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EPUs – Unternehmer aus Leidenschaft …

| 1. Juni 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 143, Fazitthema

Foto: Ben White/Unsplash

… oder Prekariat als Tugend? Einzelunternehmer und Selbstständige, so nannte man früher jene unternehmerisch tätigen Menschen, die oft auf sich allein gestellt in Handwerk, Gewerbe oder Handel arbeiteten. Seit rund zehn Jahren hat sich auch offiziell die hippe Abkürzung EPU eingebürgert, die für die Wortschöpfung »Ein-Personen-Unternehmen« steht. Hinter diesem Begriff verbirgt sich eine äußerst heterogene und zahlreiche Gruppe, die in den vielfältigsten Berufsfeldern und in sehr unterschiedlichen Arbeitsbedingungen ihrem Broterwerb nachgeht. Viele von ihnen kämpfen aber mit ähnlichen Problemen, zu deren Lösung die Politik bislang nur zögerlich beiträgt. Text von Josef Schiffer.

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Schon bei der Abgrenzung und Definition der Gesamtheit aller EPU in Österreich zeigen sich deutliche Unschärfen. Die Wirtschaftskammer weist in ihrer aktuellen Statistik mit Ende 2017 eine Anzahl von 307.883 Ein-Personen-Unternehmen aus, während es im Jahr 2011 erst rund 240.000 waren, sie bezieht dabei jedoch in diese Aufstellung nur ihre Mitglieder mit ein. In dieser Summe schlagen zudem 62.700 meist aus osteuropäischen Ländern stammende selbstständige Personenbetreuer und Pflegekräfte zu Buche, die seit 2007 als freies Gewerbe verpflichtend der Wirtschaftskammer angehören müssen.

Viele heterogene Berufsbilder
Nicht zu Angehörigen der Wirtschaftskammer zählen weitere selbstständige Erwerbstätige, die ebenfalls auf eigene Rechnung arbeiten und vielfach keine zusätzlichen Arbeitnehmer beschäftigen. Neben den typischen traditionellen Berufsgruppen, wie Landwirten, Rechtsanwälten, Architekten, Therapeuten oder Ärzten, die in jeweils eigenen Standesvertretungen organisiert sind, gibt es inzwischen österreichweit an die 45.000 »Neue Selbstständige«, in weiter stark wachsenden Zahlen, die weitgehend ohne eigene Berufsvertretung auskommen müssen. Darunter fallen unter anderem freie Journalisten, Wissenschaftler, Kulturschaffende und Vertreter des Kreativsektors, aber auch viele Beschäftigungsformen im Gesundheitsbereich.

Die rasch wachsende Zahl an EPUs spiegelt auch den strukturell begründeten dramatischen Wandel in den Beschäftigungsverhältnissen wider − nicht nur der österreichischen Wirtschaft, sondern auch europaweit und global. Neben einem Zuwachs an Teilzeit- und Mehrfachbeschäftigungen kommt es in vielen Branchen parallel zu einem Abbau von nach Kollektivverträgen angestellten Mitarbeitern. Da der heimische Arbeitsmarkt trotz leichter Verbesserung der Wirtschaftslage vor allem ältere Arbeitnehmer, die ihren Job verloren haben, nicht ausreichend absorbieren kann, wählen viele davon mehr oder minder freiwillig den Weg in die Selbstständigkeit. Gründerprogramme des AMS und zahlreiche Informationsangebote können den Mangel an unternehmerischer Erfahrung in vielen Fällen leider nur unzureichend ausgleichen: Die Erwartungen der neuen Unternehmer sind hoch, ihr Eifer groß. Den Vorteilen, wie flexibler Zeiteinteilung, weitgehend selbstständige Arbeitsplanung und mehr Zeit für die Familie stehen mitunter extreme Schattenseiten gegenüber, wie z. B. lange Arbeitszeiten von 80 und mehr Wochenstunden, die in vielen Fällen an gesundheitlichen Raubbau grenzen oder gar zum Burn-out führen, entsprechend niedrige Stundensätze sowie nicht selten die Abhängigkeit vom Wohlwollen eines oder weniger Auftraggeber, weil die Ressourcen für die Anwerbung neuer Aufträge bzw. ein effektiver und origineller Webauftritt nicht vorhanden sind.

Hohe Abgaben und Zahlungsdruck
Auch wenn für neue Selbstständige kein Gewerbeschein erforderlich ist und daher keine Pflichtmitgliedschaft in der Wirtschaftskammer besteht, gilt für sie, dass sie ihre Tätigkeit bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) anmelden müssen, wenn ihr Jahresbruttoeinkommen den Betrag von 5.256,60 Euro (für 2018) übersteigt. Das bedeutet in der Praxis, dass vor allem bei selbstständigen, relativ geringen  Einkommen die Beiträge zur Sozialversicherung − oft fast ein Drittel des Einkommens – einen unverhältnismäßig hohen Anteil ausmachen, wie die kritische Plattform »Amici delle SVA« auf ihrer Homepage festhält. Laut ihren Berechnungen heißt das, dass ein alleinstehender Selbstständiger erst ab einem Jahreseinkommen von 14.000 Euro nach Abzug aller Steuern und Beiträge die Höhe der bedarfsorientierten Mindestsicherung (838 Euro im Monat) erreicht.

In diesen Einkommenskategorien bewegt sich immerhin knapp die Hälfte aller EPUs, bei den freien Selbstständigen sogar ein noch weitaus höherer Anteil. Der Weg zur Mindestsicherung bleibt Selbstständigen in aller Regel verschlossen, da diese dann den Gewerbeschein zurücklegen und im Gegensatz zu Arbeitnehmern keine zusätzlichen Einkünfte generieren dürfen. Vor allem bei niedrigen Einkommen wirkt sich dieser Effekt drastisch aus, wie ein Rechenbeispiel der Amici (mit Zahlen aus dem Jahr 2014) aufzeigt: »Jemand, der als EPU im Jahr 6.500 Euro verdient, muss die SVA-Mindestbeiträge in Höhe von 1.700 Euro im Jahr zahlen. Es bleiben ihm also 4.800 Euro zum Leben.« Durch die jüngst erfolgte Absenkung der Einkommensgrenze auf 5.256,60 Euro im Jahr fallen weitere Tausende kleine Selbstständige unter die Versicherungspflicht der SVA. Ein weiteres Problem liegt zudem in den je nach der aktuellen Auftragslage schwankenden Einkommen, sodass schlechte Jahre in Kombination mit höheren Nachforderungen für vergangene bessere Jahre schnell in den Konkurs führen können.

Krankheit und Auftragsflaute als EPU-Killer
Eines der zentralen Probleme der Selbstständigkeit besteht in der permanenten Unsicherheit über die eigene Zukunft. Die damit verbundenen Unwägbarkeiten hat wohl jeder Inhaber eines EPU schon einmal miterlebt. An einem Tag fällt aufgrund von Missverständnissen ein wichtiger Auftrag flach, am nächsten erfährt man von Verzögerungen oder gar einem Zahlungsausfall eines anderen Kunden, während am dritten Tag Rechnungen und Forderungen eintrudeln. Und während sich der mit dem hohen bürokratischen Aufwand oft schon überforderte Unternehmer die Haare rauft, kommt es noch dicker und er liegt mit einer Grippe oder einem Beinbruch im Krankenbett, sodass es unter Umständen zu wochenlangen Arbeitsausfällen kommt. Solche Situationen treffen natürlich EPUs, die in erster Linie auf ihre eigene Arbeitskraft angewiesen sind, am härtesten und können schnell an den Rand der wirtschaftlichen Existenz führen. Trotz einer Neuregelung ist vor allem die derzeitige Lage beim Krankengeld für die Betroffenen weiter unbefriedigend. Statt wie bisher ab dem 43. Tag der Erkrankung wird es jetzt bereits ab dem 4. Tag rückwirkend ausbezahlt. Der Pferdefuß bei der Geschichte: Der Tagessatz beträgt magere 29,60 Euro, und dauert die Krankheit kürzer als 43 Tage, gibt es gar keine Entschädigung. Ein weiteres Problem ist der schwierige Zugang zu Fremdkapital, ein Thema, das ein eigenes Kapitel füllen würde. Immer strengere Eigenkapitalerfordernisse erschweren gerade kleinen Unternehmen den Zugang zu Investitionsmitteln enorm. Alternative Finanzierungsformen erleben derzeit einen kleinen Boom, haben aber in Österreich im internationalen Vergleich eine bislang nur marginale Bedeutung.

Konkurrenzdruck und sinkende Honorare
Auch wenn in vielen Branchen kein Anlass zum Jammern besteht und die Auftragsbücher oft sprichwörtlich überquellen, gibt es doch unter anderem bei freien Berufen und am Kreativsektor inzwischen auch Phänomene von Lohndumping. Von den Fachhochschulen und Universitäten abgehende, gut ausgebildete Absolventen sind nur zu oft bereit, für geringe Entlohnung oder im Extremfall gratis ihre Leistungen anzubieten, um Praxiserfahrung zu sammeln. Das trifft zum Beispiel auf Journalisten und Werbetexter zu, aber auch auf Grafiker und den Medienbereich. Gerade bei Filmschaffenden sind durch die Vielzahl von Anbietern die erzielbaren Tagessätze in den vergangenen Jahren um teilweise mehr als fünfzig Prozent zurückgegangen, berichten EPUs, die in dieser Branche Aufträge zu ergattern versuchen. Dem steigenden Druck versucht man auf vielfältige Weise zu entgehen, im Trend liegen Coworking-Spaces und Bürogemeinschaften, wo sich im Idealfall auch unterschiedliche Talente und Berufserfahrungen ergänzen und man einander gegenseitig Aufträge weitervermitteln kann. Im Netzwerken und dem Aufbau von Kontakten, von vielen Workaholics oft als Zeitverschwendung abgetan, liegt nicht selten der Schlüssel zum wirtschaftlichen Überleben. Nur durch die damit verbundenen Strategien des Crowdworking kann die Kundenbasis erweitert und das eigene Portfolio aufgestockt werden, um sich breiter aufzustellen und den unerwarteten Ausfall von Aufträgen wettzumachen.

Zwiespältige Haltung der Wirtschaftskammer
Die Wirtschaftskammern beginnen sich erst langsam auf die Potenziale und Risiken der flexiblen Einzelunternehmer einzustellen. Auch wenn in der Zwischenzeit die wachsende Zahl an EPUs einen überwiegenden Anteil der Mitglieder in der WKO einnimmt, bleibt ihr Einfluss in den Gremien gering. Andererseits betont man von Seiten der WKO gern deren durchaus prestigeträchtiges modernes Image, ihren immensen Beitrag für die gesamte Wirtschaft sowie ihre wichtige Rolle in vielen innovativen Sparten, was sich auch in der Schaffung eines eigenen EPU-Erfolgstages ausdrückt, der seit vier Jahren veranstaltet wird und der der Information und besseren Vernetzung unter den Selbstständigen dienen soll. Das geschieht freilich nicht zuletzt aus dem nicht ganz uneigennützigen Antrieb, die WKO-Pflichtmitgliedschaft durch entsprechende Serviceangebote und rechtliche Verbesserungen besser zu rechtfertigen. Rund 44.000 Ein-Personen-Unternehmen zählt man mittlerweile in der Steiermark, weiß Josef Herk, Präsident WKO Steiermark, und hebt die erfolgreichen Bemühungen um Verbesserungen in Teilbereichen hervor, erkennt aber auch die problematische Situation vieler kleiner Selbstständiger: »Es ist erfreulich, dass wir als WKO gerade für diese Gruppe in jüngster Zeit zahlreiche Verbesserungen erzielen konnten, so zum Beispiel die Senkung der SV-Mindestbeitragsgrundlage, mehr Rechtssicherheit durch eine bessere Abgrenzung zwischen Selbstständigen und Dienstnehmern oder die beinahe Verdoppelung des Wochengeldes. Trotzdem gibt es hier bei den Rahmenbedingungen, speziell für Kleinstunternehmer, nach wie vor Verbesserungspotenzial.«

Dem schließt sich Burkhard Neuper, Vorsitzender des EPU-Beirates in der WKO Steiermark, an: »Ein besonderes Anliegen für uns ist die Verbesserung von Rahmenbedingungen für EPUs, speziell was die rechtliche und soziale Absicherung betrifft, aber auch steuerliche Vereinfachungen sind für uns für die nächste Legislaturperiode sehr wesentlich.« Ob sich diese berechtigten Anliegen auch politisch in die Praxis umsetzen lassen werden, hängt jedoch in erster Linie von künftigen Plänen der Bundespolitik ab, auf die die zahnlose Lobby der kleinen Selbstständigen erfahrungsgemäß nur minimalen Einfluss hat.

Eine von der Jungen Wirtschaft in mehreren Auflagen herausgegebene Broschüre mit dem Titel »14 EPU-Mythen« versucht mit den Vorurteilen und negativen Sichtweisen auf die Kleinstunternehmen aufzuräumen und vermittelt eine optimistische Sicht auf die Chancen der EPUs auf dem wirtschaftlichen Parkett. Manche der darin präsentierten Statistiken wirken etwas geschönt, wie jene, dass nur zwei Prozent der Arbeitslosen, die davor unselbstständig beschäftigt waren, sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig gemacht hätten. Auf kammerpflichtige Gewerbe mag das ja eventuell zutreffen, aber bei den freien Berufen sieht die Relation in der Praxis deutlich anders aus.

Langjährige Forderungen
Rund um die oben schon erwähnte kritische Plattform »Amici delle SVA« der freien Selbstständigen, die mit der Zeit auf über 11.000 Mitglieder angewachsen ist, ist es in den letzten beiden Jahren eher ruhiger geworden. Vor der Nationalratswahl hatte man noch versucht, den damaligen Bundeskanzler Christian Kern bzw. weitere zuständige Minister und Politiker mit Forderungen nach gerechteren Bedingungen in der sozialen Absicherung zu konfrontieren. Vielfach stieß man dabei angesichts starrer ideologischer Scheuklappen auf schlichtes Unverständnis, berichten die Amici-Vertreter auf ihrer Facebook-Seite. Nach jahrelangem Verhandeln waren seit 2011 immerhin einige Erfolge erzielt worden, wie eine Deckelung des Selbstbehaltes auf 5 Prozent des Jahreseinkommens, die Senkung der Verzugszinsen und eine Erhöhung des Wochengeldes für selbstständige Mütter. Zentrale Forderungen wie die Abschaffung des 20-Prozent-Selbstbehaltes, die Befreiung von Zahlungen während Krankheit sowie eine grundlegende Umstrukturierung des Versicherungssystems für Selbstständige sind von den Verantwortlichen nicht einmal ansatzweise ins Auge gefasst worden.

Alternative Modelle
Während eine beträchtliche Anzahl von Einzelunternehmern zweifellos gut über die Runden kommt, bedeutet EPU vielfach prekäres Unternehmertum. Immer mehr dieser Personen gehen wechselnd oder auch gleichzeitig selbstständiger und unselbstständiger Erwerbsarbeit nach, da sie häufig nicht von einem Job alleine leben können. Gerade unter den Selbstständigen ist der Anteil an »Working Poor« mit 15 Prozent besonders hoch und rund ein Drittel der SVA-Versicherten sind zugleich mehrfach versichert, das heißt, sie haben mehrere Erwerbsformen, erklären Vertreter der Grünen Wirtschaft, die sich ganz besonders für diese Zielgruppe einsetzen. Die soziale Absicherung ist in Österreich zwar gut, kostet aber gerade Kleinstverdienern beträchtliche Anteile des Einkommens mit allen damit verbundenen Risiken, während Arbeitslose von Sozialabgaben weitgehend befreit sind. Die Vorschläge der Grünen Wirtschaft, die sich auch mit Studien und Erkenntnissen innerhalb der SVA decken, gehen dahin, die Mehrfachversicherung unterhalb eines bestimmten jährlichen Gesamteinkommens (in Höhe von etwa 20.000 Euro) zusammenzulegen, in Form eines so genannten integrierten Modells, wie es beispielsweise in Dänemark bereits praktiziert wird. Weitere Forderungen betreffen die Abschaffung des 20-prozentigen Selbstbehaltes beim Arzt, der etwa für Bauern schon vor vielen Jahren ersatzlos abgeschafft wurde, sowie ein einheitliches Pensionsrecht und eine Arbeitslosenversicherung für Selbstständige.

Es bleibt abzuwarten, ob die Strategien der neuen Bundesregierung für die Zusammenlegung der Sozial- und Krankenversicherungen auch für die Kleinstunternehmer echte Verbesserungen mit sich bringen werden. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Bundespolitik auf den zahlenmäßigen Anstieg der EPUs nach den Erfahrungen vieler Betroffener bislang nur mit zögerlichen Maßnahmen und vagen Absichtserklärungen reagiert hat. Dennoch wird sich die Politik auf Dauer nicht der Beantwortung der Frage entziehen können, ob es angesichts einer sich radikal verändernden Arbeitswelt nicht sinnvoller ist, die Rahmenbedingungen für Selbstständige attraktiver zu gestalten, anstatt Modelle der Mindestsicherung auszubauen. Denn eine solche Entwicklung benachteiligt exakt die motivierten und leistungsbereiten Anteile der arbeitsfähigen Bevölkerung.

Fazitthema Fazit 143 (Juni 2018), Foto: Ben White/Unsplash

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