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Mein allererster Herzinfarkt (II.)

| 24. Oktober 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Da Wanko, Fazit 147

Foto: Martin G. Wanko

Nein, keine Sorge, no Panic, es ist alles gut. Ich habe keinen Folgeinfarkt bekommen, das Thema ist einfach so ergiebig, dass man eine zweite Kolumne dranhängen kann – sie erinnern sich ja, die letzte Kolumne handelte von meinem allerersten Herzinfarkt (HIF). Tatsächlich überlebte ich den Eingriff, vier Stents wurden gesetzt, ausgezeichnet, sofern man als HIF-Inhaber von einem ausgezeichneten Zustand sprechen kann. Aber mir geht es jetzt nicht schlecht, bin gut gelaunt und wieder für einige Wanko-mäßige Späße zu haben, zum Beispiel, dass man mit einem HIF noch immer bessere Karten hat als ein HIV-Träger, böse, ich weiß, aber das Leben ist zu kurz, um einen Kalauer liegenzulassen.

::: Text von Martin G. Wanko [Hier im Printlayout lesen.]

Also, tatsächlich bin ich nun stolzer Besitzer einer seniorenträchtigen Medikamentenbox, die mit den vier Ladeln: Morgen/Mittag/Abend/Nacht. Habe auch noch nie darauf vergessen, okay, einmal, aber da verraten Sie mich jetzt nicht. Ich bin ein braver Taps-Boy, ein Medikamentenfresser auf gut Österreichisch. Meine Medikamentenbox nehme ich jetzt auch mit in Lokale und lege sie auf den Mittagstisch, spiele ein bisserl damit herum und nenne sie meine Rasselbande. Weil es dazu passt: Da musste ich in einem ganz vernünftigen Sachbuch nachlesen, dass rund 50 Prozent der Menschen auf das Einnehmen ihrer überlebenswichtigen Medikamente vergessen, oder die Dringlichkeit ignorieren. Oida, seid’s deppert?! By the way, durch dieses Buch erfährt man so einiges über den Menschen. Zum Beispiel, dass Männer mit einer Herzattacke 80 Minuten und Frauen 120 Minuten durchschnittlich warten, bevor sie den Notarzt oder die Rettung rufen. Ja, auf was warten die denn so lange, frage ich mich. Nur nicht aufdringlich sein? Angst vor einer Fehldiagnose? Was von selber kommt, wird von selber gehen? Ja, sicher, klar, nur diese Diagnose kann mitunter tödlich sein. Mit einem Druck auf der Lunge sollte man nicht so lange warten, sonst kann man gleich nachdenken, welche Band man für seine eigene Trauerfeier engagieren will.

Die Menschen sind immer leicht bestürzt, wenn ich über diese sehr ernste Angelegenheit, immerhin stirbt jeder sechste an seinem ersten HIF, relativ locker quatsche. Ja, soll ich jetzt weinen, oder was? Der Mensch ist mit einem Hirn ausgestattet, welches ihm ermöglicht, seine Meinung über Nacht zu ändern, also kann er auch sehr schnell seine Lebenseinstellung ändern. Eben. Und so weiß doch jeder ganz genau, woran es hapert. Nicht so viel arbeiten, nicht so viel aufregen und vor allem dem Leben »ein bisserl die Spitzen zu nehmen«. Das geht alles auch ganz gut. Das mit »den Spitzen zu nehmen« sollte man jedoch genauer betrachten. Es klingt natürlich absolut unsexy, in Zeiten wie diesen kein extremer Zeitgenosse sein zu dürfen. Man muss sporteln, am besten den ganzen Tag, man muss hackeln, am besten die ganze Nacht hindurch, und man muss tschechern, am besten drei Flaschen ex! Auf was ich hinaus will, ist Folgendes: Sofern man nicht als Extremsportler seinen Sold verdient, lassen sich die Spitzen ziemlich einfach stutzen. Man macht einfach nicht mehr auf 120 Prozent, lässt die Seele ein bisserl baumeln und verlässt einen gelungenen Abend auch mal mit dem Satz: »Ich mag jetzt nicht mehr, weil ich hatte einen HIF.« Dann schauen alle blöd, dazu leicht betroffen und das ist auch gut so.

Jetzt könnte man bei meiner Beschreibung fast glauben, so ein HIF ist angenehm. Ja sicherlich nicht, tun Sie sich das nicht freiwillig an, schlussendlich hatte es doch anständig gekracht, sonst würde ich über so eine Krankheit nicht so lange brüten. Ich glaube aber nicht, dass man solche »Krankheiten« – ich verwende lieber das Wort »Zustand« –, dass man einen solchen »Zustand« geheim halten sollte. In der Politik und in der Wirtschaft wird dieser Zustand gerne verschwiegen, weil einem der Schatten nachhängt, man sei nicht mehr so richtig leistungsfähig. Man war ja auch die längste Zeit schon überfordert und jemand, der überfordert ist, passt nicht ins System, zumindest nicht in das der oberen 1.000 Leistungsträger-Fuzzis. Ich glaube, diese Sichtweise ist eine sehr ungesunde und obendrein eine beschämende: Alles um jeden Preis zu tun, das ist so ziemlich das Dümmste, was man sich antun kann. Ein bisserl weniger von allem zu tun, dann bleibt für die anderen auch noch etwas übrig. Slow down und alles wird wieder gut. Ihr herzlicher G Punkt.

Martin G. Wanko (48) ist Schriftsteller und Journalist. m-wanko.at

Da Wanko, Fazit 147 (November 2018), Foto: Martin G. Wanko

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