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Zur Lage (16)

| 25. März 2009 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 51, Zur Lage

Über was Neues im Internet, über die Netzgemeinde und über Armin Wolf.

Im Internet gibt es jetzt einen »neuen heißen Scheiß« (Originalzitat – ich würde, Sie wissen das,  ja nie so sagen – von Ingrid Brodnig, Journalistin beim Falter). Der heißt »Twitter« und das ist so eine »SMS-Maschine fürs Internet«. Sie können dort Nachrichten von maximal 140 Zeichen Länge (also wie ein SMS) loswerden und veröffentlichen diese in Ihrem persönlichen »Twitterstream«. Andere Twitter-Nutzer können diese Nachrichten dann entweder zufällig lesen (das tut aber kaum jemand; gibt es doch mittlerweile sicher mehr als sieben Pfillionen Twitteruser, das wäre also sehr zeitaufwendig) oder aber (und das ist die Regel) diese haben Ihren Stream abonniert. (»Followen« würde das heissen, aber ich hör jetzt schon auf, uns mit diesen Pseudotechnik-Sprachkonstrukten zu lähmen; noch dazu, wo es in dieser Ausgabe vor allem um Sprache geht.) Ganz so neu ist das Zeug natürlich nicht, wurde Twitter vom US-Amerikaner Evan Williams doch bereits 2006 gegründet. (Und im Internet, wir wissen das, braucht man gar keine internationale Finanzkrise, um nach zwei, drei Jahren vom »Startup« über die New Yorker Börse direkt zum Konkursrichter zu gelangen.)

In Österreich ist es Anfang März plötzlich »heiß« geworden. Da hat nämlich ORF-Aushängeschild und ZiB-Zwei-Anchorman (ich habs heute aber auch mit den Anglizismen) Armin Wolf zu »twittern« begonnen. (Genau, das noch: »twittern« bedeutet auf Deutsch soviel wie »Zwitschern«; Gezwitscher also, das man beachten kann aber nicht immer muß. Ich sollt was über den jetzt dann doch kommenden Frühling schreiben. Was haben heute die Vögel frühmorgens vor meinem Fenster für ein Konzert gegeben! Aber nein, über dieses komische Internetz muß ich mich mit Ihnen unterhalten.)
Gut. Was war jetzt? Achja, der Armin Wolf. Der verwendet neuerdings geschätzte zwei Drittel seiner Zeit im ORF-Funkhaus, um zu »twittern«. Wir, seine Twitter-Follower, wissen jetzt, dass er gegen 13 Uhr ins Büro kommt und es so um Mitternacht wieder verläßt. Auf seinem Stream, abrufbar unter twitter.com/ArminWolf, kann man nun gut nachlesen, was er gerade so tut, was er gerade so denkt und wonach ihm gerade so ist. Mir geht dabei, ein bisschen, der Zauber verloren. Etwa, wenn er dann schreibt: »Haben Sie Fragen zum F.-Prozess, die Strafrechts-Professor Fuchs und Strafverteidiger Ainedter heute im ZiB2-Studio beantworten sollten?«

Interessieren ihn die Fragen der verehrten Netzgemeinde wirklich? Fallen ihm selber keine guten Fragen ein? Hat er nichts wirklich Wichtiges zu tun? Ich weiß schon, das klingt jetzt alles ein bisschen unfair, und ich muß vielleicht fürs Protokoll einmal festhalten, dass ich den Moderator Wolf sehr schätze. Und das natürlich auch weiterhin so halten werde. Aber der Zauber eben. Ich halte von einer solchen, in letzter Konsequenz unheimlichen, virtuellen »Nähe« wenig. Ich möchte von einem Profi meine im übrigen einzig verbliebene gute Nachrichtensendung im ORF präsentiert bekommen. Und nicht unbedingt von jemanden, der so tut, als wäre er wirklich interessiert an all den Fragen, die da auf ihn hineintwittern: »chilax: @ArminWolf was macht ein Journalist an seinen freien Tagen, oder gibts die nicht?«

Nicht, dass Sie mir jetzt glauben, ich will dieses ganze Twitterwerch schlechtreden. Erstens ist das nicht so und zweitens würde ich mir dann Hass und Häme der gesamten Netzgemeinschaft aufhalsen. So ergangen ist es nämlich der anfangs schon Erwähnung findenden Ingrid Brodnig oder auch dem wunderbaren Harald Martenstein. Beide haben unlängst über Twitter geschrieben, Brodnig in ihrem Blog, Martenstein in seiner wöchentlichen Kolumne in der Zeit: »Außerdem begreife ich den Kult um die Geschwindigkeit nicht. Beim Essen und beim Sex heißt es, man soll immer schön langsam und gründlich machen – bei der Kommunikation, der schönsten Nebensache der Welt, ist es umgekehrt?«

Beide mussten sich danach ordentlich beschimpfen lassen. Und nur das ist es, was mich stört an der werten (Twitter/Netz/wie auch immer-)Gemeinde: die Wehleidigkeit. Wir, ich habe ja auch einen Twitterstream, sollten uns darüber freuen, wenn Kaliber wie Martenstein sich dem Thema widmen; ganz unbedeutend ist es damit ja nicht mehr. Und wir sollten uns auch im Klaren darüber sein, dass Twitter jetzt nicht die neue Weltmaschine ist. Sondern was Überschaubares; ein neuer heißer Sch**ß halt. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass eine große Koalition dem Lande nicht nutzen kann.

Zur Lage, Fazit 51 (April 2009)

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