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Wirtschaftstreibende als Kulturvermittler

| 5. April 2011 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 71, Managementserie

Management-Serie: Ethnic Business

Der strukturelle Wandel der Gesellschaft mit dem Teilaspekt der Migration wird nicht erst seit den jüngsten Ein- und Auswanderungsbewegungen im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Konsequenzen diskutiert. Migration und Wirtschaft waren von jeher miteinander verknüpft. Der Begriff „Ethnic Business“ subsumiert Themen wie die kulturelle Abstammung der Unternehmerinnen und Unternehmer, die kulturelle Prägung ihres Angebots und letzten Endes auch die Ansprache ethnisch festgelegter Zielgruppen im Marketing.

Kettenreaktionen Geschäftstätigkeiten finden unter anderem in einem ethnischen Milieu statt. Menschen bestimmter Herkunft bieten aufgrund kultureller oder rechtlicher Bedingungen spezifische Produkte an, versorgen andere aus dem gleichen Kulturraum mit Arbeitsplätzen und/oder bieten Produkte für Kundinnen und Kunden eines definierten Kulturkreises an. Der durch diese Auflistung entstehende segregatorische Bei- oder Nachgeschmack muss allerdings nicht immer im vermuteten Ausmaß gegeben sein. Im Grunde genommen unterscheidet sich die MigrantInnenökonomie in diesen Punkten nicht wirklich von dem Wirtschaftstreiben der „einheimischen“ Bevölkerung. Wer erfolgreich sein will, bietet meist bestimmte Produkte für bestimmte Zielgruppen an. Das Wirtschaftstreiben von Minderheiten bleibt auch nicht immer isoliert und unberührt von der sie umgebenden Mehrheit und vice versa. Oft werden durch sogenannte „UnternehmerInnen mit Migrationshintergrund“ Arbeitsplätze für jene „ohne Migrationshintergrund“ geschaffen. Ihre Zielgruppe umfasst nicht nur die eigene Ethnie, die Produkte sind auf eine breitere Käuferschicht ausgerichtet. Auf der anderen Seite reagieren auch Unternehmen der Mehrheitskultur auf Minderheiten und bieten gezielt Produkte für „ethnisches Klientel“ an. Es entsteht eine natürliche Verflechtung, deren Chancen und Potenziale die Wirtschaft in aller Regel früher erkennt als manch anderer Bereich.

Unternehmer als Kulturvermittler Diese Verflechtung ist, was Kultur auszeichnet. Denn Kultur ist – obwohl sie oft gerne als eine starre, abgeschlossene, genau umgrenzte und andere abgrenzende Entität präsentiert wird – ein stetiger Prozess, der auch gerade in diesem Moment wirkt. Unternehmerinnen und Unternehmer tragen ihren Teil zur Dynamik der Entwicklung bei und vermitteln zwischen den Kulturen. In der homogeneren ethnischen Enklavenökonomie, wie beispielsweise in der New Yorker Chinatown oder in Little Italy, stellen sie oft die Verbindung zwischen der Minderheiten- und Mehrheitskultur dar und wirken unterstützend in anfänglichen Akklimatisierungsphasen ihrer Landsleute im Ausland, die sie mit einem ersten Arbeitsplatz versorgen. Diese räumlichen Konzentrationen ethnischen UnternehmerInnentums haben neben potenziellen Nachteilen den Vorteil, dass die Produkte gleich zu Beginn auf die KäuferInnen im Umkreis abgestimmt sind, während jene außerhalb der Enklave mit der Zeit ihr Interesse an den „fremden“ Produkten entdecken können.

Kulturtransfer Der Unternehmer als Kulturvermittler ist kein neues Phänomen, das es etwa erst seit der Beschäftigung mit türkischen Lebensmittelhändlern in Deutschland gibt. Betrachtet man Kulturen nicht als einander gegenüberstehende Segmente, sondern als Verflechtungen, tritt vermutlich die Rolle des einzelnen Händlers als Kulturvermittler deutlicher in den Vordergrund.
Kultur wird unter anderem durch soziologisch definierte Trägergruppen transferiert, durch Handelsbeziehungen, die seit dem Altertum wesentlich zu Austauschprozessen beitragen. In ihrer Forschung zum französisch-deutschen Kulturtransfer weisen Michel Espagne und Michael Werner auf die historische wechselseitige Abhängigkeit von wirtschaftlichen und kulturellen Faktoren hin. Sie bezeichnen beispielsweise die deutsch-jüdischen Bankiers im Paris der Julimonarchie (1830–1848) oder die Hamburger und Lübecker Kaufleute im Bordeaux des 18. Jahrhunderts als Menschen von nicht nur wirtschaftsgeschichtlicher, sondern ebenso kulturvermittelnder Bedeutung. In diesem Sinne gilt auch die Verbreitung ihrer beruflichen Gewohnheiten und Geschäftsmethoden als kultureller Durchbruch. Zu einer regelrechten Symbiose von Kultur- und Finanzwelt kam es zu jener Zeit durch das Treffen von deutschen Kaufleuten und Bankiers mit wichtigen Persönlichkeiten des französischen Kulturlebens.
Das Produkt der Begegnungen war damals und ist auch heute noch ein Beitrag zu dem niemals abgeschlossenen Prozess von Kultur durch den Transfer in beide Richtungen. Beide Kulturen nehmen Elemente voneinander auf und integrieren diese auf die eine oder andere Art, bis sie letzten Endes feste Bestandteile der „eigenen“ Kultur werden und sich später wieder weiterentwickeln und verändern – die gegenseitige kulturelle Bereicherung als ein „Nebenprodukt“ wirtschaftlichen Treibens.

Middleman minorities Einen völlig anderen Zugang zur Rolle der UnternehmerInnen zeigt der Middleman-Minorities-Ansatz. Er fokussiert auf die Funktion unternehmerischer Minderheiten als sogenannte Puffer zwischen der dominanten Elite und der benachteiligten Masse. Diese Randgruppe solidarisiert sich demnach mit der unterdrückenden Mehrheit und wird in der Folge von der marginalisierten Minderheit abgelehnt. Manche Middleman-Minority-Gruppen weisen einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Selbstständigen auf, weil sie eine Kundschaft außerhalb ihrer eigenen kulturellen Community gewinnen können. Das bedeutet oft, dass sie in die Nähe ihrer Kundinnen und Kunden ziehen und sich weiter von ihrer Gemeinschaft entfernen.

Ethnic und Immigrant Business Ethnic Business gilt volkswirtschaftlich als besonders attraktiv, weil MigrantInnen – anhand zahlreicher empirischer Daten belegt – dadurch Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen. Durch die kulturelle Vielfalt steigen auch Kreativität und Innovation urbaner Wirtschaftsstandorte, die zudem an Wert und Dynamik gewinnen.
Die britische Regierung erkannte schon vor Jahrzehnten, dass heruntergekommene Stadtteile durch ethnische Ökonomien einen Aufschwung erfahren können, und initiierte Förderprogramme für Betriebe von pakistanischen und indischen Einwanderinnen und Einwanderern, die kurz darauf schon mehr Unternehmen gegründet hatten als die „weiße“ Bevölkerung.
Allgemein (und von Krisen abgesehen) leben in den letzten Jahren Klein- und Mittelbetriebe in Europa wieder auf, was bessere Rahmenbedingungen für Ethnic Business schafft … und in einem weiteren, indirekten Schritt für den gegenseitigen kulturellen Austausch durch Wirtschaftstreibende.

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Managementserie Ethnic Business, Fazit 71 (April 2011)

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