Anzeige
FazitOnline

Ratingagenturen. Sündenböcke der Schuldenkrise

| 16. September 2011 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 75, Fazitthema

Man kann von Ratingagenturen halten, was man will. Aber eines ist klar. Die Anleger brauchen sie, um eine sinnvolle Einschätzbarkeit ihrer geplanten Investments zu erhalten. Und die Wirtschaft braucht sie auch, denn wer sich über den Kapitalmarkt finanzieren will, ist auf eine objektive Bewertung seiner Wertpapieremissionen angewiesen.

Der Markt wird dominiert von „Standard & Poor’s“, „Moody’s“ und „Fitch“. Die „Großen Drei“ bilden damit neben Börsen- und Finanzmarktaufsicht die „marktorientierte“ und in den Augen der Kritiker „neoliberale Säule des Anlegerschutzes“. Aus Sicht der Emittenten funktioniert das System folgendermaßen: Wer Geld vom globalen Kapitalmarkt braucht, geht zu einer der drei Ratingagenturen, um sich einem nach außen hin streng geheimen Insolvenzprognoseverfahren zu unterziehen. Als Ergebnis wird die Wahrscheinlichkeit für den Ausfall der Emission ermittelt. Die berühmte Buchstabenkombination AAA (Triple A) steht dabei für eine geringe Ausfallswahrscheinlichkeit und D für eine äußerst hohe. Aus der Sicht des Anlegers wiederum veranschaulichen diese Buchstabenkombinationen das ungefähre Risiko eines Investments auf einen Blick. Voraussetzung, damit dieses System funktioniert, ist, dass die Rating-Firmen von sämtlichen Marktteilnehmern anerkannt werden.

Den Ratingagenturen sind die volkswirtschaftlichen Bewertungsfolgen egal
Bei ihrer Bewertung lassen die Ratingagenturen die makroökonomische Perspektive ihres Handelns völlig außer Acht. Im Mittelpunkt steht ausschließlich die individuelle Perspektive des potenziellen Investors, der mit seinem Geld zwischen Tausenden Veranlagungsprodukten auswählen kann und auf möglichst treffsichere Informationen bezüglich des jeweiligen Risikos angewiesen ist. Dadurch kann natürlich passieren, dass die Ratingagenturen durch negative Urteile großen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten. Doch das gehört zum System. Denn nur wenn sich der Bewertende nicht darum kümmern muss, welche Folgen sein Urteil für das von ihm beurteilte Unternehmen oder – wie im Fall der PIGS-Staaten – die jeweilige nationale Volkswirtschaft hat, wird dieses den objektiven Kriterien standhalten.
Das Grundproblem, das viele Kritiker identifizieren, ist, dass den Aussagen der Ratingagenturen gerade in Europa eine viel zu große Bedeutung zukommt. Die Europäische Zentralbank (EZB) etwa akzeptiert nur Wertpapiere, die von einer der „Großen Drei“ ein Gütesiegel erhalten. Selbst der Deutschland-Chef von Standard & Poor’s, Torsten Hinrichs, fühlt sich bei der Machtfülle, die sein Unternehmen in Europa hat, nicht mehr wohl. In einem Interview mit der Zeitung „Der Standard“ hält er fest: „Wir haben schon ganz früh gesagt, dass wir es nicht für angemessen halten, Ratings als Bezugspunkte für staatliche Regulierung und Gesetzeswerke zu nehmen. Das trifft auch auf die Anlagekriterien der EZB zu. Es sollte jedem Marktteilnehmer freistehen, Ratings als zusätzliche Meinung in einen Entscheidungsprozess mit einzubeziehen. Es sollte dazu aber keinerlei gesetzliche Vorschriften geben.“

Die Ratingkriterien sind das wichtigste Betriebsgeheimnis der Agenturen
Ein weiterer Kritikpunkt gegen externe Ratings setzt bei der Geheimnistuerei rund um das jeweils in Verwendung stehende Insolvenzprognoseverfahren an. Denn aus der Sicht der Kritiker spricht nichts gegen die „vollständige Transparenz“ des Ratingprozesses. Völlig anders sehen das naturgemäß die Rating-Firmen. Denn sie haben in jahrzehntlanger Erfahrung einen Bewertungsschlüssel für die harten und weichen Unternehmensdaten erarbeitet, der Ergebnisse (Ausfallswahrscheinlichkeiten) verspricht, die der Realität möglichst nahe kommen. Bei der Risikobewertung wird zwischen harten und weichen sowie quantitativen und qualitativen Faktoren unterschieden. Harte quantitative Faktoren sind demnach Bilanzen oder Finanzmarktdaten wie der Börsenwert einer Unternehmung. Zu den weichen quantitativen Faktoren gehören firmeninterne Planrechnungen oder Branchenprognosen. Als harte qualitative Faktoren gelten die Rechtsform, die Eigenkapitalausstattung sowie das Vorhandensein von Bürgschaften und Sicherheiten. Unter den weichen qualitativen Faktoren sind die Kompetenz des Managements, die Marktposition oder auch die Branchenattraktivität zu verstehen.
Die drei großen Ratingagenturen arbeiten mit einem System relativer Ausfallswahrscheinlichkeiten, die angeben, ob eine Investition innerhalb eines gewissen Zeitraumes im Vergleich zu einer anderen Investition mit einer größeren oder kleineren Wahrscheinlichkeit ausfallen wird. Was die Ratingagenturen nicht tun, ist, Wahrscheinlichkeiten zu ermitteln, ob ein Investment in einem gewissen Zeitraum ausfällt oder eben nicht.

Stehen die „Großen Drei“ auf der „Payroll“ von US-Lobbys?
Ein weiterer Vorwurf, mit dem sich die Ratingagenturen konfrontiert sehen, bezieht sich auf ihre Unabhängigkeit. Denn niemand kann ausschließen, dass ein Eigeninteresse der Entscheidungsträger innerhalb der  Ratingagentur die Objektivität des Ratings beeinträchtigt. Dieser Vorwurf besteht, seit Standard & Poor’s Ende 2007 in Bündel zusammengefasste amerikanische Hypothekarkredite mit einer positiven Bewertung versah und so die US-Subprime-Krise zur globalen Finanzkrise ausufern ließ. Denn wegen des hervorragenden Ratings waren es vor allem europäische Banken, die sich mit diesen Emissionen eindeckten und dabei dramatisch verkalkulierten.
Spekulationen über mögliche Verschwörungen öffnet sich damit ein weites Feld. Die bekannteste: Moody’s, Fitch und Standard & Poor’s stehen unter dem Einfluss der US-Finanzindustrie und wollen den Finanzplatz New York und damit den Dollar schützen, während ihnen der Euro ein Dorn im Auge ist. Und so wie viele Verschwörungen klingt auch diese nach Hunderten Wiederholungen irgendwann plausibel. Inzwischen ist sie so weit verbreitet, dass sie nicht nur von zahlreichen renommierten Medien, von der Süddeutschen Zeitung abwärts, sondern auch von immer mehr EU-Politikern vertreten wird. Die Vermutung der Verschwörungstheoretiker: „Die bösen Ratingagenturen werten das kleine wehrlose Griechenland trotz Milliardenhilfen immer weiter nach unten, mit dem Ziel, den Bestand des Euros zu gefährden.“ Dabei sollte die Frage lauten: „Warum hat es die EU zugelassen, dass die Politik von einer Handvoll systemrelevanter Banken, deren Ausfall die Wirtschaft nicht verkraften würde, in Geiselhaft gehalten wird?“
Es ist klar, dass Griechenland auf dem derzeit eingeschlagenen Weg nicht zu retten sein wird. Denn alle Beteiligten wissen längst, dass die erzwungenen Sparpakete das Wachstum bremsen, anstatt jenen Konjunkturschub auszulösen, der für die Bezahlung der Zinsen und den gleichzeitigen Abbau der Staatsschuld erforderlich ist.

Eine europäische  Ratingagentur würde bei Griechenland zum gleichen Ergebnis kommen
Spätestens beim Kommentar, den die Agentur Standard & Poor’s zur katastrophalen Bewertung der griechischen Wirtschaft abgibt, wird klar, warum das Rating so ist, wie es ist: „Griechenland wird mithilfe der 200-Milliarden-Hilfe zwar kurzfristig vor der Pleite bewahrt, hat jedoch keine Chance, sich nachhaltig aus dem Schlamassel zu wirtschaften. Es gibt weder Ressourcen noch eine ausgeprägte Industrie, um rasch auf Wachstumskurs schwenken zu können. Darüber hinaus sind zahlreiche kleine Dienstleistungsunternehmen – das Rückgrat der griechischen Wirtschaft – als direkte Folge der bisherigen Sparpakete in die Pleite geschlittert.“ Obwohl also bekannt ist, dass Griechenland ein klarer Fall für einen Staatsbankrott ist, stehen die Ratingagenturen in der Kritik. Und nur weil die EU es sich wünschen würde, würde wohl auch eine europäische  Ratingagentur mögliche Anleihenkäufer nicht belügen. Dass Standard & Poor’s mit der Rolle als Sündenbock nichts zu tun haben will, ist daher nachvollziehbar und wird durch ein Statement von Torsten Hinrichs gegenüber der Deutschen Presseagentur verdeutlicht: „Ein Schweigen der Ratingagenturen, ein Ausbleiben dieser Transparenz hinsichtlich zukünftiger Zahlungsfähigkeit würde die Märkte eher verunsichern, als wenn wir uns äußern. Die Marktteilnehmer können sich darauf verlassen, dass wir keine voreiligen und vorschnellen Schlüsse ziehen, sondern zuerst sorgfältig analysieren.“

Alle gegen die „Großen Drei“. Aber jeder für sich
Anstatt die Fehler bei sich zu suchen, hat die europäische Politik in den Ratingagenturen den Sündenbock für die Folgen der Schuldenkrise gefunden. Und so wird der Überbringer jener Botschaft, die da besagt, dass manche EU-Staaten aufgrund ihres hohen Verschuldungsgrades schlicht nicht mehr in der Lage sind, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen, zum Schuldigen gestempelt. Das Motto, nach dem dabei vorgegangen wird, könnte lauten: Alle gegen die Ratingagenturen – aber entsprechend der europäischen Tradition nicht gemeinsam, sondern jeder für sich.
Der französische EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier etwa will den Ratingagenturen bei Androhung drakonischer Strafen die Bewertung von Krisenstaaten ganz einfach gesetzlich verbieten. Ähnlich lautet der Vorschlag des Euro-Gruppen-Vorsitzenden Jean-Claude Juncker aus Luxemburg. Er plädiert dafür, dass Haushalte, die sich in Sanierung befinden, mittelfris tig vom Rating befreit werden und somit ihre Reformen ohne drohende Zinserhöhungen durchführen können.
Ebenfalls das Kind mit dem Bad ausschütten will die luxemburgische EU-Justizkommissarin Viviane Reding: Ihr spektakulärer Vorschlag sieht gar vor, die „Großen Drei“ unter Zuhilfenahme des EU-Kartellrechts zu zerschlagen, um mehr Wettbewerb in das Rating-Business zu bringen.
„Politik wird in der EU immer noch von den Politikern gemacht“, ließ etwa die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den Rating-agenturen auf einer Pressekonferenz ausrichten, nachdem Standard & Poor’s angekündigt hatte, jede Beteiligung privater Gläubiger an der Griechen-Rettung als Totalausfall zu bewerten.
Eher als Reflex der eigenen Hilflosigkeit zu verstehen ist wohl auch eine Maßnahme des Vorsitzenden der italienischen Börsenaufsicht CONSOB, Giuseppe Vegas: „Ich halte die Ratingagenturen schon seit Langem für eine große Gefahr wegen ihrer unzähligen Interessenkonflikte, wegen ihrer undurchsichtigen Arbeitsmethoden, wegen unzähliger von ihnen begangener Fehler und weil sie nicht unabhängig sind“, erklärte er gegenüber italienischen Medien, bevor er Vertreter von Standard & Poor’s und von Moody’s vor seine Behörde zitieren ließ, weil diese recht schnell nach Bekanntmachung des ersten italienischen 47-Milliarden-Euro-Sparpaketes erklärt hatten, dass die angekündigten Maßnahmen auf keinen Fall ausreichen würden, um den überschuldeten italienischen Haushalt dauerhaft zu sanieren. Nach einer weiteren Bonitätsverschlechterung war Italiens Parlament plötzlich über Nacht dazu bereit, ein 200-Milliarden-Euro-Sanierungspaket zu verabschieden.
Auch der Chef der Österreichischen Nationalbank Ewald Nowotny hat ein Problem mit der Aggressivität, welche die Ratingagenturen bei der Bewertung der EU-Haushalte an den Tag legten, während sie bei den südamerikanischen Staaten viel lauer reagieren würden. Bundeskanzler Werner Faymann fordert wie zahlreiche deutsche Politiker eine neu zu gründende europäische Ratingagentur und erwartet sich von dieser offensichtlich gefälligere Ratings.
Ein etwas differenzierterer Vorschlag kommt vom finanzpolitischen Sprecher der deutsche CDU-Bundestagsfraktion, Klaus-Peter Flosbach: Er fordert die Möglichkeit, die Ratingagenturen für Fehlratings zivilrechtlich zur Verantwortung ziehen zu können. Möglicherweise könnte das die Rating-Qualität tatsächlich verbessern. Wahrscheinlicher wäre jedoch, dass gewisse schwer einschätzbare Risiken einfach nicht mehr bewertet und damit automatisch mit einem Schrottstatus versehen würden.
Zu den härtesten österreichischen Kritikern gehört übrigens der Chefvolkswirt der AK Wien und Interviewpartner unseres FAZIT-Gesprächs, Stephan Schulmeister (siehe Seite 20). Gegenüber dem deutschen Sender „n-tv“ sagte der Ökonom: „Die Ratingagenturen wollen im Geschäft bleiben und Gewinn machen. Würden sie die USA kritisch sehen, bekämen sie Probleme. In den USA sieht es die Politik nicht gern, wenn gegen das eigene Land gearbeitet wird.“ Außerdem habe die US-Politik an einer Schwächung des Euro als Reservewährung ein Interesse, weil die Rolle des Dollar in den letzten Jahren geschwächt wurde. Dass sich die USA hinsichtlich der Bewertung tatsächlich wesentlich mehr leisten können als der Rest der Welt, gibt übrigens auch Torsten Hinrichs von Standard & Poor’s unumwunden zu. Er begründet das aber mit den enormen Vorteilen der hochverschuldeten US-Wirtschaft aufgrund der Rolle des US-Dollar als globale Leitwährung.

Titelgeschichte Fazit 75 (August 2011)

Kommentare

Antworten