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Tandl macht Schluss (Fazit 201)

| 11. April 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 201, Schlusspunkt

Schützt uns unsere EU-Skepsis vor Brüsseler Spitzen? Mit 42 Prozent ist die Zustimmungsrate zur EU-Mitgliedschaft in keinem anderen Land so niedrig wie in Österreich. Die Gründe für diese starke Ablehnung sind vielfältig. Der Motor der europäischen Einigung stottert seit Jahren. Denn die auf Kompromisse angewiesenen Strukturen der Union sind einfach nicht auf eindeutige und tragfähige Entscheidungen ausgerichtet. Da helfen auch die nächtelangen Brüsseler Gipfel der EU-Staatschefs nichts, bei denen irgendwann in den Morgenstunden eine gemeinsame Scheinlösung präsentiert wird, mit der alle leben können.

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Schützt uns unsere EU-Skepsis vor Brüsseler Spitzen? Mit 42 Prozent ist die Zustimmungsrate zur EU-Mitgliedschaft in keinem anderen Land so niedrig wie in Österreich. Die Gründe für diese starke Ablehnung sind vielfältig. Der Motor der europäischen Einigung stottert seit Jahren. Denn die auf Kompromisse angewiesenen Strukturen der Union sind einfach nicht auf eindeutige und tragfähige Entscheidungen ausgerichtet. Da helfen auch die nächtelangen Brüsseler Gipfel der EU-Staatschefs nichts, bei denen irgendwann in den Morgenstunden eine gemeinsame Scheinlösung präsentiert wird, mit der alle leben können.

Es hat sich leider gezeigt, dass das komplexe Brüsseler Machtgefüge nicht dazu in der Lage ist, die anstehenden Krisen nachhaltig zu bewältigen. So mussten etwa bei der relativ einfachen geldpolitischen Aufgabe, mit der Subprime-Krise fertig zu werden, nicht nur marode Banken gerettet werden, weil sich diese mit wertlosen amerikanischen Immobilienkrediten überschuldet hatten. Das Problem konnte nur deshalb zur Staatsschulden- und Eurokrise ausufern, weil die EZB Rücksicht auf Länder nehmen musste, die trotz ihrer schlechten wirtschaftlichen Ausgangslage dem Euro beitreten durften. So konnte Griechenland die Gemeinschaftswährung nur einführen, weil die Regierung mit gefälschten Wirtschaftsdaten getrickst hatte. Und Italien musste versprechen, seine maroden Staatsfinanzen mit strikter Budgetdisziplin in Ordnung zu bringen. Aber auch andere Länder hatten sich nicht an die Konvergenzkriterien gehalten. Und so wurden weder Griechenland noch Italien sanktioniert. Der Staatsbankrott von halb Europa konnte letztlich nur mit Sonderkonstruktionen und einem viel zu niedrigen Zinsniveau verhindert werden, das unter anderem durch jene gewaltige Geldschwemme erreicht wurde, mit der die EZB die Schulden dieser Länder aufgekauft hat. Daher dauert die Euro-Krise bis heute an, und zwar in Form einer viel zu hohen Inflation und wertlosen Staatsanleihen in den Tresoren der EZB, die wohl auch noch irgendwann schlagend werden.

Trotzdem wäre es den meisten heutigen Mitgliedsländern – darunter auch Österreich – ohne EU viel schlechter ergangen als innerhalb der Gemeinschaft. Denn ohne EU-Mitgliedschaft hätte sich der größte Teil unserer exportorientierten Industrie unmöglich bei uns halten können. Die für den Binnenmarkt erforderlichen Harmonisierungen, wie jene für den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr, die Zollunion, oder für den freien Personen- und Kapitalverkehr, hätten mit bi- und multilateralen Abkommen niemals durchgesetzt werden können. Es wäre zwar auch für Österreich möglich gewesen, dem EU-Binnenmarkt ohne EU-Beitritt anzugehören – die Finanzmacht Schweiz, das rohstoffreiche Norwegen und zum Teil auch das aus der EU ausgetretene Vereinigte Königreich zeigen das mehr schlecht als recht vor –, aber auch Österreich müsste sich dann damit zufrieden geben, sämtliche EU-Regulatorien und Brüsseler Beschlüsse vollinhaltlich zu übernehmen, ohne an deren Zustandekommen mitwirken zu können. Der Souveränitätsverlust für Österreich wäre daher ohne EU-Beitritt noch viel größer gewesen. Und so werden wir uns auch weiterhin mit der überbordenden Brüsseler Bürokratie arrangieren; mit Kompromissen, die Entscheidungen bestenfalls vortäuschen, und mit Regelungen, die kein Mensch braucht, weil sie – wie etwa bei der Migrationskrise – nationale Lösungen verhindern.

Natürlich wäre es denkbar, sich irgendwann an ein tragfähigeres Konstrukt für den europäischen Einigungsprozess heranzuwagen. Schließlich ist niemand mit dem derzeitigen Vertragswerk glücklich. Aber wer – außer vielleicht die österreichischen Neos – will wirklich noch immer einen europäischen Bundesstaat nach amerikanischen Vorbild, mit einer gemeinsamen EU-Regierung und einer gemeinsamen EU-Armee?

Den Versuch, eine gemeinsame EU-Verfassung einzuführen, haben übrigens die Niederländer und die Franzosen mit Volksabstimmungen abgeschmettert. Vor einem weiteren Anlauf schützt uns womöglich die österreichische EU-Skepsis. Schließlich würden sich solch umfassende Integrationsschritte endgültig nicht mehr mit unserer militärischen Neutralität und damit ohne weitere EU-Volksabstimmung ausgehen.

Tandl macht Schluss! Fazit 201 (April 2024)

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