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Tandl macht Schluss (Fazit 117)

| 23. Oktober 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 117, Schlusspunkt

Wenn Handelshemmnisse schwinden, steigen Wachstum und Beschäftigung. Im Nachhinein war es eine völlig blauäugige Annahme, das geplante Freihandelsabkommen »TTIP« im Zeitalter von »Whistleblowern« – ähnlich wie Hunderte bilaterale Abkommen zuvor – auf Experten- und Diplomatenebene abschlussreif verhandeln zu können. Schließlich war damit zu rechnen, dass populistische Politiker wie etwa der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann vor der sogenannten Zivilgesellschaft einknicken und ihr Fähnchen in den Wind der ziemlich unbedarften Freihandelskritiker hängen, die sich von jenen Lobbys instrumentalisieren lassen, deren wichtigstes Anliegen in der Verhinderung von mehr Wettbewerb liegt.

Zu Verhandlungsbeginn erschien es jedenfalls plausibel, die gesetzgebenden Körperschaften nicht mit Standpunkten zu konfrontieren, die sich am Ende als nicht haltbar erweisen würden, weil sie etwa im Abtausch mit Zugeständnissen der Gegenseite später in anderen Bereichen aufgegeben werden müssten. Bei einem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA – der größten und der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt – geht es nämlich um knallharte Interessen. Naturgemäß versucht jede Seite, das Optimum für sich herauszuholen.

Die Vision, die jedoch weit über Interessen der betroffenen Lobbys steht, ist die Idee, dass nichts den Frieden zwischen demokratischen Staaten nachhaltiger sichert als ein Netz umfassender Wirtschaftsbeziehungen. Diese Grundidee des europäischen Friedensprojektes hat nach wie vor universelle Gültigkeit und wurde sogar mit dem Friedensnobelpreis für die EU belohnt.

Mit TTIP soll auch ein gemeinsamer rechtlicher Rahmen für wirtschaftliche Auseinandersetzungen festgelegt werden. Bis jetzt gilt diesbezüglich das Recht des Stärkeren. Wenn ein europäisches Unternehmen vor ein US-Gericht gezerrt wurde, musste es in aller Regel zusperren. Das muss sich ändern. Dass sich linke und rechte Globalisierungsgegner ausgerechnet in diesem Punkt vor den Karren jener Lobbys spannen lassen, die den europäischen Markt geschlossen halten wollen, ist ein Kuriosum. Der Investorenschutz verhindert nämlich auch, dass etwa EU-Firmen ein unkalkulierbares Risiko tragen, weil in einigen US-Bundesstaaten extrem niedrige Klageschwellen bestehen oder dass sie als neue Blockadeinstrumente gegen europäische Wettbewerber aufgebaut werden.

Überall dort, wo in der Vergangenheit Handelshemmnisse beseitigt wurden, stiegen Wachstum und Beschäftigung. Selbst das größte ökonomische Problem der Gegenwart – die Verarmung Afrikas – ist nur deshalb nicht bewältigbar, weil sich die korrupten Regime auf dem schwarzen Kontinent Lobbys – etwa aus dem Agrarbereich – ausgeliefert haben. Das sind übrigens dieselben, die jetzt TTIP verhindern wollen, weil sie überhaupt kein Interesse an fairen Handelsbeziehungen auf Augenhöhe haben. Freihandel schützt auch vor Korruption und verbessert die staatliche Effizienz. Regierungen, die in Freihandelssysteme eingebunden sind, werden nämlich vor den Partikularinteressen nationaler Lobbys geschützt, müssen aber versuchen, ihren Unternehmen optimale Rahmenbedingungen zu bieten, damit diese im neuen Wettbewerbsumfeld bestehen können.

Dennoch droht die ideologisch geführte Debatte über TTIP völlig aus dem Ruder zu laufen. Dabei gibt es viele reale Probleme, die das Abkommen berücksichtigen muss. Staaten, die sich den notwendigen Reformen verweigern, werden Anpassungsprobleme bekommen. Neue Industriefelder müssen beim jeweils schwächeren Partner geschützt werden. Sonst würde Europa etwa bei der Digitalisierung nie den Anschluss an die USA finden können. Aus EU-Sicht müsste auch der Energiemarkt in das System eingebunden werden, weil die europäische energieintensive Industrie sonst keine Chance gegen Mitbewerber hätte, die nur ein Drittel für Energie bezahlen.

Vor wenigen Tagen haben zwölf Pazifikanrainerstaaten mit »TPP« die größte Freihandelszone der Welt geschaffen. Das Abkommen umfasst 40 Prozent der Weltwirtschaft. Das setzt die europäische Wirtschaft zusätzlich unter Druck. Denn ohne eigenes Abkommen mit den USA werden sich Handelsströme und Investitionen noch stärker weg aus Europa hin in den pazifischen Raum verlagern.

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Tandl macht Schluss! Fazit 117 (November 2015)

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