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Wischer, Wappler, Langeweiler

| 18. August 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 195, Serie »Erfolg braucht Führung«

Über Rollen der Zukunftsfähigkeit. Ein Gespräch von Carola Payer mit dem Kulturphilosophen und Kabarettisten Alexander Hechtl.

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Alexander Hechtl, Kulturphilosoph und Kabarettist, hat es sich zum Auftrag gemacht, zu erkunden, wie weit er die sinkende Aufmerksamkeitsspanne der Smart-Phone-Community ausreizen kann. Wie lange bleiben die Menschen noch bei der Sache? Er hat sich für Kabarettauftritte als optimale Plattform entschieden, um das herauszufinden. Das Kabarett ist quasi sein Forschungslabor. Er sieht sich hier als praktischer Philosoph. Die praktische Philosophie wird traditionellerweise von der theoretischen Philosophie und der Geschichte der Philosophie unterschieden. Alle Philosophie-Richtungen haben aber das Interesse am Verständnis und der normativen Beurteilung menschlichen Handelns im Fokus. Das größte Teilgebiet der praktischen Philosophie ist die Ethik, die wissenschaftliche Untersuchung der Moral. Die angewandte Ethik beschäftigt sich mit konkreten moralischen Fragen, etwa der Ethik künstlicher Intelligenz oder der Migration. Ein zweites Teilgebiet ist die Handlungstheorie. Das Verständnis von Handlungen ist hier zentral. Ein drittes Gebiet ist die politische Philosophie. Sie beschäftigt sich damit, wie politische Macht legitimiert werden kann und was Einzelpersonen der Gesellschaft schulden oder von ihr erwarten dürfen.

Philosophie als Werkzeug zum Weltverständnis.
Kabarett als Transfer in die Welt
Wie passt das zusammen, sich einerseits philosophisch zu betätigen und andererseits auch das Kabarett zu bedienen? Alexander Hechtl: »Philosophie ist das Werkzeug, das mir hilft, mit den Problemstellungen dieser Welt umzugehen. Normal hat man ja keine Zeit, sich so eingehend mit dem Weltgeschehen und gesellschaftlichen Phänomenen zu beschäftigen. In der Philosophie nimmt man sich eben genau die Zeit, um auf ein Problem hinzusehen. Kabarett ist dann die Art von Wissenschaftsvermittlung, um das philosophische Gedankengut an den Menschen zu bringen. Im Kabarett kann man das alles pointiert runterbrechen. Philosophie funktioniert auch mit sich allein im Keller, aber der Realitätscheck und der Abgleich mit der Gesellschaft funktioniert dann im Kabarett mit dem Publikum.«

Philosophischer Blick auf globale Herausforderungen
Auf die Frage, wie Alexander Hechtl bestimmte gesellschaftliche Herausforderungen, wie z.B. die Teuerungswelle, sieht: »Teuerungen sind dort besonders zu betrachten, wo wir Dinge im Alltag benötigen, wie zum Beispiel Wohnen, Essen, Heizen. Da gibt es einen Gerechtigkeitsgedanken in der Philosophie. Wir sollten dort abfedern, wo es schlechter Gestellte in dieser Gesellschaft trifft. Da sollten die Teuerungen eingebremst werden, damit die Schere zwischen Reich und Arm nicht noch viel größer wird. Dort, wo wir Dinge nicht existentiell notwendig brauchen, wie bei Luxusgütern, ist Teuerung egal. Alles braucht man definitiv nicht. Und der Bedarf an Bescheidenheit ist in unserer Gesellschaft groß. Generell sollte jeder sich wieder fragen: Was ist notwendig? Was ist nicht notwendig? Worauf kann man verzichten? Worauf nicht? Wo ist die sogenannte Suffizienz-Schwelle? Bis dorthin sollten alle alles gleich zur Verfügung haben, und das zu einem leistbaren Preis.« Suffizienz wird, gemeinsam mit Effizienz und Konsistenz, als konstitutiver Teil der Nachhaltigkeit dargestellt. Ohne dass die wohlhabenden Gesellschaften samt den globalen Mittel- und Oberschichten sich selbst begrenzen, lassen sich die natürlichen Lebensgrundlagen nicht schützen, ist auch weltweit ein friedensfähiger Ausgleich zwischen Armen und Reichen nicht zu erreichen. Suffizienz wird oft zu Unrecht mit Mangel und Entsagung verbunden. Sie führt zu einem neuen Wohlstandsverständnis und hilft dabei, das Verhältnis von materiellen Gütern und immateriellen Bedürfnissen besser zu bestimmen. Alexander Hechtl: »Frei von Zwängen zu sein, ist ein Luxus, den nicht alle haben. Frei wäre man, wenn man genügend Geld hat, gesund ist und es einem gut geht. Es gibt aber auch Zwänge, die man sich selbst angeeignet hat. Diese kann man durch Verzicht schnell wieder loswerden. Es ist allerdings so, dass viele zu viel arbeiten, um sich das ‚gute Leben‘ finanziell leisten zu können. Das kann auch mal individuell hinterfragt werden.«

Wir sind alle Wischer: Gedanken zur Generation Z
Der Generation Z wird zugeschrieben, nur mehr so viel arbeiten zu wollen, dass sich die Freizeit optimal ausgeht. Geht das denn überhaupt, wenn alles teurer wird? Alexander Hechtl: »Unser Arbeitskonzept ist in der Zeit der Industrialisierung entstanden. Jetzt können sich viele damit nicht mehr identifizieren. Es gibt schon längst eine Verwischung (Bemerkung: so wie wir am Handy hin- und herwischen) von Freizeit und Arbeit. Man kann in vielen Berufen überall arbeiten, man ist immer online. Wenn man kognitiv arbeiten will, muss man nicht immer 8 Stunden im Büro sitzen. Sogar Plakatsäulen müssen nicht mehr auf der kalten Straße stehen. Als Influencer bist du eine virtuelle Plakatwand oder Anzeigetafel. Ohne Arbeit hätten wir mehr Zeit, sinnstiftend zu leben und sinnstiftende Dinge zu machen.« Im Philosophieren zur »letzten Generation« und ob Alexander Hechtl dahinter Sinnstiftendes herauslesen kann: »Es ist ein reißerisches Framing mit einer Vermarktungsheadline. Es ist alles viel komplizierter, als man es darstellt, und Komplexität lässt sich nicht leicht vermarkten. Komplexität muss man sich leisten können. Man braucht Zeit, Ressourcen und Skills, um komplexe Probleme aufzuarbeiten. Es gibt nie nur eine Lösung für ein Problem! Breite Bilder entwickeln einen anderen, offeneren Fokus und neue Sichtweisen auf ein Problem. Sich auf die Straße kleben, das ist einfach das Streben nach Aufmerksamkeit und produziert eben die Schlagzeilen, um gehört zu werden.«

Ein Hoch auf das Nachdenken und die Langeweile
Was will ich über die Arbeit hinaus noch alles machen? Wie leben wir Beziehungen? Wie gehen wir miteinander um? Bin ich zufrieden mit meiner Sicht auf die Welt? Bin ich zufrieden mit meinem Leben? Das erfordert natürlich, dass wir die Zeit nicht am Handy, sondern mit »Nichtstun«, Denken und Fühlen verbringen. Alexander Hechtl: »Ich bin ein Fan von nachdenkenden Menschen. Denken braucht Zeit und die wird uns durchs Handy, Tablet, Computer weggenommen. Langeweile fehlt, Denken wird unterdrückt. Die Informationen, die wir erhalten, sind oft nur Halbwahrheiten. Ich denke, es fehlt die Aufmerksamkeitsspanne, sich länger mit einem Thema zu befassen. In der stark oberflächlichen medialen Kommunikation macht das keinen Unterschied, ob man sich lange mit einem Thema beschäftigt hat oder nicht. Recht hat, wer schillernde Schlagzeilen produziert. Und: Wer am lautesten schreit, wird eben gehört! Wir haben verlernt, dass es den Ausschaltknopf gibt. Wir wissen es zwar alle, aber ändern es nicht, weil es so bequem ist. Apps sind bequemer als denken. Das Problem ist, wir sind dann nicht mehr in der Welt, sondern in der App. Zum Beispiel beim Navi: Wenn ich es gelernt habe, kann ich navigieren, wenn ich es nie gelernt habe, komme ich bei Stromausfall nicht mehr heim! Auch Kreativität beschränkt sich auf den Bildschirm, in den ich starre. Genau aus der Langeweile entsteht wahre Kreativität. Das Absurde ist: Die Zeit, die wir durch Automatisierung gewinnen, verschwenden wir am Handy. Dadurch reduzieren sich die sozialen Prozesse immer mehr. Wir müssten das alles wieder installieren, wie in der IT ein neues Programm für Begegnung.«

Kultivieren von zwischenmenschlichen Beziehungen und Mut zum »Wappler-Sein«
Alexander Hechtl bestätigt, was Unternehmen, die sich schon auf den Weg gemacht haben, immer mehr in Kultur, Führung, Kooperation, Kommunikation und Beziehungsgestaltung zu investieren, erkannt haben: »Wir sollten uns wieder mehr um zwischenmenschliche Beziehungen und Sozialkompetenzen kümmern. Wir müssen besser miteinander umgehen. Eventuell ist das Vertrauen in die Gemeinschaft etwas verloren gegangen ist. Die Lockdowns in der Corona-Zeit haben vielen gezeigt, dass es ist ja auch ohne die Gemeinschaft geht. In unserer Perfektionsgesellschaft müssen wir uns endlich wieder wirklich eingestehen, dass wir alle Wappler sind: fehlerhafte Personen, einfach Menschen.«

Philosophische Praxis
Mag. phil. Alexander Hechtl
8564 Krottendorf 240
vormitnachd.at
alexanderhechtl.at

Foto: Marija KanizajDr. Carola Payer betreibt in Graz die »Payer und Partner Coaching Company«. Sie ist Businesscoach, Unternehmensberaterin und Autorin. payerundpartner.at

Fazit 195 (August 2023), Fazitserie »Erfolg braucht Führung« (Teil 62)

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