Von der Geographie des Denkens
Maryam Laura Moazedi | 24. März 2010 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 61, Managementserie
Die steigende Bedeutung der Auseinandersetzung mit interkultureller Kommunikation bedarf angesichts von Internationalisierungs-, Globalisierungs- und Migrationsentwicklungen kaum noch einer expliziten Erklärung. Interkulturelle Kommunikation wird von vielen WissenschaftlerInnen als neues Forschungsgebiet bezeichnet. Sie ist vor allem auch ein interdisziplinärer Wissenschaftsbereich, mit dem sich beispielsweise Psychologie, Translationswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Linguistik, Soziologie, Kulturanthropologie, Philosophie und Pädagogik beschäftigen. Auch wenn die Definitionen je nach Zugang unterschiedlich sind, ihr Kern ist ein gemeinsamer: der Umgang mit kultureller Vielfalt und der Erwerb interkultureller Kompetenzen. Und dieses Ziel ist ein ambitioniertes, denn das Potenzial für Missverständnisse ist nicht gering. Sorgt Kommunikation alleine schon für komplexe Situationen, die nicht immer eindeutig sind, gewinnt sie an zusätzlicher Komplexität, wenn sie interkulturell wird.
Keine Nichtkommunikation Der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick weist in seinem ersten Axiom „Man kann nicht nicht kommunizieren“ auf die Unmöglichkeit einer Nicht-Kommunikation hin. Den Ausgangspunkt dieses Axioms bildet der Gedanke, dass wir nicht nur durch Worte, sondern ebenso durch Körperhaltung und paralinguistische Phänomene wie etwa Tonfall, Tempo, Pausen, Seufzen und Lachen kommunizieren. Mit anderen Worten, wir kommunizieren auch durch Verhalten. Dieses Verhalten hat wiederum kein Gegenteil, wir können uns nicht nicht verhalten und schlussendlich nicht nicht kommunizieren.
Hat Verhalten kein Gegenteil, so kommt man im Grunde genommen der Kommunikation nicht aus. Unabhängig davon, was man tut – oder auch nicht tut –, man kommuniziert, beispielsweise durch das Lächeln oder auch Nicht-Lächeln. Ob, wie sehr, wann und wie jemand z.B. lächelt, nickt oder Blickkontakt hält, kann auch von der Kultur der jeweiligen Person abhängig sein. Und wie das Verhalten dieser Person interpretiert wird, ob z.B. der Blickkontakt als positiv oder negativ empfunden wird, kann wiederum von der Kultur des Gesprächspartners beeinflusst werden. So wurden in einer Studie interkulturelle Bewerbungssituationen mit US-amerikanischen Personalbeauftragten und indischen BewerberInnen nachgestellt. Aufgrund der nonverbalen Kommunikation der indischen BewerberInnen konnte vorhergesagt werden, ob sich die jeweilige Person als BewerberIn qualifizierte oder nicht.
Interkulturelle Missverständnisse Kultur mit Kommunikation zu verbinden, ist ein wesentlicher Schritt im Verständnis interkultureller Kommunikation. Kulturelle Muster sind mitverantwortlich dafür, auf welche Art und Weise bestimmte Aussagen de- und enkodiert werden, welche Bedeutung ihnen beigemessen wird, wie sie gesendet und empfangen werden. Der große Interpretationsspielraum kann anhand des Umgangs mit Schweigen illustriert werden. Gilt das Schweigen als etwas Positives und Angenehmes in der japanischen Kultur, wird es im englischsprachigen Raum in aller Regel als negativ empfunden. Eine Studie zum Umgang von US-amerikanischen und japanischen Studierenden mit einander führte einen Teil der Missverständnisse auf diesen Umstand zurück. Die US-amerikanischen Studierenden legten das Schweigen ihrer japanischen KollegInnen als mangelndes Interesse aus, da sie – kulturbedingt – aktive Teilnahme schätzen. Ein weiteres Beispiel ist die Perzeption von Höflichkeit. Sprachliche Höflichkeit wird beispielsweise in vielen asiatischen Kulturen durch indirekte Formulierungen ausgedrückt. Indirekte Formulierungen können im Westen – ebenso kulturbedingt – ganz anders interpretiert und zum Beispiel als Zeichen für Unsicherheit oder Desinteresse ausgelegt werden.
Geographie des Denkens In der kognitiven Anthropologie gilt Kultur als mentales Programm, das das Verhalten der Menschen vorbestimmt. Das mentale Programm wird durch das Umfeld bestimmt, das einen prägt. Goodenough versteht unter Kulturen weitgehend einheitliche Regelwerke, im Vordergrund steht das Gemeinsame, das allerdings kritischen Warnungen zufolge nicht so weit reichen sollte, dass individuelle Unterschiede völlig ausgeblendet und übersehen werden. D’Andrade spricht im Zusammenhang mit Kultur von einer kollektiven Programmierung, die eine Gruppe von Menschen von einer anderen unterscheidet. Worin sich diese Gruppen unterscheiden, ist die Sichtweise, die auch von den zur Verfügung stehenden Informationen geprägt wird. Eric Michaels weist darauf hin, dass der Zugang der Menschen zu Informationen zum Teil bestimmt wird durch die Orte, von denen und durch jene sie sprechen. Er bezieht sich konkret auf die Orte der Zeugung, Geburt, des Lebens und des Todes. Laut Michaels spricht jeder Mensch von und durch eine spezifische Geographie dieser Orte. Kommunikation ist somit höchst subjektiv, die Subjektivität drückt den Ort aus, von dem die Welt erfahren wird. Wie wir die Welt sehen und kommunizieren, ist letzten Endes nicht eine rein individuelle Angelegenheit, sondern wird auch von der Kultur bestimmt, die uns umgibt. Wir kommunizieren durch unsere Geographie.
Interkulturelle Kompetenz Eine gelungene Kommunikation ist keine Selbstverständlichkeit, auch nicht im so genannten monokulturellen Kontext. Was man unter einem guten Gespräch, einem wahren Dialog oder einer anregenden Diskussion versteht, mag individuell variieren. In aller Regel versteht man darunter, dass sich beide GesprächspartnerInnen auf einander einlassen. Sie nehmen aktiv am Gespräch teil, was sich nicht nur auf das Sprechen bezieht. Auch das Zuhören ist – zuweilen eher im theoretischen Idealfall – aktiver Part eines Gesprächs, wenn der Anspruch über den eines so genannten monologisierenden Scheindialogs hinausgehen soll. Die Voraussetzung einer bewussten Auseinandersetzung mit der Kommunikationssituation gilt auch für jene, die um einen interkulturellen Aspekt erweitert wird.
Interesse allein reicht nicht aus, um Missverständnissen vorzubeugen. Es bedarf einer aktiveren Auseinandersetzung mit der Thematik. Studien zufolge steigern Menschen mit interkultureller Erfahrung ihre empathischen Fähigkeiten und können Dinge auch mit anderen Augen sehen. Mit anderen Worten, sie steigern ihre interkulturelle Kompetenz durch die Erfahrung, dass mehr oder minder alles relativ ist, sowie durch den Verzicht auf den Absolutheitsanspruch ihrer geographisch determinierten Denk- und Kommunikationsweise.
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Managementserie, Fazit 61 (April 2010)
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