An der Wurzel
Michael Thurm | 20. Dezember 2013 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 99, Fazitgespräch
Schauspieler Johannes Silberschneider über seine Frisur und den Tod.
Foto von Marija Kanizaj
::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK
Herr Silberschneider, ich würde gern ganz oberflächlich beginnen. Wie machen Sie das mit Ihren Haaren?
Sie wollen über meine Haare reden?
Es gibt ganz frühe Bilder von Ihnen, da hatten Sie schon diese Frisur, die Sie wie ein Markenzeichen begleitet.
Ich glaube, dass Haare etwas ganz Eigenes sind. Bei den Regensburger Domspatzen ist mir das zum Beispiel aufgefallen. Die haben eine mörderische Haarzeremonie, wahrscheinlich weil es wegen der Uniform das einzig Individuelle ist. Auch der letzte Papst, der Ratzinger, war ein Haarfetischist. Meine eigene Beschäftigung damit hat in den frühen Achtzigern während der Schauspielschule angefangen. Lange Haare stehen mir nicht und mein Idealbild eines Mannes ist das der Vierziger- und Fünfzigerjahre gewesen. Und dann habe ich versucht, mit alten Frisören so etwas zu erzeugen. Das Haar prägt ja das Wesen. Ich kann mich an den alten Will Quadflieg erinnern, der sich durch die Haare gefahren ist, obwohl er kaum noch welche hatte. Ich glaube, das gehört irgendwie dazu.
Aber es ist ja bei Ihnen noch ein Schritt mehr: Sie haben immer diese Tolle, egal welche Rolle Sie spielen, Ihre Figuren tragen die Silberschneider-Frisur.
Das ist furchtbar. Eigentlich. Wenn die Frisur zum Qualitätsmerkmal für einen Schauspieler wird. Aber ich dachte mir immer, die Nase kann ich auch nicht verändern. Inzwischen bin ich nicht mehr ganz so fixiert. Jetzt vor dem Interview hab ich zum Beispiel die Pomade vergessen.
Aber Sie fühlen sich trotzdem wohl?
So wie mit dem Alter die Haare schwinden, so verschwindet auch der Fetischismus. Ich hatte ganz lange den gleichen Haarschneider in Leoben, der hat mir mit zwanzig einen Haarschnitt gemacht, mit dem ich total glücklich war. Und ich hab das immer so festgelegt: Haarschneider, bei denen man rausgeht und die Frisur sieht gut aus, sind schlechte Haarschneider. Wenn man mit der Frisur ins Bett geht, die Haare wäscht und frisiert und dann stimmt alles, das sind die Genies.
Aber bei Ihnen ist das kein Ausdruck von Eitelkeit, sondern …
Es war ein Selbstfindungsprozess, ein männlicher Initiationsakt. Witzigerweise waren diese Haarschneider in Leoben sehr kunstbeflissen und kannten sich mit alten Haarschnitten gut aus. Deren Vater hat noch dem Koloman Wallisch die Haare rasiert, bevor er hingerichtet wurde.
So was Morbides gefällt Ihnen.
Na ich dachte mir halt, die haben das schon eine Zeit lang gemacht. In Bern bin ich mal in ein Geschäft gegangen, da wurden mir die Haare geschnitten von einem Frisör, das war ganz wunderbar. Nachher wurde mir dann erzählt, dass der schon mal wen umgebracht hat. Naja, wer weiß.
Gibt es einen Film oder ein Theaterstück, wo Sie eine andere Frisur tragen? Es gibt ja Schauspieler, die sich für ihre Rollen kahlrasieren oder herunterhungern oder fettfressen. Ich habe bei Ihnen nicht mal besonders auffällige Masken oder Ähnliches gefunden.
Einmal hatte ich einen Kurzhaarschnitt für »Baal« von Bertolt Brecht. Das war vielleicht 1988. Aber das war alles.
Ab Jänner sind Sie erneut am Grazer Schauspielhaus zu sehen, und zwar als Erzähler in »Holzfällen« von Thomas Bernhard. Soweit ich Ihre lange Liste an TV-, Film- und Theaterproduktionen richtig überblicke, ist das Ihre erste Begegnung mit Thomas Bernhard.
Ich hab vor 14 Jahren mal eine Bernhard-Lesung von »Alte Meister« begonnen, aber tatsächlich war »Holzfällen« auch mein erstes Bernhard-Buch. Das wurde damals noch unter dem Tresen verkauft, weil es ja verboten war. Es ist seltsam, dass es auch das erste Werk ist, mit dem ich als Theaterstück in Berührung komme.
Im Buch besteht Ihre Rolle unter anderem darin, Schauspieler und Künstler zu beschimpfen, als »Künstlerattrappen« und »perfide Gesellschaftsonanisten«. Ist eine Portion Masochismus nötig, um eine solche Figur zu übernehmen?
Ich hab mir schon gedacht, dass es eine zerstörerische, selbstzerstörerische Arbeit werden wird. Ich glaube, Bernhard nimmt sich selbst nicht aus. Sein gespaltener Menschheitskosmos wird in den Romanen und Theaterstücken auf die Figuren übertragen, die dann seine eigenen Aggressionen und Minderwertigkeiten ausleben. Er agiert mit sich in einer Art Eigentherapie …
Er lässt seine Widersprüche an den Figuren aus.
Genau. Meine Freundin und ich, wir wurden beide nach Graz eingeladen, haben den Regisseur Krystian Lupa kennengelernt und gesehen, dass das eine andere Beschäftigung mit Bernhard werden wird. Und Lupa macht ja wirklich etwas, was ich nicht erwartet hätte, weil wir bei ihm durch die Augen der Figuren auf den Dichter Bernhard schauen. Das hat für mich als Erzähler natürlich auch rückwirkende Einflüsse.
Welche?
Dass man sich selbst bei der Kreation des eigenen Österreich-Kosmos zuschaut und gleichzeitig wie in einer therapeutischen Sitzung hockt. So blöd das klingt, aber ich hab bei den Proben bisher kaum mehr als ein paar Sätze gesprochen, obwohl ich riesige Monologe habe. Bernhard hat ja mit seinen Texten und mit sich selbst ein Monument geschaffen und dadurch, dass er sein Werk nur von deutschen Regisseuren hat aufführen lassen, wurde das Monument noch größer. Das war für ihn wohl der Akt, seiner Lungenkrankheit etwas Gewaltiges entgegenzusetzen. Lupa hatte Bernhard mal einen begeisterten Brief geschrieben, weil er »Das Kalkwerk« von ihm inszenieren wollte, und das hat Bernhard damals nicht erlaubt. Bei »Holzfällen« haben die Nachfahren jetzt zum Glück zugestimmt. Und der Lupa versucht dieses Bernhard-Denkmal, das ja schön langsam porös ist, von innen her zu rekonstruieren. Er stellt mit diesem Stück auch eine Art Bernhard-Psychogramm auf die Bühne.
Sind Sie damit einverstanden?
Ja, ich glaube, der Autor würde den Regisseur lieben, wenn er ihn heute sehen würde. Und diese Gesellschaft, die Bernhard mit seinen Beschimpfungen beschreibt, gibt es gar nicht mehr. Der Bernhard hat ja immer auch darauf spekuliert, zu provozieren.
Sie sehen die Operetten-Republik in Österreich nicht mehr? Ich denke nur an die letzte Nestroy-Verleihung. So seriös und bemüht so etwas immer abgehalten wird – es ist solchen Veranstaltungen doch immanent, dass sie zu Karikaturen werden, wenn sie regelmäßig stattfinden.
Schon auch. Aber das sind immer Dinge, die in der Zeit entstehen. Es gibt ja auch sehr gute Veranstaltungen wie die Nestroy-Verleihung, die der Ostrowski moderiert hat …
… dann ist es Unterhaltung. Wenn es lustig ist, kann es gelingen. Aber eine ernsthafte Preisvergabe ist doch nicht möglich.
Und das ist genau die Gespaltenheit Österreichs, die spätestens seit dem Ersten Weltkrieg besteht. Wir waren mal ein europäisches Großreich und sind dann zu einem Wurmfortsatz geschrumpft. Wir wissen, dass es einmal Größe gab, aber gleichzeitig können wir sie nicht mehr behaupten. Deshalb gibt es vermutlich in Österreich so gutes Kabarett. Mit der Musik ist das ja genauso. Der erste österreichische Nachkriegshit war der Bundesbahnblues, ein deutscher Text mit einem amerikanischen Musikschema.
Über Ihre musikalische Karriere würde ich später gern noch reden, aber mich interessiert der Punkt von der Bühne als Therapie. Sie haben mal gesagt, dass im Theater »Heilung« geschieht. Bezieht sich das auf die Schauspieler oder das Publikum?
Auf alle. Wie im alten Griechenland. Da waren die Spiele dazu da, dass eine Läuterung stattfindet und sich dann im Himmel, nach oben hin, auflöst.
Zu dieser Heilung gehört wohl auch, dass all Ihre Rollen durch Sie sympathisch werden. Vom Strizzi Rudi in »Trautmann« über Gustav Mahler bis zu Adolf Hitler, den Sie 2012 in »Rommel« spielten. Sie alle werden unabhängig von den realen Figuren dahinter sympathisch, weil Sie deren Schwächen zeigen. Ist das Ihre Absicht oder gar eine Voraussetzung, damit Sie eine Rolle annehmen können?
Ich glaube, das passiert im Prozess. Aber vielleicht ist das auch der verborgene Katholik in mir. Meine Freundin sagt dann immer: »Jetzt hast du‘s wieder geschafft. Jetzt hast du aus dem Goebbels einen Katholiken gemacht.« Ich weiß nicht, was das ist … Ich gehe im Grunde davon aus, dass der Mensch einmal als Mensch geboren worden ist. Und ich kann die äußeren Einflüsse nicht ignorieren. Beim Bernhard ganz genauso. Der muss ja ein Gigant gewesen sein, dass er die Ablehnung von seiner Mutter ertragen hat. Ich sehe die Figuren auch nie aus einer richtenden Position. Ich versuche, sie immer historisch mitzudenken und trotzdem vom heutigen Standpunkt aus zu sehen, weil ich spiele sie ja heute. Ich glaube, da kommt immer mehr an Einsicht dazu. Oder Mitleid … aber Mitleid ist das falsche Wort …
Warum ist Mitleid falsch?
Mitleiden kann man ja nicht. Aber ich gehe mit einer positiven Empathie an die Figuren heran. Ich sehe deren Verletzungen und Verkümmerungen und vielleicht gerät es deshalb manchmal ins Komödiantische und Depressive oder so was.
Sie spielen viele unglückliche Menschen.
Ja. Das ist wohl so … Der Bernhard spricht das ja auch an, diese traurigen Gestalten, und er fragt sich, was die in den letzten 30 Jahren aus sich gemacht haben. Gleichzeitig fragt er sich selbst: »Ich bin auch nur mehr depressiv und unglücklich. Was hab ich eigentlich aus meinem Leben gemacht?« Das spricht er nicht aus, sondern hält es für sich zurück und versucht, Orte zu finden, an denen er leben kann. Bernhards Problem war immer die Lungenkrankheit. Er wollte sie überleben und konnte nur atmen in diesem wahnsinnigen Atemzug, diesem Hin und Her zwischen Stadt und Land. Ein- und ausatmend wie eine eiserne Lunge.
Täuscht der Eindruck oder spielen Sie nicht nur den Erzähler, sondern auch Ihr Bild von Bernhard?
Das könnte passieren. Ich interpretiere das hinein, aber ich weiß nicht, wie man das im Stück ausleben kann. Für mich sind das Erfahrungen. Schon die Proben sind ja ein therapeutischer Akt. Einem Menschen wie Krystian Lupa bin ich noch nie begegnet. Er hat sehr viel Humor und gleichzeitig eine große Ernsthaftigkeit dabei, Fährten in dem Text zu folgen, die von anderen übersehen wurden.
Es ist nicht nur das Stück der Therapeut, sondern der Regisseur?
Auch. Es ist immer beides.
Das klingt so, als ließen Sie sich leiten und beeinflussten selber sehr wenig. Das passiert ja auch oft, dass bekannte Schauspieler ihren Einfluss geltend machen.
Davon hab ich nie etwas gehalten. Ich glaube, ich bin zu blöd, hab viel zu wenig gelesen. Ich denke mir, der Regisseur ist das Medium für den Autor und ich bin ein Verbindungsglied in dieser Kette. Das Stück des Dichters ist wie ein Wasserreservoir und als Schauspieler bist du ein Brausekopf und musst schauen, dass du nicht verstopfst oder verkalkst. Und der Regisseur spritzt halt mit dieser Brause und diesem heilenden Wasser des Dichters auf das Publikum.
Eine fulminante Metapher!
Man wirkt als Schauspieler schon genug. Wir sind ja in unserem Körper gefangen, in der Frisur gefangen …
Ohne Zweifel gefangen. Wie gehen Sie damit um, dass diese heilende Wirkung niemals auf alle niedergeht? Es wird Leute geben, die gelangweilt aus dem Stück gehen, andere vielleicht verärgert, hoffentlich viele erfreut und eventuell »geheilt«.
Du kannst nicht alle ansprechen. Aber man muss die Therapie so ernsthaft wie möglich versuchen. Und lustig sollte es auch immer ein bisserl sein.
Sonst erträgt man es nicht?
Als Junger geht man vielleicht noch krampfhafter damit um. Paulus Manker, den ich am Reinhardt-Seminar kennengelernt habe, hatte den Spruch drauf: »Wozu vielfältig sein!«
Sie haben das Unglück Bernhards auf der Bühne angesprochen. Das zwingt Sie doch auch, über das eigene Glück und Unglück nachzudenken.
Das ist bei allem so. Bei allem, was ich spiele, setze ich etwas in Bezug zu meinem Leben. Das ist ja das Besondere an dem Beruf. Wenn man es ernst nimmt, müsste das bei allen Berufen so sein, die mit Menschen zu tun haben. Priester, Ärzte, Kaufleute. Auch der Frisör ist jemand, der dort, wo der Mensch am dünnsten und empfindlichsten wird, arbeitet. So wie der Zahnarzt, der am feinen Zahnnerv ansetzt. Eigentlich müssten in diesen Berufen die feinsinnigsten Psychologen sein.
Aber Sie verhandeln auf der Bühne ja doch große Themen. Das ist etwas anderes als Zahnweh oder Scheitel ziehen. Mich interessiert schon: Wie gehen Sie mit Ihrem eigenen Unglück um, wenn Sie das inszenierte Unglück auf der Bühne verhandeln?
In dem Moment, wo ich auf der Bühne spiele, wird das weggestellt. Da hat man quasi von sich selbst frei und ist die Figur. Aber die Beschäftigung findet in der Probe statt. Für mich geht es wie im Stück um die letzten 30 Jahre – ich bin genau so lang Schauspieler und genau damals habe ich diesen Roman gelesen, für den ich jetzt auf der Bühne stehe. Und natürlich fragt man sich, wie geht man mit Alter um, wie geht man mit Tod um. Ich hab ja vor 30 Jahren hier in Graz vorgesprochen und die haben mich nicht genommen – mit dem typischen Intendanten-Spruch: »Sie werden Ihren Weg machen, aber nicht bei uns.« Dann bin ich vor zwei Jahren hier gelandet in diesem Gödel-Stück …
»Geister in Princeton«.
Wirklich durch Zufall, durch ein Begräbnis. Und dieses Stück beginnt mit zwei Särgen auf der Bühne. Ich hatte immer wieder Angst – ich war Einzelkind –, dass ich sehr weit weg sein würde, wenn meine Eltern sterben. Kurz nach der Premiere von diesem Stück, das mit den Särgen beginnt, ist meine Mutter gestorben und nach dem Ende der Aufführungen ist mein Vater gestorben. Ich konnte bei beiden dabei sein und ich war ihnen noch nie so nah. Und jetzt ist diese Bernhard-Inszenierung, in der auch wieder ein Begräbnis im Mittelpunkt steht. Ich glaube, in der Steiermark hab ich mich immer intensiv mit eigenen wichtigen Lebensvorgängen beschäftigen müssen. Mit dem Tod. Und überhaupt. Wie das geht. Leben. Wie man was wird. Warum man rausgehen muss und wieder zurückkommen.
Haben Sie irgendwelche Antworten gefunden? Oder muss so etwas immer unbeantwortet bleiben?
Ich wollte eigentlich nie weg von zu Hause. Ich wollte auch nie Schauspieler werden. Das ist halt alles passiert. Ich wollte nur immer nach Graz, bin nie hergekommen und jetzt offensichtlich im richtigen Augenblick. Nein, ich hab keine Antworten gefunden, aber es beruhigt mich, dass es so passiert. Ich weiß auch nicht, warum ich bei »Holzfällen« dabei bin. Ich sehe nicht aus wie der Bernhard, aber ich bin froh darüber. Auch wenn ganz viele Monologe auf mich zukommen, die noch nicht einmal da sind, und ich weiß nicht, wie ich mir das merken soll. Als ich begonnen habe zu lernen, hab ich mich gewundert, warum ich die Texte nicht rein bekomme. Dann ist es wieder gegangen. Ganz komische Blockaden. Man fühlt sich wie ein Holzwurm, der sich durch den Bernhard und den Lupa durchfressen muss. Eigentlich hab ich Angst, daran zu scheitern.
Das ist ja auch ein Bernhard-Phänomen: dass einem das eigene Nachdenken im Wege steht, dabei produktiv zu sein.
Und doch hat er wieder nicht anders gekonnt und musste schreiben. Er hat auch immer Angst gehabt, dass er nicht zu seinem Thema hinkommt. Dann ist er an andere Orte gefahren, hat Plätze gesucht und trotzdem Atemprobleme bekommen … Das ist schon alles seltsam.
Ist diese Angst vorm Scheitern speziell auf dieses Stück bezogen oder ist das Ihre generelle und »normale« Angst, die halt dazugehört?
Nein, das ist eine existenziellere.
Sind Sie schon mal gescheitert?
Schon. Aber das hab ich mir, glaube ich, nie eingestanden. Am Anfang des Berufes waren das sehr große Amplituden.
In Bezug auf Ihre eigenen Ansprüche?
Nicht nur, ich glaube, auch objektiv gab es einiges, was nicht gut war. Ich hab den Beruf nie von mir trennen können. Das war immer ein Scheitern, denn der Schauspieler, das bist ja auch du und das ist ja auch deine Entwicklung.
Diesmal spielt Ihre Lebensgefährtin Barbara de Koy mit. Ist das eine zusätzliche Last oder macht es das leichter?
Es ist gut, wir spielen nicht oft zusammen. Am Anfang fand ich das furchtbarer als jetzt. Das ist auch eine Frage des Alters. Manches wird besser.
Nur manches?
Leichter wird‘s.
Das macht mir Hoffnung.
Mir auch.
Es klingt, als wären Sie im Grunde mit Ihrem Beruf glücklich. Dabei haben Sie eigentlich als Musiker angefangen und in Eisenerz erste Bands gehabt. Sie haben es sogar in das Rockarchiv des Landes Steiermark geschafft.
Ja, das ist super, dass es so was gibt. Ich wollte eigentlich immer mal eine steirische Bandchronologie schreiben. Mein heimatlicher Abschied aus Mautern – ich bin dort zur Volks- und zur Hauptschule gegangen – bestand ja vor allem aus der Frage, was aus mir mal werden soll. Meine Eltern haben sich nie damit beschäftigt, ich hab mir gedacht, ich geh nach Admont ins Kloster.
Wie kommt man auf so eine Idee?
Ich bin auf dem Bauernhof meiner Großeltern geboren und direkt daneben war das Freibad. Das war immer ein mystischer Ort für mich und ist es auch heute noch. Ich bin irgendwann mal reingefallen und mein Großvater hat mir das Leben gerettet. Und da bin ich, als ich etwa zwölf war, mit meinem Puch-Minirad vorbeigeradelt und es trieb eine Schönheit im weißen Bikini auf dem Wasser. Rundherum planschten die männlichen Anwärter und ich dachte mir, das wird sich für mich nie spielen. Und dann hatte ich eine Vision von einem Priester in einer Soutane und von einem James Bond. Und ich wusste, eines von den beiden sollte es wohl werden.
Aber noch mal: Warum sind Sie nicht Musiker, nicht Priester geworden, sondern ans Max-Reinhardt-Seminar in Wien zur Schauspielausbildung gegangen?
Irgendwann nach der Hauptschule kam ein Verwandter, der war Hauptschuldirektor und hat gefragt: »Was soll aus dem Jungen werden, was kann er?« Und die Eltern sagten: »Zeichnen!« Na und dann bin ich aufs musisch-pädagogische Gymnasium nach Eisenerz, hab im Keller vom Internat gewohnt. Der Direktor hieß Kurt Makowski und war eine gefürchtete Figur, die ausgesehen hat wie ein jungsozialistischer Ohm Krüger mit riesigen Koteletten. Er hat eine Bühnenspieltruppe betrieben und hat mich da hinein genötigt. Wir haben dann eine Curt-Goetz-Komödie gespielt, da kommen zwölf Kinder vor und die gab es auf der Mittelschule nicht mehr. Ich sah ja ewig aus wie ein Achtjähriger und habe dann das jüngste Kind gespielt. Zum Schluss hat der Direktor zu mir gesagt: »Du musst aufs Reinhardt-Seminar.« Ich hab geantwortet: »Ja, ich wollt‘ eh immer Priester werden«, weil ich den Begriff Seminar nur in Verbindung mit Priesterseminar kannte. Er sagte: »Schauspielschul‘, du Trottel!« Und das blieb hängen.
Aber nur weil Lehrer etwas sagen, muss daraus ja nichts werden. Ich hatte nämlich den Eindruck, Ihre Musikerkarriere war dominanter.
Das ist parallel entstanden. Ich hab damals die Sendung »Film für dich« gesehen, später hieß das »Trailer«, und da wurde der Film »American Graffiti« vorgestellt. Da kamen Lieder vor, so eine Musik hatte ich noch nie zuvor gehört. Das erste war »Almost Grown« von Chuck Berry und außerdem »You‘re Sixteen, You‘re Beautiful And You‘re Mine«. Und ich dachte mir, das ist super, das muss ich machen. Als ich dann nach Eisenerz gekommen bin, hatte einer der Jungs die Zeitschrift »Rock Dreams« mit einem sechzehnseitigen Bildteil von einem belgischen Grafiker, die hab ich gesehen und war total fasziniert. Und dann gab es die Papierhandlung Meixner, die von der Mutter unseres Turnlehrers und Geschichtsprofessors betrieben wurde …
Sie haben ein unglaublich gutes Gedächtnis für diese Anekdoten. Wieso haben Sie Angst, sich keine Texte zu merken?
Mich hat damals einfach alles so fasziniert, dass sich das eingegraben hat. Ich hab mir den Rock ‘n‘ Roll erarbeitet, als er noch nicht so angesagt war. Und über Filme und Zeitschriften bin ich da hineingeraten.
Aber Sie haben mir immer noch nicht verraten, warum dann die Entscheidung für das Schauspiel kam. Ihre Begeisterung für die Rockmusik ist ja jetzt noch zu spüren. Ich hab fast den Eindruck, Sie würden lieber Musik machen.
Ich glaub, ich will‘s eh. … Stört‘s nicht, wenn ich so viel red‘?
Überhaupt nicht, wenn Sie mir verraten, was Sie bewegt.
Nach dem Tod meines Vaters hab ich eine Musik entdeckt, die ich zuletzt als 16-Jähriger gehört habe und die für mich eine Heilung bewirkt hat. Das war »The Train and the River« von Jimmy Giuffre. Und es ist die Eröffnungsmusik des Films »Jazz on a Summer’s Day«. Eine wundersame Dokumentation über das Newport Jazz Festival des Jahres 1958. Den Film hatte ich im Rechbauerkino gesehen. Das war wieder eine Erlösung. Und mir ist etwas aufgefallen: Das Jahr 1958, mein Geburtsjahr, ist auch das Jahr, aus dem all diese Lieder stammen, die mich so prägen – und ich wäre im Alter von 14 Monaten fast an einer Darmvergiftung gestorben. Das hat mich natürlich beschäftigt, so wie der Tod halt alle Österreicher beschäftigt.
Ich frag mich immer, ob man sich so etwas merken kann oder ob einem das so oft erzählt wird, bis man anfängt, es zu verinnerlichen.
Ich glaube, man baut sich eine eigene Biografie und versucht, Erklärungen für sein Vorhandensein zu finden. Oder zu erfinden. Und deshalb ist eine Biografie nie etwas Objektives. Aber wahrscheinlich eine Sehnsucht nach Objektivität …
… und Kausalität.
Und nach Erlösung! Man versucht, etwas Lösendes zu finden. Das Erdendasein, was ja auch nur ein Internatsdasein ist, in einen größeren Zusammenhang zu stellen.
Und Ihre Erlösung war eine Darmvergiftung?
Ich glaube, ich wollte mich von dieser Welt verabschieden, weil ich dachte, ich werde bereits mit 17 Jahren geboren. Ich saß 1958 auf einer Wolke und da hat mir die Welt so gut gefallen, ich hab mich aber verrechnet und wurde als Baby geboren. Und die Darmvergiftung war vielleicht der Versuch, sich wieder zu verabschieden, weil ich unbedingt diese Zeit, das Weltgeschehen und die Musik damals miterleben wollte.
Das klingt wie der kleine Oskar Matzerath aus der Blechtrommel.
Nicht ganz. Man hat mich halt vom Sterbenwollen zurückgehalten in diesem zeitversetzten Leben, in dem ich dann später alles ausleben durfte mit der Band und auf dem Theater. Man muss es halt erwarten können! Das Warten gilt es zu erlernen!
Herr Silberschneider, vielen Dank für das Gespräch.
***
Johannes Silberschneider wurde 1958 in Mautern geboren. Nach der Matura in Eisenerz 1978 ging er ans Wiener Max-Reinhardt-Seminar und studierte Schauspiel. Nach Engagements in Zürich, Hamburg und München ist er inzwischen vor allem durch Filmproduktionen bekannt. In Graz trat er zuletzt als Kurt Gödel in »Geister in Princeton« auf, ab Jänner ist er in einer neuen Thomas-Bernhard-Inszenierung zu sehen.
Fazitgespräch, Fazit 99 (Jänner 2014) – Foto von Marija Kanizaj
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