Anzeige
FazitOnline

Der Traum von der sprechenden Maschine

| 24. März 2010 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 61, Phonosophicum

Jahrhundertelang träumten die Menschen davon, Töne zu konservieren und Maschinen sprechen zu lassen. Eine chinesische Legende aus den Jahren um 1000 v. Chr. erzählt von einem kupfernen „Tausendmeilensprecher“, der geheime Botschaften an den Kaiser enthielt. Und die ägyptischen Memnonstatuen waren bei den Griechen und Römern ein beliebtes Reiseziel, da die Säulen jeweils bei Sonnenaufgang rätselhafte sphärische Gesänge von sich gaben.

Es waren teils äußerst skurrile Anstrengungen, die Gelehrte, Künstler und Fantasten unternahmen, um das flüchtige Wort festzuhalten. Papst Sylvester II. – im Nebenberuf Mathematiker – soll um das Jahr 1000 eine sprechende Figur gebaut haben, die nur sprach, wenn man ihr Fragen stellte. Später bezichtigte man ihn allerdings, mit dem Teufel im Bunde gewesen zu sein.

In der Literatur des Mittelalters ist oftmals die Rede von ,,sprechenden Köpfen“, deren Erbauer zu den gelehrtesten Männern jener Zeit gehörten. Diese Köpfe hatten der Legende nach eine beratende Funktion, standen diesbezüglich also in der Tradition der Orakel in Form von steinernen Standbildern. Als Konstrukteur eines solchen Kopfes wird auch Albertus Magnus genannt. Von Thomas von Aquin wird behauptet, dass er den Androiden von Magnus zerschlagen habe, weil ihm seine Geschwätzigkeit auf die Nerven ging. Noch 1850 entlockte der Bonner Physiologe Johannes Müller einem präparierten Kehlkopf, bei dem er die Muskeltätigkeit durch Fäden und Gewichte ersetzte, Gesangsmelodien. Der wackere Mediziner verfocht sogar die abstruse Idee, man solle doch die Kehlköpfe berühmter verstorbener Sänger aufkaufen und mit ihnen die Opernpartien besetzen, um so Honorare zu sparen.

Alchimisten und Scharlatane phantasierten über besonders dichte Röhren, Kisten oder Flaschen zur Schallkonservierung. Im Jahre 1548 fabuliert François Rabelais in seinem „Pantagruel“, dass Befehle, die während einer Schlacht auf einem Eismeer eingefroren waren, ein wenig später wieder auftauten. Und 1589 regte der italienische Physiker Porta an, das gesprochene Wort in langen bleiernen Behältnissen einzuschließen, um es beliebig lang zu konservieren und nach Öffnen wieder erschallen zu lassen.

Auch der Astronom Johannes Kepler beschäftigte sich mit dem Problem der Schallaufzeichnung und prophezeite 1634: „Man wird dereinst Sprechmaschinen herstellen, aber sie werden einen schnarrenden Klang haben.“

Cyrano de Bergerac beschreibt in seiner  „Komischen Geschichte der Länder und Staaten des Mondes“ die Bücher der Mondbewohner als Dosen, die man an das Ohr hielt. Diese „Hörbücher“ enthielten Uhrwerke mit Nadeln (!), die den Inhalt wie von Menschenstimme gesprochen erklingen ließen. 1777 lässt Gottfried August Bürger seinen Lügenbaron Münchhausen von einem Posthorn erzählen, das tief gefrorenen Schall enthält, den man zum Erklingen bringt, wenn man ihn auf dem Ofen schmilzt.Etwa zur gleichen Zeit zeigt sich Kaiserin Maria Theresia nicht wenig erstaunt, als ihr der ungarische Baron Wolfgang von Kempelen eine sprechende Maschine mit einer komplizierten Mechanik aus Klappensystemen und Blasebalg vorführt. Heraus kam eine täuschend echte Imitation der Stimme eines vierjährigen Kindes, die angeblich jeden beliebigen Text sprechen konnte.

Im 19. Jahrhundert gelangen die entscheidenden Fortschritte. 1846 stellte der Franzose Duhamel seinen Vibrographen vor, der Schwingungen der Stimmgabel mit einem Schreibstift auf berußtes Papier übertrug. Das Papier selbst war um einen sich drehenden Zylinder gespannt. Auch der Göttinger Physiker Wilhelm Eduard Weber forschte an der Visualisierung des Schalls und entwickelte einen Stimmgabelschreiber, welcher feinste Wellenlinien in eine berußte Glasplatte ritzte.

Doch erst der Franzose Édouard Léon Scott de Martinville vermochte mit seinem 1855 erfundenen „Phonautograph“ die Aufzeichnung der menschlichen Stimme zu lösen. Als Schalltrichter diente ihm ein Horn. Eine Membran übertrug die Schwingungen auf eine Schweineborste, die Wellen auf eine mit Ruß beschichtete Walze kratzte. Der geniale Apparat hatte jedoch einen gravierenden Nachteil: Er konnte nichts wiedergeben. Aber Scott wollte Klänge sichtbar machen und nicht reproduzieren. Seine Phonoautogramme sind uns erhalten geblieben, und vor ein paar Jahren gelang es Mitarbeitern der Stanford University, die Schallbilder am Computer zu scannen und – wenn auch sehr verrauscht – zum Klingen zu bringen. 1860 hielt Scott fest, wie eine uns unbekannte Frau „Au clair de la lune“ sang.

Es handelt sich um das älteste uns erhaltene aufgezeichnete Tonzeugnis. Sensationell und geisterhaft zugleich (zu hören als MP3 auf www.firstsounds.org/sounds/scott.php)! Inwieweit Scotts Ideen den Daniel Düsentrieb und Tausendsassa Thomas Alva Edison inspiriert haben, lässt sich heute schwer feststellen. Tatsache ist, dass sich Edison einen Apparat bauen ließ, der dem Scottschen Schallaufzeichnungsgerät sehr ähnlich war. Anstelle der Russwalze kam zunächst eine Zinnfolie, dann eine Wachswalze zum Einsatz, in welche eine an einer Membran angebrachte Stahlnadel die Schwingungen als Vertiefungen eindrückte. Beim Drehen wurde die Walze gleichzeitig seitlich etwas verschoben. So entstand durch die Nadel eine Rille, die spiralförmig vom Anfang bis zum Ende der Walze verlief. Setzte man nun nach dem Besprechen der Walze die Nadel wieder an den Rillenanfang, so zwangen die Vertiefungen und Erhebungen in der Furche die Membran zu den gleichen Schwingungsbewegungen wie bei der Aufnahme. Das Aufgenommene konnte so erstmals wiedergeben werden. Endlich war die abenteuerliche Suche nach der Maschine, die sprechen kann, beendet. Edison nannte seinen Apparat, den er sich für 18 Dollars vom Schweizer Kruesi bauen ließ, „Phonograph“. Im August 1877 brüllte er die berühmten Kinderverse „Mary had a little lamb“ in den Trichter (zu hören auf www.gutenberg.org/files/10137/10137-m/10137-m-001.mp3). Edisons Erfindung stieß anfänglich auf viele Widersacher. Ein kirchlicher Würdenträger verschrie sie gar als Vergehen gegen das „höchste Geschenk Gottes“ (gemeint war die menschliche Stimme) und beschimpfte Edison als üblen Bauchredner.

Zehn Jahre später führte der aus Deutschland in die USA eingewanderte gelernte Drucker Emil Berliner in Philadelphia einen Apparat vor, für den er sich den Namen „Grammophon“ hatte schützen lassen. Der Tonträger war nun keine Walze mehr, sondern eine Zinkplatte, in die eine schwingende Membran ihre Bewegungen als flache Schlangenlinien gravierte. Von dieser Platte konnten – im Gegensatz zu Edisons Walze – beliebig viele Kopien gezogen werden. Etwas später entdeckte Berliner den Schellack als Plattenmaterial. Die Schallplatte war geboren!

„Was immer ertönt, geht vorbei, und man wird darin nichts finden, das man wieder in Gebrauch nehmen und durch die Kunst gestalten könnte“, hielt Augustinus im Jahre 399 fest. Der große Kirchenvater sollte sich – dem Himmel sei Dank – irren.

Phonosophicum, Fazit 61 (April 2010)

Kommentare

Antworten