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Politicks August 2019

| 19. August 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 155, Politicks

Alle gegen Kurz
Es ist atemberaubend, wie extrem weit die Allianz derjenigen, die die Wiederwahl von Sebastian Kurz mit allen Mitteln verhindern wollen, inzwischen reicht. Dass die Oppositionsparteien gemeinsame Sache mit einer frustrierten FPÖ machen, um der in Umfragen stabil starken ÖVP zu schaden, ist legitim – sozusagen »Part of the Game«.

Dirty Campaigning ist nämlich aus keinem Wahlkampf mehr wegzudenken. Dabei geht es oft gar nicht darum, die Wähler aus anderen Lagern zu sich herüberzuholen, sondern um Destabilisierung. Sowohl Peter Pilz als auch Beate Meinl-Reisinger, Pamela Rendi-Wagner und Werner Kogler wissen genau, dass sie mit ihren Angriffen gegen den Ex-Kanzler kaum Stimmen dazugewinnen können. Sie können jedoch womöglich einige ÖVP-Wähler – am ehesten jene mit einem christlich-sozialen und keinem unternehmerischen Hintergrund – zum Zweifeln bringen. Das Ziel der Angriffe ist daher die Demobilisierung des Gegners. Wenn ein Teil der Kurz-Wähler am 29. September zu Hause bleibt, hätte das Dirty Campaigning somit seinen Zweck erfüllt.

Wer andern eine Grube gräbt, muss sich vor Solidarisierungseffekten fürchten
Jenen Kampagne-Managern, die Kurz nicht mit Argumenten, sondern mit Untergriffen besiegen wollen, muss dennoch klar sein, dass sie nicht über das Ziel hinausschießen dürfen. Gerade die SPÖ hat schon mehrere Male die Erfahrung machen müssen, dass schlecht gemachtes Dirty Campaigning zur Solidarisierung mit den verunglimpften Personen führt. Etwa als ihr ehemaliger Vorsitzender Alfred Gusenbauer die EU-Sanktionen gegen das schwarzblaue Schüssel-I-Kabinett einleiten ließ, oder vor zwei Jahren, als Ex-Kanzler Christian Kern Tal Silberstein für die SPÖ-Kampagne engagierte. Das, was Silberstein gegen Kurz ausarbeiten ließ, war dann sogar den eigenen Mitarbeitern zu viel. Denn nur deshalb ist die Affäre aufgeflogen. Nun hat gerade wieder eine anonyme Anti-Kurz-Organisation das Spielfeld betreten. Sie will angeblich von Genf aus mit vermeintlichen Skandalstorys aus dem persönlichen Umfeld die Wiederwahl von Sebastian Kurz verhindern. Wer hinter dieser sich selbst als »Zoom-Institute« bezeichnenden Gruppe steht, ist völlig unklar. Weil deren Verunglimpfungen jedoch zwangsläufig zur Solidarisierung mit Sebastian Kurz führen werden, ist es kaum vorstellbar, dass irgendwelche österreichischen Wahlkampfzentralen etwas damit zu tun haben. Vorstellbar ist jedoch, dass einigen der zahlreichen Gegner der türkisblauen Politik jedes Mittel recht zu sein scheint, um Kurz am Wiedereinzug in das Kanzleramt zu hindern.

Parteiräson vor Staatsräson
SPÖ, FPÖ und Liste Jetzt haben den amtierenden Bundeskanzler ohne sachlichen Grund aus dem Amt geworfen. Es ging ihnen vor allem darum, zu verhindern, dass Kurz mit einem Kanzlerbonus in die Nationalratswahl gehen kann. Das brachte den drei Parteien zu Recht den Vorwurf ein, dass sie ihre Parteiinteressen vor die Staatsinteressen stellen. Und weil diese Vorwürfe auch vom Großteil der Wähler geteilt werden, ist inzwischen ein Wahlkampfklima entstanden, bei dem die Inhalte völlig auf der Strecke zu bleiben drohen.

Die Schredderaffäre ist ein Strohhalm für die Kurz-Gegner
Das wird gerade auch wieder bei der sogenannten Schredderaffäre klar. Aber so wie man eine Wohnung, aus der man auszieht, besenrein zu übergeben hat, ist es längst der normalste Vorgang der Welt geworden, bei einem politischen Wechsel sämtliche Datenträger gewissenhaft zu cleanen. Und weil die Datenforensik solche Fortschritte gemacht hat, dass sich selbst gewissenhaft gelöschte Daten wieder rekonstruieren lassen, führt an der völligen Zerstörung von Festplatten und USB-Datenträgern durch Unternehmen wie die Firma Reißwolf kein Weg vorbei.

Dass alles, was mit den hoheitlichen Aufgaben des Kanzlers zu tun hat, archiviert werden muss, ist ohnehin klar. Gleichzeitig ist es jedoch völlig legitim, den Nachfolgern alle politischen Informationen vorzuenthalten, die von diesen missbräuchlich – etwa für Dirty Campaigning – verwendet werden könnten. Mit welcher Inbrunst und moralischen Entrüstung selbst einige sich als unabhängig bezeichnende Journalisten an den diversen Verschwörungstheorien gegen Sebastian Kurz beteiligen, ist nicht nachvollziehbar. Die Blödheit eines Kanzleramtmitarbeiters, der mehrere Datenträger außer Haus zerstören lassen wollte und dabei zwar die richtige Telefonnummer, aber, weil er anonym bleiben wollte, einen falschen Namen angegeben hat, zu einer Staatsaffäre aufzublasen, ist daher ziemlich skurril.

Auch das deutsche Fernsehen ist Teil der Allianz gegen Sebastian Kurz
Dass die Schredder-Story mitten in der hochsommerlichen Sauregurkenzeit aus Sicht der Zeitungsverleger viel zu gut ist, um sie nicht aufzugreifen, ist natürlich klar. Sogar die beiden deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, ZDF und ARD, haben sich auf den dummen Rechnungspreller gestürzt. Das schafft natürlich Potenzial für eine Märtyrergeschichte, die Kurz geschickt verwerten wird. Die meisten Verunglimpfungsversuche, die über das Ausland gespielt werden, nützen dem Angegriffenen letztlich mehr als dem Angreifer. Und das ZDF hat in seiner Nachrichtensendung »Heute« sogar eine Live-Sonderschaltung nach Wien aufgebaut. Dort wurde Florian Klenk die Gelegenheit eingeräumt, jene abstrusen Skandalisierungstheorien, mit denen er sonst die linksalternativen Falterleser unterhält, im gesamten deutschen Sprachraum zu verbreiten.

Persönliche Angriffe ersetzen den Diskurs
Irgendwie scheint in diesem Wahlkampf kein vernünftiger Diskurs mehr möglich zu sein. Ein demokratischer Austausch unterschiedlicher Ideen und Positionen findet bisher nicht statt. Dafür werden Sachargumente immer öfter durch die moralische Bewertung desjenigen, der etwas vorzubringen versucht, ersetzt.

Wer etwa die durchaus an Schlepperei erinnernde Seenotrettung diverser NGOs kritisiert, steigt im öffentlich rechtlichen Meinungsklima im besten Fall als kaltherziges Scheusal und im schlimmsten Fall als Neonazi aus. Ein anderes Tabuthema ist der Umgang mit der Erderwärmung. Auch wer Arbeitslose kritisiert, die trotz einer Rekordzahl an offenen Stellen keine Jobs finden wollen, macht sich hochgradig verdächtig. Und wer die EU für ihren Zentralisierungsdrang angreift, gerät selbstverständlich unter Nationalismusverdacht. Wer die Flüchtlinge in Afrika halten will, weil ihnen dort viel effizienter geholfen werden kann, wird ohnehin als Rassist niedergemacht.

Veröffentlichte Meinung und Mehrheitsmeinung driften weiter auseinander
Dieses Meinungsklima führt längst dazu, dass inzwischen eine empirisch bestätigte Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger das Gefühl hat, eine Minderheit würde den Ton angeben und die veröffentlichte Meinung beherrschen. Diese Mehrheit wagt es schon lange nicht mehr, unbefangen über bestimmte Themen zu sprechen, denn niemand will als Nazi, Ausbeuter oder als Rassist gelten. Diese Mehrheit ist politisch vor allem bei der FPÖ, aber auch der ÖVP zu Hause. Und das macht es aus Sicht der Meinungsführer nur noch schlimmer. Würde man Österreich nur aus den Twitter-Postings seiner Eliten kennen, müsste man wohl annehmen, dass bei uns Flüchtlinge durch die Straßen gejagt werden und sie sich ihres Lebens nicht sicher sein können. Ebenso müsste man davon ausgehen, dass alle Österreicher, von der Mittelschicht abwärts, in Lumpen gekleidet durch die soziale Kälte irren.

Die FPÖ hat mit eigenen Kommunikationskanälen auf ihre Behandlung in den Medien reagiert. Aus blauer Sicht ist nicht damit zu rechnen, dass die FPÖ in den Medien ordentlich behandelt wird. Denn wie sollen Journalisten, die ihre Leserschaft in Kommentaren und Social-Media-Auftritten moralisch gegen die Blauen aufmagazinieren, in ihrer Berichterstattung Fairness zeigen? Sowohl der mediale Umgang mit rechts verorteten Ideen als auch der Aufbau der FPÖ-Social-Media-Kanäle leistet der gesellschaftlichen Spaltung Vorschub.

Werteorientierter Journalismus oder die Rückkehr der Propaganda
Irgendwann erscheint den Indoktrinierten dann fast jedes Mittel legitim, um die politischen Gegner zu besiegen. Da treten die Meinungsfreiheit und die Verwerflichkeit von persönlichen Diffamierungen schon einmal in den Hintergrund. Schließlich wird die Welt aus ihrer subjektiven Sicht zu einem besseren Ort, wenn Andersdenkende kleingehalten werden. Der Chefredakteur des ARD-Magazins Monitor, Georg Restle, hat sich auf Twitter sogar für einen »werteorientierten Journalismus« ausgesprochen, der endlich damit aufhören sollte, nur abbilden zu wollen, was ist. Wahrscheinlich hat der gute Mann nicht bedacht, dass die Unterdrückung von Sachargumenten in allen totalitären Diktaturen ein beliebtes Propagandainstrument ist. In einer intakten Demokratie dürfen Menschen, die mit der »falschen Meinung« sympathisieren, daher nicht als zu bekämpfende Gegner stigmatisiert werden, und schon gar nicht darf ihnen der Diskurs verweigert werden.

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Politicks, Fazit 155 (August 2019)

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