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Das Jobwunder Lehre

| 28. April 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 122, Fazitthema

Illustration: Peter Pichler

Wenn sich in den nächsten Jahren die Babyboomer in die Pension verabschieden, sieht es mit qualifiziertem Nachwuchs für die Betriebe düster aus. Das AMS und das Land Steiermark versuchen daher alles, um so viele Jugendliche wie möglich fit für eine Lehre zu machen.

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Der langjährige Trend zeigt eindringlich, dass sich immer weniger Jugendliche für eine Lehrausbildung entscheiden – mit langfristig fatalen Folgen für die heimische Wirtschaft, denn Facharbeiter werden bereits heute in vielen Sparten mehr als dringend gesucht. Obwohl die duale Lehrlingsausbildung in Österreich weltweit als vorbildlich gilt, wie auch Erfolge bei international ausgerichteten Handwerker-Wettbewerben wie »Euroskills« eindrucksvoll demonstrieren, hat das Image der Lehre hierzulande in der Bevölkerung um Anerkennung zu kämpfen, denn Gymnasium und Studium gelten in den Augen vieler Eltern mehr. Doch das könnte sich wieder ändern: Vor wenigen Tagen wurde Graz zum Austragungsort der prestigeträchtigen Berufs-EM im Jahr 2020 gewählt, zu der rund 100.000 Gäste in Graz erwartet werden. Von dieser weltweit beachteten Veranstaltung erwartet man sich nicht zuletzt einen Impuls für das Image der Lehrberufe in einer sich dynamisch verändernden Arbeitswelt, freut sich WKO Steiermark Präsident Josef Herk: »Damit geht für mich ein Traum in Erfüllung, denn die »Euroskills« sind weit mehr als nur ein Wettkampf um Medaillen. Sie sind eine Chance unser hervorragendes duales Ausbildungsmodell gemeinsam mit den europäischen Partnern weiterzuentwickeln.«

Arbeitsmarkt mit Licht und Schatten
Andererseits geht auch die Zahl der Ausbildungsbetriebe und damit der offenen Lehrstellen zurück; das geschieht aus verschiedensten Gründen: vom wirtschaftlichen Strukturwandel bis hin zum fehlenden Know-how scheuen immer mehr Arbeitgeber die Ausbildung von Nachwuchskräften für den eigenen Bedarf, nicht zuletzt wegen der Befürchtung, dass ihre gut ausgebildeten Lehrlinge zu lukrativeren Verdienstmöglichkeiten in der Industrie abwandern. Die gute Nachricht lautet, was auch die Politik nicht müde wird zu betonen: Der österreichische Arbeitsmarkt hat sich auch in der Krise grundsätzlich als relativ resistent erweisen und die Gesamtzahl der Stellen zeigt nach wie vor einen leichten Aufwärtstrend. Allerdings zeigt das Wirtschaftswachstum nun auch in Österreich selbst Stagnationstendenzen und die Bereitschaft, Arbeitskräfte fix anzustellen, lässt erkennbar nach. Gleichzeitig nimmt jedoch die allgemeine Arbeitslosigkeit vor allem im Osten des Bundesgebiets seit einiger Zeit deutlich zu, auch wenn die offiziellen Raten sich mit rund 10,6 Prozent im europäischen Durchschnitt immer noch eher im unteren Bereich bewegen. Trotzdem lässt sich die Situation nicht allzu rosig verklären: Die Zahl von Menschen ohne Erwerbsarbeit erreichte im Jänner fast die magische Marke von 500.000 Personen, und selbst wenn saisonal im Frühjahr mit einem deutlichen Rückgang zu rechnen ist, zeigen die Zukunftsprognosen keine Silberstreifen am Horizont. Das betrifft speziell die Jugendarbeitslosigkeit, die seit Jahren über dem allgemeinen Niveau liegt, auch wenn sie sich gegenüber Ländern wie Spanien, Italien und Griechenland, die weit über 20 Prozent Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen bis 25 Jahre aufweisen, geradezu harmlos ausnimmt.

Integration durch Ausbildungspflicht
Schon seit Jahren fordern Studien von renommierten Forschungseinrichtungen wie das Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (IWB) oder das Österreichische Institut für Berufsbildforschung (ÖIBF) dem drohenden Fachkräftemangel mit geeigneten Maßnahmen rechtzeitig zu begegnen. Als einen wesentlichen Grund für die vergleichsweise gute Integration der Jugendlichen in das Beschäftigungssystem nennen die Studien aus dem Jahr 2013 das hoch entwickelte System der beruflichen Erstausbildung in Österreich mit Lehrlingsausbildung und berufsbildenden mittleren und höheren Schulen. In Österreich sei dabei sowohl die Ausbildungsbeteiligung als auch der Anteil der beruflichen Bildung relativ hoch, heißt es dazu. Insbesondere das System der dualen Lehrlingsausbildung in Betrieb und Berufsschule verschaffe Österreich eine gute Position im internationalen Vergleich. Basierend auf den empirischen Befunden lautet die Empfehlung auf Weiterverfolgung des politischen Ziels, allen Jugendlichen den Abschluss einer weiterführenden (Berufs-)Ausbildung zu ermöglichen. Es müssten die Voraussetzungen geschaffen werden, um die geplante »Ausbildungspflicht bis 18 Jahren« tatsächlich effektiv und mit den angestrebten Zielen implementieren zu können. Das Sozialministerium hat zu Beginn dieses Jahres einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt – noch stehen mögliche Sanktionen bei Nichterfüllung der Auflagen zur Qualifikation allerdings in den Sternen.

Lehrstellenschwund und demografische Schere
Die Zahl der Lehrlinge in Österreich ist seit Jahrzehnten im Sinken begriffen. Eine Langzeitbetrachtung anhand des jährlich erscheinenden Lehrlingsberichts des IWB seit 1974 zeigt, dass der Höhepunkt der Lehrlingszahlen in Österreich im Jahr 1980 erreicht wurde (mehr als 194.000). In der Folge ist die Zahl der Lehrlinge bis Ende der neunziger Jahre kontinuierlich gesunken. Zwischen 2004 bis 2008 war – konjunkturell und durch politische Maßnahmen zur Förderung der Lehrlingsausbildung – tendenziell eine Zunahme der Lehrlingszahlen zu beobachten. Seit 2009 lässt sich ein radikaler Rückgang der Lehrlingszahlen konstatieren. Ende des Jahres 2014 waren österreichweit 115.068 Lehrlinge in Ausbildung, um mehr als 5.000 weniger als 2013. Mit Jahresende 2015 standen in Österreich gar nur mehr 109.963 Lehrlinge in 29.164 Lehrbetrieben in Ausbildung – damit ist seit den siebziger Jahren fast jede zweite Lehrstelle weggefallen. Diese deutliche Abnahme der Lehrlingszahlen ist natürlich vor allem in engem Zusammenhang mit der demographischen Entwicklung (Rückgang der 15-Jährigen) zu sehen.

»Employer Branding« und Unternehmensimage
Da es für kleinere Unternehmen bzw. solche in infrastrukturell benachteiligten Regionen immer schwieriger wird, Lehrlinge zu rekrutieren, sind die Firmen dazu übergegangen, sich aktiv bei jungen Menschen zu präsentieren. Mit besonderen Angeboten versuchen sie, die Jugendlichen für sich zu gewinnen. Die Zeichen der Zeit erkannt hat man etwa beim Autobauer Magna, so unterhält das Unternehmen an der HTL-Fachschule in Weiz eine eigene »Magna-Klasse«. Die drei Weizer Magna Betriebe Magna Prestec, Magna Auteca und Magna Fuel Systems machen in Sachen Lehrlingssuche bereits seit 2010 gemeinsame Sache, die ausgewählten Schüler absolvieren an der HTL Weiz ihr neuntes Schuljahr, erhalten aber zusätzlich auf die Erfordernisse des Unternehmens ausgerichteten Unterricht mit den Magna-Lehrlingsausbildern. Überregional agierende Firmen tun sich freilich leichter im allgemeinen Bewusstsein ihr »Employer-Branding« zu etablieren, das heißt sich als insgesamt als attraktiven Arbeitgeber darzustellen und von anderen Wettbewerbern im Arbeitsmarkt positiv abzuheben. Dieser Strategie folgen auch andere Unternehmen mit positiven Image wie Anton Paar, Knapp Logistik oder der Biomasseheizungshersteller KWB, um talentierte Jugendliche an sich zu ziehen. Mit regionalen Qualifizierungsnetzwerken, wie dem Metaller-Ausbildungsverbund der Industrie in der Weststeiermark (Voitsberg), können auch kleinere Betriebe einen Image-Nachteil wettmachen und an gut qualifizierte Lehranfänger zu gelangen.

Situation in der Steiermark
Strukturwandel und demografische Faktoren haben sich im Süden Österreichs stärker als anderswo ausgewirkt. Besonders betroffen von rückläufigen Lehrlingszahlen seit 1990 sind die Steiermark (-34%), das Burgenland (-33%), und Kärnten (-30%). Das Interesse an einer Lehre ist jedoch stark ausgeprägt, auch wenn das Angebot an Lehrstellen nicht ausreichend scheint, erklärt der steirische AMS-Chef Karl-Heinz Snobe zur Situation: »Obwohl die Zahl der Lehranfänger im 1. Lehrjahr seit Jahren zurückgeht, melden sich beim AMS jährlich gleichbleibend etwa 8.600 junge Menschen, die eine Lehrstelle suchen. Die große Herausforderung ist, dass viele Jugendlichen sich nur für wenige Lehrberufe interessieren und die Anforderungen an die Lehrausbildung generell zunehmen.« Das Dilemma dabei: gleichzeitig beklagen Betriebe immer wieder, dass sie auf ihre ausgeschriebenen Lehrstellen kaum oder auch gar keine Bewerbungen erhalten. Viele Lehrbetriebe mit weniger attraktiven Berufsbildern oder Verdienstaussichten stehen im Kampf um den Nachwuchs in direkter Konkurrenz zu höheren Schulen und haben in vielen Fällen das Nachsehen. Das Ergebnis ist ein wachsender Mangel an vor allem technischen Facharbeitern und Facharbeiterinnen, die Garanten für zukunftsfähige Unternehmen. Hier hilft in erster Linie Aufklärung betont Snobe: »Das AMS versucht für beide Seiten möglichst frühzeitig aktiv zu werden, in dem wir Jugendliche, Eltern und Betriebe informieren und beraten und intensiv vermitteln. Wenn es gar nicht anders geht, finanziert das AMS mit seinen Partnern in überbetrieblichen Lehrwerkstätten die Fachkräfte von morgen, wobei während dieser Ausbildungen die Vermittlung auf einen Lehrplatz in einem Betrieb im Vordergrund bleibt.«

Qualifizierung und aktive Arbeitsmarktpolitik
Von Seiten des Landes Steiermark laufen seit Jahren verstärkte Initiativen, Jugendliche nicht nur in Lehrstellen unterzubringen, sondern auch durch Qualifizierungsmaßnahmen und überbetriebliche Ausbildung junge Menschen fit für einen für anspruchsvollere Arbeitsaufgaben oder gar einen Facharbeiterjob zu machen, wie Soziallandesrätin Doris Kampus erklärt: »Die Politik muss alles daran setzen, jungen Menschen eine Zukunftsperspektive bieten zu können. Dazu gehören vor allem eine gute Ausbildung und die Chance auf einen Arbeitsplatz. Darauf zielen auch die einzelnen Beschäftigungsinitiativen ab, die wir in der Steiermark eingerichtet haben, wie etwa die überbetriebliche Lehrausbildung, die Produktionsschulen oder auch die Vermittlungsplattform Jobconnect«. Mit den beiden integrativen Werkstätten »Tag.werk« und »heidenspaß« gibt es noch weitere Projekte im niederschwelligen Bereich, die vor allem Jugendlichen in schwierigen Lebenssituationen unterstützen.«
Die überbetriebliche Lehrausbildung ist angesichts des Lehrstellenmangels eine sinnvolle Alternative zur klassischen Lehre im Betrieb. Damit kann Jugendlichen nach Beendigung der Schulpflicht eine Ausbildung angeboten werden, auch wenn sie keine betriebliche Lehrstelle finden. Gerade unter dem Gesichtpunkt funktionierender Sozialsysteme soll kein Jugendlicher zurückgelassen werden, betont Kampus: »Wir dürfen und wollen junge Menschen bei ihrem Einstieg ins Berufsleben nicht im Stich lassen. Gerade eine abgeschlossene Lehrausbildung ist eine wichtige Voraussetzung dafür, später einmal einen Job zu finden, aber leider findet nicht jeder von ihnen eine entsprechende Lehrstelle. Mit der überbetrieblichen Lehrausbildung erhalten sie die Möglichkeit, eine berufliche Qualifikation zu erwerben.«

Lernen durch Tun – Produktionsschulen
Ein weiteres in der Steiermark erfolgreiches Modell bilden die Produktionsschulen. Der Verein zur Förderung von Arbeit und Beschäftigung und Jugend am Werk haben im Auftrag der Landesregierung seit 2009 Produktionsschulen in Deutschlandsberg, Graz, Kapfenberg und Leoben etabliert. Seit vergangenem Jahr wurden alle bis dahin unter »AusbildungsFit« bekannten Angebote anderer Einrichtungen ebenfalls in Produktionsschulen umgewandelt. Dabei handelt es sich um ein Bildungsangebot, das gezielt praktische Arbeit mit begleitendem Fachunterricht verschränkt. In den Produktionsschulen werden »schwierige Jugendliche« beim Übertritt von der Schule zum Beruf unterstützt. Sie dienen zur Vorbereitung Jugendlicher und junger Erwachsener auf den Eintritt in eine berufliche Qualifizierung oder eine berufliche Integration.
»Dank der Produktionsschulen gelingt es uns, dass Jugendliche einen Schulabschluss nachholen oder eine Lehre beginnen können. Viele schaffen auch direkt den Sprung in den Arbeitsmarkt, weil sie einen Job bekommen. So gesehen sind die Produktionsschulen eine sinnvolle Prävention davor, dass Menschen bereits in jugendlichem Alter von der Mindestsicherung abhängig werden und womöglich ihr ganzes Leben lang bleiben«, führt Landesrätin Doris Kampus aus.
Insgesamt wurden seit 2010 in diesen Einrichtungen bislang rund 1.500 junge Menschen, darunter viele mit Migrationshintergrund, auf ein geregeltes Berufsleben vorbereitet. Das konkrete »Tun« findet von Anfang an in einer arbeitsplatznahen Umgebung statt. Dort werden die Jugendlichen sozialpädagogisch begleitet und auf weitere Ausbildungsschritte vorbereitet.

Angebote für den Einstieg ins Berufsleben
Einen höherschwelligen Ansatz verfolgt das Angebot »Job-Connect« an, das sich als gemeinsames Projekt des Landes Steiermark mit dem AMS an junge Menschen bis 27 Jahre richtet, die bereits eine abgeschlossene Lehre oder höhere Schulbildung vorweisen können, aber Schwierigkeiten haben, im Berufsleben Fuß zu fassen, wie die Projektleiterin Susanne Zurl-Meyer erklärt: »Der Berufseinstieg bildet oft eine beachtliche Hürde – vor allem in Zeiten einer schwachen Konjunktur. Viele Berufsanfänger wissen nur sehr wenig über die Anforderungen, die der Arbeitsmarkt an sie richtet und der Bewerbungsprozess wird dadurch (zu) lange und mühevoll.« Die Leistungen von »Job-Connect« umfassen Beratung, Coaching und Begleitung der Teilnehmer auf ihrem Weg in den Job. Außerdem verfügt das Projekt über ein ausgedehntes Betriebsnetzwerk, wodurch schon viele erfolgreiche Vermittlungen in den (ersten) Job gelungen sind – »Job-Connect«hilft jährlich rund 150 Personen beim Einstieg in den ersten Job, weitere 150 Personen werden noch während der Ausbildung unterstützt. Für Landesrätin Kampus eine Erfolgsstory: »Der Erfolg dieses Projekts spricht für sich – deshalb werden wir es auch fortsetzen!«
Erst seit jüngster Zeit kümmert man sich bei »Job-Connect« verstärkt um Lehrabgänger, ergänzt Zurl-Meyer: »Die betriebliche Lehre ist eine bedeutende Säule in unserem Ausbildungssystem – wenn allerdings ein Jobwechsel nach der Lehrabschlussprüfung ansteht, kommt es darauf an, wie gut man seine erworbenen Kenntnisse vermitteln kann. Bei kleineren Unternehmen steht oft die Vermutung im Raum, dass Teile der Ausbildungsziele während der Lehrzeit nicht erreicht werden können. Ein anderer Fall sind die Job-Umsteiger – junge Menschen ergreifen oft den Beruf, den sich ihre Eltern für sie wünschen. Nach Beendigung der Ausbildung versuchen sie in ein anderes Berufsfeld zu wechseln – die Möglichkeiten sind dann allerdings sehr eingeschränkt und es besteht die Gefahr der Dequalifizierung.«

Des Handwerks Goldener Boden
Den wichtigsten Ausbildungspartner für eine Lehre stellt nach wie vor die Sparte Gewerbe und Handwerk, die rund 42 Prozent der Lehrlinge ausbildet. Hermann Talowski, Spartenobmann für Gewerbe und Handwerk der WKO Steiermark, sieht die positiven Aspekte der dualen Ausbildung überwiegen und hat einen optimistischen Ausblick: »Die Voraussetzungen waren eigentlich noch nie so gut wie heute. Wir haben ein transparentes Bildungs- und Ausbildungssystem, das es jedem jungen Menschen ermöglicht, einen für sich passenden Beruf zu finden und das zu lernen, was seinen Talenten entspricht. Unsere Betriebe bilden auf höchstem Niveau aus, wie die erfreulichen Leistungen bei diversen internationalen Bewerben für Nachwuchsfachkräfte Jahr für Jahr zeigen. Das duale System hat sich dabei als Erfolgsmodell bewährt.« Einen Mangel an Lehrstellen kann Talowski nicht erkennen: »Die Lehrstellen sind nicht das Problem – es gibt genug davon. Es gibt allerdings zu wenig junge Menschen, die sich dafür bewerben. Das hat zum einen mit der demografischen Entwicklung zu tun, andererseits mit der großen Konkurrenz durch die weiterführenden Schulen.«  Allerdings ist für Talowski klar, dass die Kompetenzen vieler junger Schulabsolventen den Ansprüchen potenzieller Lehrherren in vielen Fällen nicht genügen, was eine Reihe verschiedener, durchaus komplexer Ursachen hat: »Jede Ausbildungsdiskussion ist automatisch auch eine Schuldiskussion. Ja, es gibt eklatante Mängel in elementaren Kompetenzen. Das Ungeschickteste, was man jetzt tun kann, ist, den schwarzen Peter den Schulen zuzuschieben. Lehrerinnen und Lehrer haben genug damit zu tun, diese Situation zu verbessern und sie leisten viel dabei. Das Problem sitzt im Kern woanders, etwa bei der schlechten wirtschaftlichen und sozialen Situation in den Familien. Wenn sich Desinteresse an Ausbildung mit Perspektivenlosigkeit und Verwahrlosung verbindet, hat das natürlich gravierende Folgen für den weiteren Lebensweg junger Menschen.«

Mehr Mädchen in technische Berufe
Immer noch schränken sich Unternehmen selbst ein, wenn sie bei der Lehrlingssuche für typische Männerberufe Burschen bevorzugen. Eine Studien des IWB stellt auch 2015 noch immer fest: »Weibliche Jugendliche sind in der Lehrlingsausbildung traditionellerweise unterrepräsentiert. Sie bevorzugen stärker den Besuch weiterführender mittlerer und höherer Schulen, was unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass das System der Lehrlingsausbildung vor allem im technisch-produzierenden Bereich verankert ist, welcher nach wie vor von männlichen Jugendlichen als attraktiver empfunden wird.« Der Anteil von Mädchen in technisch-handwerklichen Berufen sei durch frühe und stärkere Förderung des technischen Interesses in der schulischen Ausbildung zu heben, lautet die Empfehlung. Ein Gros der weiblichen Jugendlichen konzentriert sich auf wenige traditionelle Lehrberufe, wie Verkäuferin, Friseurin oder Bürokauffrau. Ein Trend, der sich langsam, aber sicher umkehrt. Sowohl Industrie als auch Handwerk sind an Mädchen als Lehrkräften interessiert, da sie oft ausgezeichnete Qualifikationen mitbringen, wie Stefan Pilz, Spartengeschäftsführer Industrie der WKO Steiermark, betont: »Ja, zum Glück wird die Industrie immer weiblicher. Sowohl was die Leistungsbereitschaft als auch das soziale Klima betrifft, machen die Ausbildungsbetriebe mit weiblichen Lehrlingen sehr gute Erfahrungen.« In dieselbe Kerbe schlägt Talowski und warnt vor dem Weiterschleppen alter Klischees: »Gefragt ist, wer etwas lernen will. Es sollte eigentlich kein Thema mehr sein, wenn ein Mädchen in einem handwerklichen Beruf arbeitet. Solange wir – auch in den Medien – ständig ganz begeistert darauf hinzeigen, wenn ein Mädchen in einem sogenannten ‚Männerberuf‘ arbeitet, solange halten wir auch die traditionellen Bilder hoch und zementieren damit diesen scheinbaren Widerspruch ein. Wir brauchen keine alten Rollenbilder und auch keinen Gender-Zeigefinger, sondern junge Menschen, die etwas erreichen wollen.«

Integration durch Arbeit als Chance
Auch um das Thema Integration von Zuwanderern wird man beim Thema Lehre in Zukunft nicht herumkommen. Schließlich stellen Migranten bzw. bereits hier geborene Menschen fremdsprachiger Herkunft der zweiten oder gar dritten Generation immer größere Anteile der jeweiligen Alterskohorten. Häufige Probleme: es mangelt an Sprachkenntnisse, der Schulerfolg ist unterdurchschnittlich, außerdem fehlt oft der Wille, eine berufliche Ausbildung zu beginnen. Gezielte Integrationsprojekte sollen Abhilfe schaffen und die Motivation für den Berufseinstieg erhöhen. So will die Wirtschaftskammer Österreich in einem Pilotprojekt 150 jugendliche Flüchtlinge aus Wien überregional in Berufe und Regionen mit Lehrlingsmangel vermitteln. Mit dem Flüchtlings-Pilotprojekt wolle man in Zusammenarbeit mit Ministerien und AMS jungen Menschen, die oft allein nach Österreich kommen, eine Zukunftsperspektive bieten, betonte WKO-Präsident Christoph Leitl. Angesichts des sich abzeichnenden Fachkräftemangels durch die geburtenschwächeren Jahrgänge gelte es, das besondere Potenzial an zukünftigen Fachkräften der Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu nutzen, betont die WBI-Studie und verweist insbesondere auf Mehrsprachigkeit als wichtige Humanressource und Wettbewerbsvorteil. Es gehe nicht nur darum, die fremdsprachlichen Fähigkeiten im Umgang mit Kunden etc zu nutzen, sondern die Mehrsprachigkeit vieler Jugendlicher mit Migrationshintergrund stelt auch eine besondere Chance dar, den Internationalisierungsgrad und die Exportorientierung der österreichischen Wirtschaft insgesamt zu stärken, meinen die Verfasser. – jot-

Titelgeschichte Fazit 122 (Mai 2016) – Illustration: Peter Pichler

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