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Die deutsche Kanzlerin sollte den Weg für Neues freimachen

| 22. Februar 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 140

Bald fünf Monate nach der Bundestagswahl steht Deutschland jetzt offenbar vor der Bildung einer erneuten Koalition zwischen Union und Sozialdemokraten. Nachdem das Hirngespinst »Jamaika« aus Union, FDP und Grünen recht bald vom Tisch war, hat es in der Führung der SPD einen Paradigmenwechsel gegeben; aus »Staatsräson« will man nun doch mit Angela Merkel, der für eine von der SPD angebotene Minderheitsregierung der Mut fehlte, eine weitere Periode regieren. Zumindest die Spitze der SPD will das.

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Mit knapper Not und unter allem Einsatz der wohl bald neuen Parteichefin Andrea Nahles konnte auf einer Konferenz die Partei grünes Licht für Sondierungsverhandlungen erringen. Freilich unter der Auflage, dass die – erst fertigzustellende – Koalitionsvereinbarung einer Urabstimmung unter den Mitgliedern der SPD unterzogen wird. Etwa Juso-Chef Kevin Kühnert opponiert ja stark gegen einen Regierungseintritt seiner Partei, und wie diese Urabstimmung in letzter Konsequenz ausgehen wird, ist noch nicht abzuschätzen.

Die Bundesrepublik, die wirtschaftlich so gut dasteht wie noch nie, ist durch die Flüchtlingsthematik der letzten Jahre zu einer gespaltenen Republik geworden. Dabei aber nur »Asylgegner« und »Willkommenskulturträger« zu unterscheiden, greift denkbar zu kurz. Es wird noch länger ein schwer aufzulösendes Paradoxon bleiben, zum Einen die Selbstverständlichkeit der notwendigen Hilfe für Verfolgte im Auge zu haben und gleichzeitig die Sorgen und Befürchtungen der heimischen Bevölkerung nicht außer Acht zu lassen. Und Probleme, die es mit Flüchtlingen gibt, und sei es nur das der großen Zahl, auch offen und ohne jede Hetze anzusprechen. (Dass Angela Merkel diese »heimische Bevölkerung« als eine Gruppe bezeichnet hat, die »schon länger hier ist« – zur Unterscheidung von jenen, die gerade gekommen sind, erscheint dabei wenig hilfreich.) Bei all den Widerwärtigkeiten, man denke an die aktuelle Aschermittwochsrede eines AFD-Funktionärs in Ostdeutschland, die es im Zusammenhang mit Flüchtlingen auch gibt, soll, darf und kann man nicht vergessen, dass es die Deutschen sind, die so viele Menschen wie kein anderer Staat dieser Welt aufgenommen haben!

Dieses Problem der Zerissenheit wird den Bundestag und die zu konstituierende Bundesregierung die nächsten Jahre jedenfalls begleiten und der Umgang damit wird die Zukunft dieses größten europäischen Landes – und damit auch die Österreichs und Europas – stark beeinflussen. Wie weit das augenscheinlich überforderte Spitzenpersonal von SPD, aber auch von CDU/CSU dazu in der Lage ist, diese Aufgaben zu meistern, steht in den Sternen.

Nehmen wir die SPD mit Martin Schulz, der noch vor einem Jahr mit 100 Prozent zum Parteichef gewählt wurde. Er ging offenbar allen Ernstes davon aus, am Tag der Wahl quasi einen Schwur ablegen zu können, nie und nimmer in eine Regierung mit Merkel zu gehen, um sich dann einige Monate später als Außenminister ein interessantes letztes Amt zu genehmigen. Gut, da ist der Ausgang bekannt, Schulz ist mittlerweile zurückgetreten. Oder auch Andrea Nahles, die für etwa 48 Stunden als »kommissarische Parteichefin« gehandelt wurde, ehe wenigstens einem dort bewusst wurde, dass ein solches Amt (statutarisch) nur ein Stellvertreter des Parteichefs ausüben darf. Wie ernst nehmen diese Herrschaften eigentlich ihre Arbeit, wenn solche absolute Kindergartenpannen passieren? Wie weit ihr Stil – man denke nur an »Bätschi« oder »Widewidewitt« – bei Parteimitgliedern und Bevölkerung ankommen wird, lassen wir dabei unbeachtet. Das ist Geschmackssache.

Und die Union mit Angela Merkel? Diese Frau ist – mir zumindest – ein Enigma, ein Rätsel. Bei allem selbstverständlichem Respekt vor einem (jedem) deutschen Kanzler, erscheint mir ihre – von so vielen Medien als Gabe verklärte – Nichtentscheidungsfreudigkeit als letztlich inhaltsloser Spin. Wenn diese Frau wirklich als große Frau in die Geschichte eingehen will, dann muss sie nach zwölf Jahren Kanzlerschaft eines tun: Mit der SPD eine Regierung bilden und sich selbst zurückziehen. Und damit jedenfalls vorhandenen neuen wie fähigen Persönlichkeiten die Möglichkeit geben, für ein Land, für einen Kontinent zu arbeiten, in dem wir alle gut und gerne leben wollen. Vielleicht hat die Basis der SPD einen größeren Weitblick.

Editorial, Fazit 140 (März 2018)

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