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Inflationäre Empörung

| 22. Februar 2012 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 80, Fazitgespräch

Es geht heiß her in den Tagen zwischen dem Ball des Wiener Korporationsrings und dem Warten auf das Sparpaket der Regierung. Heinz-Christian Strache, missverstanden als „neuer Jude“, fühlt sich verfolgt, die Regierung zu Unrecht kritisiert. Von Berufs wegen ist Eva Glawischnig dafür zuständig die Regierung zu kritisieren und die rechtsnationalen Tendenzen in der FPÖ zu bekämpfen. Die grüne Parteichefin  über politische Hygiene und den Sinn und Zweck von Rücktrittsforderungen.

Das Gespräch führte Michael Thurm.

::: Interview als PDF: DOWNLOAD

Frau Glawischnig, wie viele Politiker haben Sie in Ihrer Laufbahn schon zum Rücktritt aufgefordert?
Das ist eine schwierige Frage, die Zahl kann ich nicht mehr nennen, es waren nämlich sehr viele.

Wie viele dieser Rücktrittsforderungen waren erfolgreich?
Keine einzige. Auch die Misstrauensanträge im Parlament hatten keinen Erfolg.

Was sagt das über Ihre Forderungen aus? Haben Sie die falschen Politiker zum Rücktritt aufgefordert?
Das glaube ich nicht, da läuft etwas in der österreichischen Politik falsch. Ich kann mich an überhaupt keinen Rücktritt auf Bundes-ebene erinnern und ich bin nun doch schon seit 1999 in der Politik.

Wolfgang Schüssel trat 2011 als Nationalratsabgeordneter zurück.
Das war ja kein wirklicher Rücktritt, sondern eher ein Rückzug.

Ihre letzte Rücktrittsforderung richtete sich an Martin Graf, den Sie am Tag des WKR-Balls vom Heldenplatz aus zum Rücktritt aufgefordert haben. War das die Emotion des Moments oder halten Sie diese Forderung aufrecht?
Also ich finde das nach wie vor legitim. Zu 100 Prozent. Jemand, der eines der höchsten Ämter dieser Republik bekleidet und so ein ungeklärtes Verhältnis zur österreichischen Vergangenheit und zum Rechtsextremismus hat, ist für dieses Amt einfach nicht tragbar. Ich werde das immer so sehen und diese Forderung aufrechterhalten. Er wird da wahrscheinlich anderer Auffassung sein.

Sie haben diesen Rücktritt bei einer kurzen Ansprache gefordert, dann gab es kurz Applaus und dann haben Sie den Ball im folgenden Satz als Treffpunkt von »Mördern und Terroristen« bezeichnet. Damit haben Sie auf die vor einigen Monaten bekannt gewordenen Verbrechen von Rechtsextremisten in Deutschland hingewiesen. Finden Sie es nicht überzogen, diese unmittelbare Nähe zu Gewaltverbrechen zu unterstellen?
Wir wissen ja nie genau, wer auf dem Ball tatsächlich erscheint und da sind sicher auch Leute aus Deutschland gewesen, die möglicherweise eine Nähe zu Mördern und Terroristen haben. So habe ich es gesagt und ich finde es falsch, dass die dort versammelte Gemeinschaft ein Problem damit hat, sich von solchen Leuten abzugrenzen.

Verbal distanziert sich Martin Graf regelmäßig, noch häufiger sein Parteichef Heinz-Christian Strache. Keinen der beiden will ich hier verteidigen – aber beide verurteilen die Verbrechen der Nazis immer wieder öffentlich. Muss man das nicht irgendwann zumindest zur Kenntnis nehmen, auch wenn es nicht der bewusste und mahnende Umgang mit der Vergangenheit ist, wie ihn die Grünen pflegen?
Haben Sie den Eindruck, dass die sich abgrenzen? Ich sehe häufig das Muster: »Meinetwegen entschuldige ich mich halt«, und im nächsten Halbsatz machen sie mit ihren Doppelbotschaften weiter. Deshalb reicht es nicht, sich pro forma abzugrenzen und im nächsten Interview zu sagen, dass der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde der »Drahtzieher des antifaschistischen Linksterrorismus« sei und im »feinen Anzug in der Zib 2 auftritt« – das ist eine bewusste Anspielung auf das Klischee vom »Jud‘ im feinen Zwirn«, das wir aus der Vergangenheit kennen. Da wird mir schon ganz anders. Und es geht mir nicht in den Kopf, dass diese Leute keine Unterschiede mehr erkennen und sich jetzt in eine Opferrolle begeben. Ja, es gab Leute, die Drohungen vor der Hofburg gerufen haben, aber dafür gab es eine Polizei vor Ort, die die Ballbesucher beschützt hat und solche Leute auch ausfindig macht. Und es gibt eine Justiz, die darüber urteilt.

Und es gibt eine Justiz, die darüber urteilt, ob jemand das Verbotsgesetz oder andere Gesetze übertritt. Und wenn jemand Mörder oder Terrorist ist, schützt ihn auch keine parlamentarische Immunität. Deshalb nochmal die Frage: Warum diese haltlosen und schwerwiegenden Vorwürfe?
Die zitierten Aussagen, die in einem politischen Zusammenhang geäußert wurden, sind von der Immunität geschützt. Bei Aussagen von Ariel Muzicant gelten andere Maßstäbe als bei Martin Graf.

Haben Sie je die Aufhebung der Immunität beantragt, damit eine unabhängige Justiz diese Vorwürfe prüfen kann?
Das ist juristisch gar nicht möglich. Ich glaube, das Problem der FPÖ besteht darin, dass sie ständig Doppelbotschaften ausschickt. Der letzte Auftritt von Heinz-Christian Strache in der Zeit im Bild hat das deutlich gezeigt. Erst hat er sein tiefes Mitgefühl mit den Opfern des Nationalsozialismus ausgedrückt und anschließend hat er sich wieder mit ihnen verglichen. Ich habe auch nicht in allen Details die richtige Sprache gefunden. Im Rahmen einer Sozialdebatte habe ich mal die Formulierung »durch den Rost fallen« verwendet. Ein Überlebender hat damals zugehört und mich gebeten, mich dafür zu entschuldigen. Ich habe das aus Unwissenheit getan, aber mir ist da klar geworden, wie viel man anrichten kann und das gilt natürlich vielmehr, wenn jemand wie die FPÖ bewusst mit solchen Doppelbotschaften spielt.

Aber es ist ein Unterschied, jemanden persönlich auf Fehler hinzuweisen oder, wie im Fall der FPÖ, die Empörung öffentlich zu artikulieren, pauschal zu verurteilen und damit Aufmerksamkeit zu generieren. Das nützt am Ende nur Heinz-Christian Strache. Die FPÖ liegt bundesweit sicher unter den ersten drei Parteien mit über 20 Prozent und das sind ja nicht alles Nationalsozialisten.
Da geht es mir ja überhaupt nicht um die Wählerinnen und Wähler, sondern um einen Großteil der Funktionäre, insbesondere die schlagenden Burschenschaften. Das Problem bei Martin Graf war und ist, dass er sich nicht von der Olympia distanziert, obwohl auf dem Weg dorthin Holocaustleugner verhaftet werden oder rechtsextreme Liedermacher auf der Bude singen.

Aber das ist nach Verbotsgesetz alles verboten und die Burschenschaft Olympia ist es noch nicht.
Das nicht, aber es distanzieren sich ja sogar andere Burschenschaften von der Olympia, weil diese so weit rechts steht.

Ist Heinz-Christian Strache für Sie ein Nationalsozialist?
Er schickt auf jeden Fall Doppelbotschaften aus und ich bin mir nicht sicher, was er für ein Verhältnis zur österreichischen Vergangenheit hat.

Wie wichtig ist das Verhältnis zur Vergangenheit im Vergleich zum Verhältnis zur Gegenwart?
Uns Grünen ist das sehr wichtig. Wir haben da in den letzten Jahren auch viel gearbeitet, um die Wehrmachtsdeserteure zu rehabilitieren oder eine ordentliche Aufarbeitung der NS-Urteile zu bewirken. Man kann Gegenwartspolitik nicht ordentlich gestalten, wenn man die Vergangenheit ausblendet. Ich komme aus Kärnten, da gibt es noch immer viele Geschichten, die nicht aufgearbeitet sind.

Sie waren auf derselben Schule wie FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl, sogar in derselben Klasse. Können Sie aus dieser persönlichen Erfahrung nicht ableiten, dass es durchaus eine nationale Haltung geben kann, ohne dass es gleich eine nationalsozialistische ist?
Ja natürlich, das ist ja überhaupt kein Thema. Ich will mich zum Hintergrund von Herbert Kickl nicht äußern.

Liegt der Grund dafür, dass die FPÖ solche Sprüche eben nicht unterlässt, nicht auch darin, Aufmerksamkeit zu erregen? Und machen Sie sich mit der affektierten Empörung und den inflationären Rücktrittsforderungen nicht zur Gehilfin dieser Erregungspolitik?
Es wäre hundertprozentig gegen meine politische Überzeugung zu solchen Entgleisungen zu schweigen. In Vorarlberg hat der FPÖ-Spitzenkandidat Dieter Egger gesagt, dass der Direktor des jüdischen Museums ein »Exiljude aus Amerika« sei und zurück an die Ostküste gehen soll. Dabei ist Hanno Loewy in Frankfurt am Main geboren. Zu so etwas zu schweigen ist aus meiner Sicht nicht möglich. Wenn ein dritter Nationalratspräsident in einem Land, in dem 65.000 Juden ermordet wurden, gegen den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde hetzt, also gegen den Vertreter der Juden, dann ist das keine übertriebene Empörung. Es gab ja im Parlament auch eine sehr breite Mehrheit, die Abwahlmöglichkeiten für den dritten Nationalratspräsidenten wollte. Gescheitert ist es an einer kleinen Gruppe in der ÖVP.

Und Martin Graf ist nach wie vor durch Wahl legitimiert.
Nein, das ist falsch. Es ist lediglich eine parlamentarische Usance, dass die drittstärkste Fraktion einen Vorschlag für den dritten Präsidenten des Nationalrates macht und die anderen Parteien diesen bestätigen. Das steht in keiner Geschäftsordnung und die Mehrheit im Haus kann ohne Weiteres einen anderen Präsidenten wählen.

Das hat sie aber nicht gemacht.
Richtig, weil sich vor allem die ÖVP auf diese Usance berufen hat. Ich war immer der Meinung, dass diese Wahl nicht nach Usancen entschieden werden sollte, sondern tatsächlich durch eine Wahl. Es wurden ja auch schon dritte Nationalratspräsidenten vorgeschlagen, die nicht gewählt wurden. 1996 zum Beispiel Herbert Haupt.

Aber die permanente Forderung nach politischem Rücktritt zwingt ja den Herausgeforderten auch in seinem Amt zu bleiben. Das ist ein Automatismus jedes politischen Egos. Und ich hatte nicht den Eindruck, dass es noch viele Menschen interessiert, wenn Sie als Parteichefin der zweitgrößten Oppositionspartei den fünften Mann im Staate zum Rücktritt auffordern. Das ist formal betrachtet ja ein riesiger Staatsakt, aber er verpufft im Strudel der alltäglichen Presseaussendungen.
Viele dieser Rücktrittsaufforderungen, die ich in meiner politischen Laufbahn geäußert habe, richteten sich an einen Finanzminister Grasser und einen Minister Gorbach. Die werden jetzt nach zehn Jahren das erste Mal von einem Untersuchungsausschuss geprüft. Da wird noch viel ans Licht kommen, wie Gesetze gekauft werden, wie Parteien indirekt über Agenturen mit Spenden versorgt werden. Das ist in Deutschland alles verboten, in Österreich ist das grundsätzlich erlaubt. Und mit einer gewissen politischen Kultur hätte es damals schon genügend Gründe gegeben, das ernst zu nehmen. Jetzt muss es durch den Untersuchungsausschuss passieren und daraus werden dann sicher auch Verschärfungen bei den Antikorruptionsbestimmungen folgen.

Sie haben in anderen Interviews mehrfach davon gesprochen, dass die Schüssel-Regierung eine ganze Schar von Korruptionsanwälten beschäftigt. Bis heute. Beim letzten Bundeskongress haben Sie eine Parteifreundin zustimmend zitiert, die meinte, dass „alle anderen Politiker korrupt sind“. So pauschal können Sie doch Ihre Konkurrenz gar nicht ernsthaft verurteilen.
Fast alle Verfahren, die die Justiz begonnen hat, haben mit Anfragen im Parlament oder Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft durch grüne Abgeordnete begonnen. Peter Pilz, Gabi Moser und Ralf Holub. Buwog, Hypo Alpe Adria, Telekom – es gäbe in keinem einzigen dieser Fälle ein Verfahren ohne grüne Aufdeckerarbeit. Und ohne Präzision wäre das nie gelungen, denn mit Pauschalurteilen hätte man die Justiz nicht in Bewegung setzen können.

Aber inzwischen sind Sie bei einem sehr pauschalen Misstrauensgrundsatz angelangt und ich habe den Eindruck, dass sich dieser auch in der Bevölkerung breit macht. Politiker sind korrupt, dieser These stimmen inzwischen über 70 Prozent der Bevölkerung zu. Ist das auch Ihre Grundannahme in der parlamentarischen Arbeit?
Wir haben zahlreiche Korruptionsfälle bei ÖVP, FPÖ, BZÖ und der SPÖ, die jetzt im Korruptionsausschuss aufgearbeitet werden.

Bis jetzt aber ohne Verurteilungen auf dieser Ebene.
Ja, aber man muss das auch politisch bewerten, wenn eine Medienlandschaft durch Anzeigen und Inserate verzerrt wird. Und mit Franz Olah, Bruno Kreisky, Fred Sinowatz und Hannes Androsch gab es sowohl Kanzler als auch Minister, die verurteilt wurden. Olah wegen widmungswidrig verwendeter Gewerkschaftsgelder, Kreisky, weil er Simon Wiesenthal als Nazi-Kollaborateur beleidigt hat, Sinowatz wegen Falschaussagen und Androsch wegen Steuerhinterziehung.

Aber daraus kann man doch nicht ableiten, dass „alle“ Politiker Verbrecher sind. Die von Ihnen ins Lächerliche gezogene Unschuldsvermutung ist doch ein wesentlicher Bestandteil dieses Rechtsstaats. Wir müssen doch erst einmal davon ausgehen, dass jeder, der im Nationalrat sitzt, das Beste für dieses Land will und ordentlich arbeitet.
Da haben Sie vollkommen recht, aber Sie dürfen nicht vergessen, dass es in diesem Bereich keine strengen Gesetze gibt. Viele Dinge, die in Deutschland unter Strafe verboten sind, sind hier legal. Der Untersuchungsausschuss wird auch nicht wahnsinnig viele Ergebnisse liefern, die zu strafrechtlichen Konsequenzen führen. Es gibt hier kein Strafrecht, das greift. Was Hubert Gorbach gemacht hat, ist erlaubt. Also zumindest das, was bis heute bekannt ist.

Besteht der größere Skandal dann nicht darin, dass die Gesetze zu viel erlauben?
Ja, natürlich. Auch der Fall Strasser wäre in Österreich erlaubt. Es darf jemand Geld dafür erhalten, dass er einen Gesetzesantrag so schreibt, wie es der Geldgeber will. Und das ist der Grund, warum wir von der Greco (Staatengruppe des Europarates gegen Korruption) und anderen Antikorruptionsrankings als Entwicklungsland geführt werden. Der Ausschuss muss also mindestens die Konsequenz haben, dass die Gesetze angepasst werden. Spendenwäsche muss verboten werden, Parteispenden ab einer gewissen Größe müssen offengelegt werden.

Bei beiden Themen, der Korruptionsbekämpfung und dem Antifaschismus, erscheinen die Grünen als Partei weit links im gesellschaftlichen Spektrum. Ist das der Platz, wo sich die Grünen 25 Jahre nach ihrem ersten Einzug ins Parlament sehen?
So leicht lassen wir uns in dieses Spektrum nicht einordnen. Der Gründungsmythos der Grünen als Widerstand gegen die Umweltzerstörung hat ja auch einen sehr bürgerlichen Hintergrund. Dazu kam dann eine gesellschaftlich sehr breite Friedensbewegung.

Für wen machen Sie Politik?
Unser stärkster Auftrag ist es ein Wirtschaftssystem zu gestalten, das die Lebensgrundlage nicht mittelfristig zerstört. Dazu gehören Klimaschutzpolitik, Anti-Atom-Politik und Green Economy …

Das ist sehr inhaltlich, aber für wen machen Sie diese Politik? Man muss ja auch wissen, wem diese programmatischen Richtlinien nützen sollen?
Das hängt schon sehr eng zusammen. Für uns sind immer die Menschen in Ausbildung wichtig – angefangen vom Kindergarten bis zum freien Hochschulzugang. Das sind zwei Millionen Menschen, auch wenn die noch nicht alle wählen dürfen. Das ist aus meiner Sicht keine Klientelpolitik, sondern ein Auftrag, dass bei aller Spardiskussion in diesem Bereich nicht gekürzt werden darf, sondern investiert werden muss.

Es ist ja nicht negativ, als Partei eine Klientel zu haben. Im Gegenteil, ich würde gern wissen, welche Klientel die Grünen vertreten.
Wir versuchen auch weiter ein vernünftiges Konzept für Europa zu entwickeln. Da ist es momentan besonders schwierig die Gerechtigkeitsfrage zu beantworten.

Mit diesen drei Themen können Sie auch ohne Probleme den Sozialdemokraten beitreten.
Das glaube ich nicht. Wie kommen Sie darauf, dass die SPÖ eine pro-europäische Partei ist?

Die SPÖ in Österreich ist da sicher ein schwerer Fall, aber Hannes Swoboda sorgt im Europaparlament für mehr Wirkung als Ulrike Lunacek und Eva Lichtenberger.
Den Kotau, den Werner Faymann vor dem verstorbenen Herausgeber der Krone gemacht hat, muss man da aber schon mitbedenken. Und in Bildungsfragen kann man als SPÖ eh sagen, dass man für frühkindliche Förderungen, gegen Studiengebühren und für die Neue Mittelschule ist. Aber das war es dann auch …

Das sind doch die zentralten Forderungen.
Aber es hat keine politische Priorität. Wir reden ja nicht über eine Oppositionspartei, sondern über die Kanzlerpartei. Und es mag Überschneidungen von Grünen und anderen Parteien geben, das werfe ich ja niemandem vor.

Das ist ja auch nicht meine Kritik. Aber mir ist nicht klar, wer Sie warum wählen soll. Nehmen wir Ihr Kernthema, die Umweltpolitik: Da sind die Grünen manchmal progressiv und bürgerlich wie Rudi Anschober in Oberösterreich und manchmal hantieren sie mit gut gemeinten Verboten wie Lisa Rücker in Graz.
Lisa Rücker hat doch in ihrem Ressort mit der Magistratsreform durchaus positive Akzente gesetzt und ich glaube, dass das auch honoriert wird. Und ich finde, dass man bei Grünen überall zuerkennen kann, dass sie auch unpopuläre Maßnahmen ergreifen und Klartext reden. Und Lisa Rücker hat Werte, die sie nicht an der Garderobe abgegeben hat. Graz ist eine Stadt mit einer sehr bürgerlichen Tradition, Wien ist geprägt von einer sehr machtbewussten SPÖ. Das beeinflusst auch die Möglichkeiten, die man als Grüne hat. Die Richtung, in die wir ziehen, die ist aber bei den Wählern bekannt. Wir Grüne haben auch gesagt, dass wir uns um die Ein-Personen-Unternehmen kümmern, denn die werden von SPÖ und ÖVP vergessen. Da wird vollkommen ignoriert, dass es 450.000 Menschen gibt, die ihren eigenen Arbeitsplatz organisieren und vollkommen andere Wirtschaftsregeln brauchen als andere Unternehmen.

Der junge Tiroler Abgeordnete Gebi Mair hat vor wenigen Wochen Ihren Rücktritt gefordert, weil er »klare Konturen« vermisse. Er hat das sofort wieder zurückgenommen und sich entschuldigt. Wie sehr hat Sie das in diesem Moment beschäftigt?
Ich hab sofort versucht ihn zu erreichen, aber das hat leider nicht geklappt, weil er nicht an sein Handy gegangen ist. Aber natürlich nehme ich Kritik immer ernst.

Wenn man so oft Rücktritte fordert, wie Sie es getan haben, legt man sich dann auch selbst ein Konzept zurecht, wie man sich einmal stilvoll von der politischen Bühne verabschiedet?
Also ich glaube, ich verdiene zumindest die Chance, dass ich bei der nächsten Wahl als Spitzenkandidatin für die Grünen wahlkämpfen darf. Alles andere sehen wir dann später.

Haben Sie sich dafür schon ein Ziel gesetzt?
Ja, das wird Sie freuen: 15 Prozent.

Frau Glawischnig, vielen Dank für das Gespräch.

 

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Fazitgespräch, Fazit 80 (März 2012)

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