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Richter und Retter

| 24. April 2013 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 92, Fazitthema

092_titelgeschichteDie gefährliche Rolle Deutschlands in der Krise Bisher galten Deutschland und in dessen geografischer, kultureller und politischer Nachbarschaft auch Österreich als erfolgreiche Vorbilder im Umgang mit der Krise. Es schien, als wären sie in der Lage, den Wohlstand im eigenen Land trotz anhaltender Widrigkeiten zu sichern. Die Zahl der Firmenschließungen in Österreich blieb weitestgehend konstant und stieg nicht stärker als sonst. Auch das – stets zu hinterfragende – Wirtschaftswachstum liegt statistisch wieder bei unproblematischen 1,1 Prozent. Die Auftragsentwicklung blieb bis auf einige Branchen wie die Automobilindustrie ebenfalls ungerührt.

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Text von Sabrina Luttenberger und Michael Thurm. Foto: Popicinio

Doch trotz dieser vermeintlich gemütlichen Position, die Österreich im Herzen Europas hat, wird langsam klar, dass bloße Wohlstandswahrung auf Dauer nicht funktionieren wird. Zuletzt betrug das österreichische Handelsdefizit – die Differenz zwischen Importen und Exporten – überdurchschnittliche 9,2 Milliarden Euro. Es ging also deutlich mehr Geld ins Ausland, als wir an ihm verdient haben. Das ist grundsätzlich kein Problem. Denn wenn wir das friedliche Miteinander der Euroländer erhalten wollen, dann gehört der Wohlstand aller Mitgliedsländer zum unmittelbaren innenpolitischen Interesse Österreichs. Uns wird es in Zukunft nur gut gehen, wenn es Spanien, Italien, Griechenland und Zypern nicht zu schlecht geht. In Deutschland scheinen das zumindest die wichtigsten Politiker verstanden zu haben: »Wenn es Europa nicht gut geht, wird es auch Deutschland nicht gut gehen«, stellte Angela Merkel bereits 2011 fest. In Österreich ist dergleichen kaum zu vernehmen.

Dabei sind die Zusammenhänge offensichtlich: Der faktische Bankrott des fernen und kleinen Zypern führt dazu, dass hierzulande über die Sicherheit von Sparguthaben und die Existenzberechtigung des Bankgeheimnisses diskutiert wird. Frank Stronachs Partei der Euro-Gegner – bis April war der Ausstieg aus der gemeinsamen Währung einer der wenigen bekannten Punkte des Parteiprogramms – reüssierte in Kärnten und Niederösterreich. In Deutschland gründete sich vor wenigen Tagen ebenfalls eine Anti-Euro-Partei, die gemessen an der medialen Präsenz und ihrem Umfragepotenzial ebenfalls bis zu einer 10-Prozent-Marke kommen könnte. Im Herbst wird sich dies- und jenseits der Alpen entscheiden, wie viel Macht diesen Parteien und ihren Ideen eingeräumt wird.

Entmachtung der Parlamente
Welche Bedeutung das für die tatsächliche Politik haben wird, steht auf einem anderen Blatt. Denn Krisenpolitik ist längst nicht mehr Aufgabe der Parlamente, sondern großteils von nächtlichen Gipfeln, deren Teilnehmer sich meist selbst berufen und auf die Macht des Faktischen verlassen können. Macht hat, wer sich durchsetzt. Und es setzt sich durch, wer Macht hat. Angela Merkel kann als Regierungschefin des wirtschaftlich stärksten Landes in Europa weitestgehend vorgeben, nach welchen Regeln gespielt wird. Sie bestimmt häufig, welche Personen in welcher Funktion sitzen, und es ist der Struktur der EU zu verdanken, dass sie trotzdem auf allen Ebenen einen Konterpart hat. Bis jetzt geht der Gründungsgedanke der Europäischen Union und des Euro auf: Deutschland so eng an die anderen Länder Europas zu binden, dass es nie wieder Krieg führen wird.Wirtschaftlich kann zwar kein Land in Europa den Deutschen Paroli bieten. Politisch ist Angela Merkel zumindest auf ein Mindestmaß an Konsens innerhalb der EU bzw. der Eurozone angewiesen. Denn deren Zusammenhalt ist auch für Deutschland entscheidend. Doch es geht nicht nur um die – teils übertriebene – politische Bedeutung des zyprischen Spektakels und die Rolle Deutschlands. Auch das vermeintlich wohlhabende Österreich hat knallharte wirtschaftspolitische Interessen daran, dass es den südeuropäischen Ländern gut genug geht, um ihren Verbleib in einem gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsraum zu ermöglichen. Das erste Argument, das an dieser Stelle schon mehrfach genannt wurde, ist der Schutz vor Abwertung. In einer gemeinsamen Währung können andere Länder kein Preisdumping durch bloße Abwertung betreiben – das kommt vor allem einem Land mit hohen Qualitätsstandards wie Österreich zugute.

Darüber hinaus sind die Südländer wichtige Handelspartner. Zwar hat Österreich seit 2007 jährlich mehr importiert als exportiert, aber ohne Handelspartner wie Zypern, Italien und Griechenland sähe die Handelsbilanz noch schlechter aus. Und selbstverständlich wird medial vor allem jeder neue Exportrekord gefeiert, aber selten wird diesen »schönen« Zahlen ihr ebenso wichtiges Gegenstück anbei gestellt, die Importquote. Das ist, als würde ein Unternehmen immer nur seine Umsatzzahlen feiern, statt auf den Gewinn zu achten.

Die Tatsache, dass Spanien erstmals seit 1995 mehr Geld mit Exporten nach Österreich verdient, als es seinerseits für Importe aus Österreich zahlt, zeigt, wie sehr die finanzielle Notlage dieser Länder auch uns betrifft. 2007 erzielte Österreich aus dem Handel mit Spanien noch einen Exportüberschuss im Wert von 1,5 Milliarden Euro. Diese Summe würde das aktuelle Defizit um ein Sechstel absenken!

Deutschland kassiert
Im Gegensatz zu Handelsbilanzen von Privatunternehmen sind jene von Nationalstaaten im Idealfall relativ ausgeglichen – ein zu negatives Ergebnis bedeutet, dass viel Geld ins Ausland geht, die Güternachfrage also nicht von inländischen Firmen gedeckt wird. Das führt automatisch auch zu weniger Steuereinnahmen und »exportierten Wirtschaftsimpulsen«. Jene 9 Milliarden Euro Handelsdefizit könnten – wenn sie in Österreich bleiben würden – doch einiges bewegen. Gleichzeitig ist eine extrem positive Handelsbilanz, wie sie Deutschland hat, ebenfalls ein Problem, denn sie ist das automatische Gegenstück zu den Defiziten anderer Länder. Die Summe aller Handelsbeziehungen ist logischerweise gleich null. Wer seinen Partner nicht in den Ruin handeln will, der verzichte also auf einen zu großen Handelsüberschuss.

Auch dadurch erklärt sich die momentane Ablehnung gegenüber Deutschlands Vormachtstellung. Die Exportnation verdient ihren Wohlstand vor allem damit, dass andere Länder ihr Geld nach Deutschland bringen. Das ist in einer freien Marktwirtschaft legitim und sollte den Wettbewerb zwischen den Ländern ankurbeln – wenn sich durch diese Politik aber immer mehr Wirtschaftsleistung auf Deutschland konzentriert, wird das für die anderen Länder gefährlich. Die Bundesrepublik, und hier wird ihre überragende Rolle deutlich, hat ein Handelsplus von 118 Milliarden Euro und bezieht ihre Gewinne vor allem aus dem Handel mit Frankreich (40 Milliarden), den USA (36 Milliarden), Großbritannien (29 Milliarden) und Österreich (21 Milliarden). An Spanien verdienen die Deutschen immerhin noch 8 Milliarden Euro und sogar aus Griechenland kann Deutschland noch 2,8 Milliarden abschöpfen. Und wer verdient an Deutschland? Selbstverständlich China (11 Milliarden), die Niederlande und Norwegen (16 bzw. 17 Milliarden).

Transferleistungen sind systemimmanent
Dass vielen diese Tatsachen nicht völlig bewusst sind, zeigt die (ideo-)logische Inkonsequenz bei den Erwartungen an die Europäische Union: In einer Umfrage innerhalb der österreichischen Bevölkerung im vergangenen Jahr sprachen sich zwar mehr als 50 Prozent dafür aus, dass Währungs- und Umweltpolitik auf europäischer Ebene geregelt werden sollen, gerade einmal 26 Prozent wollten aber das Pensionsantrittsalter und nur mehr 17 Prozent die Höhe der Löhne europäisch regeln lassen. So profitierte zum Beispiel Deutschland von seinen umstrittenen Hartz-IV-Reformen. Die Produktivität entstand zum Teil auch aus dem Vorteil von niedrigen Löhnen und geringer Sozialhilfe in der Bundesrepublik.

In einem gewissen Toleranzbereich mag ein Währungsraum solche ökonomischen Spannungen aushalten. Schließlich verdienen auch innerhalb Österreichs die Wiener (1.983 Euro netto) mehr Geld im Monat als die Tiroler (1.805 Euro) – aber wenn solche Unterschiede zu extrem werden, zerrt dieses Gefälle an der Stabilität aller beteiligten Staaten. Und genau das passiert noch immer. Die Südeuropäer leiden unter der fehlen Möglichkeit abzuwerten. Die Nordeuropäer darunter, dass sie diesen wirtschaftlichen Vorteil über den Umweg der Transfer- und Rettungsleistung wieder zurückzahlen müssen.
Das ist aber kein Problem, das nur der Euroraum kennt: In Deutschland klagt zum Beispiel das Bundesland Bayern gegen den Länderfinanzausgleich, weil es befürchtet, dass sparsame Länder zugunsten jener bestraft werden, die das Geld zu hemmungslos ausgeben. Eine abschließende Antwort auf die Frage danach, wie sehr die »strukturelle Benachteiligung« einer Region und wie sehr die wirtschaftspolitische Unfähigkeit der jeweiligen Haushaltspolitiker für rote Zahlen verantwortlich ist, wird schwer zu finden sein und muss deshalb immer neu und immer kritisch diskutiert werden. Aber der Grundgedanke, dass sich die regionalen und nationalen Volkswirtschaften gegenseitig unterstützen, sollte davon nicht gestört werden. Die schwachen Regionen werden mit Transferleistungen gestützt und die prosperierenden erhalten Zugang zu einem Absatzmarkt für ihre (Über-)Produktion – eine moderne Form der Zollpolitik. Wenn Exportnationen verhindern wollen, dass ihre Handelspartner wieder die Grenzen schließen und Importzölle einführen – was ihr gutes Recht wäre – müssen sie einen Teil der Gewinne wieder in den Partnerländern investieren. (Österreich hat mit der NOVA, einer Umweltabgabe für importierte Neuwagen, bereits so etwas ähnliches wie einen Zoll eingeführt.)

Die Bedeutung von Transferleistungen aller Art hat durch den Euro noch entschieden zugenommen. Seit de facto keine Zinspolitik mehr zur Steuerung der Wirtschaftstätigkeit stattfindet, seit die EZB den Leitzins im Juli 2012 auf 0,75 Prozent gesenkt hat, fehlt ein wichtiges wirtschaftspolitisches Instrument, um der Konjunktur auf die Sprünge zu helfen. Normalerweise wäre der Wechselkurs-Effekt (Abwertung) die nächste wirkungsvolle Waffe einer Volkswirtschaft, aufgrund des Währungsverbundes ist aber auch diese nicht einsatzfähig. Niedrigere Preise sind also das einzige und letzte Mittel, um die Nachfrage in den Krisenstaaten zu steigern. Auch das ist schwierig, weil weder Spanien noch Italien noch Griechenland bisher als Hochpreisländer bekannt sind.

Weil diese klassischen Methoden im Euroraum untauglich geworden sind, müssen Transferzahlungen zum Teil des Systems werden. Sie sollten aber nicht zur Schuldentilgung genutzt werden, denn dann fließt das Geld zurück an private Investoren und Banken. Es muss für Investitionen in Produktionsgüter und Industrie, für Infrastruktur und Bildung verwendet werden. Nur dadurch können benachteiligte Staaten befähigt werden, aus ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit zu entkommen bzw. sie abzumildern. Und das kann nur auf Kosten der heutigen Wohlfahrtsstaaten geschehen. Solange ein Land wie Deutschland seinen Wohlstand durch Exportüberschuss und nicht durch Binnennachfrage erwirtschaftet, muss es jemanden geben, der dafür zahlt. Aber es sollte immer jemand sein, der sich das auch leisten kann.

Titelgeschichte Fazit 92 (Mai 2013)

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