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Alters gerecht

| 30. November 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 138, Fazitportrait

Foto: Marija Kanizaj

In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg herrschte Hunger in Österreich. Um Abhilfe zu schaffen, gründeten Wiener Fürsorgevereine 1922 die »Societas«. Sie ist die Vorläuferorganisation der Volkshilfe, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1947 unter der Federführung von Bruno Kreisky, Josef Afritsch und Maria Matzner entstand. Ein Portrait der Volkshilfe Steiermark zum 70-jährigen Jubiläum.

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Stellen Sie sich vor, Sie sind fünfundachtzig Jahre alt«. So lautete der Vorschlag von Brigitte Schafarik, neben Franz Ferner Geschäftsführerin der Volkshilfe Steiermark, auf die Frage, wie man sich auf das Alter oder besser auf das, was auf einen dabei zukommen mag, vorbereiten kann. Fünfundachtzig! Das sagt man so leicht. Ich konnte mir immer gut vorstellen Superman zu sein, besser Batman, genauer Batboy, der im Gegensatz zu Batgirl noch immer nicht erfunden wurde, aber – damals war ich dreizehn! Oder zwölf oder elf? Jetzt kann ich mich schon daran nicht mehr erinnern, wie soll ich mir da vorstellen, fünfundachtzig zu sein? Wenngleich sich einige Vorboten wie Kreuz- und Gelenksschmerzen sowie Arthrose in meinem Körper längst ein Stelldichein geben und »Der seltsame Fall des Benjamin Button« zu meinen Lieblingsfilmen zählt. Obwohl er einige Längen hat. Es ist schon faszinierend mitanzusehen, wie Brad Pitt mit digitaler Hilfe altert. Wenn auch verkehrt herum: Er wird als Greis geboren, blüht zum jugendlichen Liebhaber auf und vergeht im wahren Sinn des Wortes als Säugling in den Armen von Cate Blanchett, seiner mittlerweile gealterten ehemaligen Geliebten Daisy. »Wir alle sterben in Windeln«, sagt diese zum Schluss und versucht damit die unterschiedliche Zeitrichtung ihrer beider Leben zu versöhnen. Das ist, genau betrachtet, kein wirklicher Trost. Makellose Schönheit, diesfalls von Brad Pitt für einige Momente repräsentiert, löst diese tiefe Traurigkeit aus, weil Daisy und wir Zuschauer ihre Vergänglichkeit bereits zu Beginn des Films gesehen haben. Zu Hollywoodfilmen gehören Tränen, aber es ist eine herrliche Traurigkeit, wie wir sie von »Winnetou III« kennen, wenn der Apachenhäuptling stirbt. So gesehen ist die Endlichkeit der Zeit etwas Herrliches, uns stört allenfalls nur, dass sie nicht unserer Kontrolle unterliegt.

Drei Kernkompetenzen
Das könnte Brigitte Schafarik gemeint haben: Denn hier setzt die Volkshilfe Steiermark an, indem sie ihre Dienstleistungen dann und dort zur Verfügung stellt, wenn und wo sie gebraucht werden. Für den Betroffenen ist es oft zu einer Unzeit, eben zu einer nicht mehr kontrollierbaren Zeit – was natürlich davon abhängt, welche Dienstleistung man benötigt. Grundsätzlich hat die Volkshilfe heute drei Kernkompetenzen: Kinderbetreuung, mobile Pflege- und Betreuungsdienste sowie Pflegeheime. Dazu kommen noch Betreutes Wohnen, Projekte wie Vivid (Fachstelle für Suchtprävention), die Kinderdrehscheibe (Informationsanlaufstelle für Eltern über Kinderbetreuungseinrichtungen in der gesamten Steiermark), Tageszentren und das Kinderschutzzentrum.

Gesellschaftspolitischer Auftrag
Es war ein langer Weg, bis diese Struktur geformt und gefestigt war und in vielen Bereichen, so etwa in der Kinderbetreuung, war die Volkshilfe Vorreiter und federführend zugleich. So werden täglich rund 2.500 Kinder von den Kinderkrippen und -gärten, den Horten und den Tagesmüttern der Volkshilfe Steiermark betreut, die Kindergärten haben seit jeher auch in den Ferien geöffnet. »Kinderbetreuung bedeutet nicht nur Pädagogik, sondern auch Unterstützung für die Familien, die tagsüber im Berufsleben stehen. Wir erfüllen damit auch einen gesellschaftspolitischen Auftrag«, so die Präsidentin der Volkshilfe Steiermark, Barbara Gross. Sie war ab 1989 Abgeordnete und bis 2010 Dritte Präsidentin des steiermärkischen Landtags und ist heute auch – ebenfalls ehrenamtlich – Präsidentin der Volkshilfe Österreich. Als sie 1994 den Landesvorsitz in der Steiermark übernahm und in der Folge Franz Ferner als neuer Geschäftsführer dazu kam, fand ein Kurswechsel statt. Der war notwendig geworden, weil die Ausweitung der sozialen Dienste die Ressourcen der ehrenamtlich tätigen Funktionäre bei weitem überstieg. Professionalisierung war angesagt, somit Organisationsentwicklung, Konzentration auf Kernkompetenzen, hauptamtliche Beschäftigung der Mitarbeiter, Qualitätssicherungsmaßnahmen bis hin zur ISO-Zertifizierung; bedarfsorientierter Einsatz der Hilfeleistungen und damit ein neues Verhältnis zwischen Leistungserbringern und Leistungsempfängern.

2.850 Mitarbeiter, 118 Millionen Umsatz
Der Dienstleistungsbereich wurde in eine GmbH mit entsprechender Entscheidungs- und Managementstruktur ausgegliedert, deren Eigentümer der Verein ist und dies alles nach wie vor unter dem Zeichen der nicht gewinnorientierten Gemeinnützigkeit. Franz Ferner und Brigitte Schafarik sind Geschäftsführer der GmbH, Barbara Gross ist Vorsitzende des Aufsichtsrats.
Heute hat die Volkshilfe Steiermark 2.850 angestellte Mitarbeiter, die im Vorjahr für einen Umsatz von 118,7 Millionen Euro sorgten. Dazu kommen noch 750 ehrenamtliche Mitarbeiter, einem wichtigen und »unbezahlbaren« Grundpfeiler der Volkshilfe. Ein Zeichen setzt die Volkshilfe Steiermark auch beim Frauenanteil: 88,5 Prozent bei den Mitarbeitern und 80 Prozent im Management (Leiterinnen der zahlreichen Einrichtungen). 12.000 Menschen in insgesamt rund 120 Einrichtungen beziehungsweise jeweils bei sich zu Hause erhalten täglich Leistungen und Hilfe durch die Volkshilfe Steiermark. Mehr als 320.000 Stunden Pflege und Betreuung leisten die Mitarbeiterinnen im Bereich der Hauskrankenpflege, der Pflegeassistenz und der Heimhilfe pro Jahr. 3.000 Personen werden im eigenen Zuhause betreut, es gibt 30 betreute Wohnanlagen, 25 Pflegeheime mit 1.500 Heimplätzen, sowie 4.500 Vereinsmitglieder und 18 ehrenamtliche Bezirks- und Regionalvereine. Brigitte Schafarik: »Wir sind regional stark verankert und haben hohe Standards muss man dazu sagen. Zu den Stärken der Volkshilfe gehören aber ebenso Beratungen für Angehörige in den Bereichen Demenz, Inkontinenz, Dekubitus/Wundmanagement oder auch zu ethischen Fragen. »Empfohlen werden unsere Angebote durch den »Mundfunk«, ergänzt Barbara Gross.

Größter Pflegeheimbetreiber der Steiermark
Mit 25 Pflegeheimen ist die Volkshilfe Steiermark der größte Player unter den Heimbetreibern. In Graz gibt es zwei Heime, eines in Wetzelsdorf und eines in Eggenberg, das sind auch jene Bezirke, in denen die Volkshilfe für Mobile Dienste, also Krankenpflege, Sozialbetreuung (Altenarbeit, Pflegehilfe) und Heimhilfe zuständig ist. Die restlichen 15 Grazer Bezirke sind im Bereich der Mobilen Dienste auf die vier anderen Anbieter Caritas, Rotes Kreuz, Sozialmedizinischer Pflegedienst/HKP und Hilfswerk aufgeteilt. Der Ausbau der Pflegeheime hat 1995 begonnen. Franz Ferner: »Da hat sich enorm viel geändert. In den 1960er Jahren hat man noch von Siechenheimen und Wärterinnen gesprochen, heute begleiten hochqualifizierte und engagierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unsere Bewohner und Bewohnerinnen und sorgen für beste Pflege und Betreuung«. Gestützt wird das auf Leistungsverträge und Normen wie das Pflegeheimgesetz oder das Sozialhilfegesetz. Die Einführung des Pflegegelds im Jahr 1993 hat für Geld und Rahmenbedingungen gesorgt. Ab der Pflegestufe 4 besteht ein Rechtsanspruch auf einen Heimplatz. Wenn das Geld nicht reicht, wird der Rest von der Sozialhilfe bezahlt. Ein Heimplatz bei Pflegestufe 5 kostet rund 3.200 Euro im Monat – wer kann sich das leisten? »Knapp 20 Prozent sind bei uns Selbstzahler, das heißt 80 Prozent erhalten diesen Zuschuss«, so Ferner. Und Gross: »Der Angehörigenregress ist 2014 gefallen, der Bewohnerregress fällt mit 1. Jänner 2018.« Kein Wunder, dass sich auch die Volkshilfe für eine Pflegesicherung ausspricht, genauer für einen solidarisch finanzierten Pflegefonds als wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer solidarischen Pflegevorsorge, die allen Menschen Pflege und Betreuung sichern soll.

Sozialdemokratisch, aber überparteilich
Dabei spiegelt sich die 70jährige Geschichte der Volkshilfe wider, die in weiten Teilen auch eine Geschichte der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie ist. Als Maria Matzner und ihre Mitstreiterinnen 1947 zur Gründungsversammlung der Volkshilfe Steiermark eintrafen, waren sie wahrscheinlich zu Fuß gegangen, denn Fahrzeuge gab es zwei Jahre nach Kriegsende kaum. Graz und weite Teile der Steiermark waren zerbombt, die Not war unbeschreiblich. In dieser dramatischen Situation gab es Menschen, die aus ihrer Überzeugung heraus anderen Menschen helfen wollten, wie sie es schon vor dem Verbot der Sozialdemokratie im Jahr 1934 in der »Societas« getan hatten. Innerhalb der sozialdemokratischen Partei entflammte die Diskussion darüber, ob die Arbeiterhilfe der Vergangenheit wiederbelebt oder eben eine neue, offene und überparteiliche Wohlfahrtsorganisation geschaffen werden solle. Die Steirerin Maria Matzner setzte sich vor allem wegen der Unterstützung durch Bruno Kreisky durch. Sie war der Meinung, dass eine Wohlfahrtsorganisation für die bestmögliche Wirksamkeit eine breite überparteiliche Grundlage benötige. Mit Ende des Zweiten Weltkrieges brachen auch die öffentlichen Verwaltungen zusammen. Die Städte und Gemeinden versuchten, dem sich abzeichnenden Chaos Einhalt zu gebieten. In dieser Situation begann die Volkshilfe ihre Arbeit. Und das genau in jenem Haus in der Sackgasse 20, in dem noch heute die Geschäftsstelle der Volkshilfe ihren Sitz hat, im Reinerhof, dem ältesten urkundlich erwähnten Gebäude von Graz.

Volkshilfe Steiermark
8010 Graz, Sackstraße 20
Telefon +43 316 8960*0
stmk.volkshilfe.at

Fazitportrait, Fazit 138 (Dezember 2017) – Fotos: Marija Kanizaj

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