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Politicks Juni 2016

| 30. Mai 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 123, Politicks

Die SPÖ muss sich zwischen Machterhalt und Reformen entscheiden
Der erste Auftritt von Christian Kern als SPÖ-Vorsitzender und Bundeskanzler war bemerkenswert. Dass Christian Kern das Statement seiner Antritts-Pressekonferenz nämlich vorab mit seinem ÖVP-Gegenüber Reinhold Mitterlehner akkordiert hatte, zeigt, dass erstmals seit Wolfgang Schüssel wieder ein Manager und Kommunikationsprofi an der Spitze einer österreichischen Bundesregierung steht. Mit seinem Bekenntnis zu einem radikalen Kurswechsel hat Kern auch den Scharfmachern in der Volkspartei den Wind aus den Segeln genommen und gleichzeitig Mitterlehner in dessen Funktion als VP-Chef und Vizekanzler gestärkt. VP-Klubobmann Reinhold Lopatka, der Kern – zwar zu Recht, aber alles andere als im Sinn eines Neubeginns – dessen Versäumnisse als ÖBB-Chef vorgehalten hatte, stand auf einmal in der ÖVP ziemlich isoliert da. Gleichzeitig wird ÖVP-Superstar Sebastian Kurz auf eine Warteposition gezwungen, die er erst überwinden kann, wenn die SPÖ in einigen Monaten in den Umfragen zur FPÖ aufgeschlossen haben wird, während die ÖVP weiterhin bei ihren etwa 20 Prozent dahindümpeln wird. Aus strategischer Sicht wäre das für die SPÖ dann der richtige Zeitpunkt, um Neuwahlen vom Zaun zu brechen. Die Chance, dass sich genügend bisherige VP- und Neos-Wähler finden, die einen Bundeskanzler Heinz-Christian Strache verhindern wollen, indem sie eine smart gewordene SPÖ wählen, wäre riesig.

Es ist aber auch möglich, dass es Kern tatsächlich ernst mit seinem Reformbekenntnis meint. Irgendwie ruft er als Quereinsteiger ja Erinnerungen an den steirischen Landeshauptmann Franz Voves wach; nicht an den polternden und beleidigten Franz Voves, der zwischen 2000 und 2005 mit seiner teuren Klientelpolitik die Steiermark auf einen katastrophalen budgetären Irrweg geführt hat, sondern an Franz Voves, den Reformpartner, dem es 2010 tatsächlich gelungen ist, das finanzielle Ruder, gemeinsam mit seinem VP-Gegenüber Hermann Schützenhöfer, herumzureißen. Wenn es Kern also tatsächlich um Investitionen und Arbeitsplätze, Bildungschancen, Integration und die Modernisierung Österreichs und nicht um den bloßen Machterhalt seiner großen alten Partei geht, hat Österreich vielleicht noch eine Chance, seine europäische Schlussposition bei Wachstum und dem Anstieg der Arbeitslosigkeit loszuwerden. Zu befürchten ist dennoch, dass der SPÖ – nicht zuletzt durch das politische Schicksal, das Franz Voves nach der letzten Wahl ereilt hat – inzwischen klar geworden ist, dass Medien und Wähler zwar Reformen fordern, aber in aller Regel jene abstrafen, die Reformen durchsetzen. Vor diesem Hintergrund ist es daher nur schwer vorstellbar, dass die Regierung tatsächlich bis 2018 durchhält.

Nicht Faymann war, sondern die große Koalition ist das Problem
Auslöser für den Wechsel an der SPÖ-Spitze war der erste Durchgang der Bundespräsidentenwahl, bei der die Kandidaten der Regierungsparteien, Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol mit jeweils elf Prozent katastrophal abschnitten. Der Grund dafür liegt, anders als oft interpretiert, nicht in der bescheidenen Performance dieser beiden Kandidaten oder gar im Versagen der Demoskopie, sondern darin, dass weder SPÖ noch ÖVP begreifen, wie sehr die Wähler die Nase voll von ihrer großen Koalition haben, zu der sie auch von den Landeshauptleuten und Sozialpartnern gezwungen werden.

Österreich wird seit Jahrzehnten von zwei Parteien beherrscht, die sich auf Dauer aneinandergekettet haben, um das Land unter sich aufzuteilen, obwohl sie eigentlich längst nicht mehr miteinander können.
Kürzlich brachte der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy seine Besorgnis über die Situation in Österreich zum Ausdruck und warf SPÖ und ÖVP vor, grundlegendste demokratische Regeln nicht begriffen zu haben. »Wenn es weder eine Rechte noch eine Linke gibt, wenn es keine Debatte mehr gibt, lässt man Extremisten einen riesigen Raum. Das ist ein totales Nicht-Begreifen der demokratischen Regeln…«, so Sarkozy. Was Sarkozy nicht weiß: SPÖ und ÖVP regieren das Land über die Sozialpartner sogar dann, wenn sie ausnahmsweise einmal in der Opposition sind.

Denn während der SPÖ-Alleinregierung saß die ÖVP über die Kammern und Interessensvertretungen genauso mit am Tisch, wie die SPÖ zur Zeit der schwarzblauen Koalition. Die Sozialpartnerschaft, die jahrzehntelang als Modell für Wohlstandszuwachs und sozialen Frieden galt, ist in Zeiten der Internationalisierung und EU-Integration zum Auslöser von Stillstand und Reformstau geworden. Österreich wird also nicht nur dadurch gebremst, dass sich SPÖ und ÖVP in vielen Bereichen nicht auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen. Ebenso reformhemmend sind jene Bereiche, in denen sich die beiden Parteien zu 100 Prozent einig sind, wo nämlich alles so bleiben soll, wie es ist.

Natürlich muss die Regierung trotz dieser Aussichten den neuen Schwung nutzen, um doch noch die eine oder andere Reform auf den Weg zu bringen. Die Hauptaufgabe von Bundeskanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner wird jedoch darin bestehen, die große Koalition geordnet abzuwickeln und das Land darauf vorzubereiten, dass es völlig normal ist, wenn etwa eine große linke oder rechte Partei mit einer oder zwei kleinen liberalen, rechten oder ebenfalls linken Parteien koaliert. Christian Kern muss seiner Partei verdeutlichen, dass nichts schädlicher ist als die dauerhafte Ausgrenzung der FPÖ und damit eines Drittels der Wähler.

Natürlich präsentiert sich die Strache-FPÖ in vielen Fragen heute viel radikaler als unter Jörg Haider oder gar unter Norbert Steger. Aber diese Radikalisierung ist eine unmittelbare Folge der Ausgrenzung. Außerdem haben sich viele ehemalige Wähler von Rot und Schwarz von der Regierung, die sich im Dauerstreit befindet, abgewendet. Dabei ist es die natürlichste Sache der Welt, dass SPÖ und ÖVP entgegengesetzte Standpunkte einnehmen und herzhaft darüber streiten – viel unnatürlicher ist, dass sie trotz dieser Differenzen auf Dauer gemeinsam regieren. Als Folge des Reformstaus sind der SPÖ nicht nur die leistungsorientierten Arbeiter, sondern auch die zahlreichen Wohlstandsverlierer, die sich durch den Wegfall der Hilfsarbeiterjobs spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise wirtschaftlich abgehängt fühlen, davongelaufen. Die ÖVP wiederum hat die Bauern und die Unternehmer als Wähler verloren. Selbst wenn Christian Kern und Reinhold Mitterlehner ab sofort alles richtig machen und gegen sämtliche Erwartungen etwa eine Bildungs- und Verwaltungsreform auf den Weg bringen, die sich herzeigen lässt, werden SPÖ und ÖVP die nächsten Wahlen nur dann gewinnen können, wenn sie sich dazu bekennen, dass sie auch andere Regierungsformen als Rotschwarz zulassen.

Christian Kern oder der Sieg der SP-Landesparteien gegen die linkslastige Wiener SPÖ?
Die Abrechnung des neuen Vorsitzenden der SPÖ mit seinem Vorgänger dem 
Häupl-Vertrauten Werner Faymann, war brutal. Kern hat außerdem zum Ausdruck gebracht, dass die Asyllinie der Regierung beibehalten wird. Auch das hat der Wiener SPÖ nicht gefallen. Dazu kommt, dass die Wiener nicht durch das politische Schwergewicht Sonja Wehsely, sondern nur durch die ehemalige Bundes- und Gemeinderätin Muna Duzdar in der Bundesregierung vertreten sein werden. All das kann als Signal für die inhaltliche Stärkung einer leistungsorientierten SPÖ-Linie gewertet werden. Kern will anscheinend lieber die Arbeiter zurückgewinnen als weiterhin ausschließlich urbane Schichten zu bedienen.

Aufgefallen ist auch, dass sich die SP-Landesorganisationen, mit Ausnahme der burgenländischen, wo sich Landeshauptmann Hans Niessl selbst Chancen auf die Faymann-Nachfolge ausgerechnet haben soll, sehr rasch auf Christian Kern als Bundeskanzler einigen konnten. Wiens Bürgermeister Michael Häupl hat als einziger auf Gerhard Zeiler gehofft. Den kleinen SP-Landesorganisationen in den Bundesländern ist es gelungen, den bisher starken Mann, Michael Häupl, vor vollendete Tatsachen zu stellen. Als Erster hat sich der steirische LH-Vize, Michael Schickhofer, zu Kern bekannt. In der Folge konnte er sich auch mit seinem Wunsch durchsetzen, seinen Brucker Regierungskollegen Jörg Leichtfried an die Stelle des von Schickhofer weniger geschätzten Steirers Gerald Klug zu hieven. Schickhofer hat sich damit auch innerhalb der steirischen SPÖ freigespielt.

Das SP-interne Machtgefüge hat sich offenbar zu Gunsten der Länder verschoben. Und innerhalb der steirischen SPÖ sind ganz klar Michael Schickhofer und Jörg Leichtfried die Gewinner und Gerald Klug, der in den Nationalrat zurückkehren wird, ist der Verlierer. Den frei gewordenen Sitz in der steirischen Landesregierung wird der bisherige Leobner Landtagsabgeordnete Anton Lang übernehmen.

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Politicks, Fazit 123 (Juni 2016)

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