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Verteidigung der Steuersünder

| 29. Mai 2013 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 93, Fazitthema

Österreich ist Hochsteuerland. Und stolz darauf? Das kann es doch eigentlich nicht sein. Den begründeten Huldigungen an den österreichischen Sozialstaat muss nicht zwangsläufig eine obrigkeitshörige Steuermoral gegenüberstehen.

Von Michael Thurm und Sabrina Luttenberger

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Dieser Text vertritt eine simple These. Noch dazu eine, die überhaupt nicht neu ist: Der Staat verlangt zu viele Steuern. Und tut damit viel Unnötiges. Sicher, diese Unterstellung formulierten vor allem jene Vertreter des neoliberalen Turbokapitalismus, deren politische Entscheidungen inzwischen als Wegbereiter für die immer noch andauernde Finanz(ierungs)krise in ganz Europa gelten. Aber nur weil eine These von Irregehenden und Irregegangenen vertreten wird, muss sie nicht falsch sein. Sie bleibt – so unsere Überzeugung – im Kern richtig. Und gerade weil jene, die sie vertreten haben, in akuter Begründungsnot sind, ist es wichtig, auch in der laufenden Konsolidierungsphase der europäischen Staaten einen Blick darauf zu werfen, wie der Staat seine Steuern einnimmt – und was er damit anstellt.
Spätestens seit »auch Uli Hoeneß« als Steuersünder enttarnt wurde, hätte klar werden müssen, dass es eben nicht nur ein paar Gauner sind, die ihr Geld am Fiskus vorbeischleusen. Es sind eben nicht nur die Grassers und Meischbergers (ebenfalls Selbstanzeige!), von denen wir es immer schon gewusst haben wollen, denen aber bis heute meist keine juristisch wirksamen Vergehen nachgewiesen werden konnten. Es sind nicht nur die Unanständigen, es sind immer öfter wir alle.
Während sich das Profil (»Die Psychologie der Gier«) und die Zeit (»Macht Geld unmoralisch?«) mit psychologischen Erklärungsmustern an das unerwünschte, unerhörte und unwürdige Phänomen der Steuerhinterziehung wagen, wollen wir einen anderen Weg einschlagen. Warum hinterzieht »auch Uli Hoeneß« Steuern? Ist er doch finanziell weit davon entfernt, es nötig zu haben. Und warum tun es auch »wir alle« oder zumindest immer mehr von uns – im kleinen Stil? Dem zuletzt oft gehörten Satz »Ein paar Sachen hat doch jeder laufen« steht ein geschätztes Volumen von bis zu 20 Milliarden Euro gegenüber, das in Österreich am Fiskus vorbei gewirtschaftet wird. Immerhin fast acht Prozent der nationalen Wertschöpfung.
Selbstverständlich müssen Steuerhinterzieher gesucht und gefunden, angeklagt und bestraft werden. Aber bei diesem Beharren auf der fiskalischen Rechtsstaatlichkeit dürfen wir nicht vergessen, auch diese Regeln und ihre Rechtfertigung zu hinterfragen. Die moralischen Vorstellungen der Gesellschaft, das stellte schon Platon fest, sind »nicht einfach nur eine Ergänzung der geschriebenen Gesetze, sie sind das Fundament der Gesetze selbst«. Wenn also die Steuermoral der Staatsbürger sinkt, ist es natürlich richtig, auf die Einhaltung der Gesetze zu bestehen. Gleichzeitig muss das oberste Ziel eines Staates sein, diese Steuermoral wieder zu erhöhen und die Gesetze den moralischen Vorstellungen der Bevölkerung anzupassen. Und zwar nicht mit kostspieligen Werbekampagnen, sondern mit der faktischen Anpassung seiner Politik. Dazu gehört zum einen die Höhe der Steuern selbst und zum anderen ihre Komplexität und Allgegenwärtigkeit. Absurderweise könnte das just in diesem Jahr dazu führen, dass genau das Gegenteil von Steuersenkungen passiert. Erstmals in jüngster Vergangenheit ziehen Parteien mit der Forderung nach höheren Steuern in den Wahlkampf.
Dabei ist Österreich schon jetzt eines der höchstbesteuerten Länder innerhalb Europas. Nicht nur dass es eine unglaubliche Zahl von rund 60 verschiedenen Steuern allein vom Bund gibt, dazu kommen noch Sozialabgaben, kommunale Abgaben und Gebühren wie zum Beispiel für den ORF und die Müllabfuhr. Nicht einmal das österreichische Finanzministerium hat eine vollständige Übersicht aller Zahlungen, die man direkt oder indirekt an den Staat zu leisten hat. Von einer transparenten Darstellung der tatsächlichen »Abgabenquote« sind wir also offensichtlich noch entfernt und der statistische Wert von 44,3 Prozent – das ist der Anteil von Steuern und Sozialabgaben am BIP – muss als durchschnittliche Mindestabgabenquote verstanden werden. Real dürften vor allem diejenigen, die ein besteuerbares Arbeitseinkommen haben, einen deutlich größeren Anteil an den Staat abführen.
Wie es in Anbetracht dieser Zahlen um die Steuermoral der Österreicher bestellt ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Die Schätzungen über das Ausmaß von Steuerhinterziehung und nicht versteuerten Leistungen reichen von Hunderten Millionen bis zu 20 Milliarden Euro. Studien zur Steuermoral gingen bis zum Jahrtausendwechsel davon aus, dass Steuern grundsätzlich durch Machtmittel des Staates eingetrieben werden müssen – inzwischen legen neuere Forschungsansätze nahe, dass es durchaus so etwas wie eine freiwillige Steuerehrlichkeit gibt. Eine Studentin der Universität Wien fasst den Stand der Forschung in ihrer Diplomarbeit zusammen: »Gelingt es den Behörden, das Vertrauen der Bürgerinnen zu gewinnen, den gewissenhaften Umgang mit den Steuergeldern glaubhaft zu machen und zu garantieren, dass diese uneingeschränkt dem Allgemeinwohl zugutekommen, so wird sich freiwillige Steuerehrlichkeit ausbreiten.« Kurz gesagt: Wer vom Sinn seiner Steuern überzeugt ist, zahlt ehrlicher, als wer nur aus Angst vor Strafe zahlt.

Steuern sind immer ungerecht
Die Steuerskepsis vieler Bürger in Österreich ist nachvollziehbar. Die Steuern sind vergleichsweise hoch und ihre Systematik ist unfassbar kompliziert. Neben der unübersichtlichen Anzahl gibt es dazu jeweils unterschiedliche Tarife, Ausnahmen und Sonderregeln. Diese sind, und auch das darf nicht vergessen werden, dem Versuch geschuldet, so etwas Ähnliches wie Steuergerechtigkeit herzustellen und den verschiedenen Lebens-, Verdienst- und Unternehmensstrukturen Rechnung zu tragen.
Wir stellen hier eine zweite These auf, die von großer Bedeutung für das Steuerrecht ist: Steuern sind immer ungerecht. Denn Gerechtigkeit ist vor allem eine Frage der Perspektive. Der eine fühlt sich durch einen längeren Arbeitsweg benachteiligt, der andere fühlt sich benachteiligt, weil er mittels Pendlerpauschale das »Leben im Grünen« und meist niedrigere Mieten mitfinanziert. Das ist nur eines von zahlreichen Beispielen dafür, dass Steuern eben nicht im objektiven Sinn gerecht sein können. Ein anderes: Aktionäre, die an einer Firma beteiligt sind, zahlen auf ihre Gewinne 25 Prozent Kapitalertrag, während die angestellten Mitarbeiter, die mit ihrer Arbeitskraft beteiligt sind, bis zu 50 Prozent Einkommensteuer zahlen. Dafür kann der Aktionär sein eingesetztes Kapital verlieren, der Arbeiter im schlimmsten Fall seinen Job, nicht aber sein bisher verdientes Geld.
Das Steuersystem kennt neben diesen grundsätzlichen und nur beispielhaften Unterscheidungen noch eine unendliche Menge von Ausnahmen, Freibeträgen und Sonderregeln. Wenn diese endlich wegfallen würden, bestünde zumindest jenes Maß an Gerechtigkeit, dass alle gleich behandelt würden. Egal mit welchem individuellen Hintergrund, egal mit welcher Kenntnis über fiskalische Schlupflöcher. Das Steuerrecht bewegt sich nämlich zwangsläufig zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite steht die Flat Tax, in ihrer radikalsten Ausprägung ein einheitlicher Steuersatz auf jede Form des Einkommens bzw. Verbrauchs. Auf der anderen Seite stehen Individualsteuersätze, die versuchen, jeden quantifizierbaren Lebensumstand durch Freibeträge und Absetzbarkeiten zu einer eigenen Steuerklasse zu machen.
Während die Umsatz- bzw. Mehrwertsteuer mit lediglich zwei Steuersätzen sehr nah an einer Flat Tax angesiedelt ist, kennt die Lohn- und Einkommensteuer ein System von derzeit vier Steuerklassen – vermeintlich der sinnvolle Kompromiss aus den Extrempositionen. Allerdings führt seine Anwendung in der Realität zu immer mehr versteckten Steuerklassen. Innerhalb dieser wird mittels Freibeträgen, Möglichkeiten, gewisse Ausgaben abzusetzen, und Steuerschlupflöchern abgestuft und differenziert: Kirchenbeiträge, Verkehrsabsetzbetrag, Alleinerzieherabsetzbetrag, Kinderfreibeträge oder eben Pendlerpauschale. Der Zahl solcher Abstufungen ist im Detail wohl nur durch die Kreativität der Steuerberater eine Grenze gesetzt. Ohne deren akribische Arbeit, jährlich neu zu kaufende Software und jede Menge Zeit ist es längst unmöglich geworden, seine Steuern legal und ohne eigenen Nachteil abzuführen. Mittlerweile lebt eine ganze Branche davon, die Finanzen der Steuerpflichtigen so legal wie nötig und so steuerschonend wie möglich darzustellen. Doch trotz all dieser Versuche, möglichst vielen individuellen Lebensentwürfen zu entsprechen, gibt es kaum jemand, der das Steuersystem als gerecht einstufen würde. Nicht einmal die verantwortlichen Politiker trauen sich das zu behaupten und so erntete auch Karl Aiginger, Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes, keinerlei Widerspruch, als er das Steuersystem unlängst als »unfair und kompliziert« bezeichnete. Eigentlich ein vernichtendes Urteil für die seit 60 Jahren regierenden »Volksparteien«. Und dieses System ist eben nicht nur unfair und kompliziert, sondern es schädigt die gesamte Volkswirtschaft, die Produktivität und nicht zuletzt die Freude am Arbeiten und Geldverdienen.
Quantifizieren lassen sich hingegen lediglich nüchterne Fakten wie die Zeit, die zur Bewältigung einer Steuererklärung gebraucht wird. Der Unternehmensverband Pricewaterhouse Coopers (PwC) hat dies im Jahr 2009 für Unternehmen untersuchen lassen und ermittelte für Österreich unglaubliche 260 Stunden! In der Eurozone sitzen nur Italiener und Portugiesen länger an ihren Steuererklärungen. Selbst die klischeehaft als Weltmeister der Bürokratie geltenden Deutschen kommen mit weniger als 200 Stunden aus. Das ist – streng betrachtet – ein Wettbewerbsnachteil für Österreich; ganz als würde bei hiesigen Unternehmen ein Mitarbeiter über einen Monat hinweg am Arbeiten gehindert!
Ebenfalls in dieser Studie festgestellt: Bei der steuerlichen Belastung auf den Betriebsgewinn von Unternehmen liegt Österreich mit 55 Prozent auf dem fünften Platz der Eurozone. Auch da gibt es andere Studien, aber bis auf die Darstellung offizieller Stellen – und die sind in dieser Frage nicht gänzlich objektiv – sieht niemand die Abgabenquote unterhalb von 50 Prozent. Selbstverständlich gilt: Nicht jeder Steuer-Euro ist nutzlos. Der Staat investiert und schafft Arbeit, er zahlt verhältnismäßig hohe Renten, zuverlässige Sozialleistungen und vom Zustand österreichischer Infrastruktur können andere Länder nur träumen. Und natürlich ist das Steuersystem auch ein Instrument zur politischen Lenkung. Der Kinderfreibetrag soll jungen Paaren Mut machen, Kinder zu kriegen. Ein Anliegen, das gesellschaftlich wünschenswert ist. Mineralölsteuern, Tabaksteuern, Alkoholsteuern etc. sollen den Konsum von besonders schädlichen Produkten zusätzlich unattraktiv machen. Wer so beginnt, findet wahrscheinlich für jede Steuer und jede in ihr verborgene Ausnahme irgendeine Erklärung; und wird damit die unbedingt notwendige Begründung für das Gesamtsystem verlieren.

Steuergesetze verbrennen
Natürlich könnten wir wie Kaiser Trajan im ersten Jahrhundert der Zeitrechnung alle Steuerbücher einfach verbrennen lassen und uns dann den Beinamen »Optimus« verleihen. Das hätte zwar ein wunderbar theatralisches Moment, in Zeiten digitaler Reproduzierbarkeit aber wahrscheinlich keinerlei Wirkung. Es könnte doch ein Grundsatz vernünftiger Politik werden, jedes Jahr die fünf nutzlosesten Steuern, Abgaben oder Ausnahmen zu identifizieren und ersatzlos zu streichen. Jedes Jahr. Daran könnten sich Regierungen messen lassen. Stattdessen wird weiter versucht, an Schräubchen zu drehen und neue Steuern vor allem für hohe Einkommen und Vermögen durchzusetzen, um den Staat selbst, seine Schulden und all die kleinen und großen Projekte zu finanzieren.
Über sechs Milliarden Euro jährlich für den Schuldzins, über fünf Milliarden für Pensionen im öffentlichen Dienst, die Förderung defizitärer Thermen und all die kleinen, sich aber summierenden Projekte wie die Erneuerung aller Autobahnschilder zur Erprobung einer neuen Schriftart, Webseiten für das Lebensministerium, die Umbenennung missliebiger Straßennamen und und und.
Es gibt inzwischen genügend Gründe, die Anlass zur Steuerhinterziehung geben. Und es gibt zu viele Möglichkeiten, diese ohne viel Zutun zu begehen – auch wenn solch »fahrlässige Abgabenverkürzung« eindeutig strafbar ist. Aber solange es der Staat mit seiner Administration, seinen Formularen und seinen unübersichtlichen Steuern und Ausnahmen von diesen Steuern leichter macht, diese zu hinterziehen, als sie zu bezahlen, fordert er geradezu zum Steuerbetrug auf. Und zwar nicht direkt zum Schwarzgeldkonto in Liechtenstein, das zwar medial für viel Aufsehen sorgt, aber fiskalisch nicht allzu viel Einfluss haben dürfte, sondern zu alltäglicher Hinterziehung (»Pfusch«), die laut einer Profil-Umfrage knapp 50 Prozent (!) als Kavaliersdelikt einstufen und 31 Prozent sogar selbst vollziehen bzw. vollziehen würden. Ein paar typische Beispiele dafür seien hier genannt:

Die »schwarze« Putzfrau
Selbst wenn ein Auftraggeber seine Putzfrau oder den Babysitter anmelden will, müssten alle anderen Auftraggeber Gleiches tun. Denn sonst scheint die – endlich und über umständliche Prozeduren angemeldete – Reinigungsfachkraft in den Unterlagen der Behörde auf und läuft damit Gefahr einer Steuerprüfung. Diese würde aber nur dann positiv ausfallen, wenn tatsächlich alle Auftraggeber angemeldet wurden. Ob dann von den Stundenlöhnen, die sich meist bei zehn Euro bewegen, viel übrig bleibt, darf bezweifelt werden.

Der Arzt, dem die Rechnungen ausgehen
Wer tut eigentlich wem etwas Gutes, wenn ein Arzt seinen Patienten anbietet, dass sie die nächste Rechnung, die es dann eben nicht schriftlich gibt, in bar zahlen können? Es ist auf den ersten Blick eine praktische Win-Win-Situation: Dem Arzt bleibt etwas mehr übrig, als wenn er die Behandlung voll versteuern müsste, und der Patient zahlt deutlich weniger, als wenn er noch 20 Prozent Umsatzsteuer auf die Rechnung aufgeschlagen bekommen hätte.

Die Journalistin, die ihr Büro im Kaffeehaus hat
Es gibt in der verlotterten Branche der Journalisten noch einige wenige Grundsätze, die quer durch alle Qualitätsschichten Bestand haben. Einer davon ist der unbedingte Schutz von Informanten, der im Normalfall so weit geht, dass wir überhaupt niemand gerne wissen lassen, mit wem wir wann bei einem ebenso privaten wie beruflichen und unwichtigen Mittagessen beisammensaßen – vom Grund des Treffens ganz zu schweigen. Nun gehören die Ausgaben für solche Treffen aber doch zu den größeren Posten freier Journalisten und der Reiz, diese von der Steuer abzusetzen – noch dazu legal – ist groß. Wer will prüfen, ob ein Gespräch privat oder beruflich war? Was wiegt stärker: der Schutz des Informanten oder die Auskunftspflicht gegenüber der Steuer? Oder muss ich, um meine Informanten in Schutz zu nehmen, einfach nur genügend Stolz und Geld haben, um diese Rechnung eben nicht bei der Steuer geltend zu machen?
Ein Staat ist selbst schuld daran, wenn er solche Fragen und Tricksereien überhaupt zulässt. Wie viel bürokratischer Aufwand würde uns erspart bleiben, wenn zum Beispiel Konsumationsrechnungen schlicht und einfach nicht absetzbar sind? Für einige wenige Branchen gibt es inzwischen pauschale Freibeträge, ein Versuch, den typischen berufsbedingten Aufwand steuerlich geltend zu machen und pauschal vom Gewinn abzuziehen. Eine recht sinnvolle Erfindung, die natürlich neue Ungerechtigkeiten verursacht. Unter anderem weil auch für diese Variante gilt: Wer genügend Rechnungen über den Freibetrag hinaus sammelt, der kann auf diesem klassischen Weg durchaus wieder seinen Gewinn kleinrechnen. Spiele mit dem Fiskus wie dieses gehen sogar so weit, dass Steuerberater »Sollbruchstellen« in die Steuererklärung einfügen, damit die Prüfer im Zweifel irgendetwas finden und nicht zu misstrauisch werden, denn dann würden sie alles mit größerer Strenge untersuchen. Wo soll das denn hinführen?
Im Bereich der Angestellten ist es zumindest einfacher – wenn auch nicht besser. Die Steuer wird abgezogen, bevor überhaupt die Möglichkeit der Hinterziehung besteht – eine Ausnahme ist hier der Steuerbetrug durch Scheinselbstständigkeit, durch den sich auch große Konzerne die Lohnnebenkosten sparen bzw. zum Teil auf die Arbeitnehmer abwälzen, die zwar verhältnismäßig höhere Brutto-Einkünfte haben, davon aber selbst Sozialabgaben und Steuern zahlen müssen.
Momentan scheint die einzig konsequente Reaktion des Staates auf dieses Dilemma, die Summe all der Widersinnigkeiten, darin zu bestehen, öffentliche Strafen zu verhängen, indem der sonst so auskunftsscheue Staat plötzlich Steuergeheimnisse an Medien durchsickern lässt. Erst die fernsehwirksame Verhaftung des ehemaligen deutschen Post-Chefs (inzwischen wegen Steuerhinterziehung zu zwei Jahren Haft und einer Million Euro Strafe verurteilt), dann die nicht rechtskräftige Strafe für Hannes Kartnig, die noch immer nicht aufgeklärten Vergehen, die einem nicht unerheblichen Teil der Regierung Schüssel zur Last gelegt werden, und nun die öffentlich gewordene Selbstanzeige von Uli Honeß.
Zur Aufbesserung der Steuerkasse wird das bedingt beitragen, zu einer Erhöhung der freiwilligen Steuermoral keineswegs. Das Problem dabei ist: Am Ende betrügen all die Steuersünder – große wie kleine – nicht den Staat, der es mitunter verdient hätte, sondern wir betrügen unsere Mitbürger. Alle jene, die ordentlich Steuern zahlen, weil sie nicht hinterziehen können oder wollen. Dem Staat ist am Ende egal, woher er Geld bekommt. Und wenn zusätzliche Schulden, Steuerfahnder oder der Ankauf von Steuer-CDs »nötig« werden, sind auch das Kosten, die von allen Steuerzahlern beglichen werden müssen.
Wenn der Staat erfolgreich darin sein will, Steuern einzunehmen, ohne dadurch weitere Kosten und Missbilligung zu verursachen, wenn er die Lust auf – oder Notwendigkeit von – Steuervermeidung senken will, muss er das Steuersystem schleunigst reformieren. Nicht durch Steuererleichterung für jene Gruppen mit der stärksten Lobby, sondern durch die Reduktion von Abgaben und Ausgaben. Detail-Steuern und Ausnahmen abschaffen und dafür Subventionen und Förderungen ebenfalls reduzieren. So sinkt der Gesamteinfluss des Staates – und zwar an Stellen, wo er sinken darf. Das ist nicht zu verwechseln mit einer Deregulierung des Bankensektors oder der völligen Marktliberalisierung. Aber der Staat muss den Anspruch an sich selbst stellen, bei den richtigen Themen Einfluss zu nehmen. Dort wo Grundlegendes entschieden wird: demografische Entwicklung, Außenhandel, Bildung und soziale Sicherheit. Der Staat und seine Steuern, sie sind notwendig und ein legitimes Instrument, um gesellschaftliches Handeln zu beeinflussen. Die Kunst besteht in der Konzentration aufs Wesentliche und nicht darin, eine Antwort auf die Frage zu definieren, warum Hunde nun steuerpflichtig sind, Katzen aber nicht. Die Komplexität muss weg – dann wird Betrug auffälliger und lässt sich leichter verfolgen. Und viel wichtiger: Es macht endlich wieder Spaß, Geld zu verdienen.

Titelgeschichte Fazit 93 (Juni 2013)

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