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Wo das Geschirr wohnt

| 20. Dezember 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 149, Fazitportrait

Foto: Heimo Binder

Es ist ein Geschäft, das jeder zu kennen scheint und irgendwie denkt man auch, dass es ein Glück sein muss, dass es überhaupt noch existiert. Vormals »Kerschbaumer«, heißt es seit fünf Jahren »Küchenfee«, aber sonst hat sich in dem Fachgeschäft für Haus- und Küchengeräte am Grazer Franziskanerplatz so gut wie nichts geändert. Nahversorgung wie aus dem Bilderbuch.

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Sogar die Gartenzwerge gibt es noch. »Und zwar die letzten Hofmann-Zwerge, das sind die mit den Glasaugen«, betont die neue Inhaberin Elvira Birnstingl und meint damit, dass sie auf Qualität Wert legt. Das vermute ich zumindest, da mein Wissen über Gartenzwerge gering ist und ich denke, das ist so wie bei Jaguar-Liebhabern: Die älteren Modelle sind noch echte Engländer, während die neueren eigentlich indische Autos sind. Was ungefähr so wichtig ist wie die Frage, aus welchem Material die Augen der Gartenzwerge sind. Aber Liebhaber haben andere Maßstäbe, die muss man nicht immer verstehen. In der Küche hingegen spielt messbare Qualität eine wichtige Rolle. Nicht nur, was das Essen selbst angeht, sondern auch, womit und worin es zubereitet wird. Und dabei hat Kochgeschirr aus Emaille die Nase weit vorne. Doch davon später.

Geschichte und Kultstatus
Die Küchenfee ist ein Innenstadtgeschäft, das schon längst zum Geheimtipp von Fremdenführern  geworden ist und dessen hervorstechendstes Merkmal es ist, aus allen Nähten platzen zu wollen. Dessen tausende Waren wie bunte Seifenblasen ins Freie drängen, so dass alles förmlich überquillt und zum Sinnbild praller Kon-
sumfreude zu werden scheint. Wo ganze zweiundzwanzig Quadratmeter ausreichen, um mit dem grundsätzlich völlig unspektakulären Angebot von Haus- und Küchengeräten eine Art Kultstatus erlangt zu haben. Das war schon unter der Vorbesitzerin Hedi Lackner so, einer resoluten Geschäftsfrau. Ich hatte die Ehre, sie vor fast fünfzehn Jahren für eine andere Zeitung portraitieren zu dürfen und das klang ungefähr so: »Sie ist eines der letzten ,Originale’ – das heißt erstens, sie ist mit Leib und Seele, Überzeugung und Stolz und mit Freude und Anmut bei der Sache und vermag das auch zu vermitteln. Zweitens, sie kann, aber sie muß nicht: Eigentlich ist sie schon längst in Pension; eigentlich zahle sich das ,Groscherlgeschäft‘ nicht aus. ,Bitte sperren Sie nicht zu‘, hört sie oft und gern. ,Solange ich gesund bin, bleibe ich im Geschäft‘, sagt sie und auch dafür lieben sie ihre Kunden.« Sie blieb bis 2013 im Geschäft, ist heute dreiundachzig Jahre alt und erfreut sich nach Aussage von Verkäuferin Anni Reiter, die heute noch im Geschäft steht, guter Gesundheit.

Foto: Heimo Binder

»Da kriegst einfach alles«, hat schon Hedis Onkel Martin Kerschbaumer über das Geschäft immer gesagt. Er war der Bruder von Hedwig Lackners Vater Otto. Dieser hat während des Ersten Weltkrieges für Martin, der aus der Schweiz das Geld geschickt hat, den Laden gekauft, der übrigens schon im Jahr 1835 als Geschirrhandlung erwähnt ist. Auch Otto war Kaufmann, er hatte in den 1920er Jahren ein Lebensmittelgeschäft in der Mariengasse und später mit seiner Frau Valerie ein Kaufhaus in Mürzzuschlag. Dort ist Hedi mit drei Geschwistern zwischen Kurz- und Meterware aufgewachsen. Aber erst nach der Erkrankung ihres späteren Mannes Franz Lackner gab die HAK-Absolventin und Mutter zweier Kinder das Hausfrauendasein auf und übernahm 1971 das Geschäft von Onkel Martin und Tante Emma. So führte sie zweiundvierzig Jahre lang das kleine Geschäft mit angrenzendem, penibel geordnetem Lager (»Verkauf nebenan«) – das es heute noch gibt – unterstützt von Anni und Elisabeth, die noch von Otto Kerschbaumer recht formlos eingestellt wurde: »Kannst kochen? Dann kannst auch Geschirr verkaufen!« Es ist das Verdienst von Elvira Birnstingl, eines jener Geschäfte erhalten zu haben, ohne die die Stadt ein Stück ärmer wäre.

Fazitabschweifung
Eine kurze Fazitabschweifung: Es ist doch jedes Mal das Gleiche – wer oder was wird in diesem Monat im Fazit portraitiert? Nicht, dass diese Frage irgendjemanden besonders interessieren würde, und das ist nicht einmal kokett gemeint, zumindest nicht besonders, es ist nur jedes Mal erstaunlich, wie unterschiedlich die Ansichten auch redaktionsintern sind, wenn, ja, wenn man sich bewußt von keinem Konzept einengen lassen will. Sind große, mächtige Unternehmen interessanter oder sind es die kleinen, die mehr davon haben könnten? Öffentliche Aufmerksamkeit etwa. Die Meinungen darüber gehen durchaus auseinander, was aber nichts ausmacht, weil wir ohnehin beides machen. Wie in der nächsten Ausgabe zu beweisen sein wird. Diesmal ist es ein kleines Unternehmen, das heißt – es scheint zumindest so, denn dahinter steht etwas Größeres. Genauer Elviras Ehemann Siegmund Birnstingl, Immobilienunternehmer, geschäftsführender Gesellschafter und Eigentümer mehrerer Medienmagazine, wo Gattin Elvira auch Prokuristin ist. Man ist mit der Küchenfee Mieter im eigenen Haus am Franziskanerplatz, daher gibt es auch keinen Umsatz- und Verkaufsdruck im Geschäft. Als Hedi Lackner vor fünf Jahren aufgehört hat, wollte Elvira Birnstingl nicht noch einen gastronomischen Betrieb ins Haus holen und da sie ohnehin eine Schwäche für das Küchengeschäft hatte, übernahm sie es kurzerhand selbst und steht nun vormittags hinter dem Ladentisch, unterstützt von eineinhalb Angestellten. »So ein wunderbares Geschäft kann man doch nicht einfach zusperren. Das Schönste für meinen Mann war, dass ich mit der Küchenfee eine Beschäftigung gefunden habe«, erklärt sie so launig wie offenherzig. Die humorvolle Maria-Lankowitzerin war zuvor schon mit einem Fitnessstudio in Köflach selbstständig und ist nicht nur in der familiären Immobilienverwaltung für die Zahlen zuständig. Bei »Golfen mit Herz«, einer Vereinigung mit europäischem Stiftungshintergrund und dem Zweck, hilfsbedürftige krebskranke Kinder und Jugendliche finanziell zu unterstützen, steht sie auf Österreichebene ihrem Mann als Kassierin zur Seite: »Seit 2004 sind über Charity-Veranstaltungen 4,5 Millionen Euro erlöst und verteilt worden.«

Nahversorger und Kommunikationszentrale
Die Voraussetzungen für die Küchenfee waren also von Anfang an entspannt, die Arbeitsplätze gesichert, und nicht nur ältere Kunden sind heilfroh, nicht in Baumärkte und Co in der Peripherie pilgern zu müssen. »In Wahrheit sind wir eine Kommunikationszentrale«, sagt die in dieser Hinsicht hochbegabte Chefin. »Der Kunde, der zu uns kommt, will in erster Linie reden.« Die Themen sind so vielfältig wie das Leben. Vom Austausch von Rezepten, über die richtige Art des Einkochens, bis zu Wetter, Eheproblemen oder gestohlenen Enten ist alles dabei. Und natürlich die Beratungsgespräche: Was verwendet man wie wofür. Womit wir endlich bei den unzähligen Waren wären, bei denen österreichische Produkte und kurze Wege bevorzugt werden. Elvira Birnstingl schätzt Nachhaltigkeit und führt daher auch ein großes Ersatzeilprogramm und viele Artikel aus Holz. Ein kleiner Sortiments-Auszug: Fleischwolf, Mohnpresse, Thermosflaschen, Besteck, Nachttöpfe (nur mehr Emaille), Weinkühler, Weinheber, Herdabdeckplatten (sehr gefragt), Besen(stiele), klassischer Mob (schon selten), Eierschneider, Eierköpfer, Mausefallen, Passiermaschine (»flotte Lotte«), Hosenbügel, Teppichpracker, Fliegenpracker, Körbe, Teekannen, Milchkannen, Gießkannen, Fußabstreifer, Honignehmer aus Edelstahl, Brotdosen, Pfeffermühlen, klassische Bierkrügerl, Pfiffgläser und Schnapsbuderl, Kaffeehäferl, Einkaufstaschen und –wagerl, Klopinsel, Spagat, Treteimer, Plastikwannen in allen Größen, Gärtöpfe aus Ton, Keksausstecher (3.500), Keramiksparschweine, Gartenzwerge, Reisstroh-Topfpinsel, Apfelteiler, Maronipfannen (!), Spagatkrapfenzange, Minischaumrollenformen (sind zugleich Käseröllchenformen), Papierpralinenkapseln, Flaschenbürsten und Putzschwämme aus Silikon, Fischentschupper, Römertopf, Kleiderbügel, Friedhofsvasen (die mit den Noppen), Töpfe und Pfannen aus Edelstahl oder emailliert – da ist es wieder, das gute alte Kochgeschirr von Mutti und Omi von der traditionsreichen österreichischen Firma Riess aus Ybbsitz im Mostviertel, deren Emaillierung sowohl für gesünderes Kochen steht, wie auch für zeitgemäße Ansprüche im Sinne von Energiesparen und ökologischer, nachhaltiger Lebensweise und darüber hinaus induktionsherdgeeignet ist. Obzwar Edelstahlgeschirr mechanische Grobheiten besser verkraftet, sollte man darin keine säurehaltigen Lebenmittel aufbewahren, weil sich Chrom und Nickel lösen können.

Männer in Küchen
Anfangs wäre die Kundschaft noch 70-Plus gewesen, »in den letzten drei Jahren hat sie sich aber deutlich verjüngt«, so Birnstingl. Das hätte mit dem Einzug des Themas »Nachhaltigkeit« in den gesellschaftlichen Diskurs zu tun, wo Trends wie Aufbewahren, Einkochen und »Marmelade machen« Eingang gefunden haben; aber auch mit dem Papamonat. Immer mehr Männer werden ja zu Hause zu Meisterköchen. Die Gleichstellung von Mann und Frau schreitet zwar in vielen Bereichen voran, aber in der Küche will sie nicht ankommen. In den besten Restaurants der Welt geben Chefköche den Ton an und wenn ein weibliches Talent wie Ana Rož aus dem slowenischen Kobarid zur weltbesten Köchin 2017 gekürt wird, ist sie die Ausnahme der Regel. Männer wollen nicht sättigen, sondern siegen. Und beeindrucken. Und nicht das Geschirr wegräumen. Und was sagt Elvira Birnstingl dazu? »Ich kann gar nicht kochen.«

Küchenfee, Haus- und Küchengeräte
8010 Graz, Franziskanerplatz 11
Telefon +43 316 849018
kuechenfee-graz.com

Fazitportrait, Fazit 149 (Jänner 2019) – Fotos: Heimo Binder

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