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FazitOnline

Die Gedanken sind frei

| 10. März 2011 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 70, Fazitthema

Dieser Text ist abgeschrieben. Von vorn bis hinten. Anfang bis Ende. Alles was Sie lesen: geklaut. Alles. was sie lesen ist so oder so ähnlich schon mal irgendwo gestanden. Es gibt nicht einen einzigen originalen Gedanken, weil es ja alles schon einmal irgendwo gegeben hat. ::: Titelgeschichte als PDF: DOWNLOAD

Der Philosoph Friedrich Nietzsche nannte es die »ewige Wiederkehr des Gleichen« und das ist natürlich ebenso die ständige Gegenwart des Ewig-Gleichen. Unter den modernen Theoretikern war es dann Vilém Flusser, der diesen traurigen Zustand identifizierte und als Entropie bezeichnete. Seine traurige Vision: Wir alle sind mit unseren Freunden in der ganzen Welt vernetzt, haben uns aber nichts mehr zu sagen, weil wir alle über die gleichen Informationen verfügen.

Ganz so weit ist es noch nicht, aber schon heute stellt sich immer häufiger die Frage nach originellen und originalen Ideen, nach Urheberschaft, geistigem Eigentum und danach, was eigentlich »mein« und was »dein« ist. Die Debatte spannt dabei einen Bogen von der Frage nach der Strafbarkeit von Film-Downloads bis zu dem berechtigte Anliegen von Schriftstellern, Designern und Erfindern, die mit ihren Gedanken das Geld zum Leben verdienen wollen.
Bei all diesen Interessen, die da aufeinanderprallen, stellen sich zugleich rechtliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragen. Und es stellt sich die Frage nach dem Ausweg aus »diesem ganzen Urheberrechtsexzess«. So hat es jene Helene Hegmann genannt, die im letzten Jahr ihren Bestsellerroman »Axolotl Roadkill« veröffentlich hat, in dem anschließend einige wenige Stellen gefunden wurden, die aus einem Weblog abgeschrieben waren. In der folgenden Debatte wurde selten wie nie deutlich, wie sehr unsere Kultur vom Nachahmen und Abkupfern, von Collagen und Kopien lebt. Die Normalität des Abschreibens ist frappierend: Bertolt Brecht bekannte sich zu seiner »Laxheit im Umgang mit geistigem Eigentum«, Nobelpreisträger Thomas Mann nannte es »höheres Abschreiben« und Joanne K. Rowling, Dan Brown und Frank Schätzing wurden beschuldigt, und zum Teil verklagt, weil es auch bei ihnen adaptierte Textstellen anderer Autoren gibt.

Dass jetzt auch noch der Deutschen liebster Minister für Verteidigung, Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, in seiner Doktorarbeit abgeschrieben hat, wird die Debatte neu anheizen. Und sie ist nicht nur für Kunst und Wissenschaft von großer Bedeutung: 5.800 Beschäftigte hat die Sparte Information und Kommunikation in der steirischen Wirtschaftskammer, dazu kommen noch zahlreiche F&E-Abteilungen aus dem Technologiebereich – also jenem treibenden Motor der umsatzstärksten Sparte innerhalb der steirischen Wirtschaft. 3.485 Erfindungen wurden im letzten Jahr für Österreich angemeldet, 940 Patente erteilt und 5.981 Markennamen angemeldet, davon 602 in der Steiermark, die damit auf Platz 3 nach Ober- und Niederösterreich liegt. Ideen gibt es also noch genügend.

Recht hat, wer Ideen hat.
Unsere Gesellschaft hat mit der Entwicklung zum Kapitalismus auch eine Vorstellung von Besitz entwickelt, und in dieser Vorstellung sind auch die geistigen Eigentümer vorhanden. Seit dem 19. Jahrhundert ist von diesem die Rede, aber erst viel später, etwa Ende der Neunzigerjahre, hat man sich auch stärker mit dem »Schutz des geistigen Eigentums« beschäftigt – also fast zeitgleich mit dem Durchbruch des Internets. Zuerst waren es nur Autoren, die ihre Werke vor der Vervielfältigung via Buchdruck schützen mussten oder deren Aufführungsrechte von Theatern verletzt wurden, erklärt Dr. Rainer Beck, Grazer Rechtsanwalt und Sachverständiger in Urheberrechtsfragen.

Inzwischen betrifft das Thema auch immer mehr Universitäten, die sich mit immer »besseren« Plagiaten auseinandersetzen müssen, es betrifft Unternehmen, die ihre Produkte trotz billiger Plagiate aus China verkaufen wollen, und Designer, Architekten und Kreative, die auf dem schmalen Grat von Einzigartigkeit und Bekanntheit wandeln. Und wer bekannt ist, der wird nachgeahmt und manchmal eben auch kopiert.

Anwalt Beck, der schon in den 80ern und 90ern zu jenem kleinen Kreis gehörte, der sich mit dem »Schutz des geistigen Eigentums« – dem Urheberrecht – beschäftigte, versteht es als »Schutz des Schwächeren gegen eine grundsätzlich stärkere Verwertungsindustrie«. Und dem gegenüber stehe ein natürliches Interesse der Gesellschaft an diesen geistigen Eigentümern. »Dazu kann auch der neuste Blockbuster gehören.«
Am Download von Filmen aus dem Internet lässt sich die rechtliche Frage des Urheberrechts mit ihren Schwierigkeiten noch am einfachsten illustrieren, auch wenn der Bereich zwischen Strafbarkeit und Legalität sehr grau ist: »Grundsätzlich ist das Herunterladen nicht strafbar«, so Beck. Wer aber einen Film herunterlade und wissen kann, dass der Film illegal im Internet ist, der macht sich zum Mittäter. »Dann haben wir den juristischen Tatbestand des Vorsatzes. Und wenn man schon mit dem Gedanken spielt, dass es möglicherweise illegal sein könnte, dann ist man schon nicht mehr gutgläubig«, und dann stehe man schon mit einem Bein auf der Seite der strafbaren Handlung, macht Beck deutlich, wie sehr diese Fragen juristisch differenziert werden.

Der Filmdieb in uns allen
Nun kann man gute Gründe für den bequemen Kinokonsum vom Sofa aus anführen. Schnell und kostenlos ist der gewünschte Film verfügbar – zu jeder Tages- und Nachtzeit und frei von den Unannehmlichkeiten, die im Kino auf einen lauern: Die Preise sind unverschämt teuer; unter zehn Euro gibt es Filme nur noch an Kinotagen, und im Normalfall ist man dem traurigen Umstand ausgeliefert, dass die Filme nur in der deutschen Synchronfassung zu sehen sind. Von fremdem Handyklingeln, unfreundlichem Personal und dreckigen Toiletten einmal ganz abgesehen – ausgenommen sind da die seltenen, aber wunderbaren Programmkinos.

Und auch die Alternative der DVD ist zunehmend zum Abgewöhnen: Selbst wer sich mit den besten Absichten und für gutes Geld eine DVD kauft, muss nach dem Einlegen der Hightech-beschichteten Scheibe die obligatorische Ermahnung über sich ergehen lassen, dass Raubkopien kein Kavaliersdelikt sind. Wenn die DVD denn überhaupt vom jeweiligen Abspielgerät eingelesen werden kann.
Jede Menge Gründe also, sich Filme im Internet herunterzuladen. Und dort geht der geneigte User dann eben doch zuerst zu den bekannten, kostenlosen und illegalen Plattformen. Über deren Legalität und Illegalität wird zwar immer noch gern gestritten, aber zumindest in Schweden sind die Gründer von thepiratebay rechtskräftig verurteilt und auch in Spanien wurde gerade erst ein Gesetz verabschiedet, welches Film- und Musiktauschbörsen verbieten soll, die fremde Rechte verletzen.

Dabei gibt es längst legale und günstige Alternativen: Die Videothek um die Ecke und österreichische Online-Angebote bieten Filme ebenso flexibel wie das Internet und für weniger als fünf Euro an (siehe Kasten). Doch es bleibt die Verantwortung derjenigen, die allabendlich auf der Suche nach dem richtigen Film sind. Ihnen muss das Vergnügen zum Download auch etwas wert sein.

Während die Film- und Musikindustrie die entstehenden Verluste noch relativ gut verkraften kann und große Anwaltskanzleien beschäftigt, um illegale Verbreitung im Internet zu verfolgen, ist der Verlust der Kontrolle über das eigene Werk für viele ein wirtschaftliches Risiko. Schnell verselbstständigen sich Fotos, Texte und Ideen, fliegen kostenlos durchs Netz und die reale Welt, ohne die geringste Möglichkeit, sie je wieder einzufangen.

Illustriert wird das auf der jährlichen Verleihung des »Plagiarius« – ein schwarz lackierter Gartenzwergs, der jedes Jahr als Negativpreis für besonders dreiste Produktplagiate verliehen wird . Seit 1977 wird so gezeigt, wie allen voran die Chinesen Produkte fälschen. 75 Prozent der beschlagnahmten Produkte kommen aus Fernost, aber auch deutsche Unternehmen bekommen den »Plagiarius« häufig verliehen. Der Gesamtschaden, der durch diese Produkte entsteht, wird auf bis zu 300 Mrd. Euro geschätzt.
Gut geteilt, ist halb gewonnen.
Peter Schaar von der Werbeagentur Faschingbauer & Schaar in Graz lebt von seinen Ideen – und davon, dass sie keiner klaut. Und bis jetzt musste er seine Ideen noch nie auf fremden Plakatwänden entdecken. »Wir haben als Mitglied der Wirtschaftskammer unterschrieben, nur an Ausschreibungen teilzunehmen, wo auch ein Abgeltungshonorar gezahlt wird, wenn unser Konzept nicht genommen wird.« Dadurch arbeite er nur mit Unternehmen zusammen, die langfristig denken und beim nächsten Projekt wieder anfragen wollen. Die Auswahl der Kunden ist also ein wesentlicher Bestandteil, der andere ist Glück. Denn im Konkreten sei es schwierig, seine Ideen für sich zu beanspruchen: »Wenn ich in meinem Konzept die List-Halle als Veranstaltungsort vorschlage, aber abgelehnt werde, kann der Kunde ja trotzdem in die List-Halle gehen. Das war zwar meine Idee, aber das kann man ja nicht ausjudizieren. Das wäre ja pervers.« Auch fern des Internets ist es also eine Frage von Respekt und Wertschätzung vor seinen Kunden oder Auftraggebern.

Doch nicht jede Idee ist einmalig und es wird immer schwieriger werden, das alleinige Anrecht zu reklamieren . Zu sehr arbeitet gerade die Werbung (aber auch Design, Architektur und Kunst) mit Klischeevorstellungen. Je aktueller die Ideen sein sollen, desto mehr sind sie vom Zeitgeist geprägt, und auch die zunehmend arbeitsmarktzentrierte Ausbildung trägt ihren Teil dazu bei, dass sich die Prozesse der Ideenfindung, und damit ihre Ergebnisse, ähneln.

Die Flucht nach vorn
Auf der letzten Veranstaltung der Creative Industries Styria in Graz sprach Ronen Kadushin über das Konzept des Open Design. Der israelische Designer stellt seine Baupläne für Tische, Stühle und Vasen frank und frei ins Internet. So gibt er die Möglichkeit, dass seine Pläne von jedermann verändert und verwirklicht werden. Ganz nach dem Vorbild der  Software-Entwicklung (OpenSource – öffentlicher Zugang) soll die »Kreativität der Masse« freigesetzt werden. Und über die so gewonnene Bekanntheit lasse sich ebenso Geld verdienen wie als angestellter Designer in einer Produktionsfirma. Das ist zumindest die Idee von Kadushin.

Aber die Softwareentwickler und Designer sind damit nicht allein: Chris Anderson, Chefredakteur des Magazins Wired, hat vor einigen Jahren das wirtschaftliche Prinzip des Internet mit dem Begriff des »Long Tail« auf den Punkt gebracht: also jenem »langen Schwanz« an Kunden, der nach Nischenprodukten sucht. Und die lassen sich im Internet viel besser und gewinnbringender verkaufen als die Mainstream-Produkte aus dem Supermarkt. Doch zuletzt ist Anderson mit seinem Buch »Free« noch einen Schritt weiter gegangen: Darin stellt er die Theorie auf, dass Informationen immer günstiger und schließlich kostenlos werden. Geld wird schließlich nur noch für Zusatzleistungen gezahlt werden und so hat er es auch bei seinem eigenen Buch gemacht: Die englische Hörbuchfassung, immerhin knapp sieben Stunden, gibt es kostenlos, ebenso wie die digitale Ausgabe des Buches; wer aber eine Übersetzung oder das gedruckt Buch haben will, der muss zahlen.

Einen Beweis, dass solche Konzepte funktionieren können, trat die legendäre britische Comedy-Truppe Monty Python an. Nachdem sie einige ihrer Filme auf YouTube online gestellt haben, explodierte der DVD-Verkauf und ließ sie auf Platz 2 der Bestsellerliste von Amazon rutschen.

Trotzdem gibt es auch Kritiker dieser Alles-umsonst-Kultur: Dazu gehört nicht nur Walter Benjamin, der schon lange vor Erfindung des Internet, nämlich schon zu Beginn des 19. Jh. vom »Verlust der Aura« durch die technische Reproduktion sprach. Also von jenem Bruch der Vervielfältigung: Galt es doch lange als Ehre, wenn eine Skulptur oder ein Buch von einem anderen händisch dupliziert wurde, fand mit der Erfindung des Buchdrucks und aller anderen technischen Reproduktionstechniken eine gewisse Entwertung der Kopie und leider auch des Originals statt.

Auch Jaron Lanier teilt die Ansicht, dass Kreativität individuell entstehen müsse. Und im Gegensatz zu Walter Benjamin ist Lanier ein Kind unserer digitalen Zeit. Als Informatiker, Künstler und Autor, er prägte den Begriff der »virtuellen Realität«, würde er perfekt in das Klischee der OpenSource-Anhänger passen. Aber für ihn bildet die häufig beschworene »Schwarmintelligenz« (wie zum Beispiel in Wikipedia) nur die Durchschnittsmeinung ab, kein tatsächliches Wissen und erst recht keinen Fortschritt.
Aber lassen sich die traditionellen Konzepte von Autorenschaft in Anbetracht der Entwicklung von Design, Software, Technologie und Kunst noch halten? Schließlich war Andy Warhol mit seine Readymades doch nur der Beginn einer positiven Reaktion auf die Möglichkeiten der technischen Reproduktion. Er hat sich zu Nutze gemacht, wovor sich andere fürchten.
Was Recht ist, muss Recht werden.
Ob man es glaubt oder nicht, auch das Recht entwickelt sich weiter – und zwar in zwei Richtungen: Deutsche Verleger lobbyieren seit Monaten intensiv für ein sogenanntes »Leistungsschutzrecht«, das aufgrund der engen Verbindungen von deutschen und österreichischen Medien auch Auswirkungen auf Österreich haben wird.

Den Verlegern geht es darum, für die bisher kostenlos im Internet vorhandenen Inhalte Geld zu bekommen. Und dafür soll das Urheberrecht geändert werden. Derjenige, der Inhalte lesen, verbreiten oder benutzen will, soll dafür zahlen. Was erst einmal so nachvollziehbar klingt, wird im Konkreten schwierig. Denn wie will man das Verbreiten und Nutzen von Nachrichten kontrollieren? Gar den Verbrauch messen, nach dem sich dann eventuelle Gebühren richten müssten? Und ein Pflicht-Modell wie die GIS, nur für Print- und Online-Angebote, wollen selbst die Befürworter der Initiative nicht. Ganz abgesehen davon ist die Freiheit der Information im Internet auch einer seiner ersten Grundgedanken. Dadurch, dass Wissen nicht mehr an Geld, also den Kauf kluger Bücher, oder den persönlichen Bekanntenkreis gebunden ist, versprach man sich eine Demokratisierung des Wissens, die langsamer als erhofft, aber doch stattfindet.

Vielversprechender als der Versuch, die Mauern wieder aufzurichten und mit Kassenautomaten namens »Leistungsschutz« zu versehen, scheinen andere Wege: Seit der Jahrtausendwende existieren die sogenannten Creative-Commons-Lizenzen. Sie erlauben dem Urheber, selbst Regeln für die Verwendung seines Werkes festzulegen: Von der Namensnennung des Autors über die Entscheidung, ob das Werk verändert werden darf, bis zum Ausschluss von kommerzieller Verwendung – solange sich alle daran halten, ist das eine intelligente Sache, aber einige Fragen verschieben sich leider nur: Ist zum Beispiel die Änderung der Schriftart schon eine Veränderung des Textes, oder eine Kürzung? Und was sind »kommerzielle Interessen«? Gehört politische Werbung schon dazu, oder ein Magazin wie das FAZIT, das auch hin und wieder auf Creative-Commons-Bilder zurückgreift?

Diese Lizenzen sind also noch nicht der Weisheit letzter Schluss, aber unter Berücksichtigung der fairen Nutzung sind sie eine sinnvolle Erweiterung des Urheberrechtsgedankens. Im amerikanischen Recht gibt es dafür bereits eine solche »fair use«-Klausel.
Der Gedanke, dass Nutzer tatsächlich ein Gefühl für die Leistung von anderen entwickeln könnten und diese respektieren, geht so weit, dass sich inzwischen sogar Bezahlsysteme etabliert haben, die auf diesem Prinzip funktionieren. Bei Diensten wie Flattr und Kachingl legt jeder selbst fest, wie viel er wofür zahlen müsste. Noch haben die Dienste keine Massenverbreitung, aber im Internet kann sich so etwas (fast) so schnell entwickeln wie sich die Filme, Musikalben und Fotos herunterladen lassen.

Die größte Herausforderung für alle, die aus ihren Ideen Geld machen wollen, wird also sein, zu der eigentlichen Idee noch einen kreativen Weg zu finden, wie man sich den Fragen des Urheberrechts stellt, wie man die Idee selbst vor Missbrauch schützt, ohne sie vor den Kunden zu schützen. Und wie man sie verbreitet, ohne sie aus den Augen zu verlieren.

Titelgeschichte Fazit 70 (März 2011)

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