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Die Temporalität der Kommunikation

| 27. April 2010 | 1 Kommentar
Kategorie: Fazit 62, Managementserie

Nach Aristoteles ist nicht klar, ob Zeit ist oder nicht ist. Seine Zweifel beruhen auf dem Gedanken, dass Zeit die Vergangenheit umfasst, die nicht mehr ist, und die Zukunft, die noch nicht ist. Die Gegenwart, dazwischen, ist ein ständig verschwindender Moment. Zeit ist oder nicht. Zeit ist kostbar. Man möchte sie sich sprichwörtlich nicht stehlen lassen und setzt sie in der Wirtschaft nach dem Motto „time is money“ mit Geld gleich.
Zeit ist relativ. Bewegte Uhren gehen langsamer, so ein „Kernbeispiel“ der Relativitätstheorie. Die Hauptbotschaft der Zeitdehnung lautet, dass es keine absolut gültige Zeit gibt. Zeit ist in mehrerer Hinsicht relativ. Der Umgang mit Zeit ist kulturell geprägt, kulturelle Auffassungen sind wiederum relativ, somit wird die Zeitauffassung kulturell relativiert. Der Faktor Zeit bestimmt die Gesellschaft entscheidend mit.
Zeit ist ein grundlegender Mechanismus, der auf soziale Strukturen, Organisationen, Institutionen und gesamte Kulturen wirkt. David R. Maines betont die Bedeutung von Zeit für die Soziologie, indem er den Standpunkt vertritt, es wäre keine Theorie möglich, nicht einmal die einfachste Aussage über menschliches Verhalten, wenn nicht Temporalität, d.h. der Umgang mit Zeit, als Basis der Überlegungen herangezogen würde. Laut Harold Inns kommt ein Desinteresse an Zeit einem Desinteresse an theoretischen Problemen gleich. Zeit ist bedeutend.

Temporalität Zum Verständnis der kulturellen Relativität von Zeit dient die grobe Einteilung in Naturzeit und Kulturzeit. Die sogenannte Naturzeit basiert auf natürlichen Zyklen wie Tag und Nacht, Ebbe und Flut, aber auch dem Rhythmus des Herzschlages und vielem mehr. Von der natürlich geformten Zeit unterscheidet der Kulturwissenschaftler Edward Twitchell Hall die sogenannte kulturell überformte Zeit, die sich beispielsweise durch die kulturell definierte Mahlzeit oder das Sprechtempo ausdrückt. Der Umgang mit Zeit bildet nach Hall das Hauptorganisationssystem der Kommunikation und des Lebens, da Menschen durch das System der Temporalität ihre Gefühle und die Bedeutung ihres Handelns ausdrücken, mit anderen Worten, kommunizieren.

Kultureller Zeitbegriff „Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige“, „Pünktlichkeit ist eine Zier“, „Pünktlichkeit ist eine Tugend“. Oder von hinten aufgezäumt: Unpünktlichkeit gilt in der postindustriellen Gesellschaft als Zeichen für Unhöflichkeit und/oder Unzuverlässigkeit und ist zudem ein potenzieller Kündigungsgrund. Zur Vermeidung eines sogenannten Kulturschocks bei internationalen Geschäftsabschlüssen, aber auch im Urlaub, ist der – oft pauschalisierende – Hinweis zu lesen, bestimmte Kulturen seien weniger pünktlich. Genau genommen zeigen die Menschen nicht eine Tendenz zur „Unpünktlichkeit“, denn sie werden nicht von der Kategorie „pünktlich-unpünktlich“ geleitet. Was sich dahinter verbirgt, ist eine andere Auffassung von Zeit, ein anderer Umgang mit Zeit, eine andere Kommunikation von und durch Zeit. Halls Konzept der monochronen und polychronen Kulturen befasst sich u.a. mit der Rolle der Pünktlichkeit.

Monochron vs. polychron Zeit kann linear oder zyklisch wahrgenommen werden. Die in monochronen Kulturen vorherrschende Zeitsynchronisation sieht Zeit als ein von der Vergangenheit linear in die Zukunft fließendes Kontinuum. Das hat Implikationen für die Gestaltung der Arbeit und den Umgang miteinander. Zeit wird in Abschnitte gegliedert, genau geplant und aufgeteilt. Handlungen werden innerhalb einer festgesetzten Zeitverpflichtung  hintereinander verrichtet, „eines nach dem anderen“. Zeit bildet die Basis für die Bestimmung von Prioritäten und die Organisation des Lebens. Monochrone Kulturen zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie in aller Regel eher an kurzfristigeren Beziehungen interessiert und klassischerweise pünktlich sind.

Die zyklische Zeitsynchronisation der polychronen Kulturen hingegen steht dem Naturzyklus näher, ist religiös-sinnhaft. Zeit ist nicht linear, sondern ein Punkt und daher weniger greifbar. Dinge werden nicht hintereinander, sondern in einem bestimmten Zeitraum gleichzeitig ausgeführt. Der niederländische Wissenschaftler Fons Trompenaars stellt in diesem Zusammenhang Serialität der Parallelität gegenüber. Zyklisch denkende Menschen sind zeitlich flexibler und wechseln Pläne oft und unkompliziert. Beziehungen spielen eine größere Rolle und sind eher langfristig orientiert, das Interesse gilt verstärkt Menschen und deren persönlichen Angelegenheiten. Verallgemeinert zeigen sie eine Tendenz zur Unpünktlichkeit, weil sie zeitliche Verpflichtungen nicht so ernst nehmen. Stereotype Beispiele für Halls Beschreibungen wären die preußische Genauigkeit auf der einen Seite und die mediterrane Flexibilität auf der anderen.

Gestern, heute, morgen Unterschiede im Umgang mit Zeit und deren kulturelle Ausformungen beschreiben Kluckhohn und Strodtbeck auf Basis einer anderen Einteilung. So kann sich das temporale Zentrum des menschlichen Lebens nach der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft richten. Es geht hier nicht um kleinere Zeitabschnitte wie Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Monate oder gar Jahre, sondern um die gesamte, grundlegende Zeitorientierung und deren Auswirkungen auf diverse Lebensbereiche. Kulturen mit dominanter Vergangenheitsorientierung, wie beispielsweise England oder Japan,  legen Wert auf Tradition und betonen Familienbeziehungen. Jene mit überwiegender Gegenwartsbeziehung leben im hier und heute. Kulturen mit stärkerer Zukunftsorientierung, wie etwa Deutschland und die USA, legen Wert auf die Verbesserung von Lebensumständen sowie einen generellen Wandel zum Positiven.

Zeit Hall und Du Gay betonen, wie sehr die Moderne auch durch die Logik der Temporalität definiert ist. Im Herzen des modernen Gedanken liegen zwei Annahmen, nämlich dass Raum und Zeit trennbar sind, und vor allem, dass Zeit fundamentaler ist als Raum. Die Voranstellung von Zeit über Raum wird als ein bedeutender Moment der modernen Philosophie gesehen. Zeit ist bedeutend und ihre Bedeutung variiert mit der Kultur.

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Managementserie, Fazit 62 (Mai 2010)

Kommentare

Eine Antwort zu “Die Temporalität der Kommunikation”

  1. PePi
    28. April 2010 @ 15:35

    Zeit mal Zeit ist Malzeit, Gerhard Polt

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