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Diese Regierung hat ein großes Manko. Ihr fehlt eine funktionierende Opposition

| 4. Oktober 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 146

Kern konnte Kanzler. Opposition konnte er nicht. Das war – spätestens – in den Stunden nach dem Wahlausgang der letzten Nationalratswahl offensichtlich. Nun hat er aber mit seinem ausnehmend unorthodoxen Abgang seine ohnehin in einer Krise befindlichen Partei weiter geschwächt.

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Per Pressestatement zu verkünden, er habe sich dazu »entschlossen«, Spitzenkandidat der Sozialdemokraten bei der nächsten Europawahl zu werden, lässt jedes politische Feingefühl vor allem aber Gespür vermissen. Das ganze noch dazu mit so kruden Äußerungen, wie es sei nicht sein Stil, »mit dem Bihänder auf Leute einzudreschen«, denn er habe sich »andere Umgangsformen« erworben, zu garnieren, schadet zudem wieder einmal – da lassen sich ja aus allen Parteien Beispiele finden – der Politik insgesamt. Jetzt ist das Wohlergehen der SPÖ nicht mein erstes Thema, wenn ich frühmorgens aufstehe, ihr aktueller Niedergang vermag mich aber keinesfalls mit Freude zu erfüllen.

Wie weit Pamela Rendi-Wagner, die nach zahlreichen Absagen möglicher Kandidaten nun offenbar die nächste – und damit erste weibliche – SPÖ-Chefin sein soll, die richtige Frau zur richtigen Zeit ist, wird sich zeigen. Ich befürchte, dass mit ihrer Kür eine sympathische und jedenfalls kompetente, aber (partei-)politisch recht unerfahrene Person in den nächsten Jahren eher aufgerieben wird, und dass ein Andreas Schieder der Partei zumindest für eine Übergangszeit besser getan hätte. Rendi-Wagner wäre ja jung genug, dann bei der übernächsten Wahl als Spitzenkandidatin anzutreten.

Besonders geschadet hat Christian Kern auch der versammelten Opposition im Parlament. Die Neos haben mit dem (bald ganz vollzogenen) Abgang von Parteigründer Matthias Strolz ordentlich an Strahlkraft verloren und ihre gesellschaftspolitisch viel zu deutlich linken Positionen machen sie nach meinem Dafürhalten auch nicht nur interessanter. Und die Liste Pilz stellt für mich sowieso ein Faszinosum dar: Welch echter Demokrat, kann eine Bewegung, der ein derart angeschlagener Peter Pilz (im Parlament) vorsteht, noch wirklich ernst nehmen?

Die Opposition muss endlich wieder Tritt fassen, um ihrer wichtigen demokratischen Funktion, die eben nicht nur aus dem Dreschen mit Bihändern besteht, nachkommen zu können. Zuallererst sollte sie sich aus der Umklammerung von reserveoppositionellen, vor allem natürlich links orientierten, Journalisten lösen, die seit Antritt der aktuellen Bundesregierung das vierte Reich erstanden sehen. Und mit gerechtfertigtem Vertrauen in die – plusminus wunderbar funktionierenden – demokratischen Strukturen in Österreich mehr Gelassenheit an den Tag legen. Auch die perpetuierenden Kalauer und Vorwürfe, der Kanzler hätte ja keine Berufsausbildung (ein Studienabbrecher!) festigen auf Sicht nicht das Vertrauen auf die inhaltliche Dichte der Minderheitsfraktionen, sondern stellen ganz im Gegenteil ein abgehobenes und – von linken ja eigentlich so verachtetes – elitäres Verhalten dar.

Recht gut beobachten konnte man das dieser Tage, als – der von Vizekanzler Strache übrigens in Verachtung der Realität als »bester Innenminister der zweiten Republik« bezeichnete – Herbert Kickl mit einem Rundschreiben seines Ministeriums (die genaue Urheberschaft ist zur Stunde noch unklar) ins Gerede kam. Diese »Anregung« an untergeordnete Dienststellen hat zum Inhalt, dass mit »kritische Medien« (Falter, Kurier und Standard wurden explizit genannt) die Kommunikation auf das nötigste rechtlich vorgesehene Maß beschränkt werden soll. Der Aufschrei in der Twitterblase war gewaltig. Die Pressefreiheit werde abgeschafft, an Bücherverbrennungen wurde erinnert und zum »Gang auf die Straße« aufgerufen. Geht es auch etwas weniger hysterisch?

Zum Einen hat es eben geheissen, das »rechtlich vorgesehene« Maß sei einzuhalten, zum Anderen wäre es viel konstruktiver, abzuwarten und jeden einzelnen Fall von wirklicher Einschränkung der Medienfreiheit deutlich aufzuzeigen. Das würde ich mir von einer kritischen Medienöffentlichkeit und eben auch von einer sinnvollen Opposition erwarten. Derzeit habe ich in beide wenig Vertrauen. Wer immer sofort Feuer schreit, der läuft Gefahr, dann, wenn es wirklich brennt, nicht gehört zu werden. Das würde dann allen Demokraten in diesem Land auf den Kopf fallen.

Editorial, Fazit 146 (Oktober 2018)

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