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Politicks Juni 2023

| 10. Juni 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 193, Politicks

Für Drexler ist Kickl als Bundeskanzler unvorstellbar
In einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung bezeichnet der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler FPÖ-Chef Herbert Kickl als völlig ungeeignet, um nach der nächsten Nationalratswahl einen Koalitionspartner für die ÖVP abzugeben. Ein Kanzler Kickl sei für ihn unvorstellbar, so Drexler. Er werde daher mit Sicherheit niemals einer solchen Lösung zustimmen. Der steirische Landeshauptmann positioniert sich damit einmal mehr als Anhänger einer Zusammenarbeit zwischen ÖVP und SPÖ. Er werde daher mit der Aussage in die Landtagswahl gehen, die Koalition mit der SPÖ fortsetzen zu wollen.

Mit der SPÖ sei der November 24 als Wahltermin vereinbart. So lange brauche die Koalition auch noch, um die beschlossene Agenda abzuarbeiten. Was die Chancen der ÖVP anlangt, spricht Drexler von der Steiermark als »Swingstate« mit drei annähernd gleich großen Lagern von ÖVP, SPÖ und FPÖ. Das Interview lässt vor allem innerhalb der FPÖ die Wogen hochgehen. Der steirische FPÖ-Chef Mario Kunasek bezeichnet Drexlers Aussagen als inakzeptabel. Sie würden außerdem das fragwürdige Demokratieverständnis von Drexler entlarven.

SPÖ: Doskozil gewinnt Mitgliederentscheid knapp vor Babler
An der SPÖ-Mitgliederbefragung nahmen 72,4 Prozent der rund 140.000 Parteimitglieder teil. Dabei konnte Hans Peter Doskozil mit 33,68 Prozent oder 36.019 Stimmen den ersten Platz erreichen. Andreas Babler sicherte sich 31,51 Prozent mit 33.703 Stimmen knapp vor der aktuellen Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner mit 31,35 Prozent oder 33.528 Mitglieder.

Vielleicht hätte die SPÖ-Mitgliederbefragung ja tatsächlich die große Chance sein können, um das verbliebene gemeinsame Ziel aller Protagonisten, FPÖ-Chef Herbert Kickl als Bundeskanzler zu verhindern, zu erreichen. Dazu müssten Babler und Doskozil als starkes und schlagkräftiges Team, das die verschiedenen SPÖ-Lager wieder zusammenführt, endlich zusammenarbeiten. Doch dazu wird es wohl nicht kommen. Auch Rendi-Wagners Unterstützer können die Gräben nicht überwinden. Und so kann wohl tatsächlich nur mehr die ÖVP einen Bundeskanzler Kickl verhindern, indem die Meinung des Steirischen Landeshauptmanns Christopher Drexler zur Parteilinie wird. Sonst könnte die FPÖ zu den eigentlichen Gewinnern der Befragung gehören; gemeinsam mit der KPÖ oder einer noch zu gründenden Linkspartei. Denn der Umgang mit dem Mitgliedervotum hat zwei mächtige Bruchlinien offenbart, die die Partei durchziehen und spätestens bei der kommenden Nationalratswahl gefährlich für die SPÖ werden.

SPÖ: Halten die beiden Bruchlinien?
Immerhin sind aufgrund der Befragung Tausende Sympathisanten neu in die SPÖ eingetreten. Sie wollten mitentscheiden, wer die immer noch stolze Partei aus der Opposition zurück auf den Ballhausplatz führen soll. Keine parteiinterne Personalentscheidung konnte sich jemals zuvor über eine dermaßen große mediale Aufmerksamkeit freuen. Nicht nur die Krawallsender der Fellners und des deutschen Medienkonzern »ProSiebenSatEins« haben dem SPÖ-Drama in den letzten Wochen gefühlte 90 Prozent ihrer Politsendezeit gewidmet, auch bei ORF und Servus-TV war die Kür des SPÖ-Chefs das Talkthema Nummer eins.

Natürlich hätte die SPÖ-Zentrale die enorme Aufmerksamkeit als Gratiswerbezeit für die aktuellen SPÖ-Positionen nutzen müssen. Doch die Persönlichkeitsstrukturen der drei antretenden Alphatiere, Pamela Rendi-Wagner, Hans Peter Doskozil und Andreas Babler, ließen das nicht zu. Rendi-Wagner spielte die Beleidigte und verhielt sich während der gesamten Wahlkampfphase völlig passiv. Das Doskozil-Lager nahm den ungeliebten SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch in Visier, um ihn mit Manipulationsvorwürfen zu überschütten. Und der ehemalige SJ-Bundessekretär Andreas Babler sah seine Chance im Kontakt mit seinem ehemaligen SJ-Netzwerk am linken Rand der SPÖ. Dort punktete er etwa mit Inhalten wie einer Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich. Damit bewies er, dass er zwar das Handwerk des gelernten Parteisekretärs beherrscht, der seine linke Zielgruppe bedienen muss. Gleichzeitig konterkarierte er mit dieser Forderung jedoch die Story vom Einsatz der SPÖ für die leistungsorientierte Mitte, die damit seit Bruno Kreisky noch jeden SPÖ-Vorsitzenden – mit Ausnahme von Pamela Rendi-Wagner – zum Bundeskanzler gemacht hat. Babler konnte es sich ausrechnen, dass kein Kandidat mehr als die Hälfte der befragten SPÖ-Mitglieder hinter sich vereinen können würde. Daher kündigte er bereits sehr früh an, dass er bei jedem nicht eindeutigen Ergebnis am Parteitag kandidieren werde.

SPÖ-Bruchlinie #1: Links gegen ganz links
Statt zu einem Hochfest der Sozialdemokratie wurde die Befragung daher zu einem PR-Supergau für die SPÖ. Die Mitgliederabstimmung hat innerparteiliche Bruchlinien offengelegt. Ein Sieg von Babler beim anstehenden Parteitag käme in der öffentlichen Wahrnehmung einem massiven Linksruck gleich, der etliche Doskozil-Anhänger und Mitte-Links-Wähler zur Abkehr von der SPÖ verleiten würde. Sollte sich – wie aufgrund der Struktur von Delegiertenparteitagen eigentlich zu erwarten ist – Doskozil doch noch durchsetzen, wäre hingegen die Enttäuschung am linken Parteirand und bei den urbanen Bildungsbürgern, die die Arbeiter längst als wichtigste SPÖ-Zielgruppe abgelöst haben, riesig. Die Babler-Fans und frustrierten Rendi-Wagner-Anhänger verabscheuen nicht nur Doskozils Law-and-Order-Image. Längst haben sie auch das Bild von Doskozil als Heckenschützen und SPÖ-Zerstörer verinnerlicht. Dazu kommt, dass die Wiener SPÖ unbedingt verhindern will, dass sich nach Christian Kern mit dem burgenländischen Landeshauptmann schon wieder ein Bundesvorsitzender durchsetzt, den die Wiener SPÖ-Spitze ausdrücklich nicht will.

Hans Peter Doskozil konnte zwar die burgenländische Landtagswahl mit absoluter Mehrheit gewinnen und die FPÖ aus der Landesregierung werfen. Er steht damit jedoch auch für das Gegenteil jener Willkommenskultur und jener Politik der offenen Grenzen, mit dem die Wiener SPÖ gerne ihren Humanismus hervorhebt. Von der Wahl Doskozils an die SPÖ-Spitze könnten daher sowohl die KPÖ als auch eine noch zu gründende Linkspartei profitieren. Diesbezüglich ist es völlig nebensächlich, dass Doskozil ebenso die Einführung sogenannter »Reichensteuern« fordert wie Babler, oder dass er bei seiner Forderung nach einem gerechten Mindestlohn sogar weit links von den Gewerkschaften steht. Die KPÖ braucht eine zuerst zerstrittene und danach erodierende SPÖ, um wie in Graz oder Salzburg gewinnen zu können. Ihre Erfolge basieren bekanntlich nicht auf der verbrecherischen KP-Ideologie, sondern auf zahlreichen linkspopulistischen Lügen, denen viele vermeintliche Wohlstandsverlierer auf den Leim gehen.

SPÖ-Bruchlinie #2: Die Bundesländer gegen Wien
Viele Beobachter wundern sich über die unglaubliche Entschlossenheit, mit der die Wiener Landespartei, sich nun für den Fall von Pamela Rendi-Wagner zu rächen versucht. Sie dürften dabei vergessen, dass es zur DNA der Wiener Genossinnen und Genossen gehört, den SPÖ-Länderorganisationen voranzugehen. Aus Wiener Sicht muss die Bundespartei vor allem die Ansprüche und Interessen der Wiener Landespartei gegenüber der Bundespolitik durchsetzen. Und tatsächlich sind im innerparteilichen Machtgefüge der Bundes-SPÖ die Wiener Genossinnen und Genossen beinahe ebenso stark vertreten wie die Vertreter aller anderen Landesorganisationen zusammen. Aber eben nur fast; die Wiener brachten im Parteivorstand gegen den Willen der SPÖ-Landesorganisationen von Oberösterreich, der Steiermark, dem Burgenland, Salzburg, Tirol und ausgerechnet Niederösterreich den Babler-Vorschlag nach einer Stichwahl zwischen Doskozil und Babler unter den SPÖ-Mitgliedern ein und scheiterten mit 22 gegen 25 Stimmen knapp. Doskozil fürchtete womöglich zu Recht, dass die Rendi-Wagner-Wähler bei einer Urwahl weitgehend geschlossen zu Babler wechseln könnten und drohte mit Rückzug. Er ließ sich aber auf den Kompromiss ein, am Parteitag gegen Babler anzutreten. Ob die Wiener SPÖ gemeinsam mit den Delegierten der von ihr dominierten SPÖ-Vorfeldorganisationen doch noch eine Doskozil-Niederlage erreichen kann, bleibt abzuwarten. Und erst recht wie sich die sechs SPÖ-Landesorganisationen, die sich eindeutig hinter Doskozil gestellt haben, in diesem Fall verhalten werden.

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Politicks, Fazit 193 (Juni 2023)

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