu letzteren gehören die Kunden des Familienbetriebs Fabianek. Viele haben ein »Abo« und erhalten damit regelmäßig, das heißt vier- bis fünfmal im Jahr, die neuesten Marken der Post, aber auch Besonderheiten wie Ersttagsbriefe zugeschickt. »Wir haben Kunden bis Hollywood und Kanada«, erklärt Erich Fabianek. Dass die Kunden vorwiegend ältere Herren sind, macht ihm keine Sorgen. Er ortet vor allem bei der Jugend wieder einen Trend zum Sammeln, wobei Computer und Internet sich von der ablenkenden zur unterstützenden Kraft entwickelt hätten, wenngleich gerade Tauschbörsen eine starke Konkurrenz sind. »Bis in die Neunzehnneunzigerjahre gab es am Samstag, wenn alle zum Einkaufen in die Stadt gekommen sind, das große Wochenendgeschäft. Das machen die Leute heute nicht mehr, dafür ist bei uns das Versandgeschäft entsprechend stark gestiegen«, so der ehemalige Gremialvorsteher in der Wirtschaftskammer und Sachverständige für Philatelie.

Foto: Marija Kanizaj

Hauptkriterien der meisten Sammlungen sind nach wie vor Länder und Motive. Und wenn man nicht gerade hinter Kalibern wie der seltensten Österreich-Marke her ist (»Zinnoberroter Merkur« gestempelt, Katalogpreis vor zehn Jahren 80.000 Euro, heute 120.000 mit Falz beziehungsweise 400.000 gestempelt), zählt Briefmarkensammeln seit mehr als 170 Jahren zu den billigsten Hobbys. Nur der Vollständigkeit halber: Die »blaue Mauritius« wurde von der »British Guiana 1 Cent magenta« als teuerste Briefmarke der Welt abgelöst. Ein Unbekannter hat das Zwanzigfache des Katalogpreises von unserem Merkur dafür hingelegt. Apropos Millionen –  falls Herr Assinger oder Herr Jauch einmal fragen: Die Briefmarke wurde 1840 erfunden (One Penny Black, Großbritannien). Als Telefonjoker empfehlen sich Erich Fabianek und Sohn.

Briefmarken Styria
8010 Graz, Sporgasse 14, Telefon +43 316 812020
briefmarken-styria.at

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