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Die Weinmacherin aus Gamlitz

| 20. Dezember 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 149, Fazitgespräch

Foto: Heimo Binder

Winzerin Katharina Tinnacher über den Charakter des steirischen Weines und die »Lesebücher« der Weinbauern.

Das Gespräch führten Peter K. Wagner und Volker Schögler.
Fotos von Heimo Binder.

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Hier in Gamlitz, im Herzen der Südsteiermark, dort, wo viele den Inbegriff der Weinkultur des Bundeslandes sehen, hat im Jahr 1770 die Geschichte des Weinguts Lackner-Tinnacher begonnen. Als gemischt landwirtschaftlicher Betrieb mit nur vier Hektar Weinstöcken.

Heute sind es 27. Als die 33-jährige Katharina Tinnacher 2013 übernahm, stellte sie die Weingärten auf biologische Bewirtschaftung um. Tinnacher empfängt uns in einem historischen Gemäuer, für dessen moderne Adaptierung ihre Schwester verantwortlich zeichnet, die in Wien als Architektin tätig ist. Wir gehen in den Besprechungsraum im ersten Stock. »Wollen Sie Kaffee? Oder lieber ein Glas Wein?«, fragt die junge Winzerin freundlich. Als wir uns auf die Terrasse begeben, zeigt uns Tinnacher die unterschiedlichen Rieden – der urösterreichische Begriff für die Lage innerhalb eines Weinbaugebiets – und beginnt zu erzählen. »Die vielen alten Rebstöcke«, sagt sie in ihrer ruhigen und bestimmten Art, »sie sind das wertvollste, was unser Weingut zu bieten hat. Tiefgründig und komplex werden Reben erst im Alter, das ist wie beim Menschen.«

Rebstöcke sind in der Umgebung überall zu sehen. Wir sind inmitten einer Kulturlandschaft, die vom Wein lebt. »Ohne uns gäbe es hier nur Wald«, sagt Tinnacher. Fast zwei Stunden nimmt sie sich Zeit, um das Fazit in die Welt der südsteirischen Winzer zu entführen.

***

Frau Tinnacher, wir haben gelesen, dass Sie versuchen, unabhängig von Jahrgängen zu werden. Warum?
Das ist unsere Strategie, ja. Wir haben 2015 zum Beispiel eine sehr gute Ernte gehabt – so um die 100.000 Flaschen Wein konnten aus unseren Weingärten produziert werden. 2016 gab es Frost und es waren nur 35.000. Diese Jahresschwankungen sind wahnsinnig schwer im Verkauf. Unabhängig von den Jahrgängen heißt, den Weinen mehr Zeit im Keller zu geben. Der neue Jahrgang wird nicht im Jahr nach der Ernte verkauft, sondern man hat parallel immer zwei bis drei Jahrgänge im Sortiment. Das gibt uns in gewisser Weise auch Stabilität. Denn prinzipiell gilt: Egal, wie viel Wein ich am Ende des Jahres habe, die Arbeit im Weingarten ist immer dieselbe.

Ist das Ihr Weg oder tun das viele?
Es gibt ein paar Betriebe, die sich in diese Richtung entwickeln wollen. Aber es bedarf eines Umdenkens, weil Österreich bisher ein Jungweintrinkerland war. Mein Traum ist, alle Weine zumindest ein Jahr im Keller zu lassen.

Wir haben einen Sommer voller Extremwetterereignisse hinter uns. Wie viel Sorgen bereiten Ihnen diese klimatischen Entwicklungen?
Grundsätzlich ist es eine große Herausforderung, weil man beim Bioanbau viel mehr auf das Wetter achten muss, damit die Pflanze gesund bleibt. Wir müssen mehr manuelle Arbeit machen und bei viel Regen ist es uns oft nicht möglich, in die steilen Weinhänge reinzufahren. Oft für vier oder fünf Tage, was in einer kritischen Phase der Rebentwicklung ein Problem werden kann. Darüber hinaus sind wir klimatisch gesehen zwischen Alpen und Mittelmeer, das ist ein unglaublich diffiziles Weinbaugebiet und international betrachtet eines der spannendsten überhaupt. Wir haben das Problem mit Hagel, teilweise im Sommer auch mit Trockenheit und Starkwetterereignissen. Wir ernten grundsätzlich nicht die 9.000 Kilogramm, die man in Österreich ernten darf, sondern ernten eine Flasche Wein pro Rebstock. Also 4.000 Kilogramm pro Hektar. Wenn da noch Hagel oder Frost dazukommt und wir das auch noch verlieren, wird es schwierig. Ich habe eine strenge Qualitätsphilosophie im Weingut und kaufe keine Trauben und keinen Wein zu. Wir leben mit diesen Jahresschwankungen.

Foto: Heimo Binder

Sehen Sie es wirklich so rational?
Der Weinbauer kann grundsätzlich immer jammern – wie jeder andere Landwirt auch. Das will ich aber nicht tun, ich sehe es einfach als unsere Herausforderung, dass wir uns mit veränderten Klimabedingungen auseinandersetzen müssen. Die Rebe wächst in der Natur, aber Wein ist ein Kulturprodukt. Wir als Weinbauern haben die Chance, im Weingarten gestalterisch einzugreifen, und wir müssen uns eben darauf einstellen. Man sieht in der Südsteiermark bereits vermehrt Hagelnetze. Auch könnte es sein, dass die bisherige Toplage Südhang aufgrund der hohen Temperaturen mit dem Westen oder Osten tauscht, weil das Mikroklima dort besser wird. Hohe Lagen, die vor zehn Jahren noch zu hoch waren, könnten zu Kunstlagen werden. Wir gehen auf diese Veränderung auch ein. Dazu muss man wissen, dass wir alle Kulturmaßnahmen der Rebe direkt im Weingarten mit der Hand durchführen. Egal ob Rebschnitt, Lese oder Laubarbeit. Wir können unsere Trauben vor zu viel Sonneneinstrahlung durch Blätter schützen und in diesem Bereich entsprechend beim Laubschnitt reagieren. Das wichtigste als Winzer ist, dass man sich auf veränderte Situationen einstellt. Es gibt kein Rezept, wir schauen, was die Traube in diesem Moment und in diesem Jahr benötigt.

Was bedeutet das zum Beispiel?
Es gibt Jahrgänge, da lesen wir die gesamte Ernte innerhalb von zehn Tagen, und dann gibt es Jahre, wo wir sechs bis acht Wochen benötigen. Weil wir jeden Weingarten zum idealen Zeitpunkt ernten wollen. Diese Flexibilität ist entscheidend für die Zukunft.

Wer gibt das vor?
Ich.

Also zeigen Sie Ihrem Team, wie es Blätter auszulesen hat?
Genau. Wir haben glücklicherweise viele Mitarbeiter, die schon lange dabei sind und zum Teil selbst Weingärten zu Hause haben. Sie haben großes Verständnis für die Pflanze und es ist meine Aufgabe, gemeinsam mit ihnen zu erarbeiten, wie wir unsere Reben pflegen. Das ist auch je nach Lage individuell. Ein Osthang ist kühler als ein Südhang und ein Sauvignon braucht andere Laubarbeit als ein Burgunder. Wenn ein Muskateller einen hohen Ansatz hat, müssen wir Trauben entfernen, in anderen Jahren war die Blütephase regnerisch, es gibt weniger Ertrag und alle Trauben müssen oben bleiben.

Woran erkennen Sie, welche Entscheidungen zu treffen sind?
Es ist die Kombination aus Wissen und Erfahrung. Es gibt mittlerweile keine schlechten Jahrgänge oder Weine mehr, weil wir nicht nur den Erfahrungsschatz unseres eigenen Lebens haben, sondern auch jenen meines Vaters. Auch gibt es die so genannten »Lesebücher« [Anmerkung: Lese kommt in diesem Fall von Weinlese, nicht vom Lesen] meines Großvaters und Urgroßvaters, in denen ich recherchieren kann, wie sie Herausforderungen damals gehandhabt haben. Mein Urgroßvater und Großvater hatten selbst eine Rebschule im Haus, sie haben die Weinstöcke markiert, die den besten Ertrag gebracht haben, diese wurden vermehrt und wieder ausgepflanzt. Sie haben eine eigene Selektion entwickelt. Diese eigene Selektion pflanzen auch wir weiterhin aus, weil ich der Überzeugung bin, dass es wesentlich authentischere Weine gibt, wenn der Rebstock über Jahrzehnte hier heimisch geworden ist.

Sie sind Teil der steirischen Terroir- und Klassikweingüter (STK). Laut eigener Definition »eine freie Vereinigung von zwölf Weingütern, die sich der regionstypischen Weinkultur mit allerhöchstem Anspruch verschrieben hat.« Sie sind das Sprachrohr dieses Zusammenschlusses. Warum?
Es ist eine Gruppe, die es seit den 1980ern gibt. Es gibt noch ältere Winzer, aber auch viele Nachfolger wie mich. Über die letzten Jahre hat sich aus dieser Gruppe ein schönes Miteinander der Generationen entwickelt. Wir Jungen sind zusammen aufgewachsen und wissen, dass unsere Eltern diese Gruppe aus der Notwendigkeit heraus gegründet haben, dass in einem Weinbaugebiet, das so schwierig und unbekannt ist, zusammengehalten werden muss. Damit sich nicht nur der eigene Betrieb entwickelt, sondern die ganze Region. Die Gruppe finanziert sich selbst und investiert gemeinsam viel in die Entwicklung des steirischen Weins, aber es geht uns auch darum, das Renommee und die Reputation der Region und des Weins zu steigern. Das passiert parallel zur betriebseigenen Investition. Wir haben niemanden für die Gruppe angestellt und da hat eben jeder sein Betätigungsfeld. Meines ist eben das kommunikative, weshalb man mich öfter hört und sieht.

Es gibt neben den STK naturgemäß viele kleine Weingüter. Wie kritisch wird Ihre Vereinigung aufgenommen?
Es ist grundsätzlich so, dass auch innerhalb der Gruppe eine große Betriebsdiversität vorherrscht. Wir sind mit 27 Hektar eher ein kleines Weingut, es gibt bis zu 100 Hektar große Weinbauern. Im Durchschnitt werden 3,5 Hektar bewirtschaftet in der Südsteiermark. Im Vergleich dazu sind wir alle bei den STK groß. Wir sehen uns nicht als elitäre Winzergruppe, sondern als Freundeskreis, der sich entwickelt hat und gegenseitig befruchtet. Wir wollen Entscheidungen stets zugunsten der Steiermark treffen. Da gibt es Winzer außerhalb der Gruppe, die das auch so sehen. Wenn das nicht der Fall ist, sind wir offen für Gespräche.

Wie wichtig ist die Herkunft von Wein?
Die Herkunft ist bei Wein das Allerwichtigste. Der Grund, warum er hier so schmeckt, wie er schmeckt, sind steile Lagen, viel Regen und die Formung der Kulturlandschaft. Auch die Weinkultur und Tradition der Region und des eigenen Weinguts. Deshalb schmeckt er anders als der burgenländische oder niederösterreichische Wein. Wir müssen die Herkunft unseres Weins verteidigen, schützen und positiv weiterentwickeln.

Ab 2019 wird es die Herkunftsbezeichnung Districtus Austriae Controllatus – kurz DAC – für die Steiermark geben, die Sie erst kürzlich vorgestellt haben. Warum haben Sie sich dafür eingesetzt?
Wenn wir uns über Champagner unterhalten, dann wissen die meisten Menschen, dass es sich um ein sprudelndes Getränk handelt, das nur in der Champagne produziert werden darf. Genauso wie ein Bordeaux aus dem Weinbaugebiet Bordeaux stammt. Dass ein Wein nach seiner Herkunft benannt ist und auch danach schmeckt, ist der Urgedanke eines DACs. Es gab schon bisher nicht nur einen steirischen Wein. Eine Herkunft ist immer eine definierte Größe. Desto kleiner sie ist, desto wertvoller ist sie. Aber in Zukunft sollen nur noch jene eine enge Herkunftsbezeichnung tragen dürfen – wie etwa Gamlitz, Steiermark, Ried Steinbach –, die diese Herkunft auch verdienen. Und wer verdient sie? Ein Wein, der auch so schmeckt, weil er den Charakter der Herkunft wiedergeben kann.

Foto: Heimo Binder

Was zeichnet Charakter und Herkunft der Steiermark aus?
Bei uns handelt es sich um einen Weißwein, der aus einer unserer traditionellen Rebsorten besteht, wie Sauvignon, Muskateller, Weißburgunder, Morillon, Grauburgunder, Riesling, Welschriesling sowie Schilcher für die Weststeiermark. Der Charakter ist trocken und die Weine entstehen nur aus gesunden Reben. Handlese bedeutet, ich ernte die Trauben mit allen Sinnen, und ernte nur die reifen und guten Trauben. Was noch verpflichtend ist für das DAC: Man muss den Weinen Zeit zum Reifen geben. Am wichtigsten sind diese Regeln für uns Winzer selbst. Wir dürfen etwa weiterhin Rotwein produzieren, aber dieser darf nicht den Namen der Lage tragen, sondern lediglich Steiermark heißen. Die Herkunft wird wichtiger als die Rebsorte.

Langfristig gedacht ist es dennoch eine Marketingstrategie, oder nicht? Wenn der Gamlitzer einmal den Ruf eines Champagner hat, lässt er sich wesentlich besser verkaufen.
Wenn das passiert, haben wir gewonnen. Für uns wäre es natürlich sehr wertvoll, wenn in einem Restaurant eher nach einem Gamlitzer gefragt wird als nach einem Sauvignon Blanc. Oder noch besser wäre es, wenn der Gast einen Wein aus der Ried Welles von Lackner-Tinnacher bestellt.

Wann hat man eigentlich entschieden, Sauvignon Blanc statt Welschriesling zum typischen steirischen Wein zu erheben?
Das ist langsam erfolgt. Ab Mitte der 80er Jahre waren mein Vater mit Willi Sattler, Manfred Tement, Alois Gross oder den Polz-Brüdern dahinter, sich weiterzuentwickeln. Sie waren 25 oder 30 Jahre alt, jung, motiviert, haben viel Wein verkostet und überlegt, was eigentlich unter diesen vielen Rebsorten die besten sind. Da hat man sich aktiv für Sauvignon entschieden. Die vielen Rebsorten, die wir hier haben und auch in Friaul oder Slowenien zu finden sind, gehen auf unsere unterschiedlichen Bodentypen und Lagen zurück – mit unterschiedlichen Himmelsrichtungen und Höhen. Der Sauvignon Blanc hat unter all den Rebsorten zwei entscheidende Vorteile: Er kann gut mit viel Niederschlag umgehen und er kann auf allen Bodentypen gut wachsen.

Als diese Entscheidung fiel, wurden Sie gerade geboren. Und der Weinskandal kam gerade auf. Viele sagen, ohne diesen wäre der österreichische Wein heute kein so exklusives Produkt. Sehen Sie das auch so?
Es waren mehrere Faktoren, die zusammengepasst haben. Einerseits ging in Zuge des Skandals der Fokus von süßen Weinen hin zu säurebetonten Weinen. Der andere war jener, dass glücklicherweise der Zeitpunkt war, an dem ein Generationswechsel passierte. Zwischen 25 und 40 hat der Mensch enorm viel Energie. Auch war die Region, so nah an der Grenze, alles andere als im Aufschwung begriffen. Auch das motivierte noch zusätzlich.

Heute ist Gamlitz touristisch. Machen Sie mit bei diesen Entwicklungen? Gästehäuser, Buschenschank oder Ähnliches?
Wir machen nur Wein. In den 80er Jahren haben unsere Eltern gesagt: »Wir schauen, dass wir es ohne Buschenschank schaffen.« Bis heute haben wir nie eine gehabt. Wir verkaufen heute etwa 15 Prozent direkt ab Weingut, haben eine Exportrate von 35 Prozent und der Rest geht an den Fachhandel. Unseren Wein gibt es nicht im Supermarkt, weil ich klar die Gastronomie und Barkultur unterstütze. Unser Wein braucht einen Sommelier, der von unserem Hintergrund erzählen kann.

Wir haben gelesen, dass Sie mit 17 noch nicht recht wussten, was Sie beruflich einmal tun wollen. Warum sitzen Sie hier nun als Winzerin und sind 2013 Ihrem Vater als Geschäftsführerin nachgefolgt?
Ich wusste immer, dass ich selbstständig werden will. Aber ich wollte Kunstgeschichte studieren und im Kunstbereich tätig sein. Meine Schwester und ich sind dennoch hier aufgewachsen, wussten, wovon wir leben, haben viele Weinreisen erlebt und viel Wein gekostet. Es gab dann auf der Universität für Bodenkultur erstmals die Chance, Weinbau zu studieren. Aus einer Laune heraus habe ich gesagt, ich schaue mir das einmal an. Der klassische Zugang zum Wein ist, mit 14 eine Weinbauschule zu besuchen. Ich bin über das Studium eingestiegen und habe innerhalb der ersten drei Monate Blut geleckt. Es war sehr interessant für mich und gleichzeitig habe ich gemerkt, wie viel Wissen ich passiv schon aufgenommen hatte über die letzten Jahre.

Waren Ihre Bestrebungen für DAC oder Ihr Einsatz für eine Unabhängigkeit von Jahrgängen Ihre Hauptmotivation?
Wir wollen unserer Region mehr Bedeutung geben und den Weinen mehr Wert. Diese Kulturlandschaft ist geprägt vom Weinbau. Und wenn wir es schaffen, dass die Winzer auch in Zukunft die schwierigen Steillagen bewirtschaften, schaffen wir den Grundstock dafür, dass meine Heimat eine Region mit Zukunft ist. Wenn es den Wein nicht gibt, gibt es hier nichts.

Frau Tinnacher, vielen Dank für das Gespräch.

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Katharina Tinnacher, geboren am 2. Oktober 1985, wuchs am Weingut ihrer Familie auf. Sie besuchte das Gymnasium in Leibnitz und studierte Weinbau an der Universität für Bodenkultur in Wien. 2013 übernahm sie die Geschäftsführung des elterlichen Betriebs, des Weinguts Lackner-Tinnacher in Gamlitz. Ihre Schwester ist Architektin in Wien und plante den neuen Unternehmenssitz. Tinnacher ist glücklich vergeben. tinnacher.at

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Fazitgespräch, Fazit 149 (Jänner 2019), Fotos: Heimo Binder

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