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Die Lüge von der Transparenz

| 10. Mai 2012 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 82, Fazitthema

Die Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit in der Politik ist nach den letzten Skandalen mehr als verständlich. Aber sind die Versprechen der Transparenz tatsächlich die Antwort, die wir wollen?

Ich weiß nicht, ob ich Politikern noch vertrauen kann. Es ist zu viel passiert. Zu viele Skandale. Zu viele Enttäuschungen. Zu hoch die Ämter der Betroffenen und zu gering die Konsequenzen, die ihre Vergehen hatten. Selbstverständlich, es sind nur einige Vertreter der politischen Klasse, aber von wenigen Betroffenen zu sprechen, wäre eine Untertreibung. So weit ist es gekommen. Eine zu große Anzahl von populären und dubiosen Politikern hat eine große Mehrheit von unbekannten Hinterbänklern in die berufliche Gesinnungshaft genommen. Schon beim Schreiben dieser Zeilen beschleicht mich die Unsicherheit, mit der ich diese Unterteilung von Mehrheit und Minderheit vornehme. Es dürstet uns nach Transparenz, weil an die Stelle des Grundvertrauens ein begründetes Misstrauen, ein genereller Zweifel am Anstand der Politik und der Politiker gerutscht ist. Dazu trägt auch ein medialer Pranger bei, der völlig vergessen lässt, dass es bei den vermeintlichen Korruptionsfällen der letzten zehn Jahre in Österreich noch kein einziges Urteil der Justiz gegen Politiker gab.

Merkwürdigerweise sorgt dieses Ausbleiben juristischer Konsequenzen, dieser Mangel an Verurteilungen, aber nicht dafür, dass mein Vertrauen in die Politik wieder wächst, im Gegenteil. Auch mein Zutrauen zur Justiz beginnt zu sinken. Und all meine Beobachtungen unter den unterschiedlichsten Mitmenschen lassen dort, wenn nicht totales Desinteresse, doch ähnliche Haltungen erkennen. Die Statistik, der man natürlich schon gleich gar nicht trauen darf, zeigt ebenso in allen erdenklichen Varianten, dass es mit dem Vertrauen in die österreichische Politik und ihre Protagonisten nicht zum Besten bestellt ist. Laut einer OGM-Umfrage von 2011 wird der Politik von 75 Prozent der Bevölkerung wenig oder gar nicht vertraut. 82 Prozent sind es, wenn man explizit nach Politikern fragt. Glaubt man einer Befragung der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft SWS, unterstellen 83 Prozent, dass Politiker nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht seien.

Wirft man einen Blick in die wenigen Zeitungen und Magazine, die noch einen investigativen Anspruch haben, dann wundert man sich hin und wieder, warum es nicht längst zu Massenverhaftungen an der Ringstraße in Wien gekommen ist.

So wird verständlich, warum auch das Vertrauen in Journalisten und Medien auf einen Tiefststand gesunken ist. Denn wenn alles stimmen würde, was alltäglich an Ungeheuerlichkeiten veröffentlicht wird, und trotzdem nichts passiert, kann das auch an den Medien liegen und daran, dass die Lage vielleicht doch nicht so glasklar ist, wie sie vereinzelt versucht wird darzustellen. Und so bewegt sich die Autorität und Glaubwürdigkeit von Medien, Justiz und Politik in einer endlosen Spirale abwärts. Doch es gibt eine Hoffnung: Transparenz.

Das neue Losungswort für alle, die glauben, dass noch eine bessere Welt möglich ist. Ohne korrupte Politiker, ohne deren Abhängigkeiten von Boulevardmedien. Ohne den ominösen Einfluss der Brüsseler Lobbies, ohne Inserate, mit denen sich eine genehme Berichterstattung gekauft wird und ohne horrende Geldzahlungen an Beratungsfirmen, von denen niemand weiß, was sie eigentlich geleistet haben. (Nicht einmal diejenigen, die diese Leistung erbracht haben wollen.) Eine Welt ohne die Unsicherheit, was genau in den Hinterzimmern der Parteibüros und Parlamente passiert. Wie ein Alabastertrank wird die Transparenz von allen im Munde geführt, die noch Hoffnung haben. Und sei es auch nur die Hoffnung, damit die nächste Wahl zu gewinnen.

Es ist daher kein Zufall, dass die Piratenpartei gerade so erfolgreich ist. Denn sie ist es, die im Windschatten der Idee segelt, und nicht umgekehrt. Ihre Vorstellungen von Transparenz gehen allerdings noch weiter: Sie wollen den Staat und die Politik insgesamt transparent machen. Nicht vorrangig aus dem Interesse heraus, die Korruption zu bekämpfen, sondern alle Vertrauensverluste, die sich in den letzten 60 Jahren Hinterzimmerpolitik so angesammelt haben. Sie wollen den eingefahrenen Karren der beschwerlichen Demokratie wieder zum Fahren bringen. Und wenn ich bei den Piraten von „Sie“ schreibe, meine ich weniger den österreichischen Ableger, der vor allem noch mit sich selbst zu tun hat, sondern jene Vordenker, die in Schweden und Deutschland einige Grundsteine für den Erfolg gelegt haben. Ihnen schwebt eine Politik vor, in der nicht nur Nebeneinkünfte und Vereinstätigkeiten von Politikern veröffentlicht werden, sondern in der es vor allem darum geht, den politischen Prozess transparent zu machen.

Transparenz ist Verhandlungssache
Wie entsteht ein Gesetz, wie entsteht politische Macht? Dabei soll es nicht um die Organigramme des Politikunterrichts gehen, sondern die Auseinandersetzung soll mittels digitaler Abstimmung und öffentlicher Diskussion geführt werden. Die Piraten wollen die traditionelle Aufgabe der Parlamente als öffentlicher Ort der Diskussion ins 21. Jahrhundert übertragen. Das soll wirkungsvolle Partizipation ermöglichen und durch die ständige Öffentlichkeit auch mehr Verständnis für politische Entscheidungen bringen. Das ist die Vorstellung einer Generation, die sich mit Korruption nicht mehr befassen will. Transparenz soll zum großen Ganzen beitragen, zu einer Gesellschaft, die sich ihre eigenen Regeln so gibt, dass sie jeder nachvollziehen und demokratisch beeinflussen kann.
Es sind also in jedem Fall verständliche und löbliche Ziele, welche die Jünger der Transparenz verfolgen. Hier und heute gedacht ist es die Bekämpfung der Korruption, langfristig geht es um die Rettung der Demokratie. Man kann darüber streiten, ob diese wirklich in Gefahr ist und ob eine Partei mit so hohem Chaospotenzial wie die Piraten die richtige ist, uns zur neuen, besseren und schöneren Demokratie zu führen. Aber wir können auch früher anfangen zu fragen: Ist das Versprechen von der Transparenz tatsächlich so heilsam, wie viele glauben und glauben wollen?

Was uns die Transparenz bis jetzt gebracht hat
Schon jetzt haben wir auf unterschiedlichen Ebenen ein unterschiedlich hohes Maß an Transparenz. Die Grünen veröffentlichen ihre Nebentätigkeiten und daraus bezogenes Einkommen freiwillig im Internet, Nationalratsabgeordnete müssen zumindest offenlegen, wenn sie mehr als 1.142 Euro im Jahr verdienen. Nicht öffentlich ist, um wie viel mehr es sich dabei handelt. Krönung der Bemühungen um Transparenz ist der aktuell laufende Untersuchungsausschuss im Parlament. Eingesetzt als politisches Tribunal gegen alle aktuellen Korruptionsfälle wird er zwar nicht in Echtzeit übertragen, aber auf den Internetseiten ausnahmslos jederTageszeitungen finden sich Liveberichte, die jeden noch so nebensächlichen Satz aus den Befragungen veröffentlichen.

Doch trotz all dieser Transparenz hat der Untersuchungsausschuss bis jetzt wenig Neues zu Tage befördert, was über die Befindlichkeiten der Ausschussmitglieder hinausgeht. Das mag am Unvermögen liegen, mit einem Instrument wie dem Untersuchungsausschuss Licht in ein längst verwachsenes Dickicht aus Vertuschungen zu bringen – eine weitere Vermutung, die dem mangelnden Vertrauen in die Selbstregulierung der Politik entspringt. Auch sie lässt sich statistisch stützen: In einer Befragung des Linzer Market-Institutes stimmten 91 Prozent der Befragten der Aussage zu: „Durch den Untersuchungsausschuss wird sich wenig ändern.“ Auch in der Prävention ist Transparenz nicht das erhoffte Allheilmittel. Kaum eine politische Ebene ist transparenter gestaltet als die europäische. Jede Lobbyorganisation in Brüssel muss öffentlich angemeldet sein und jede Zahlung, die aus dem Budget der Europäischen Kommission an ein Projekt oder eine Firma getätigt wird, ist öffentlich einsehbar. Jedes Projekt, das Geld erhält, muss dies kenntlich machen. Aber bringt uns diese Transparenz etwas? Sehen wir noch den Wald vor lauter Bäumen, die in diesem Fall weiße Bau- und Werbetafeln mit Europaflagge sind? Oder endet der Nutzen dieser Transparenz dort, wo wir uns über eine geförderte Skipiste auf der Insel Bornholm ereifern können? Die höchste Erhebung auf der dänischen Insel ist bekanntlich der Rytterknægten mit 162 Metern Höhe. Verlieren wir uns nicht im Angesicht der ungeheuren Masse an solchen Informationen im Nirgendwo? Wäre nicht die Unwissenheit über all diese Gelder manchmal besser? Ist es nicht leichter, sich hin und wieder über eine journalistische Veröffentlichung zu freuen, über die Verantwortlichen zu empören und gegen den Missstand vorzugehen? Auch wenn wir zunehmend von der Schwierigkeit überfordert werden, zwischen inszenierten und tatsächlichen Skandalen zu unterscheiden. Und »wir« sind in diesem Fall Journalisten, die damit ihre Rolle als »Gatekeeper« verletzen und »wir« als Gesellschaft, die sich in zu viele Empörungskampagnen einspannen lässt.

Wenn die Aufdeckung von Geheimnissen, sei es durch Whistleblower, Medien oder die Justiz, wegfällt und das Geheimnis von Beginn an öffentlich ist, wird es uns nicht mehr auffallen. Wir werden einfach kein Gefühl mehr dafür haben, was erlaubt ist und was nicht. Wir dürfen der öffentlichen Hysterie, die sich bei jedem Skandälchen hochschaukelt, auch einmal zugestehen, dass sie die unheimlich wichtige Aufgabe hat, unsere Aufmerksamkeit zu lenken (und sie natürlich gleichzeitig von anderen Skandälchen abzulenken).

Das beste Beispiel sind die Inserate, die der amtierende Bundeskanzler angeblich über ÖBB und Asfinag im Boulevard hat schalten lassen. Als die ersten Beteiligten über diesen Sachverhalt aussagten, hatte jeder aufmerksame Zeitungsleser längst geahnt, wie der Hase läuft. Mit anderen Worten: Das Nebeneinander von gefälligen Berichten und staatlichen Inseraten war die österreichische Variante der Transparenz. Deshalb fehlte auch jener gesellschaftliche Aufschrei, den ein solches Maß an politischer Einflussnahme auf Medien eigentlich auslösen sollte. Aber warum sollten wir uns über etwas aufregen, was längst bekannt ist? Nur weil der begründete Verdacht jetzt noch durch einzelne Aussagen von Beteiligten unterstützt wird?

Unser Empörungsmechanismus wurde in den letzten 20 Jahren dermaßen strapaziert, dass zumindest in Deutschland Minister und Bundespräsidenten zurücktreten müssen, wenn die gesellschaftliche Aufregung groß genug ist – mit oder gegen die Haltung des Boulevards. Aber richtig, in Österreich funktioniert das nicht so gut. Konsequenzen aus gesellschaftlicher Empörung werden nur selten gezogen. Die letzten Fälle, an die ich mich erinnere, sind jene von Wolfgang Kasic und Ulfried Hainzl. Auch wenn es bei diesen Fällen vor allem die lokale Tageszeitung war, die dafür gesorgt hat, dass die latente Empörung ihr Sprachrohr findet.

Aber brauchen wir nicht gerade diese Mischung aus öffentlicher Empörung und innerparteilichen Machtspielen, um Informationen einordnen zu können? Mit allen Fehlern, die dort gemacht werden, und mit allen zeitlichen Verzögerungen, die dabei in Kauf zu nehmen sind? Würden wir beispielsweise das Vorgehen Karl-Heinz Grassers kritisieren, wenn jede seiner Transaktionen und jene seiner Frau und seiner Schwiegermutter öffentlich gewesen wären? Hätten wir dann noch die Kraft, uns über diese faktenidente Unmoral ebenso zu empören? Oder vermögen wir das nicht vielmehr nur, weil wir erst durch Geheimniskrämerei getäuscht und dann durch die Aufdeckung des Geheimnisses empört wurden? Nicht, dass ein ehemaliger Finanzminister Konten im Ausland hat und Unmengen von Bargeld durch Europa kutschiert, ist der Auslöser für unsere Aufregung, sondern die Erschrockenheit, die uns ergreift, wenn wir erfahren, dass all dies hinter unserem Rücken geschehen ist.

Transparenz ist gut, Vertrauen ist besser.
Was für eine Antwort gibt die Transparenz in diesem Fall? Oder verhindert sie vielleicht, dass all dies überhaupt erst geschieht? Die Forderung nach mehr Transparenz ist die Antwort auf die Unklarheiten, die unser Vertrauen in die Politik erschüttert haben. Die Transparenz ist die Konsequenz aus einem gewachsenen Misstrauensgrundsatz gegen Politik und Wirtschaft. Die eigentlich entscheidende Frage danach, ob die Transparenz erst nötig ist, weil es kein Vertrauen mehr gibt, oder ob die durch Medien erzwungene Transparenz der Grund dafür ist, dass es kein Vertrauen mehr gibt, ist wie die berühmte Frage nach Henne und Ei.

Was darf und soll im Verborgenen passieren? Was muss öffentlich sein? Und wer hat darüber zu entscheiden? Rechtfertigen die Folgen der Nahrungsmittelspekulation (siehe FAZIT Nr. 81), dass der Handel mit Rohstoffderivaten deklariert, eingeschränkt oder ganz verboten werden darf? Muss jeder, der Getreide kauft, dies öffentlich machen, um zu verhindern, dass es durch ihn zur Spekulation kommt? Die Prämisse von der Transparenz kehrt ein seit Langem bestehendes Prinzip um: Bisher gilt die Privatsphäre und die Nicht-Veröffentlichung von Informationen als Standard – begründet werden muss, wenn etwas öffentlich werden soll. Die Anhänger der Transparenz wollen genau das umdrehen: Der Verschluss von Informationen muss begründet werden.
Transparenz bedeutet Misstrauen
Dass dabei nicht immer zwischen Privatpersonen und Staat unterschieden wird, sorgt dafür, dass viele die Transparenz als Gegenstück zur Privatsphäre sehen. Das kann sie sein, muss sie aber nicht. Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn der Staat statistische Informationen veröffentlicht und den Bürgern ein Recht auf Selbstauskunft einräumt. Also Auskunft gibt, was staatliche Behörden für Informationen von einem einzelnen Bürger gespeichert haben. In einem Ranking, das dieses Recht auf Selbstauskunft erstmals international vergleicht, liegt Österreich auf dem bemerkenswerten letzten Platz von 89 Ländern. Schwierig ist es vor allem im Bereich von Politik und Wirtschaft, wo sich Staat und Person immer überschneiden. Solang wir keine Roboter haben, die das parlamentarische Geschäft erledigen, wird es diesen Konflikt von staatlicher Transparenz und Privatsphäre geben.

Wir müssen damit auskommen, in einem solch unerträglichen Zwischenzustand zu leben. Wir haben es im Moment nun einmal mit einer zähen Melange aus Geheimnistuerei, erzwungener Transparenz und mangelndem Vertrauen in unsere Politik und unsere gesellschaftlichen Systeme zu tun. Wir müssen immer aushandeln, was öffentlich ist und was nicht. Vor nicht allzu langer Zeit gab es laut artikulierte Forderungen danach, dass „die Reichen“ ihr Einkommen und Vermögen veröffentlichen sollen, damit sich der Fiskus zur Genugtuung aller bedienen kann. Auf der anderen Seite müssen die Bezieher von Staatsleistungen auch alle ihre Einkünfte und letzten Besitztümer offenlegen, um ihre Ansprüche auf Mindestsicherung geltend machen zu können. Das ist bereits die Fortsetzung unseres Misstrauens gegen die Politik. Wir misstrauen nicht nur Politikern, sondern vermuten hinter jedem Arbeitslosen einen potenziell Arbeitsunwilligen und hinter jedem Vermögenden einen zu Unrecht zu Reichtum Gelangten. Auch hier bezweifle ich, dass durch völlige Transparenz irgendwem geholfen wäre. Wenn alles transparent ist, gibt es keine Geheimnisse mehr. Das führt aber nicht zwangsläufig zu einer vertrauensvolleren Gesellschaft. Ebenso wenig, wie die Öffentlichkeit allen Wissens (durch Buchdruck und Internet) eine durchwegs gebildete Gesellschaft verursacht hat.

Im Gegenteil: Erst Vertrauen, und zwar Vertrauen, das nicht durch tägliche Skandälchen enttäuscht wird, würde Transparenz wieder überflüssig machen. Wem ich vertraue, dem muss ich nicht aufs Konto schauen. Transparenz wird Vertrauen aber weder ersetzen noch wiederherstellen. Sie ist das leider nötige Mittel, um das verlorene Vertrauen zu verifizieren und zu begründen. Und es scheint, als wäre es im Moment nötig, dass manifestierte Misstrauen zu überprüfen und wo nötig zu bestätigen. Allerdings sollte das immer unter der Prämisse geschehen, dass wir zur eigentlich wünschenswerten Standardannahme zurück kehren können: Der Unschuldsvermutung, die nicht ohne Grund in der Verfassung verankert ist. Erst wenn wir ihr wieder zu uneingeschränkter Geltung verholfen haben, wenn wir Politikern wieder vertrauen können – und das ist eine Herausforderung für Wähler und Amtsträger – erst dann wird auch die gemachte Politik wieder die Chance haben, auf Vertrauen zu stoßen.

Titelgeschichte Fazit 82 (Mai 2012)

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