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Tandl macht Schluss (Fazit 98)

| 20. November 2013 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 98, Schlusspunkt

Der elende Zwang zum Mittelmaß Europa leidet unter einem Zwang zur Mittelmäßigkeit. Dass eine demokratische Gesellschaft immer in einem Zielkonflikt lebt, ist klar. Auf der einen Seite gibt es einen legitimen Wunsch nach Gleichheit, auf der anderen die Notwendigkeit von Spitzenleistungen. Was von der Linken jedoch als legitimer Kampf um Fairness dargestellt wird, entpuppt sich oft als Feldzug gegen die Tüchtigkeit. Besonders befremdlich mutet in diesem Zusammenhang die Einleitung eines Untersuchungsverfahrens der EU-Kommission gegen Deutschland an, weil das Land mit seinen Exportüberschüssen gegen die EU-Verträge verstoßen habe.

Deutschland wird möglicherweise dafür bestraft, weil es seinen Standort wettbewerbsfähig und seinen Arbeitsmarkt flexibel gehalten hat. Im Gegensatz dazu gelten Arbeitnehmer in Ländern wie Frankreich oder Italien de facto als unkündbar. Das hat zur Folge, dass die Unternehmer keine Vollarbeitsverhältnisse mehr bereitstellen. Mit der bitteren Konsequenz, dass die im Vergleich zu Österreich oder Deutschland katastrophal praxisfern ausgebildete Jugend keine Chance hat, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Um zu verhindern, dass die Reformverweigerer noch schneller gegen die Wand fahren, als sie es eigentlich verdienen würden, sollen also daher jene, die ihre Hausaufgaben machen, büßen.

Ähnlich ist es beim Klimadiktat der Europäischen Union. Anstatt Unternehmen zu belohnen, die besonders klimafreundlich produzieren, werden diejenigen belohnt, die gar nicht produzieren. Europäischer Stahl gerät dadurch gegenüber Stahl, der zu wesentlich schlechteren ökologischen Bedingungen außerhalb der Union produziert wurde, ins Hintertreffen. Doch das Thema ist komplex. Wer sinnvolle Alternativen zum derzeitigen Klimaregime vorschlägt, gilt als politisch inkorrekter Klimaleugner und Wegbereiter der globalen Erwärmung.
Besonders krass wirkt sich der Zwang zur Mittelmäßigkeit im Bildungssystem aus. Im Nationalratswahlkampf hat die SPÖ ganz offen mit der Forderung nach „fairer Bildung“ geworben, anstatt „gute Bildung“ zu fordern. Dass das nicht das Gleiche ist, zeigt ein Beispiel aus Frankreich. Dort verzichten inzwischen viele Schulen auf Hausübungen. Es ist nämlich unfair, dass Kinder aus bildungsaffinen Familien, die ihre Hausübungen machen, dadurch bessere schulische Erfolge haben als Kinder aus bildungsfernen Schichten, die keine Hausübungen machen.

Die Forderung nach „fairer“ Bildung lässt sich politisch gut verkaufen. Dahinter steckt jedoch der Wunsch nach einer Nivellierung nach unten – der Zwang zum Mittelmaß eben. Die SPÖ-Forderung nach einer Gesamtschule geht übrigens gänzlich am wirklichen Problem vorbei. Bei den Volksschulen gibt es die Gesamtschule bereits. Dennoch können einer EU-Studie zufolge 27,5 Prozent der Jugendlichen weder lesen noch schreiben.
Der Zwang zum Mittelmaß führt also auch in Österreich zur Unreformierbarkeit staatlicher Systeme. Ursache für diese Entwicklung ist eine breite Ideologisierung, die anstelle von gesellschaftlichen Werten und Zielen tritt. Sich durchzusetzen ist wichtiger, als das vermeintlich Richtige zu tun. Wer aber glaubt, mit einer „middle of the road“-Politik könne nicht viel falsch gemacht werden, irrt.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das begriffen und etwa bei der Eurorettung externe Entscheider an Bord geholt, um die eigenen Standpunkte zu verstärken. So wurde der IWF nur aus dem einen Grund zum Partner gemacht, weil er für eine unbarmherzige Härte gegenüber seinen Schuldnern bekannt ist, welche die EU unmöglich hätte durchsetzen können.

Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens das Vorgehen des italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta. Er macht sich dafür stark, dass das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA so schnell wie möglich verhandelt und abgeschlossen wird. Während die meisten Experten der Meinung sind, dass Europa nur gewinnen kann, wenn es den Abschluss hinauszögert, erhofft sich Letta durch die Standardisierung von Normen und Gesetzen, die mit dem Abkommen notwendig wird, offenbar einen Reformschub für Italien, den er ohne internationalen Zwang niemals durchsetzen könnte. Europa muss sein selbstauferlegtes Mittelmaß abschütteln. Sonst hat die alte Welt keine Chance, irgendwann wieder zu neuer Dynamik zu gelangen.

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Tandl macht Schluss! Fazit 98, (Dezember 2013)

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