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Die Dosis macht das Gift

| 30. November 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 138, Serie »Erfolg braucht Führung«

Wie Stärken auch zur Qual werden. Max Empathik, ein besonnener Mann mit hoher sozialer Kompetenz, leitet in einem renommierten Unternehmen ein Team von Technikern. Als er ins Coaching kommt, belasten ihn vor allem die Erwartungen seines Chefs: Er solle sich tatkräftiger durchsetzen, so die Vorgabe, und bildlich gesprochen »einmal so richtig auf den Tisch hauen«. Er müsse die ihm zugeteilten Mitarbeitenden strenger führen und mehr Präsenz als Teamleiter zeigen.

Der erwartete Führungsstil seines Vorgesetzten widerstrebt Max Empathik jedoch zutiefst. Er ist ein Mensch mit hohem Fokus auf sehr persönliche Mitarbeiterführung. Max legt Wert auf Mitbestimmung und Kommunikation auf Augenhöhe. Er sieht sich selbst eher als »Vorgenetzter« denn als Vorgesetzter. Er verfügt über Fähigkeiten als aufmerksamer und respektvoller Kommunikationspartner und verdankt seiner Empathie die Begabung, Beziehungen zu gestalten.

::: Text von Carola Payer
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Allerdings findet Max selbst die Ergebnisse seines Führungsstils wenig zufriedenstellend, fühlt sich nicht ausreichend ernst genommen und stellt sich gelegentlich die Frage, ob er nicht zu weich und zu verständnisvoll agiere. Eines weiß er allerdings mit Sicherheit: Wohin auch immer er sich entwickeln wird, den Führungsstil seines Chefs möchte er keinesfalls kopieren. Dieser, ein Mensch mit ausgeprägtem aggressivem Verhalten, kritisiert ihn auf destruktive Weise und bevormundet ihn. Die spezielle Art von Dominanz, die sein Vorgesetzter in ihm entfachen möchte, steht im krassen Gegensatz zu Max Empathiks Naturell. Daraus resultiert seine tiefe Abneigung gegenüber dem Führungsstil des Chefs. Aber trotz dieser Aversion reagiert er mit der Zeit in Stresssituationen immer öfter ähnlich wie sein Vorgesetzter.

Zunächst lernt Max durch bewusstere Reflexion seines Wesens seine individuellen Stärken kennen, nimmt aber im Gegenzug auch seine Schwächen auf neue Weise wahr. Seine Ressourcen liegen darin, beziehungs- und mitarbeiterorientiert denken zu können und feinste Stimmungsschwankungen in der Gruppe zu registrieren. Dieses Potenzial resultiert aus seinen ausgeprägten empathischen Anteilen, die er jedoch erst als Stärke und nicht als Schwäche wahrnehmen lernen muss. Außerdem führt er – wenn nicht gerade extrem unter Druck – sehr konstruktive Mitarbeitergespräche. Seine Schwäche hingegen besteht in seinem Zugang zu Macht und Autorität. Diese ist bei ihm ausschließlich negativ besetzt. Das rücksichtslose Vorgehen seines Chefs verachtet Max. Mit einer erwachsenen, positiven Form der Durchsetzung, die er erst mittels Coaching erlernt und die sich deutlich vom Stil seines Chefs unterscheidet, kann er sich schließlich anfreunden. Nun kultiviert er seinen inneren König, der klar eine Richtung vorgibt, aber dabei niemanden unterdrückt. Aus seinem problematischen Umgang mit dem Verhalten des Vorgesetzten wird im Laufe seiner Persönlichkeitsentwicklung ein durchaus entspannter: Den Wutausbrüchen des Chefs begegnet Max zunehmend mit völlig neutral vorgebrachten Bitten wie »Könnten Sie mir bitte erklären, was Sie konkret an meiner Arbeit gestört hat?« oder Aussagen wie »Es tut mir leid, ich habe übersehen, dass ich hiermit eine Grenze überschritten habe«. Max fühlt sich bei kritischen Bemerkungen seines Chefs nicht mehr länger wie ein Kind, das von seinem Vater zurechtgewiesen wird.

Neues Selbstbewusstsein
Unter anderem gelingt es ihm, den konstruktiven Anteil im Verhalten des Chefs zu sehen. Im dominanten Auftreten erkennt er Durchsetzungsfähigkeit, Direktheit und Entscheidungsstärke. Weiters wird ihm im Coaching bewusst, dass er eine Stärke in einem bestimmten Arbeitsbereich noch nicht richtig einsetzt. Da er sein Team von seinen Vorstellungen über optimale Arbeitsabläufe nicht überzeugen kann, erledigt er viele Aufgaben lieber gleich selbst. So steht Max am Rande der Erschöpfung und ist trotz persönlicher Höchstleistung äußerst unzufrieden. Durch sein neues, im Coachingprozess gestärktes Selbstbewusstsein wird er von seinem Team anders wahrgenommen und zunehmend als Autorität akzeptiert. Diese Veränderung nährt in ihm ein Vertrauen, das es ihm ermöglicht, nach und nach einzelne, klar umrissene Aufgaben zu delegieren. Stabilisiert durch sein neues Selbstbild, erledigt Max die beruflichen Aufgaben mit neuer Kraft und kann sich sowohl bei seinen Mitarbeitern als auch bei den Führungskräften besser durchsetzen. Die Arbeit erschöpft ihn nicht mehr so, weil er nicht wider seine Natur handelt, sondern eine für ihn stimmige Form des Führens leben kann.

Ein wesentlicher Teil von guter Führung ist, den eigenen Weg zum authentischen Führungsstil zu finden, wo die eigenen Stärken in der richtigen Dosis eingesetzt und Schwächen oder Untugenden bewusst »im Zaum gehalten« werden.

Foto: Marija KanizajDr. Carola Payer betreibt in Graz die »Payer und Partner Coaching Company«. Sie ist Businesscoach, Unternehmensberaterin und Autorin. payerundpartner.at

Fazit 138 (Dezember 2017), Fazitserie »Erfolg braucht Führung« (Teil 9)

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