Das Gute, Schlechte und Böse
Michael Thurm | 27. März 2013 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 91, Fazitthema
Von der Macht und Ohnmacht der Konsumenten Man gibt sich schon große Mühe, ein guter Mensch zu sein. Also zumindest wenn es dafür genügen würde, ein guter Konsument zu sein. Ich gehe am Samstag auf den Bauernmarkt und schaue, dass im Supermarkt möglichst nur Produkte in den Einkaufswagen kommen, auf denen ein Bio-Siegel, ein Fairtrade-Logo oder so etwas Ähnliches steht. Irgendetwas, das zumindest hoffen lässt, dass die Lebensmittel, für die ich mein Geld ausgebe, doch etwas gesünder, leckerer und besser sind als der Rest.
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Und ich bin kein Einzelfall: »Bio« ist seit über zehn Jahren im Aufwind. Laut Zahlen der Agrarmarkt Austria (AMA) kaufen bereits neun von zehn Menschen »zumindest gelegentlich« Bio-Produkte. Ihr Anteil am Umsatz stieg in den letzten fünf Jahren um rund 35 Prozent. Es sind vor allem Milchprodukte, Eier und Gemüse, bei denen Angebot und Nachfrage inzwischen eine relevante Größenordnung erreicht haben. Über 11 Prozent der Eier (im Lebensmittelhandel) werden bereits als Bio-Eier verkauft und machen dabei 18 Prozent des Umsatzes aus. Hauptargument für den Bio-Kauf ist bei der Hälfte der Konsumenten der Wunsch nach gesunder Ernährung. Dabei muss klar sein: »Gesund« ist relativ. Denn wenn man unter gesund versteht, dass keine Zusatzstoffe verwendet werden, keine unverhältnismäßigen Düngemittel oder gar gentechnisch aufbereitetes Essen, dann wird man mit Bio zufrieden sein. Das ändert aber nichts daran, dass Bio-Ware verderblich ist, wegen weniger oder gar keiner Konservierungsstoffe sogar schneller als konventionelles Essen. Wer sich das bewusst macht, sollte auch auf den Gedanken kommen, dass auch Bio-Lebensmittel keine 100-prozentige Sicherheit geben können. Denn in der ganzen Diskussion um Pferdefleisch in Rinder-Tortelloni, um Massentierhaltung am Bio-Hof oder chinesische Kürbiskerne im steirischen Öl sollte man ein paar Grundsätze formulieren, für die es noch kein Logo, keinen Verband und keine Lobby gibt.
1. Betrug wird sich nicht verbieten lassen. (Nur bestrafen, nachdem er geschehen ist.) Es gibt also keine absolute Sicherheit.
2. Nur weil etwas »bio«, »fair« oder »öko« heißt, muss es nicht besser schmecken. Das sagt nur etwas über die Produktionsmethode aus.
3. Nur weil ein Produkt »regi onal«, »österreichisch« oder »vom Bauernhof« ist, muss es nicht gesund oder biologisch produziert sein.
Auch hierzulande wird konventionelle Landwirtschaft, massiver Einsatz von Dünger und Massentierhaltung betrieben. Wenn man mit diesen simplen Grundsätzen und etwas reduzierten Erwartungen über unsere Konsumgesellschaft nachdenkt, kann man sich schon entspannter mit dem Thema auseinandersetzen. Zumindest wenn man diese Auseinandersetzung will. Denn trotz des deutlichen Bekenntnisses von 90 Prozent der befragten Käufer zum gelegentlichen Bio-Konsum ist ökologische Produktion nur für 10 bis 20 Prozent (je nach Produkt) ein Kauf-Kriterium, für 30 bis 40 Prozent ist es vor allem der Preis des Produkts. Noch 2007 gab ein Drittel der im AMA-Auftrag Befragten an, dass ihnen Bio-Produkte zu teuer sind.
Nicht zuletzt deswegen sind es vor allem die Discounter, die mit ihren Bio-Marken in den letzten Jahren für mehr verkaufte Bio-Produkte gesorgt haben. Bereits ein Fünftel der Bio-Lebensmittel wird bei Lidl, Hofer und Co gekauft. Aber so groß der Anteil an Gelegenheitskäufern auch ist, so gering ist der Prozentsatz an Konsumenten, die »immer Bio« kaufen – gerade einmal neun Prozent der Käufer machen biologische Herstellung zum Grundprinzip ihrer Kaufentscheidung.
Und selbst wenn man zu dieser Gruppe gehört, hat man es nicht immer leicht. Will man sich zum Beispiel ein Ei kaufen, gab es früher den simplen Unterschied zwischen Käfig-, Boden- und Freilandhaltung. Letztere Herkunft war damit das Beste, was es zu kaufen gab – mehr war da nicht zu hinterfragen. Inzwischen hat sich das Angebot zum Glück verbessert, wer ganz sicher sein will, kann sich sogar ein Huhn pachten, es streicheln und sich dessen Eier einmal die Woche liefern lassen. Aber auch der normale Kunde steht heute bei allen möglichen Produkten vor einer Vielfalt an Regelwerken und damit verbundenen Bio-Labeln. Jeder Hersteller kann sich aussuchen, an welche Regeln er sich halten will, um ein bestimmtes Bio-Siegel auf seine Verpackung zu drucken. Das macht es nicht leichter. Selbst für den willigen Bio-Käufer.
Der Preis für Bio
Prinzipiell gelten zwei simple und logische Grundsätze:
1. Nicht alles, was teuer ist, muss auch gut produziert sein.
2. Nicht alles, was billig ist, muss schlecht sein. Biologische Produktion hat aber ihren Preis.
Bio-Produkte kosten im Schnitt um ein Drittel, in Einzelfällen sogar um bis zu 70 Prozent mehr als konventionelle Lebensmittel. Und das aus gutem Grund: Das Joghurt nur mit Aroma zu füllen statt mit Erdbeeren ist billiger, ebenso wie gepresste Fleischreste für Chicken-Nuggets zu verwenden. Deutlich wird der berechtigte Preisunterschied an einem einfachen Ei: Im Supermarkt kostet das Ei zwischen 26 und 45 Cent, bei Direktvermarktern und Bio-Läden zum Teil auch 50 Cent.
Die Kosten für die Produktion setzen sich wie folgt zusammen: Etwa die Hälfte des Preises ist für Futter. Schon dort sind Nicht-Bio-Bauern im Vorteil, weil sie konventionell mit eiweißhaltigem Futter und Karotinen zur Färbung des Eigelbs füttern dürfen. Bio-Bauern, die nach EU-Richtlinie produzieren, haben noch gewisse finanzielle Vorteile gegenüber privaten Bio-Verbänden, denn die EU-Verordnung zur biologischen Landwirtschaft erlaubt noch bis 2014, dass zumindest 5 Prozent dieses eiweißhaltigen Futters verwendet werden. Die Betriebe, die Teil eines Öko-Verbundes sind, müssen das Futter zum Teil sogar innerhalb dieses Verbundes kaufen, was noch einmal teurer ist.
Nächster Kostenpunkt: die Unterbringung. Während in der konventionellen Landwirtschaft nur die Mindeststandards der nationalen Tierschutzgesetze gelten, dürfen laut EU-Standard etwa sieben Legehennen pro Quadratmeter leben. Im strengen Bio-Verband Demeter sind es nur vier Hennen auf dem gleichen Raum. Von der Qualität der Ställe, also Belüftung, Licht und Auslauf, ist da noch nichts eingerechnet. Ebenso wichtig: die Arbeitskraft. Bei Bio-Eiern, die sich mit dem EU-Siegel begnügen, können rund 30.000 Tiere von einer Arbeitskraft betreut werden. Bei modernen Bio-Höfen sind es teilweise nur 6.000 Tiere, die noch dazu ausgebildetes Personal – meistens den Bauern selbst – als Bezugsperson haben. Rechnet man diese Qualitätsunterschiede zusammen, ist schnell klar, wie die teils deutlichen Preisunterschiede entstehen.
Während man Produkte mit ein paar Mindeststandards meist schon zum gleichen Preis bekommt wie konventionelles Essen, ist vor allem der Premium-Bio-Sektor auch eine Frage des Geldbeutels. Zumindest so lange nicht-nachhaltige Landwirtschaft steuerlich mit der ökologischen gleichgestellt ist. Zum guten Willen des Konsumenten braucht es also auch noch entsprechendes Einkommen – und/oder eine klare Haltung des Staates bzw. der EU zur Förderung nachhaltiger Produktionsmethoden. Ein erster Schritt sind die zuletzt beschlossenen Subventionsrichtlinien der EU-Landwirtschaftsförderung, die sich künftig nach Qualitätskriterien richtet und nicht mehr ausschließlich nach der Fläche. Kleine, nachhaltig und biologisch produzierende Betriebe werden so besser unterstützt als bisher. Konventionelle Landwirtschaft im großen Stil bleibt erlaubt, wird aber nicht mehr mit Steuergeldern gefördert.
Der Mensch lebt nicht von Brot allein
Während in der Lebensmittelindustrie längst eine kritische Menge an Konsumenten erreicht ist, die es biologisch produzierenden Unternehmen erlaubt, auch Geschäft zu machen, beginnen andere Branchen erst damit. Die Bekleidungsindustrie hat in den letzten Jahren aufgeholt und ist zunehmend dabei, ein ähnliches Labyrinth an Logos, Labels und Bio-Marken zu entwickeln. Hier spielen fairer Handel, Ressourcenschonung und Schadstoffarmut eine zentrale Rolle und auch hier zeigt sich, dass Massenproduzenten wie H&M mit einzelnen »Organic Cotton«-Produkten auf den Zug aufspringen wollen.
Bei Holzprodukten – von Möbeln bis zum Kinderspielzeug – sind die Kriterien etwas einfacher und der »Markt der Label« ist dank des FSC-Siegels (von mehreren NGOs entwickelt) für nachhaltige Holzwirtschaft relativ übersichtlich. Überhaupt nicht vorhanden ist er hingegen bei elektronischen Geräten. Zwar versuchen einige Hersteller verstärkt auf Bauteile zurückzugreifen, die nicht in Kriegsregionen abgebaut wurden oder durch Zwangsarbeit entstanden, aber ein marktfähiges Handy oder ein Laptop mit einwandfrei abgebauten Rohstoffen ist derzeit nicht zu bekommen. Geringer Stromverbrauch ist momentan das Einzige, was die Hersteller für das Gewissen ihrer Kunden tun können.
Macht und Ohnmacht – der taumelnde Konsument
Es gibt also zwei wesentliche Probleme für bewusste Konsumenten: Auf der einen Seite die Unübersichtlichkeit der Zertifikate und Logos, auf der anderen Seite der teilweise Mangel an ökologisch und fair produzierten Produkten. Erst wenn diese grundsätzlichen Probleme behoben werden, lässt sich über die Preisgestaltung und die bessere Subvention dieser Produkte diskutieren.
Staat und EU müssen also dafür sorgen, dass die eigenen Bestimmungen so streng und vertrauenswürdig sind, dass ein privater Pseudo-Bio-Markt nicht mit guten (oder weniger guten) Absichten für Verwirrung sorgt. Dazu gehört neben einer erfolgreichen Kommunikationsarbeit sowie strengen und transparenten Kontrollen vor allem ein höherer gesetzlicher Mindeststandard. Bei der Subventionspolitik der EU gab es bereits einen ersten wesentlichen Schritt – die schon immer umstrittenen Subventionen sind nun auch an Qualitätskriterien gebunden.
Denn die Produktionsbedingungen durch sein eigenes Konsumverhalten zu beeinflussen ist nahezu unmöglich. Das einzig wirksame Mittel dazu ist der Kaufboykott aller Produkte, die nicht nach dem eigenen Wunsch hergestellt werden. Aber auch das funktioniert nur in eingeschränktem Rahmen. Bei Lebensmitteln ist es eine Frage des Geldes und des Verzichts, bei Gewand schon zusätzlich eine von Stil und Zeit. Und bei allem darüber hinaus – Haushaltsgeräten, Reisen, Unterhaltungstechnik und so weiter – muss man auch noch das Glück haben, dass es die entsprechenden Angebote überhaupt gibt.
Die Frage ist also immer, ob wir uns so lang im Verzicht üben können, bis es Produkte gibt, die unserem Anspruch auch in der Herstellung gerecht werden. Für alle anderen, die »unbewussten Konsumenten« sozusagen, gilt so oder so: Der nächste Skandal kommt bestimmt. Und wenn dieser dann wieder etwas am Konsumverhalten ändert, dann hat vielleicht auch der sein Gutes. Denn staatliche Organisationen und Non-Profit-Vereine können und sollen nicht die Kaufentscheidungen treffen. Sie müssen aber für Kontrollen und Vertrauen sorgen – ob Bio oder nicht.
Titelgeschichte Fazit 91 (April 2013)
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